Alle Jahre wieder: FIDE-Wahlen

von André Schulz
27.01.2014 – Bei der nächsten Schacholympiade in Tromsö wird auch das FIDE-Präsidium gewählt. Spätestens mit der anonymen Verbreitung eines Vertragsentwurfs des Kasparov-Tickets wurde in der letzten Woche der Wahlkampf eröffnet. Am Wochenende nahm Kasparov in Wijk dazu Stellung. Der folgende Beitrag bietet Hintergrund-Informationen und kann kommentiert werden. Zum Artikel (mit Video)...

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Schmutziger Wahlkampf

Wer Kasparov kennt, weiß, dass der langjährige Schachweltmeister sich stets zu Höherem berufen fühlt und zudem nicht der Typ Mensch ist, der untätig herumsitzen möchte. Auch nach seinem Rücktritt vom Profischach nach dem Turnier in Linares 2005 blieb der 13. Schachweltmeister dem Schach erhalten, hatte allerdings zwischenzeitlich auch noch eine Reihe von Verpflichtungen als Führer einer russischen Oppositionspartie und als Kommentator bzw. Kritiker der russischen Politik zu erfüllen. Im letzten Jahr wurde Kasparov der Boden in Russland zu heiß und er beschloss, nicht mehr in seine Heimat zurückzukehren. Das bedeutete zwar nicht, dass Kasparov sich ganz aus der Politik zurück gezogen hätte,  immerhin wurde aber etwas Zeit für andere Dinge frei . So setzt sich Kasparov nun verstärkt mit seiner Kasparov Chess Foundation für das Thema Schach als Schulfach ein.

Schon vor vier Jahren unternahm Kasparov einen Versuch, sich in die Führung des Weltschachverbandes einzubringen. Als Kandidat für das Amt des FIDE-Präsidenten ließ sich Anatoli Karpov aufstellen, aber Kasparov und Karpov machten wenig Hehl daraus, dass die treibende Kraft hinter dem Kandidaten Karpov sein langjähriger Widersacher Kasparov war. Kasparov verwickelte die FIDE mit Hilfe einiger ihn bzw. Karpov unterstützender Verbände, darunter auch der Deutsche Schachbund, vor der Wahl mit seinen US-amerikanischen Anwälten in einen juristischen Wettkampf um die FIDE-Statuten. Diese waren in manchen Punkten nicht eindeutig und bevorzugten bei Wahlen das amtierende FIDE-Präsidium. Zur Abwehr des heftigen Angriffs sah sich die FIDE gezwungen, eine Menge Geld, fast eine Million Euro, für Gutachten auszugeben.

Aber auch an anderer Stelle wurde der Kampf geführt. So versuchten die Karpov-Kasparov-Anhänger den russischen Schachverband dahingehend zu instrumentalisieren, dass dieser Karpov, und nicht Ilyumzhinov als Präsidentschafts-Kandidaten nominierte. Arkady Dvorkovich, Vorsitzender des Aufsichtsrates des russischen Schachverbandes, Putins Berater in Wirtschaftsfragen und seit 2012 offiziell Stellvertretender Ministerpräsident, ließ daraufhin im Mai 2010 durch einen privaten Sicherheitsdienst die Räume des Russischen Schachverbandes besetzen und Rechner und Unterlagen kassieren. Über Dvorkovich, der auch im russischen Fußballverband eine tragende Rolle spielt, kontrolliert Russlands Präsident Putin den Russischen Schachverband - Schach spielt traditionell in Russland eine große Rolle - und hat damit auch maßgeblichen Einfluss auf den Weltschachverband. Natürlich hatte Putin keinerlei Interesse an einem FIDE-Kandidaten Kasparov.

Arkady Dvorkovich

Im komplizierten Beziehungsgeflecht der russischen Protagonisten gibt es dabei eine pikante Note: Vladimir Dvorkovich, der Vater von Arkady Dvorkovich, war ein bekannter Schachschiedsrichter, der auf vielen Turnieren, bei denen Kasparov mitgespielt hat, anwesend war. Für Kasparov war er fast eine Art Ersatzvater. Arkady Dvorkovich und Kasparov kennen sich also seit vielen Jahren gut.

Die Besetzung des Präsidentenpostens im Weltschachbund mit einem russischen Politiker, nämlich Kirsan Ilyumzhinov, bringt der russischen politischen Führung einigen Nutzen. Oft konnte Illumzhinov in seiner Eigenschaft als FIDE-Präsident als harmlos wirkender Emissär in Krisengebiete geschickt werden, um dort die Lage für Russlands Führung zu sondieren oder Verhandlungen zu führen. Ilyumzhinov war der letzte hochrangige ausländische Gast bei Saddam, kurz bevor die US-Amerikaner Bagdad einnahmen. Und nur ganz besonders naive Pressevertreter können glauben, der Besuch Ilyumzhinovs bei Gaddafi, kurz bevor dieser vom aufgebrachten Mob gelyncht wurde, hätte tatsächlich der Verbreitung des Schachspiels gedient.

Die Verbindung des Weltschachbundes zur russischen Politik kommt umgekehrt auch den Schachspielern zugute, zumindest den Profis, denen man lukrative Turniere anbieten kann. Wenn es an Austragungsorten und Geldgebern für Schachturniere fehlte, fand  Ilyumzhinov mit seinen Kontakten in Russland, aber auch international, immer einen Oligarchen, oder eine publicityinteressierte Regierung in Osteuropa oder Asien, die bereit war, ein nicht ganz billiges Turnier zu finanzieren.

Bisher musste noch jeder Kandidat feststellen, dass es nicht möglich ist, gegen Kirsan Ilyumzhinov eine Wahl um das Amt des FIDE-Präsidenten zu gewinnen. 2006 scheiterte der in der Schachwelt hoch angesehene Telekommunikationsmanager Bessel Kok. Auf dem Wahlkongress während der Schacholympiade in Turin 2006 hielt Kok eine lange und bewegende Rede, in der er Mängel aufzeigte und eine Reihe von Verbesserungen vorschlug. Ilyumzhinov sprach vor der Wahl nur wenige Sätze und war sich seines Sieges offenbar sehr sicher. Kok erhielt viel Applaus, Ilyumzhinov erhielt die Stimmen und wurde wiedergewählt. Wer wissen will, wie es bei solchen Wahlen zugeht, kann sich die damalige Liveaudioübertragung anhören, die noch in der Mediathek des Fritzservers gespeichert ist. Nicht zum ersten Mal war von Stimmenkauf die Rede. Nach der Wahl gründete Ilyumzhinov übrigens die Vermarktungsgesellschaft "Global Chess", gab Kok dort eine gut bezahlte Stelle als CEO und verwirklichte einige der Ideen.

FIDE-Kongress in Khanty-Mansiysk 2010

Georgios Makropoulos und Kirsan Ilyumzhinov

Garry Kasparov mit seiner Anwältin

Kasparov mischt sich in die Diskussion ein

Kasparovs Angriff auf das amtierende FIDE-Präsidium brachte Ilyumzhinov und seine Leute zwar in die Defensive, doch es reichte bei Weitem nicht, die Wahl zu gewinnen. Ilyumzhinov gewann deutlich mit einem Stimmenverhältnis von 2:1.

Der Weltschachbund wurde 1924 von gleichberechtigten Partnern und zumeist europäischen Verbänden in Paris gegründet. Unter den Präsidenten Rueb, Rogard, Euwe oder Olafsson genoss die FIDE und ihr Präsidium ein hohes Ansehen. Das änderte sich, nachdem Florencio iCampomanes 1982 die FIDE-Wahlen gewann.

Florencio Campomanes (1927-2010)

Mit Campomanes verlagerte sich der Schwerpunkt des Schachbundes aus Europa weg und mehr in den asiatischen Raum hinein. Auch die Interpretation des Begriffs "Demokratie" erhielt unter Campomanes neue Facetten. Die Anzahl der Mitgliedsstaaten der FIDE wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr, aber es wurde versäumt die Statuten an die sich verändernden Gegebenheiten anzupassen. Die Gründungsverbände und die frühen Beitrittsföderationen waren bei den Wahlen gleichberechtigt, was logisch war, denn der Unterschied in der Anzahl der Schachfreunde, die in den Verbänden organisiert waren, war nicht signifikant verschieden. Jeder Delegierte war also mit einer Stimme vertreten.

Heute stehen aber Vertreter großer Landesverbände mit zigtausenden von organisierten Schachfreunden und solche aus Miniverbänden mit sehr wenig organisierten Schachverbänden immer noch mit jeweils einer Stimme gleichberechtigt nebeneinander. Der Delegierte Frankreichs beispielsweise vertritt einen der größten Schachverbände der Welt, der Delegierte von xy-Land, vielleicht in Afrika gelegen oder ein kleiner Inselstaat, wurde, wenn überhaupt, hingegen nur von ganz wenigen Schachfreunden gewählt, da das Spiel in seinem Heimatland vielleicht gar keine Tradition hat. In der FIDE Vollversammlung spielt das auch für die Wahlen keine Rolle. Beide Delegierte haben gleiches Stimmrecht und werden von den Kandidaten in gleichem Maße umworben. Der Delegierte aus Frankreich wird von seinem Verband kontrolliert. Delegierte aus manchen Miniverbänden haben sich unter Umständen selber ernannt, können sich dann auch selber kontrollieren. Manchmal weiß man noch nicht einmal, welcher Delegierte eines Landes überhaupt stimmberechtigt ist, da es in manchen Ländern konkurrierende Verbände gibt.

Sich um alle Delegierten einzeln zu kümmern ist für einen Präsidiumskandidaten eine mühsame Angelegenheit. Zum Glück gibt es jedoch Blöcke. Und wer den richtigen Zugang zu einem Block findet, kann auf einen Schlag vielleicht alle Stimmen aus diesem Block auf sich vereinigen. Florencio Campomanes hatte es in seiner Amtszeit geschafft, sich mit dem Weltmeister zu überwerfen und wurde später in seiner Heimat mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. 1995 wurde er für die FIDE untragbar und dann von Ilyumzhinov ersetzt. Aber der Philippine wurde in der FIDE weiter hofiert und war überall als "Ehrenpräsident" dabei, denn Campomanes war der Stimmenbeschaffer für den südasiatischen Block. Nach seinem Tod füllte Ignatius Leong die Lücke. Es gibt zudem den arabischen Block, der meist sehr homogen wählt, es gibt den Block der "westlichen Länder", wobei die Grenzen zu anderen Blöcken fließend sind, es gibt den Block der Balkanländer, wobei der Balkan bisweilen bis nach Mitteleuropa reicht, es gibt den Block der früheren Sowjetrepubliken, dort natürlich auch Abweichler, es gibt den Lateinamerikanischen Block und den Schwarzafrikanischen Block. 

Für seine eigene Kandidatur als FIDE-Präsident hat Kasparov aus der klaren Niederlage der letzten Wahl seine Lehren gezogen. Er hat nun Bündnisse geschlossen und sein Ticket nach geografischen, aber auch monetären Gesichtspunkten ausgewählt: Jan Callewaert (Belgien), Scheich Mohammed bin Ahmed Al Hamed (UAE), Ignatius Leong (Singapur), Afrika Msimang (Südafrika), Rex Sinquefield (USA).

Der Unternehmer Rex Sinquefield ist Multimillionär und Gründer des St. Louis Chess Clubs. Man kann vermuten, dass er der Geldgeber von Kasparov ist und wer ihn im Team hat, hat sicher gute Argumente. Mit dem Geschätsmann Jan Callewaert hat Kasparov einen Europäer im Team, mit Scheich Mohammed bin Ahmed Al Hamed erhält er Zugang zum arabischen Block, mit Afrika Msimang ist eine Vertreterin Schwarzafrikas dabei und Ignatius Leong ist der Stimmenbeschaffer in Asien. Um die Art der Verbindung von Kasparov mit Ignatius Leong gab es in der letzten Woche Aufregung.

Ignatius Leong

Alle Schachjournalisten erhielten in der letzten Woche eine Mail von einem Bill Warth, den es natürlich im Schach gar nicht gibt. Der Absender gab Details zu einem Vertrag zwischen Kasparov und Leong bekannt. In diesem wurde festgelegt, dass Leong bei der kommenden FIDE-Wahl außer seiner eigenen mindestens zehn Stimmen, angestrebt 15 Stimmen, aus Asien beschaffen sollte. Leong, der im Falle eines Sieges von Kasparov, Generalsekretär der FIDE werden sollte, würde 500.000 Dollar für seine Bemühungen erhalten plus einer Aufwandsentschädigung von 100.000 Dollar (Reisekosten, etc.) . Kasparov würde eine Dependance in Singapur (Kasparov Chess Foundation Asia) eröffnen. Die Kasparov Chess Foundation würde zudem Leongs ASEAN Chess Academy von 2013 bis 2016 mit jährlich 250.000 Dollar unterstützen. Der Vertrag befand sich im Anhang der der von "Bill Warth" verbreiteten Mail.

Nachdem dieser sicher vertrauliche Vertragsentwurf auf diesem Wege öffentlich wurde, vermutete das Kasparov-Lager, dass man sich im FIDE-Büro Zugang zu dem von Leong verwendeten FIDE-Mail-Account verschafft habe, dort im Eingangskorb den besagten Vertrag oder Vertragsentwurf entdeckt habe und dann unter Pseudonym verbreitete, um Leong und Kasparov in Misskredit zu bringen. Die FIDE hat diese Anschuldigung zurückgewiesen. In einem Offenen Brief hat Kirsan Ilyumzhinov zudem Leong aufgefordert zurückzutreten.

Am Wochenende nutzte Kasparov die Bühne des Tata Steel-Turniers in Wijk aan Zee zu einem Besuch als Ehrengast und einer Pressekonferenz.

Der Herausforderer von Putin wies darauf hin, dass die Veröffentlichung einen frühen Vertragsentwurf betraf, der Vertrag inzwischen geändert sei und dass in diesem keinerlei illegale Transaktionen beschrieben seien.

Insbesondere sei es kein Vertrag zwischen zwei Personen, sondern zwischen Organisatoren. Zur Dokumentation des einwandfreien Charakter des Vertrages hat Kasparov diesen in seiner endgültigen Fassung auf seiner Kampagnenseite inzwischen offen gelegt.


Video der Pressekonferenz (Tata Steel Chess):

 

Gespräch mit dem früheren Weggefährten Timman aus GMA-Zeiten

Schulterklopfen für seinen Ex-Schüler Nakamura

Karjakins Partie wird begutachtet

Kasparov gibt Autogramme

... und signiert sein Buch

So wie Kasparov nicht müde wird, die russische Politik und Putin zu kritisieren, kritisiert er auch die FIDE. Sein Kampf gegen die FIDE reicht weit zurück. Schon als Herausforderer sah er sich durch den damaligen Präsidenten Campomanes benachteiligt. Später kämpfte er gegen diesen, um bessere Konditionen bei den Weltmeisterschaftskämpfen. 1993 nahm er Shorts Vorschlag dankend an, die Weltmeisterschaft ohne die FIDE zu spielen, teilte damit aber auch die Schachwelt in zwei Weltmeisterschaften. Mit der Gründung der Grandmaster Association (GMA, später mit der PCA (Professional Chess Association) versuchte Kasparov ein Gegengewicht zur FIDE zu schaffen, um das Schach professioneller zu vermarkten. Nun geht er den "Weg durch die Institutionen" und will selber Präsident des Weltschachbundes werden. Ob ihm dies gegen den Widerstand der russischen Führung gelingt, wird man bei der nächsten FIDE-Wahl bei der Schacholympiade in Tromsö sehen. Und die nächste Frage ist ob es dann möglich sein wird, mit Hilfe der Galionsfigur Kasparov außerhalb der bisher üblichen Kanäle Sponsorengelder für das Schach zu gewinnen.

 

Fotos: Fabrice Wantiez (Kasparov in Wijk)



Artikel in der New York Times...

Anonym veröffentlichter Vertragsentwurf...

Stellungsnahme der FIDE (Nigel Freeman)...

Offener Brief der FIDE an Leong...

Kasparovs Kampagnenseite...

Wer beherrscht die FIDE (2006)...

 

 

 

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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