Die neuen Mannschaftsmeisterschaften im Kosovo

von ChessBase
24.05.2008 – durchgeführt. Vom 6.-11.Mai spielten acht Mannschaften in Pristina um den ersten Landestitel. Im Hinblick auf die Spiel-Bedingungen ist man im Kosovo naturgemäß noch nicht ganz so weit wie anderswo. So bringen alle Mannschaften eigenes Spielmaterial mit, für das es auch keinen Mindeststandard gibt, so lange die Figurensammlung an Schach erinnert. Am besten tauscht man defekte Springer schnell ab, meint Dejan Bojkov in seinem Bericht und versäumte es auch nicht, den Kosovaren beim Feiern des neuen Europa-Feiertags Gesellschaft zu leisten. Bericht und Bilder...

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Auf der Suche nach Identität
Bericht aus dem Kosovo
Von Dejan Bojkov


30.000 Kosovaren votierte mit ihren Unterschriften für die Unabhängigkeit

Als mich ein Freund anrief, um zu fragen, ob ich bei der Mannschaftsmeisterschaft des Kosovo (6. bis 11. Mai) spielen wollte, war ich ein wenig misstrauisch. “Ist es da nicht gefährlich?” “Nein, überhaupt nicht. Der Krieg ist vorbei, die Leute sind entspannt und Du wirst sehen, Pristina ist eine moderne europäische Stadt.”

Unser Hotel lag nur ein paar Meter von der Gedenkstätte Gjergj Kastrioti Skanderbegs (die Einheimischen sagen “skander beu”) entfernt.


Gjergj Kastrioti Skanderbegs

Der Name bedeutet Fürst oder Führer Alexander”. Im Sommer 1444 kämpfte Skanderbeg bei Torvioll gegen die Ottomanen und gewann die Schlacht, obwohl die Ottomanen zahlenmäßig stark überlegen waren. Die Kunde von seinem Sieg verbreitete sich über ganz Europa, denn zuvor waren die Ottomanen in Europa nur ein einziges Mal besiegt worden. In den folgenden Jahren schlug Skanderbeg die Türken noch in zwei weiteren Schlachten, 1445 bei Moker (Dibra) und 1447 bei Oranik (Dibra). Er organisierte den albanischen Widerstand gegen die türkischen Besatzer, der mehr als hundert Jahre andauerte.

Ich frage meine Teamkollegen: “Welche Unterschiede gibt es zwischen den Kosovaren und den Albanern?“ ”Es gibt keinen – abgesehen davon, dass der Anteil an Moslems an der Gesamtbevölkerung bei ihnen kleiner ist als bei uns.“ Um nach meinem erstaunten Blick zu erklären, dass immer noch viele orthodoxe Christen in Albanien leben.

Die Amtssprache ist Albanisch. “Eine seltsame Mischung zwischen indo-europäischen und lateinischen Sprachen, die auch viele türkische Worte enthält“, erläutert mein Mannschaftskollege Burim Dushi. Er arbeitet als Italienisch-Übersetzer. “Es gibt in der ganzen Welt keine Sprache, die dem Albanischen ähnlich ist“, ergänzt er. Da ich weiß, dass die Wunden des Konflikts zwischen Albanern und Serben noch offen sein könnten, frage ich, “Ist es ein Problem, wenn ich Serbisch spreche?“ “Nein, überhaupt nicht. Die Leute im Kosovo sind jetzt tolerant.“ Tatsächlich sind sie das, egal ob man Englisch oder Serbisch spricht, sie behandeln Touristen sehr höflich.


Die amerikanische Schule


Das Nationaltheater


Orthodoxe Kirche

Die meisten Gebäude in Pristina sind neu und haben moderne Fassaden. Das Kosovo hat zahlreiche Bodenschätze: Gold und Silber, Nickel, Kupfer, Kohle. Ein gutes Zeichen für die Zukunft.

Die Leute wirken sehr ruhig. Am 9. Mai (Tag der EU) begannen die Feierlichkeiten bereits früh am Morgen. Schulen aus dem ganzen Land nahmen an einem Tanzwettbewerb teil, der bis in die Nacht andauerte.




Was denn? Ach so Foto!


Nationaldress

Doch zum Schach. An der Mannschaftsmeisterschaft nehmen acht Mannschaften mit sechs Spielern teil, die ein Rundenturnier spielen. Gezählt werden die Mannschaftspunkte. In jedem Team können zwei Ausländer starten. Bei “Istog” spielten die GMs Vasil Spasov (BUL) und Trayko Nedev (ROM), bei “Theranda” GM Petar Genov (BUL) und IM Dritan Mehmeti (ALB), in meiner Mannschaft “RWE-Energie” spielte außer mir noch GM Alexander Delchev (BUL) und die Mannschaft von “Llamkos” hatte sogar drei ausländische Spieler gemeldet: GMs Kiril Georgiev (BUL), Vladimir Georgiev (ROM) und Jozsef Pinter (HUN). Sie wechselten sich an den Spitzenbrettern ab. Die Mannschaften, die sich starke ausländische Spieler nicht leisten können, greifen zu taktischen Mitteln. Eine verbreitete Strategie ist es, zwei “Opfer” an die Spitzenbretter zu setzen und die hinteren Bretter stark zu machen. Die “Pristina”-Mannschaft verfügte zum Beispiel über ein starkes Feld einheimischer Spieler.

Die beiden erstplatzierten Mannschaften qualifizieren sich für die Europäische Mannschaftsmeisterschaft und die letzten beiden steigen in die zweite Liga ab.


Delchev-Spasov


Nedev, Spasov




Pristina-Trepca


Rwe-Power Kosovo-Istog


Spasov-Georgiev, remis

Schach kämpft hier im Kosovo um sein Überleben. In unserem Turnier musste jede Mannschaft drei Figurensätze und Bretter mitbringen. Und da gibt es alle möglichen Figuren ... von wunderschönen Holzfiguren in Stauntonform bis hin zu den gewöhnlichsten, zerbeulten Plastikfiguren. In einer meiner Partien spielte ich mit einem Figurensatz, in dem die Springer kaputt waren. Zum Glück konnte ich sie schnell abtauschen. Es fehlt an Uhren, Schiedsrichtern, Trainern. Mein Teamchef Burhan Musini war der Hauptschiedsrichter des Turniers und arbeitet als Sekretär des Schachverbands Kosovo. Die meisten Spieler waren den Umgang mit Digitaluhren nicht gewohnt, was zu gewissen Problemen führte.


RW Power Kosovo



Sieger: ISTOG


Zweiter Platz: LLAMKOS

 

Aber die Einheimischen sind brennend am Schach interessiert. Nur ein Beispiel: In einer Partie hatte ein Spieler Springer, Turm und zwei Bauern gegen Läufer und Turm. Aber er verlor die Bauern und sein Gegner bot Remis an. Frustriert lehnte er ab und gewann schließlich doch noch. Jeden Tag gab es nicht nur Auseinandersetzungen am Schachbrett, sondern auch verbalen Schlagabtausch. Und wenn man mit den Einheimischen analysiert, dann hat man nur selten Gelegenheit, viele Züge zu zeigen, weil sie erpicht darauf sind, zu zeigen, was sie gesehen haben oder fragen, warum man nicht diesen oder jenen Zug gespielt hat.

Burim erzählte mir, dass er von meiner Partie aus der ersten Runde gegen Nedev geträumt hatte und im Traum eine Verbesserung gefunden hatte! Und die entscheidende Begegnung aus dem Vorjahr zwischen A. Delchev und T. Petrosian wurde einen ganzen Monat lang analysiert.

Beim M-Tel Masters in Sofia erzählte Boris Spassky, wie er einmal an einem Turnier teilgenommen hat, in dem der Kellner während der Partie kam, um Bestellungen aufzunehmen und es bedauerte, dass es keine solchen Turniere mehr gibt. Aber hier irrt er sich – im Kosovo gibt es sie immer noch. Gespielt wurde in einem Restaurant namens „Glashaus“ und die Kellner kamen während der Partie, um unsere Bestellungen entgegen zu nehmen.

Und die Leute stecken voller Ideen – sie möchten Schiedsrichterlehrgänge besuchen und eine Schachschule eröffnen, in der die Schüler nicht nur selbst lernen, sondern Interessierte sich auch selber zu Schachlehrern ausbilden lassen können. Geplant sind außerdem ein Wettkampf gegen Kuwait und ein starkes Open mit einem Preisfond von 20.000 Euro.

Ich wünsche ihnen dabei alles Gute.

 

Endstand:

1. Istog 13
2. Llamkos 12
3. Prishtina 9
4. RWE Power Kosovo 7
5. Theranda 6
6  Trepqa 6
7. Drenica 3
8. Rahovec
 0

 

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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