Architektur, Schach, Ideologie

von André Schulz
22.06.2017 – Schach hatte in der Sowjetunion eine ganz besondere Bedeutung. Unter der kommunistischen Führung wurde aus dem "nutzlosen Spiel der Bourgeoisie" ein sinnvoller Zeitvertreib für die Arbeitermassen. Der Bau einer Reihe von "Schachpalästen" in ehemaligen Sowjetrepubliken dokumentieren diese besondere Rolle. Das Berliner Zentrum für Kultur und Urbanistik widmet dem Phänomen ab heute eine dreitägige Ausstellung.

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Im Berliner Zentrum für Kultur und Urbanistik wird mit einer Ausstellung der besonderen Rolle des Schachs in der Sowjetunion, speziell in den Sowjetrepubliken Georgien und Armenien gedacht. Die Ausnahmestellung des Schachspiels wird im Bau mehrerer "Schachpaläst" deutlich, von denen das Tigran Petrosian Schachzentrum in Jerewan vielleicht der bekannteste ist. Er ist heute noch Sitz des armenischenSchachverbandes. 

Die dreitägige Ausstellung "Pop-up Chess Palace" wird von Nini Palavandishvili und Lena Prents kuratiert. Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler sind Atu Gelowani, Lascha Kabanaschwili, Aleksander Komarov, Lado Lomitaschwili, Magdalena Pięta, Nino Sekhniaschwili, Tatia Skhirtladze und Naili Vachania.

Zentrum für Kunst und Urbanistik, Berlin:

"Die Wortschöpfung „Schachpalast“ mag für das westeuropäische Ohr seltsam klingen. In der Sowjetunion dagegen mit ihren Pionierpalästen, Kulturhäusern und Arbeiterklubs stellten Gebäude zum Zweck des Schachspiels keine Besonderheit dar. Die junge Sowjetunion hat es in nur wenigen Jahren nach der Oktoberrevolution geschafft, ein „nutzloses Spiel der Bourgeoisie“ in einen sinnvollen Zeitvertreib der Arbeitermassen umzuwidmen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetische Schachspieler begannen, international Erfolge zu feiern, intensivierte sich die staatliche Förderung des Schachspiels wesentlich: Die sowjetische Dominanz im Schach wurde zu einer wichtigen ideologischen Argumentation für die Überlegenheit des Systems. In den 1970er Jahren entstanden neben den bestehenden Schachklubs eigens fürs Schachspiel erbaute Paläste – jedoch nicht im Zentrum, sondern in den peripheren Sowjetrepubliken Georgien, Armenien und Belarus. Diese Gebäude zeichnen sich durch eine auffällige Architektur, ausgeklügeltes Design und eine intelligente Einfügung in den städtischen Raum aus.

Die Ausstellung geht der gesellschaftlichen und architektonischen Utopie nach. Das Archivmaterial veranschaulicht, wie der Glaube an eine egalitäre Idee und an das Potenzial der modernistischen Architektur das Erscheinungsbild und die Innengestaltung der Schachpaläste geprägt hat. Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler thematisieren in ihren Arbeiten verschiedene Aspekte des Schachspiels und zeigen ideologische Implikationen auf, die sich damals wie jetzt offenbaren.

Nino Sekhniaschwili beschäftigt sich in ihrem Projekt mit der Verflechtung von Glück und Schicksal. Das Spiel der Staatsideologien und seine Erscheinungsformen im Stadtbild hält Naili Vakhania fest. Aleksander Komarov rekapituliert das mediale Echo auf die längste Schachweltmeisterschaft, das Match zwischen Anatoli Karpow und Garry Kasparow von 1984. Zwar unterschied sich die sowjetische Berichterstattung deutlich von der westlichen, das Interesse an der physischen und psychischen Verfassung der Spieler war ihnen gemeinsam.

Das heutige Leben und den Drill in der 1998 fertiggestellten Chess-City in Elista, der Hauptstadt der russischen Republik Kalmykien, zeigt Magdalena Pięta in ihrem filmischen Porträt. Tatia Skhirtladze untersucht die emanzipatorische Rolle von vier georgischen Schachmeisterinnen, die die Schachwelt über Jahrzehnte dominierten und den WM-Titel von 1962 bis 1991 in Georgen ließen. Im Video von Lascha Kabanaschwili wird die Geschichte des Palastes für Schach und Alpinismus in Tbilisi nachgespielt – in seinen glorreichen wie problematischen Zeiten. Auch Atu Gelowani und Lado Lomitaschwili widmen sich in ihren Fotografien dem georgischen Meisterwerk: Ihr Blick für Details zeigt sowohl die verhaltene Schönheit als auch die heutige problematische Nutzung des Gebäudes.

Der Fokus der Ausstellung liegt im Jahr der deutsch-georgischen Freundschaft unter dem Motto „Zukunft Erben“ auf dem georgischen Schachpalast – dem architektonisch anspruchsvollsten und ambitioniertesten. Allerdings werden auch die Konflikte der heutigen Nutzung thematisiert. Und so stellen die Kuratorinnen die Frage, wie man generell mit den Unikaten der modernistischen sozialistischen Architektur umgehen soll und wie der ideelle Gehalt dieser Bauten heute gelebt werden kann."

(Ausstellungstext auf der Veranstalterseite)

Die Ausstellung wird heute um 19 Uhr im Zentrum für Kunst und Urbanistik eröffnet.

ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik
Siemensstraße 27
10551 Berlin 

Am Freitag, 23. Juni wird ab 19 Uhr ein "Speisekino" mit georgischem Essen angeboten.
Zwei Filme werden gezeigt:
Die Pause von Baadur Tsuladze, GE 1978, 20 min., Russisch mit deutschen Untertiteln
Gefährliche Züge von Richard Dembo, CH, F 1984, 110 min., in deutscher Sprache

Am Samstag, 24. Juni wird Schach gespielt:
Offenes Schachturnier
Anmeldung 13.00 – 13.30, Ende ca. 19.30. (Beschränkte Teilnehmerzahl. Eine Voranmeldung ist möglich unter: popupchesspalace@gmail.com )
In Kooperation mit dem Schachverein Rotation e.V. Berlin-Mitte

Schachprogramm: Uli Huemer

Anfragen an popupchesspalace@gmail.com

Die Ausstellung wird vom Ministerium für Kultur und Denkmalschutz von Georgien finanziell unterstützt. 

Zentrum für Kunst und Urbanistik, Berlin...

Artikel bei Baunetz.de...

Ministry of Culture and Monument Protection of Georgia...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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