Auf der Suche nach Identität
Bericht aus dem Kosovo
Von Dejan Bojkov
30.000 Kosovaren votierte mit ihren Unterschriften für die
Unabhängigkeit
Als mich ein Freund anrief, um
zu fragen, ob ich bei der Mannschaftsmeisterschaft des Kosovo (6. bis 11. Mai)
spielen wollte, war ich ein wenig misstrauisch. “Ist es da nicht gefährlich?”
“Nein, überhaupt nicht. Der Krieg ist vorbei, die Leute sind entspannt und Du
wirst sehen, Pristina ist eine moderne europäische Stadt.”
Unser Hotel lag nur ein paar Meter von der Gedenkstätte Gjergj
Kastrioti Skanderbegs (die Einheimischen sagen “skander beu”) entfernt.
Gjergj
Kastrioti Skanderbegs
Der Name bedeutet “Fürst
oder Führer Alexander”.
Im Sommer 1444 kämpfte Skanderbeg bei Torvioll gegen die Ottomanen und gewann
die Schlacht, obwohl die Ottomanen zahlenmäßig stark überlegen waren. Die Kunde
von seinem Sieg verbreitete sich über ganz Europa, denn zuvor waren die
Ottomanen in Europa nur ein einziges Mal besiegt worden. In den folgenden Jahren
schlug Skanderbeg die Türken noch in zwei weiteren Schlachten, 1445 bei Moker (Dibra)
und 1447 bei Oranik (Dibra). Er organisierte den albanischen Widerstand gegen
die türkischen Besatzer, der mehr als hundert Jahre andauerte.
Ich
frage meine Teamkollegen: “Welche Unterschiede gibt es zwischen den Kosovaren
und den Albanern?“ ”Es gibt keinen – abgesehen davon, dass der Anteil an Moslems
an der Gesamtbevölkerung bei ihnen kleiner ist als bei uns.“ Um nach meinem
erstaunten Blick zu erklären, dass immer noch viele orthodoxe Christen in
Albanien leben.
Die
Amtssprache ist Albanisch. “Eine seltsame Mischung zwischen indo-europäischen
und lateinischen Sprachen, die auch viele türkische Worte enthält“, erläutert
mein Mannschaftskollege Burim Dushi. Er arbeitet als Italienisch-Übersetzer. “Es
gibt in der ganzen Welt keine Sprache, die dem Albanischen ähnlich ist“, ergänzt
er. Da ich weiß, dass die Wunden des Konflikts zwischen Albanern und Serben noch
offen sein könnten, frage ich, “Ist es ein Problem, wenn ich Serbisch spreche?“
“Nein, überhaupt nicht. Die Leute im Kosovo sind jetzt tolerant.“ Tatsächlich
sind sie das, egal ob man Englisch oder Serbisch spricht, sie behandeln
Touristen sehr höflich.
Die amerikanische Schule
Das Nationaltheater
Orthodoxe Kirche
Die
meisten Gebäude in Pristina sind neu und haben moderne Fassaden. Das Kosovo hat
zahlreiche Bodenschätze: Gold und Silber, Nickel, Kupfer, Kohle. Ein gutes
Zeichen für die Zukunft.
Die
Leute wirken sehr ruhig. Am 9. Mai (Tag der EU) begannen die Feierlichkeiten
bereits früh am Morgen. Schulen aus dem ganzen Land nahmen an einem
Tanzwettbewerb teil, der bis in die Nacht andauerte.
Was denn? Ach so Foto!
Nationaldress
Doch zum Schach. An der Mannschaftsmeisterschaft nehmen acht
Mannschaften mit sechs Spielern teil, die ein Rundenturnier spielen. Gezählt
werden die Mannschaftspunkte. In jedem Team können zwei Ausländer starten.
Bei “Istog” spielten die GMs Vasil Spasov (BUL) und
Trayko Nedev (ROM), bei “Theranda” GM Petar Genov (BUL) und IM Dritan Mehmeti
(ALB), in meiner Mannschaft “RWE-Energie” spielte außer mir noch GM Alexander
Delchev (BUL) und die Mannschaft von “Llamkos” hatte sogar drei ausländische
Spieler gemeldet: GMs Kiril Georgiev (BUL), Vladimir Georgiev (ROM) und Jozsef
Pinter (HUN). Sie wechselten sich an den Spitzenbrettern ab. Die Mannschaften,
die sich starke ausländische Spieler nicht leisten können, greifen zu taktischen
Mitteln. Eine verbreitete Strategie ist es, zwei “Opfer” an die Spitzenbretter
zu setzen und die hinteren Bretter stark zu machen. Die “Pristina”-Mannschaft
verfügte zum Beispiel über ein starkes Feld einheimischer Spieler.
Die beiden erstplatzierten
Mannschaften qualifizieren sich für die Europäische Mannschaftsmeisterschaft und
die letzten beiden steigen in die zweite Liga ab.
Delchev-Spasov
Nedev, Spasov
Pristina-Trepca
Rwe-Power Kosovo-Istog
Spasov-Georgiev, remis
Schach kämpft hier im Kosovo um sein Überleben. In unserem Turnier musste jede
Mannschaft drei Figurensätze und Bretter mitbringen. Und da gibt es alle
möglichen Figuren ... von wunderschönen Holzfiguren in Stauntonform bis hin zu
den gewöhnlichsten, zerbeulten Plastikfiguren. In einer meiner Partien spielte
ich mit einem Figurensatz, in dem die Springer kaputt waren. Zum Glück konnte
ich sie schnell abtauschen. Es fehlt an Uhren, Schiedsrichtern, Trainern. Mein
Teamchef Burhan Musini war der Hauptschiedsrichter des Turniers und arbeitet als
Sekretär des Schachverbands Kosovo. Die meisten Spieler waren den Umgang mit
Digitaluhren nicht gewohnt, was zu gewissen Problemen führte.
RW Power Kosovo
Sieger: ISTOG
Zweiter Platz: LLAMKOS
Aber
die Einheimischen sind brennend am Schach interessiert. Nur ein Beispiel: In
einer Partie hatte ein Spieler Springer, Turm und zwei Bauern gegen Läufer und
Turm. Aber er verlor die Bauern und sein Gegner bot Remis an. Frustriert lehnte
er ab und gewann schließlich doch noch. Jeden Tag gab es nicht nur
Auseinandersetzungen am Schachbrett, sondern auch verbalen Schlagabtausch. Und
wenn man mit den Einheimischen analysiert, dann hat man nur selten Gelegenheit,
viele Züge zu zeigen, weil sie erpicht darauf sind, zu zeigen, was sie gesehen
haben oder fragen, warum man nicht diesen oder jenen Zug gespielt hat.
Burim erzählte mir, dass er von meiner Partie aus der ersten Runde gegen Nedev
geträumt hatte und im Traum eine Verbesserung gefunden hatte! Und die
entscheidende Begegnung aus dem Vorjahr zwischen A. Delchev und T. Petrosian
wurde einen ganzen Monat lang analysiert.
Beim
M-Tel Masters in Sofia erzählte Boris Spassky, wie er einmal an einem Turnier
teilgenommen hat, in dem der Kellner während der Partie kam, um Bestellungen
aufzunehmen und es bedauerte, dass es keine solchen Turniere mehr gibt. Aber
hier irrt er sich – im Kosovo gibt es sie immer noch. Gespielt wurde in einem
Restaurant namens „Glashaus“ und die Kellner kamen während der Partie, um unsere
Bestellungen entgegen zu nehmen.
Und
die Leute stecken voller Ideen – sie möchten Schiedsrichterlehrgänge besuchen
und eine Schachschule eröffnen, in der die Schüler nicht nur selbst lernen,
sondern Interessierte sich auch selber zu Schachlehrern ausbilden lassen können.
Geplant sind außerdem ein Wettkampf gegen Kuwait und ein starkes Open mit einem
Preisfond von 20.000 Euro.
Ich
wünsche ihnen dabei alles Gute.
Endstand:
1. Istog 13
2. Llamkos 12
3. Prishtina 9
4. RWE Power Kosovo 7
5. Theranda 6
6 Trepqa 6
7. Drenica 3
8. Rahovec 0