Garri Kasparov: Meine großen Vorkämpfer

von ChessBase
23.09.2003 – Wenn der beste Schachspieler der Welt ein Schachbuch schreibt, dann ist dies ohnehin etwas Besonderes. Garri Kasparovs "Meine großen Vorkämpfer", dessen erster von insgesamt fünf Teilen gerade in deutscher Sprache bei Edition Olms erschien, ist allerdings auch ein ganz herausragendes Werk. Kasparov beurteilt und kommentierte Partien berühmter Vorgänger. In diesen Partiekommentaren offenbart sich das Schachverständnis des besten Spielers der Welt, fundiert und ohne jede Arroganz. Der Leser hat Gelegenheit, die Partien mit den Augen Kasparovs und dessen Auffasssung von Schach zu folgen und erfährt ganz nebenbei auch noch eine Menge über Schachgeschichte, die großen Spieler und deren Interpretation des Schachspiels. Bei Schach Niggemann kaufen...Mehr...

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Die Idee, ein Werk über die Schachweltmeister und die mit ihnen verbundene Entwicklung des Schachspiels zu schreiben, muss Kasparov schon lange bewegt haben, denn als die Welt am Sonntag 1996 einen Autor für ihre Schachkolumne suchte und Kasparov ins Gespräch kam, war dieser gleich interessiert und wartete mit genau dieser Idee auf: eine Übersicht über die Weltmeister bzw. die inoffiziellen Vorweltmeister. Tatsächlich schrieb der damalige Schachweltmeister 1996 und 1997 insgesamt 41 Kolumnen, die sich inhaltlich mit den großen Spielern und deren Partien beschäftigten. Das war gewissermaßen  der Vorläufer des nun erschienenen Werkes, das am Ende natürlich viel umfangreicher sein wird.

ChessBase hatte damals an der Kolumne mitgearbeitet, die parallel in der Welt am Sonntag und der Los Angeles Times erschien. Meist war es so, dass irgendwann das Faxgerät ansprang und die Papierrolle im Faxgerät - im letzten Jahrhundert wurden die Faxgeräte noch mit Spezialpapier von Rollen gespeist - ein ordentliche Anzahl von Umdrehungen hinlegen musste, bis der ganze Text übermittelt war, den Kasparov auf der anderen Seite der Leitung in Moskau eingespeist hatte. Am Ende der Prozedur stand auf dem Papier ein langer von englischer Text  in Kasparovs Handschrift. Bei ChessBase wurde der Text in den Computer eingetippt und übersetzt.

In Band Eins der in der deutschen Version bei Edition Olms erschienenen Ausgabe "Meine großen Vorkämpfer" gibt Kasparov in der Einleitung einen Überblick über die bisherigen Weltmeister. Am Anfang steht Steinitz, am Ende Kasparovs unmittelbarer Nachfolger Kramnik. Dort charakterisiert er die Weltmeister in ihrer Persönlichkeit und ihrem Schachstil und stellt sie in einen historischen Zusammenhang, als Vertreter ihrer Zeit. So ist Steinitz ein Vorkämpfer der aufkommenden Wissenschaften zu Mitte des 19.Jahrhunderts. Lasker, als Zeitgenosse von Freud, sieht er als Vertreter des psychologischen Schule. Und Fischer ist jemand, der durch den Individualismus der Popkultur der Sechziger Jahre geprägt war. Dass Kasparov sich selbst sich als Kind der Perestroika versteht, ist bekannt. Sein Sieg über Karpov ist ein Sieg der Perestroika und das Ende der Breschniev-Ära. Und Kramnik? Kramnik ist das Kind der neuen pragmatischen und rein geschäftlich ausgerichteten neuen Lebensphilosophie in Russland.

In der Folge stellte Kasparov zunächst Partien der Vorweltmeister vor, die jeweils die besten Spieler ihrer Zeit waren. Am Anfang stehen Greco und Philidor. Die erste kommentierte Partie im Buch ist dann die 16. Partie aus dem 4.  Wettkampf zwischen McDonnel und La Bourdonnais, London 1934. Schließlich geht es im Hauptteil des Buches um die ersten beiden offiziellen Weltmeister im Schach, Wilhelm Steinitz und Emmanuel Lasker. Insgesamt enthält der Band 73 kommentierte Partien bzw. Partiefragmente. Partie 73 stammt aus dem berühmten ersten Großmeisterturnier von Moskau 1925. Der große Mann des Schachs in der frühen Sowjetunion, Ilyin-Genevsky wird von Lasker zusammen gefaltet.

Was mir besonders an der Art der Kommentierung gefallen hat, ist die höfliche Ehrfurcht und Achtung, mit der Kasparov sich den betrachteten Meistern nähert. Obwohl er es sich angesichts des riesigen Unterschieds im Schachverständnis manchmal vielleicht leisten könnte, verzichtet Kasparov auf jede Arroganz. So heißt es z.B.: "Ich ziehe den Hut vor diesem großen Schachkünstler, doch richtig ist der grobe Zug 17...Lg4!" Oder als heftiger gemeinte Kritik die milde Äußerung: "Ein relativ ungewöhnliches Manöver." Neben eigenen Kommentaren fügt Kasparov auch solche zeitgenössischer oder früherer Kommentatoren ein. Im abschließenden Urteil über die Meister lässt er auch andere in Zitaten zu Wort kommen. Und zwischen den Zügen oder als Einleitung zu den Partien gibt es genug Platz für viele historische Einsprengsel, die Kasparov gerne nutzt. Kasparov ist ein großer Erzähler.

Der eigentliche Wert des Buches liegt natürlich in seinen schachlichen Kommentaren. Wie selbstverständlich und ganz nebenbei offenbart Kasparov in den Anmerkungen und Varianten sein weltmeisterliches Schachverständnis. Das ist wahrscheinlich viel ergiebiger und lehrreicher, als wenn er eigene Partien kommentieren würde. "Meine großen Vorkämpfer" ist ein Buch, dessen Anschaffung niemand bereuen wird, selbst wenn er sich für Schach nur am Rande interessiert.

Eine der kommentierten Partien ist übrigens Steinitz - Mongredian, London 1862. An die Erstveröffentlichung der Anmerkungen in der Welt am Sonntag habe ich eine gute Erinnerung. Vor sieben Jahren, als Kasparov die Partie den Lesern der Welt am Sonntag vorstellte, hatte er sie, wie alle anderen auch, am Schluss mit einer Preisfrage verknüpft. Es ging um die beste Verteidigung nach einem Turmeinschlag von Steinitz. Kasparov hatte schon einige Varianten vorbereitet und war dann zum Turnier nach Las Palmas gefahren. Die Antworten der Leser und die angegebenen Varianten gingen dann weit über das hinaus, was Kasparov vorhergesehen hatte. Viele Leser hatten nämlich ihre Fritz-Programme angeworfen und spannende Varianten entdeckt. Wir hatten die Aufgabe, die Antworten auszuwerten und Kasparovs Lösung bekannt zu geben. Dessen vorbereiteten Varianten sahen allerdings angesichts der eingegangnen Vorschläge etwas dünn aus. Der Meister war in Las Palmas nicht zu erreichen. Schließlich fanden wir eine Lösung, indem wir eine noch ausführlichere Lösung des Weltmeisters für die folgende Ausgabe ankündigten. Tatsächlich hat er sich danach noch einmal eingehend mit der Partie beschäftigt, zusammen mit seinem "eisernen Freund Fritz", wie er ihn im Buch nennt.

Garri Kasparov: Meine großen Vorkämpfer, Edition Olms, 2003, Euro: 29,95

ISBN 3-283-00470-6


André Schulz

 

 

 


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