Cottbus ist mehr als Energie
- 96. Bundeskongress des Deutschen Schachbundes -
Erstmals war der Landesschachbund Brandenburg Gastgeber eines Kongresses des
DSB. Die Veranstaltung am 31. Mai 2003 im Best Western Hotel Branitz in Cottbus
stand unter der Schirmherrschaft des Brandenburger Ministers für Bildung, Jugend
und Sport, Steffen Reiche. Kongress, Tagungen und die Unterbringung fanden unter
einem Dach statt, was kurze Wege ermöglichte; leider war der Service des Hotels
nicht immer auf Königshöhe. Natürlich gibt es rund um die jährlichen Kongresse
begleitende Veranstaltungen. Stand der Himmelfahrtstag noch ganz im Zeichen der
Sitzungen des Präsidiums, des Gremiums der Präsidenten der Landesverbände sowie
einer gemeinsamen Tagung - insgesamt ein Sitzungsmarathon von über 12 Stunden
mit nur kurzen Unterbrechungen, so war der darauf folgende Ausflugstag eine
willkommene Abwechslung, Erholungsoase und Gelegenheit zum Fachsimpeln. Die
Gastgeberstadt, über diese konnten sich die Gäste u.a. auch im
Informationsmaterial des Landesschachbundes Brandenburg informieren, schmückt
sich mit dem Beinamen „Das Tor zum Spreewald“. Und so war es folgerichtig, dass
die Wahl der Brandenburger Organisatoren, mit dem Präsidenten Hilmar Krüger an
der Spitze, für den Ausflugstag auf diese landschaftlich reizvolle Gegend fiel.
Auch Schachfunktionäre sprechen, ebenso wie die meisten Schachspieler, bei jeder
sich bietenden Gelegenheit natürlich über Schach. Nur eben nicht vornehmlich
über Opfervarianten, eingestellte Bauern oder grandiose Kombinationen, sondern
eher über Satzungsänderungen, Turnierordnungsanträge oder Personalfragen. Und
dies auch während eines Ausfluges. An der Kahnfahrt durch die Streusiedlung von
Burg/Spreewald nahmen - neben den Kongressteilnehmern - auch viele der
mitreisenden Angehörigen teil. Diese konnten landestypische Spezialitäten bei
einer Mittagspause mit dem Namen „Kolonisten-Schlemmermahl“ genießen. Am Abend
folgte im Hotel ein Empfang des gastgebenden Brandenburger Verbandes. Höhepunkt
war - neben den lukullischen Köstlichkeiten - ein Auftritt des Cottbuser
Postkutschers. Er ist das Stadtoriginal und - trotz seiner über 150 Lenze - noch
recht rüstig. Aus dem Stadtbild ist er nicht wegzudenken, wenn er mit der gelben
Postkutsche und seinen beiden Schimmeln durch die Stadt fährt. Bekannt ist auch
der Zungenbrecher: „Der Cottbuser Postkutscher putzt den Cottbuser
Postkutschkasten.“ Zu seinem Auftritt gehörten Lieder und allerlei Interessantes
über die Gastgeberstadt. Der DSB-Präsident Alfred Schlya bedankte sich bei den
Organisatoren. Neben Hilmar Krüger sind hier zu nennen: Holger Borchers, Jakob
Daum, Peter Kastner und Manfred Klinke. Der Letztgenannte betreute dann am
Folgetag die Gäste, die nicht am Kongress teilnahmen, beim sog. „Damenprogramm“.
Hierzu gehörte eine Kombination aus Shopping, Stadtführung/-rundfahrt und ein
geführter Rundgang durch den Fürst-Pückler-Park Branitz. Wie aus den berühmten,
gewöhnlich gut informierten, Kreisen zu erfahren war, wird dem Cottbuser
Urgestein Peter Kastner für seine Lebensleistung im Schachsport in Kürze die
goldene Ehrennadel seines Verbandes verliehen.
Der Kongress
In sehr guter Erinnerung sind allen Beteiligten noch die Tage des
DSB-Jubiläumskongresses im letzten Jahr in Leipzig. Doch schon ein Blick auf die
Tagesordnung der diesjährigen Veranstaltung genügte, um zu ahnen, dass es
diesmal kontroverser zugehen würde. Der Bürgermeister von Cottbus, Ferdinand
Schwarz, richtete ein Grußwort an die Delegierten. In diesem betonte er die
lange Schachtradition in Cottbus und Brandenburg. Zu einem Totengedenken an
verdienstvolle Schachfreunde erhoben sich die Anwesenden.
Für besondere Leistungen wurden geehrt: Dr. Hans Schüler (Ehrennadel in Silber
des Deutschen Schachbundes), Dennis Calder (Schachsportabzeichen in Gold) und
Boris Khanukov (Sieger im Senioren-Deutschland-Pokal 2002). Patrick Wiebe
referierte im Anschluss über die Situation des Schulschachs in Deutschland. Auf
Initiative der Deutschen Schachjugend wurde eine „Cottbuser Erklärung zum
Schulschach“ vom DSB-Präsidenten Alfred Schlya, dem Sprecher des Gremiums der
Präsidenten der Landesverbände, Günther Müller, und dem 1. Vorsitzenden der DSJ,
Patrick Wiebe, unterzeichnet.
Ernst Bedau und Michael Voß informierten über die zweite Deutsche
Schach-Amateurmeisterschaft RAMADA-TREFF Cup 5³. Auch wurde schon ein Ausblick
auf die dann dritte Durchführung gegeben. Die kürzlich erschienene Broschüre
„Frauen begeistern, sich im Verein wohlzufühlen und eigenverantwortlich Aufgaben
zu übernehmen“ von Joachim Rothe und Hans Blinzler stellte der Erstgenannte vor.
Falk Sempert berichtete über die Arbeit des seit einem Jahr bestehenden
Bundesleistungsstützpunktes in Dresden. An erster Stelle sind hier natürlich der
Weltmeistertitel für Elisabeth Pähtz und der Erfolg der Vize-Europameisterin
Evgenija Shmirina zu nennen. Alle Talente im Bundesstützpunkt werden von so
namhaften Trainern wie Zigurds Lanka, Myroslav Shvarts und Wolfgang Uhlmann
betreut.
Die Vorsitzenden der eingesetzten Kommissionen „Lenkungsausschuss
(Marketingkonzeption)“ - unter der Leitung von Heinz-Jürgen Gieseke - sowie
„Turnierorganisation“, unter der Leitung von Siegfried Wölk, berichteten über
ihre Tätigkeit. Die ausgearbeiteten Empfehlungen zur Turnierorganisation werden
bis zum 1. Juli 2003 auf der Internetseite des DSB veröffentlicht. Auch ist eine
Ausgabe in Papierform vorgesehen. Der Rechnungsprüfer Achim Schmitt trug den
Prüfungsbericht vor. Auf seine Empfehlung hin erfolgte die Entlastung des
Präsidiums. Im Namen des Gremiums der Präsidenten der Landesverbände dankte
Günther Müller dem Präsidium für die geleistete Tätigkeit; den ausscheidenden
Mitgliedern Dr. Heinz Meyer und Wolfgang Unzicker überreichte er als Dankeschön
einen edlen Tropfen. Unser im 91. Lebensjahr stehende Ehrenpräsident Alfred
Kinzel, der - nach eigener Aussage - in Cottbus das letzte Mal auf einem
Bundeskongress zu den Delegierten sprach, legte den Vorsitz im Ehrenausschuss
des DSB nieder. Stehend applaudierend verabschiedete ihn der Kongress.
Alfred Kinzel, Hans Schüler, Alfred Schlya
Eberhard Beikert (Präsident des Badischen Schachverbandes) und
Klaus Deventer - wurde später als Leistungssportreferent gewählt - äußerten sich
zu den in der Schachöffentlichkeit diskutierten Vorgängen um Lara Stock und
erläuterten ihre Sicht der Angelegenheit. Zu Ehrenmitgliedern des Deutschen
Schachbundes wurden ernannt: Dr. Heinz Meyer, Lothar Schmid, Wolfgang Uhlmann
und Wolfgang Unzicker.
Wolfgang Unzicker, Wolfgang Uhlmann, Dr. Heinz Meyer
Seit einiger Zeit werden in der Schachpresse und auf verschiedenen
Internetseiten insbesondere die beabsichtigte Satzungsänderung und die Anträge
zur Turnierordnung (50 % bzw. 51 % der eingesetzten Spieler in Mannschaften
müssen deutsche Staatsangehörige sein) diskutiert. Diese Diskussionen setzten
sich in Cottbus fort. Der Antrag des Schachverbandes Sachsen („In der Deutschen
Mannschaftsmeisterschaft müssen in jedem Wettkampf mindestens 50 % der
eingesetzten Spieler deutsche Staatsangehörige sein.“) wurde vertagt und zur
Beratung und Beschlussvorlage bis zum nächsten Kongress an den
Bundesligaausschuss verwiesen. Der ebenfalls die Thematik berührende Antrag des
Thüringer Schachbundes wurde zugunsten des sächsischen Antrages zurück gezogen.
Die vorgelegte neue Satzung mit der darin
enthaltenen Strukturreform - auch in modifizierter Form, der schon zahlreiche
Kompromissvorschläge enthielt - wurde nicht verabschiedet. Die stundenlangen
Debatten ergaben in nur einem Punkt einen mehrheitlichen Konsens: ab 2005 von
einem jährlichen in einen Zweijahres-Rhythmus der DSB-Kongresse zu gehen. Der
Kongress berief einen Satzungsausschuss, der von allen Ebenen des deutschen
Schachlebens (Vereine, Bezirke, Landesverbände, DSB-Gremien) Vorschläge einholen
und bis zum nächstjährigen Kongress eine Vorlage erarbeiten soll. Als
Diskussionspunkte (Originalzitat) schlug Ernst Bedau, der dem bisherigen
Satzungsausschuss zusammen mit Kurt Ewald, Heinz-Jürgen Gieseke, Hilmar Krüger,
Horst Metzing und Dr. Hans-Jürgen Weyer angehörte, vor: Einarbeitung der
Diskussionsergebnisse Cottbus 2003, drei Vizepräsidenten mit konkreten
Aufgabengebieten, Zusammensetzung/Aufgaben des Erweiterten Präsidiums,
Zweijahres-Rhythmus der Kongresse, Vertretung der DSJ, alle Kommissionen werden
verkleinert. In diesen Satzungsausschuss wurden berufen: Ralph Alt, Klaus
Deventer, Siegfried Müller, Manfred Tietze, Peter Wehl und Patrick Wiebe.
Für die Wahlen zum Präsidium wurde eine geheime Abstimmung beantragt. Die
Wartezeit bei der Stimmenauszählung wurde mit einem „Schokoladengruß“ des
gastgebenden Vereins des Bundeskongresses 2005, der Schachfreunde Pfullingen, an
die Delegierten versüßt. In das Präsidium wurden gewählt: Alfred Schlya
(Präsident), Heinz-Jürgen Gieseke (Vizepräsident - Vertreter des Präsidenten),
Siegfried Wölk (Vizepräsident), Michael Langer (Schatzmeister), Reinhold Kasper
(Sportdirektor), Klaus Deventer (Referent für Leistungssport), Hajo Gnirk
(Referent für Seniorenschach), Norbert Heymann (Referent für
Öffentlichkeitsarbeit), Dr. Hans-Jürgen Hochgräfe (Referent für Aus- und
Weiterbildung), Jürgen Dammann (Referent für Datenverarbeitung), Joachim
Fleischer (Referent für Wertungen), Ernst Bedau (Bundesrechtsberater). Nicht
besetzt werden konnten die Referate für Frauenschach sowie Breiten- und
Freizeitsport. Als Rechnungsprüfer wurden gewählt: Eberhard Hallmann, Ingo
Thorn; Stellvertreter: Hans-Jürgen Dorn.
Die größte Anzahl von Ja-Stimmen aller Präsidiumsmitglieder konnte Ernst Bedau
bei seiner Wahl auf sich vereinigen. Entweder war es diese Zahl (211) oder die
Bürde des Amtes. Jedenfalls zeigte sich der - mit einer Klappvorrichtung
ausgestattete - Tisch, an dem er saß, dieser Ehre nicht gewachsen und krachte
zweimal lautstark zusammen.
Es wurden u.a. noch der Jahresbeitrag 2004 (wie in diesem Jahr), der
Nachtragshaushalt 2003 und der Haushaltsplan 2004 verabschiedet. Mit
Weinpräsenten besonders geehrt wurden die nicht mehr kandidierenden
Schachfreunde Verena Wegner, Dr. Heinz Meyer, Wolfgang Unzicker und Thomas
Delling. Frau Wegner zusätzlich mit einem Blumenstrauß. Bei allen bedankte sich
der neu gewählte Präsident Alfred Schlya für ihre geleistete Tätigkeit.
Mit der obligatorischen Übergabe der Glocke des Versammlungsleiters an den
Präsidenten des nächstjährigen Kongresses (Rheinland-Pfalz), Günther Müller,
endeten die Cottbuser DSB-Tage und ein von 10 bis 23 Uhr (mit Unterbrechungen)
tagender Kongress. Nach „Cottbus ist mehr als Energie“ heißt es nun im nächsten
Jahr: „Mainz bleibt Mainz - wie es tagt und schacht“.
Norbert Heymann