WM-Modus: Sutovsky contra Seirawan

von Emil Sutovsky
06.12.2016 – Yasser Seirawan gefällt das aktuelle WM-Format nicht. Deswegen hat er eine Reihe viel diskutierter Änderungsvorschläge gemacht. Doch mit denen ist Emil Sutovsky nicht einverstanden. In einem Gegenvorschlag sucht der Präsident der Association of Chess Professionals neue Wege und lädt das Publikum ein, sich an der Debatte zu beteiligen.

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Der Weltmeisterschaftsmodus - ein Vorschlag

Emil Sutovsky, Präsident der Association of Chess Professionals (ACP)

Zuallererst möchte ich Magnus zur Titelverteidigung gratulieren und Sergey, der ein würdiger Herausforderer war, loben. Weltmeisterschaftskämpfe - und ich glaube, wir sollten beim Wettkampfformat bleiben - sind die renommiertesten Wettbewerbe, die das Schach zu bieten hat. Und sie locken das meiste Publikum an - Millionen von Zuschauern auf der ganzen Welt haben den Kampf in New York verfolgt. Aus sportlicher Perspektive war der Wettkampf spannend, aber ich glaube, bei einem anderen Modus hätten die Partien noch viel spannender sein können. Hier meine Gedanken zum Thema:

1. Anzahl der Partien

Ich halte zwölf Matchpartien nicht für optimal. Bei zwölf Partien scheint das Match zu kurz zu sein – und das beeinflußt die Wettkampfstrategie der Spieler: Sie werden dazu verleitet, übervorsichtig zu spielen, da schon eine einzige Niederlage fatal sein kann. Auch die Zuschauer hätten der Show gerne länger zugeschaut. Schachfans und Publikum hat der Wettkampf in New York gelangweilt – die große Mehrheit hätte gerne noch mehr Partien gesehen. Da ein Wettkampf über 24 Partien aus einer Reihe von Gründen vielleicht ein wenig zu lang ist, würde ich 16 Partien als perfekten Kompromiss vorschlagen. Wenn man dann nach jeder dritten Partie (und nicht nach jeder zweiten, wie jetzt in New York) einen Ruhetag einlegt, ware ein Wettkampf über 16 Partien auch nicht wesentlich teurer.

2. Was passiert bei Gleichstand?

Da habe ich viele Vorschläge gehört. Alle haben eine gewisse Logik, aber ich finde es unfair, wenn der amtierende Weltmeister im Falle eines Unentschiedens seinen Titel behält, und ich glaube auch nicht, dass es hier viel hilft, eine ungerade Zahl von Partien einzuführen oder dem Herausforderer eine Weißpartie mehr zu geben (mit Weiß zu spielen ist auf Top-Niveau kein bedeutender Vorteil mehr).

Aber mir gefällt die Idee eines Schnellschach-Tie-Breaks. Allerdings sollte man ein solches Tie-Break-Match nicht nach Ende des regulären Wettkampfs spielen, sondern VORHER. Dann beginnt der Wettkampf spektakulär (ich würde sagen, mit einer Overtüre), viel Spannung und der Sieger des Tie-Breaks bekommt die Pole Position. Das macht mit Sicherheit auch das anschließende klassische Schach attraktiver - denn der Spieler, der den Tie-Break verloren hat, verliert bei Gleichstand im klassischen Schach auch den Wettkampf. Aber letztendlich entscheiden die klassischen Partien den Wettkampf.

Die Weltmeisterschaftskämpfe 2006, 2012 und 2016 wurden im Schnellschach-Tie-Break entschieden und die letzten Partien dieser Wettkämpfe waren, gelinde gesagt, alles andere als schachliche Highlights. Wichtig ist meiner Meinung nach auch, den Schnellschach-Tie-Break an zwei Tagen zu spielen (Samstag und Sonntag - mit enorm großem Publikum!), denn so kann man mehr Partien spielen (3+3) und ein schlechter Tag entscheidet nicht gleich den ganzen Wettkampf. Außerdem wollen wir nicht, dass unsere Gladiatoren sterben. Tatsächlich ist es zu hart, vier Schnellpartien zu spielen, wenn es um so viel geht, anschließend vielleicht noch Blitz oder Armageddon. Ehrlich gesagt sehe ich nicht, welche Nachteile diese Vorschläge haben, den Modus der Weltmeisterschaften zu ändern - von einer Sache abgesehen: die hier vorgeschlagene Lösung ist ein wenig unorthodox. Aber wir sind Schachspieler - wir sollten so etwas können!

3. Keine Verkürzung der Bedenkzeit

Schließlich möchte ich noch einmal nachdrücklich betonen, dass mir die Idee nicht gefällt, in einem WM-Match die Bedenkzeit zu kürzen. Einige ungeduldige Zuschauer favorisieren diese Idee und sogar starke Großmeister, die denken, dass Partien mit klassischer Bedenkzeit zunehmend langweiliger werden. Meiner Meinung sind weder Schnellpartien noch Partien mit "neuer klassischer" Bedenkzeit (etwa eine Stunde für jeden) geeignet, an die Stelle der Partien mit klassischer Bedenkzeit zu treten. Ich möchte die Anhänger kürzerer Bedenkzeit daran erinnern, dass der WM-Kampf von Millionen von Menschen verfolgt wird, und ihn auf Kosten der Qualität der Partien spektakulärer zu machen (wenn man denn glaubt, dass Fehler spektakulär sind), doch wohl kaum eine produktive Idee ist.

Tatsächlich zeigen die Statistiken aus Norwegen, wo 5-10% der gesamten Bevölkerung alle klassischen Partien von Anfang bis Ende im Fernsehen verfolgt haben, doch eindeutig, dass klassisches Schach attraktiv sein kann - wir müssen es nur richtig präsentieren. Und wir müssen Schach auch nicht immer mit anderen Sportarten vergleichen! Ja, Schach ist ein Sport! Aber der Hauptgrund, warum es beim Schach um viel Geld geht, ist unsere reiche Geschichte, unsere Traditionen, unser Image als geistiger Sport schlechthin. Schneller zu werden entspricht dem Zeitgeist und ist trendy, aber manchmal ist es klug, gegen den Trend zu gehen und in seiner Nische zu bleiben, Dinge zu verändern und anzupassen, aber nicht als neue Marke aufzutreten. In ein paar Jahren feiern wir das 100-jährige Jubiläum der  "Klassisches Schach ist tot - Schach ist Remis"- Bewegung. Aber Schach ist immer noch sehr lebendig und lebt wahrscheinlich länger als all diejenigen, die heute seinen Tod verkünden...

Natürlich hat jeder Leser das Recht, nicht mit mir einverstanden zu sein und seine oder ihre Meinung in der ACP World Championship Umfrage zu sagen. Wir veröffentlichen die Ergebnisse im Januar – und auf Grundlage der Ergebnisse der Umfrage werden wir Empfehlungen für die Fide erarbeiten. Sagen Sie, was Sie denken!

Natürlich weiß ich, dass viele Leute ihre eigenen Ansichten darüber haben, welcher WM-Modus der beste ist - ich möchte Sie deshalb alle einladen, Ihre Gedanken zu teilen - in der ACP-Umfrage zum WM-Format:

Emil Sutovsky, Präsident der Association of Chess Professionals (ACP)

Übersetzung: Johannes Fischer


Emil Sutovsky ist Präsident der Association of Chess Professionals. Er wurde 1977 geboren und lebt in Holon, Israel. Im Januar 2012 kam er auf eine Elo-Zahl von 2708, die bislang höchste seiner Karriere. Seine beste Platzierung in der Weltrangliste war Platz 17. 2001 wurde Sutovsky Europameister und in mehr als 100 internationalen Turnieren hat er Preise oder den Titel gewonnen. Emil tritt oft in Radio und Fernsehen auf und ist Autor von mehr als Hundert Veröffentlichungen zum Thema Schach.

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