Reise nach Budapest
Von Stefan Meyer-Kahlen
Wettkämpfe Mensch gegen Maschine sind zur Zeit sehr beliebt
und interessant, deshalb war ich auch sehr erfreut, eine Einladung der Firma
transtec zu bekommen, mit Shredder einen Wettkampf über zwei
Schnellschachpartien gegen den Peter Acs zu spielen, den viertbesten Spieler aus
Ungarn. Mit transtec arbeite ich schon länger zusammen. Seit 1999
unterstützt mich transtec regelmäßig bei wichtigen
Computerschachturnieren mit spezieller Hardware. Unsere Zusammenarbeit war
bisher sehr erfolgreich, Shredder hat auf transtec-Hardware vier seiner
fünf Computerschachweltmeistertitel gewonnen. Neben guten Platzierungen in allen
bedeutenden Computerschachturnieren haben wir auch dreimal zusammen das jährlich
stattfindende Internationale Paderborner Computerschachturnier gewonnnen. Aber
auch in Wettkämpfen Mensch gegen Maschine haben wir schon gemeinsame Erfahrungen
gesammelt. Hier gelang uns bereits 1999 ein Remis in einer Turnierpartie gegen
Anatoly Karpov auf einem handelsüblichen PC.
Transtec will nun auch den Markt in Ungarn erobern und
hat sich dazu zu einer Kooperation mit der Budapester IT-Firma flag
entschlossen. Im Rahmen der Präsentation dieser Zusammenarbeit sollte auch der
Wettkampf gegen Peter Acs in Budapest stattfinden.
Als ich den Austragungsort Budapest hörte, musste ich aber
erstmal schlucken und tief durchatmen. Mein letzter Besuch in Budapest liegt
mittlerweile nun schon neun Jahre zurück, wird mir aber wohl immer unvergessen
bleiben. Damals wurde mir dort nämlich mein Auto geklaut, was unendlich lange
und stressige Diskussionen und ellenlange Aussagen mit den ungarischen Behörden
zur Folge hatte. Natürlich auf Ungarisch, am Ende fairerweise dann sogar mit
einem Dolmetscher. Unnötig zu erwähnen, dass das Spiel zurück in Deutschland
dann genauso weiter ging. Es ist anscheinend wirklich schwer zu vermitteln, dass
man ein Auto nur in eine Richtung durch denn Zoll bringt, und dann ohne wieder
zurück will. Meine Versicherung fand die ganze Geschichte natürlich auch nicht
so toll. Ich war also vorgewarnt, doch diesmal konnte so was nicht passieren:
Ich sollte nämlich fliegen.
Wie erwartet verlief der Flug ohne Probleme, der Weg vom Flughafen in die
Innenstadt brachte dann aber schon die ersten Überraschungen: Offensichtlich
hatte sich Budapest seit meinem letzten Besuch sehr verändert. Es wird wohl
immer mehr zu einer typischen europäischen Großstadt, McDonalds und Burgerking
an jeder Ecke, riesige Plakatwerbung für Nokia und Siemens und Wegweiser zum
nächsten Mediamarkt und IKEA. Auch das Büro der Firma flag, wo ich
Shredder auf dem Wettkampfrechner installieren sollte, könnte auch überall sein.
Das typische IT-Büro eben, überall Computerteile und Speisekarten von diversen
Pizzabringdiensten an der Wand. Der Rechner war erste Sahne: Ein Dual 3.06 GHz
Intel P4-Xeon mit 2 GB RAM, einem großen Festplatten RAID und eine dreifach
abgesicherte Stromversorgung mit drei Netzteilen und drei dazugehörigen
Stromkabeln. Die haben allerdings auch alle nichts geholfen, als ich beim
Installieren aus Versehen mit dem Fuß auf den Netzschalter der Mehrfachsteckdose
gekommen bin, in der sinnvollerweise alle drei Stromkabel steckten.
Die Partien sollten erst am nächsten Tag stattfinden, so dass noch genügend Zeit
bliebt, das Nachtleben von Budapest zu erkunden. Unsere Gastgeber von flag
zeigten hier ein gutes Gespür für die Wünsche ihrer Gäste und führten uns in
einen Schuppen mit exzellentem ungarischen Essen und Trinken sowie Livemusik
nach dem Essen, welche dann zwar eine Konversation erschwerte, der guten
Stimmung aber keinen Abbruch tat.
Am nächsten Tag gab es dann kurz vor der Partie doch noch ein Problem. Wir
wollten die Partien eigentlich auf dem ChessBase-Server live übertragen. Dazu
brauchten wir vor Ort lediglich eine Internetanbindung, die uns vom Hotel
Novotel in Budapest, in dessen Räumen die Veranstaltung stattfand, schon lange
vorher zugesagt worden ist. Kurz vor Beginn gab es dann wohl doch vom IT-Leiter
des Hotels irgendwelche Sicherheitsbedenken. Wo genau das Problem lag, ist mir
bis heute nicht klar, vielleicht hatten sie Angst, dass wir zusammen mit den
Schachzügen geheime Informationen aus dem Hotel transferieren könnten. Das
Problem war aber wohl sehr ernst für sie, denn trotz guter Verbindungen von
flag in der Accor-Hotelgruppe kam dann schließlich das endgültige Nein aus
der IT-Zentrale von Accor aus Paris.
Peter Acs war sehr früh da, und da der Rechner auch schon lief, bot ich ihm an,
ein paar Blitzpartien gegen Shredder zu spielen. So konnte er zwar evtl. etwaige
Schwächen im Programm ausloten, jedoch war die Atmosphäre sehr freundschaftlich
und entspannt, so dass mir nicht nach großer Geheimnistuerei war. Außerdem
wollte ich auch zu gerne wissen, wie Shredder sich denn so schlägt. Nun,
Shredder schlägt wohl sehr gut, vor allem mit dem großen Holzhammer. Ich weiß
natürlich über die aktuelle Stärke von Shredder auf guter Hardware gegen
Menschen Bescheid, dass es aber im 5-Minutenblitzschach so düster für die
Menschen aussieht, hat mich doch etwas überrascht.
Acs und Kallai im Blitz
Mit großem Spaß und vielen Sprüchen auf Ungarisch hat sich der
anwesende ungarische GM Gabor Kallai die ganze Sache angeschaut und wollte dann
auch mal sein Glück versuchen. So richtig erfolgreich war er dabei allerdings
auch nicht.
Im Rahmen der transtec und flag Präsentation wurden dann die
beiden offiziellen Partien Shredder gegen Peter Acs gespielt. Die erste mit
einer Bedenkzeit von 25 Minuten pro Partie, die zweite dann mit 30 Minuten pro
Partie und Spieler. Peter hatte in der ersten Partie Weiß und wählte dann auch
eine Eröffnung, die er schon in den vorherigen Blitzpartien ausprobiert hatte
und von der er sich am meisten gegen Shredder versprochen hatte. Er konnte die
Stellung sehr lange geschlossen halten und eine Zeit lang sah es so aus, dass er
einen gefährlichen Angriff gegen Shredders König starten könnte. Shredder
spielte dann 22..h5 und mir wurde etwas mulmig, da dieser Zug nach meinem
Schachverständnis sehr ungewöhnlich und zu optimistisch aussah. Shredder spielt
jedoch um Klassen besser als ich und auch nach Aussage von Peter nach der Partie
ist der Zug wohl gut. Es wird für mich immer schwerer zu folgen, was auf dem
Brett vor mir passiert. Kurz danach wurde es dann schnell sehr taktisch, was die
Sache für den Menschen nicht gerade einfach macht, so dass Shredder eine schöne
erste Partie für sich entscheiden konnte. Zwischenzeitlich lief er dabei mit
seinem König mitten auf dem Brett umgeben von gegnerischen Figuren seelenruhig
umher. Das hätte wohl kein Mensch riskiert, anscheinend war es aber wohl ok und
Shredder behielt alles im Griff.
In der zweiten Partie wurden dann schnell die Damen getauscht, was nach
einhelliger Meinung von Vorteil für den Mensch ist, und wir landeten in einem
Endspiel mit leichten Vorteilen für Weiß. Peter sagte mir nach der Partie, dass
er sich sehr sicher fühlte und nicht glaubte, die Partie noch zu verlieren. Doch
auch hier spielte Shredder sehr gut und gewann zunächst einen Bauern und
schließlich auch die ganze Partie. Weiter unten sind die Partien mit den
Bedenkzeiten für jeden Zug sowie der Bewertung und Rechentiefe von Shredder
während der Partie.
Mit beiden Partien und auch dem gesamten Wettkampf, der in sehr
freundschaftlicher Atmosphäre stattfand, war ich natürlich sehr zufrieden. Er
war ein weiterer Mosaikstein in der Beantwortung der brennenden Frage, wie gut
Schachprogramme heute Schach spielen können. Auch für transtec und
flag war die Veranstaltung ein voller Erfolg, so dass alle Beteiligten sehr
zufrieden waren. Mein Bild von Budapest hat sich natürlich deutlich verbessert,
nach neun Jahren kann ich nun endlich sagen, dass ich mich schon auf meinen
nächsten Besuch in der ungarischen Hauptstadt freue.
Fotos: Stefan Meyer-Kahlen, Matias Rajkay