Der Schachtürkencup in Paderborn
Von Conrad Schormann
Auf der Bühne zwischen den Brettern gehen ist manchmal erlaubt. Aber Hinsetzen?
Links strahlt eine 4x4-Meter-Projektion der eigenen Partie von der Wand, rechts
gähnt das Auditorium. Wenn der kleine Hunger kommt, flugs in den Catering-Raum
auf ein belegtes Brötchen, eine Tasse Kaffee oder ein Kaltgetränk vom Buffet.
Morgens gratis.
Schachnullen erleben beim Schachtürkencup im
Paderborner Heinz-Nixdorf-Forum (HNF), wie Denksport unter
Kategorie-20-Bedingungen schmeckt, Petersilie zwischen belegten Brötchenhälften
inklusive.
Seit März ziert der Schachtürke,
mechanischer Ur-Ur-Ahn von Fritz&Co., die Künstliche-Intelligenz-Ausstellung im
HNF. Der Nachbau des vor 150 Jahren verbrannten Originals hatte die
Schachfreunde von Blauer Springer Paderborn animiert, im und mit dem HNF ein
Open auszurichten.
Schach und Computerschach sind mit Paderborn
verwoben. Aus dem Umfeld der Universität, einem der Zentren des Computerschachs,
stammen einige der besten Paderborner Spieler. Die meisten sitzen seit Jahren an
den Brettern des NRW-Ligisten LSV/Turm Lippstadt. Im benachbarten Lippstadt
läuft jährlich das Großmeisterturnier (oft mit Computerbeteiligung), außerdem
veranstaltet der LSV/Turm zwei Open.
Im Foyer des HNF steht der Schachtürke; ein
orientalischer Maschinenmann mit Pfeife am Schachtisch. Davor warten – natürlich
– zwei Laptops. Das eine beantwortet Fragen zur Geschichte des 1770
vorgestellten Schachautomaten, das andere zeigt ein Video seiner Präsentation im
März 2004.
Michael Barz (+), Vorsitzender von Blauer
Springer, verlor gegen den integrierten Menschen mit den schwarzen Steinen eine
abgesprochene Partie. Der Schachtürke spielte wie immer schneidiges
Angriffsschach. Nach 1.e2-e4 f7-f5 2.e4xf5 Ke8-f7 schüttelte der Turbanträger
sein Haupt, griff zur Dame, um mit 3.Dd1-h5+ dem schwarzen Monarchen an den
Kragen zu gehen – und ließ sie fallen. Aber wer bliebe unerschüttert angesichts
dieser schwarzen Eröffnung?
Was Schachkonstrukteure sich nach dem
Schachtürken haben einfallen lassen, ist eine Etage höher zu bewundern.
Schachcomputer aus der Steinzeit füllen Glasvitrinen, ein Bildschirm zeigt
Fritz. „Kannst ja oben deine Stellung eingeben“, scherzte ein Teilnehmer, als er
die Klagen der beschränkten Köpfe im Erdgeschoss nicht mehr hören wollte.
Der Kopf des Wertungssiegers Lev Gutman
funktionierte am besten. Der für Melle spielende Großmeister gewann die
Schlüsselpartie gegen den Turnierfavoriten Matthias Wahls in der vierten Runde.
In der siebten hielt er dem Druck des Lokalmatadoren IM Stefan Wehmeier
(LSV/Turm Lippstadt) stand, sicherte sich mit 5,5/7 den ersten Rang und freute
sich über die versteckte Verteidigung ...Db7 droht matt oder schlimmer. „Hatte
ich früh gesehen.“ Zwischen „mehreren Wegen zu Vorteil“ hatte Wehmeier sich
entscheiden müssen, bevor das Endspiel versandete.
Durch das Remis erntete Wehmeier 5,5 Punkte,
Platz zwei und „mein wohl höchstes Preisgeld bislang“. Dritter mit 5,5 Punkten
wurde IM Rafal Antoniewski (SK Werther), der in der Schlussrunde Wahls seine
zweite Niederlage zufügte. Wahls und Felix Levin, neben Gutman die Großmeister
im 40-köpfigen Feld der A-Gruppe (über 1.800 DWZ), landeten mit jeweils 4,5
Punkten auf Platz sechs und sieben.
Bei der Siegerehrung freute sich Gutman
neben dem Preisgeld über einen 30.000-Meilen-miles&more-Gutschein. „Ein
Europaflug für zwei Personen“, übersetzte Blauer-Springer-Vorsitzender Wolfgang
Vullhorst. Dem Veranstalter blieben Lob und Dank, Anfragen fürs nächste Jahr und
einige Flaschen Cola-Light. Die trinken Schachspieler zuletzt.
Fotos:
Von Alexandra Buck
Georg Hagenhoff (links gegen GM Felix Levin)
stählt in Online-Blitzduellen seine Eröffnungen. Im Turnierschach spielt er
manchmal die ersten 20 Züge in einer halben Stunde, „weil ich das im Internet
schon 500-mal so gespielt habe“. Als Vorsitzender des LSV/Turm Lippstadt richtet
Hagenhoff seit 500 Jahren das Großmeisterturnier und das Turm-Open in Lippstadt
aus.
Großmeister, einer von dreien im Feld: Felix Levin (DWZ 2473) holte 4,5/7,
siebter Platz.
Nur eine Niederlage: Josef Schwarzenberg (SK Delbrück, DWZ 2020), 4,5/7, 10.
Platz.
Hier zeigt er seine Waffe gegen den Igel von Matthias Wahls.
Der Großmeister (Turnierfavorit mit DWZ 2544) fahndet nach Wegen, Schwarzenbergs
Aufbau zu entschärfen. . .
. . . und hält die fünfte Reihe frei.
Kaum Betrieb im Analyseraum.
Feldherr bei der Arbeit: Martin Fenner (SKT Oerlinghausen, DWZ 1948): 4/7, 12.
Platz.
Tötet den Drachen: IM Stefan Wehmeier (LSV/Turm Lippstadt, links) landete mit
5,5/7 auf Rang zwei, 1,5 Buchholzpunkte hinter Lev Gutman, den Wehmeier in der
siebten Runde fast fünf Stunden lang knetete, bis die Partie doch unentschieden
endete. Der Mathematiker aus Paderborn ist einer der Spitzenspieler des
NRW-Ligisten LSV/Turm Lippstadt.
18 Stunden im Bus, dann zwei Partien gewonnen: IM Rafal Antoniewski (SK Werther,
Elo 2484) belegte mit 5,5/7 den dritten Platz.
Die Spitzenpaarungen der B-Gruppe.
Herbert Klaßmann (TuRa Elsen, DWZ 1886) drückt gegen c4.
Lg4.
J'adoube: Der Nachbau des Schachtürken lässt manchmal die Figuren fallen.
Michael Krüger (Heeper SK, links) und Tobias Gutzmann (Post Südstadt Karlsruhe).
Blick ins Auditorium (hinten links grübelt der angehende Vielflieger Lev Gutman).