Interview mit Kramnik

von ChessBase
04.08.2011 – Kramniks Durchmarsch in Dortmund war sogar der Bild-Zeitung eine Meldung wert. Bei 17 Teilnahmen hat der russische Exweltmeister das Turnier in Dortmund jetzt zum zehnten Mal gewonnen - Rekord! - und selten gelang ein Turniersieg mit solcher Überlegenheit. In Dortmund begann 1992 Kramniks Karriere als Spitzenspieler und die Bühne des Schauspielhauses ist inzwischen sein zweites Wohnzimmer. Weniger atemberaubend ist indes seine Bilanz bei den russischen Meisterschaften: Eine Teilnahme, null Titel. Am Montag beginnt in Moskau das Superfinale um die russische Meisterschaft und Kramnik will dort seine Bilanz verbessern. Kurz danach findet das Botvinnik-Memorial als Schnellschachturnier mit den derzeit vier besten Spielern der Welt statt: Anand, Carlsen, Aronian und Kramnik. Dagobert Kohlmeyer sprach mit einem sehr zufriedenen Dortmund-Sieger und fand heraus, wohin dieser nach der letzten Runde verschwunden war. Resümee und Interview...

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Der Schachkönig wollte in die Sauna
Von Dagobert Kohlmeyer

Das Sparkassen Chess-Meeting in Dortmund ist Geschichte. Nach knapp zwei Wochen Aufenthalt im Revier wurde meine Rückfahrt mit der Bahn nach Berlin zu einer Reise mit Hindernissen. Der ICE rollte erst 40 Minuten später in den Bahnhof ein, unterwegs stand dann auch noch eine Schafherde auf den Gleisen. Genügend Zeit, im Großraumabteil das Notebook aufzuklappen, um dort Notizen und Reminiszenzen festzuhalten sowie zahlreiche Fotos zu bearbeiten. Hier sind einige Erinnerungen in Wort und Bild an die 39. internationalen Dortmunder Schachtage, bei denen ein gewisser Kramnik dem Turnier wieder seinen Stempel aufdrückte.

Samstagnachmittag, 30. Juli 2011: Nach dem Remis gegen den Holländer Anish Giri ist Wladimir Kramnik am Ziel seiner Wünsche. Schon eine Runde vor dem Ende des Chess-Meetings hat der Russe so viele Punkte gesammelt, dass er von keinem Gegner mehr eingeholt werden kann. 7 aus 9 und zwei Zähler Vorsprung - eine galaktische Distanz für so ein Turnier. Der 10. Sieg Kramniks in „seinem Revier“ war perfekt.


Stefan Koth, Vladimr Kramnik

Der dreifache Weltmeister wollte dann nur noch weg. Schnellen Schritts verließ er das Schauspielhaus und wurde an diesem Tag nicht mehr gesehen. Gern hätten wir Journalisten einen O-Ton von ihm gehabt, aber Kramnik blieb verschwunden. „Wo ist er nur?“, fragten sich alle. „Ich wollte den Erfolg erst einmal still genießen und mich in der Sauna des Spielerhotels entspannen“, verriet der Figurenkünstler später. Tags darauf endete Kramniks letzte Partie gegen Hikaru Nakamura (USA) dann zwar mit einer unerwarteten Niederlage, weil der Russe als Weißer mit einem Figurenopfer nicht durchkam, das schmälerte jedoch seine historische Leistung in keiner Weise.  

Beide Cracks analysierten dann noch über eine Stunde lang auf der Bühne die turbulente Partie. Schnell flogen die Figuren über das Brett, eine große Traube stand um den Tisch herum: Schiedsrichter, Kommentatoren, Schachjournalisten und Kiebitze. Mitten unter ihnen der junge Anish Giri, der hin und wieder einen Zug vorschlug. Nicht immer gab ihm Kramnik recht. Zu gern wollte er die Berechtigung seines Springeropfers nachweisen, was ihm allerdings nicht leicht fiel. Wieder und wieder suchte Kramnik nach überzeugenden Gewinnwegen für Weiß. Nakamura folgte dem Treiben seines Gegenübers geduldig, lächelte still in sich hinein und sagte viel weniger zur Partie oder einzelnen Stellungsbildern, als der gerade von ihm bezwungene Turniersieger.

War es asiatische Höflichkeit oder diebische Freude nach dem Motto: „Jetzt habe ich dir aber gezeigt, wie man dich vom Brett fegen kann!“ Wie dem auch sei, irgendwann war die extrem lange Analyse dann doch zu Ende. Nach einem Shakehands der beiden ging es zur Siegerehrung ins nahe gelegene Rathaus, wo Kramnik dann wieder sehr entspannt war und sich mit Recht feiern ließ.

Der diesjährige Sieg des Schachkönigs von Dortmund ist in der Tat ein ganz besonderer. Zum 10. Mal hat Wladimir Kramnik das stärkste Schachturnier auf deutschem Boden in seinem Revier gewonnen. Das ist eine Marke fürs Guinness-Buch der Rekorde. Mit 36 Jahren inzwischen Senior des Feldes, bewies der Russe erneut seine Ausnahmestellung. Seit 1995 konnte nur selten ein anderer Denksportler Kramnik in dessen Wohnzimmer das Wasser reichen. Selbst die anderen Großen der Zunft wie Kramniks Landsmann Garri Kasparow, der im spanischen Linares, dem Wimbledon des Schachs, neunmal gewann (acht Siege, einmal Co-Sieger) oder der amtierende Weltmeister Viswanathan Anand mit fünf Erfolgen im holländischen Wijk aan Zee haben eine so hohe Erfolgsquote bei einem Superturnier nicht aufzuweisen. Dortmunds Veranstaltungsleiter Gerd Kolbe nannte Kramniks Leistung denn auch „einen Rekord für die Ewigkeit“. 

Zweiter wurde der Vietnamese Le Quang Liem, der im Schauspielhaus als Einziger unbesiegt blieb und Kramnik in der achten Runde arg zugesetzt hatte.

Doch der Russe konnte mit Glück und Geschick alle Angriffe des Großmeisters aus Ho-Chi-Minh-Stadt parieren und sich mit der weiteren Punkteteilung gegen Giri seinen einmaligen Triumph vorzeitig sichern. 

Der Vorjahressieger von Dortmund, Ruslan Ponomarjow, erlebte Licht und Schatten.

Drei Siegen des Ukrainers standen auch drei Niederlagen gegenüber. Für die positive Überraschung des Turniers sorgte Anish Giri. Der erst 17-jährige Großmeister teilte in diesem Klassefeld mit „Pono“ den dritten Rang, was vorher nicht unbedingt zu erwarten war. Zum Turnier-Ende kam die Familie Giri nach Dortmund.

Vater Sanjay, Mutter Olga und Schwesterchen Ayusha freuten sich gemeinsam mit Anish.

Auch Giris Trainer Wladimir Tschutschelow konnte mit dem jungen Großmeister sowie seinem zweiten Schützling, dem Holländer Robin van Kampen, anstoßen.

Der erst 16-jährige Internationale Meister hatte das Helmut-Kohls-Turnier gewonnen und dabei seine dritte GM-Norm erzielt.


Das Open im Rathaus


Opensieger Michail Saizev

Für den deutschen Teilnehmer Georg Meier war das Chess-Meeting eine wertvolle Erfahrung. Der Großmeister aus Trier konnte aber manchen Stellungsvorteil nicht nutzen und einige Angriffe seiner Gegner nicht abwehren. Es war das erste Kategorie-20-Turnier seiner Karriere. In Erinnerung bleibt uns besonders Georgs Seeschlange, die er mit Hikaru Nakamura austrug. In Runde 5 spielten die beiden sage und schreibe acht Stunden und absolvierten dabei 150 Züge! Ganz sicher auch eine Konsequenz der Anti-Remis-Regel, die zu vielen umkämpften Duellen führte.  So eine lange Partie hat es jedenfalls in der Geschichte der Dortmunder Schachtage noch nicht gegeben. Sie dauerte bis 23 Uhr abends, und nicht alle Beteiligten bzw. Augenzeugen bekamen danach noch etwas zu essen. Nakamura zum Beispiel wurde um 23.30 Uhr im Spielerhotel freundlich darauf hingewiesen, dass längst Küchenschluss sei. Dortmund-Kundige wie Klaus Bischoff und der Reporter liefen dann quer über die Hohe Straße, wo wir in einer Nachtbar mit einem Strammen Max gerettet wurden. Nakamura weiß inzwischen auch, wo er zu nächtlicher Stunde im Revier noch etwas zu essen erhält…

Was Mammut-Partien in Dortmund angeht, habe ich mich sogleich an Boris Gelfand erinnert. Ein Blick in die Big Database brachte schnell die Bestätigung: Vor fünf Jahren spielte der israelische Großmeister beim Chess-Meeting 117 Züge mit Schwarz gegen den Engländer Michael Adams und verlor sowie zwei Tage später 113 Züge mit Weiß gegen den Georgier Baadur Jobava und gewann. Wegen dieser kämpferischen Einstellung wurde Boris im Jahr darauf wieder eingeladen. Wie Georg Meiers Kämpfe auf den 64 Feldern künftig aussehen, wird sich zeigen. Seinen Start beim bevorstehenden ZMD-Turnier in Dresden hat der Trierer erstmal abgesagt. Im Herbst will er  dann ein Wirtschaftsstudium in den USA aufnehmen.


Georg Meier, Vladimir Kramnik

Zur Schlussrunde kam DSB-Präsident Herbert Bastian noch einmal im Schauspielhaus vorbei.

Er ging zu den Kommentatoren, begrüßte die Zuschauer über Kopfhörer und verfolgte alle Partien bis zum Ende. Auch Bastian stand am Abend in der Kiebitz-Traube auf der Bühne, als Kramnik und Nakamura ihr aufregendes Duell analysierten. Zum Eröffnungsbankett in Dortmund hatte der neue Mann an der Spitze des Deutschen Schachbundes ja quasi seine Regierungserklärung mit einem klaren Bekenntnis zum Schach als Leistungssport abgegeben (siehe unser am 23.7. veröffentlichtes Interview).          

Was nun noch fehlt, sind natürlich die Gedanken des Schachkönigs von Dortmund.

  

„Michail Botwinnik hatte sehr viel Humor“
Interview mit dem Dortmunder Rekordsieger Wladimir Kramnik
Von Dagobert Kohlmeyer

Glückwunsch, Wladimir, zum 10. Titel! Wann hatten Sie jemals einen solchen Lauf?

In einem Turnier dieser Güte noch nicht. Ich kann mich gar nicht erinnern. Der Start war natürlich optimal. Auch in Dortmund hatte ich nach fünf Runden noch nie 90 Prozent der möglichen Punkte auf dem Konto.

Ihre Stimmung dürfte entsprechend gut sein?

Das stimmt, ich bin sehr zufrieden, auch wenn die letzte Partie verloren ging. Aber mir war schon vorher klar, dass die Rückrunde bedeutend schwieriger werden würde.

Waren Sie nach der Partie gegen Ruslan Ponomarjow am sechsten Spieltag sicher, das Turnier zu gewinnen?

Noch nicht ganz. Ich wollte einfach gut spielen und sehen, was möglich ist. Auf Remis war ich gegen ihn nicht unbedingt aus, das erschien mir zu Beginn der zweiten Turnierhälfte zu früh. Aber dann kam es so. Das Unentschieden war ein wichtiges Ergebnis, zumal die anderen an diesem Tag auch alle remis spielten. Von da an konnte nicht mehr sehr viel schief gehen.

Haben Sie Ihr Spiel dann auf Verteidigung umgestellt?

Nicht in jeder Partie. Wenn sich die Gelegenheit bot, habe ich den Gegner attackiert. Ich wusste, dass die letzten Runden noch schwierig werden würden. Deshalb bin ich bis auf das letzte Spiel nicht mehr volles Risiko gegangen. Gegen Le Quang Liem hatte ich mit Schwarz noch große Probleme und bange Momente zu überstehen. Gegen Nakamura wollte ich dann zaubern, weil ich schon als Sieger feststand.

Welche Partie war dieses Jahr Ihre beste in Dortmund?

Ich hatte während des Turniers noch nicht genug Zeit, meine Spiele gründlich zu analysieren. Das kann ich erst jetzt tun und dann eine genauere Aussage treffen.

Bei 17 Starts in Dortmund haben Sie unglaubliche zehn Siege geschafft - eine stolze Bilanz und eine magische Zahl. Sind Sie jetzt noch motiviert, auch im nächsten Jahr wieder im Revier zu spielen?

Ja sicher. Dortmund ist ein ganz wichtiger Bestandteil meiner Schachkarriere. Hier begann 1992 quasi mein Einstieg ins Große Schach. Außerdem gibt es nächstes Jahr die 40. Dortmunder Schachtage, also ein denkwürdiges Jubiläum. Warum sollte ich dann nicht wiederkommen?

Im Mai sind Sie im WM-Kandidatenturnier von Kasan zur Überraschung vieler sehr früh ausgeschieden. Hinterher forderten Sie eine Änderung des Reglements. Was stört Sie am aktuellen Modus der FIDE?

In wenigen Worten ist das nicht zu erklären. Ich habe dazu bereits ein langes Interview gegeben. Wichtig erscheint mir vor allem, dass in dem Format klassisches Schach mit Schnell- und Blitzschach nicht zu sehr vermischt werden darf. Der Akzent sollte schon auf den Partien mit normaler Bedenkzeit liegen.

Aber durch die Schnelligkeit kommt mehr Spannung auf.

Sicher, doch andererseits leidet auch die Qualität der Partien darunter. Ich habe nichts dagegen, dass die Spiele mehr ausgekämpft werden, so wie hier in Dortmund. Sie sollen ja für die Zuschauer interessant sein. Ich finde die Anti-Remis-Regel in Ordnung. Sie erhöht die Spannung der Partien, es wird bis zum Schluss gekämpft. Das ist auch gut für das Publikum. Doch nochmal zurück zum Kandidatenturnier. Wenn es um die Weltmeisterschaft im klassischen Schach geht, muss dieses Format der Schwerpunkt sein. Die Mehrzahl der Schachprofis teilt übrigens meine Meinung.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

Ich spiele ab dem 8. August das Superfinale der russischen Meisterschaft in Moskau mit. Dort bin ich bisher nur einmal gestartet, habe die Landesmeisterschaft aber nicht gewonnen. Dies zu schaffen, ist ein neuer, großer Anreiz für mich.

Ebenfalls in Moskau findet Anfang September ein Memorial zu Ehren von Michail Botwinniks 100. Geburtstag statt. Dort spielen auch Anand, Carlsen und Aronjan. Als ehemaliger Schüler des legendären Weltmeisters nehmen Sie daran teil. Mit welchen Gedanken?

Ich habe viele gute Erinnerungen an Michail Moisejewitsch, obwohl es schon sehr lange her ist, dass ich bei ihm Unterricht hatte. Damals war ich ein 12-jähriger Schüler und übrigens einer seiner letzten Zöglinge.

War Botwinnik ein strenger Lehrer?

Das würde ich nicht sagen. Es ist wohl mehr eine Legende. Er war gütig und verhielt sich auch so zu uns Schülern. Michail Botwinnik hatte ein ganz feines Gefühl für Humor. Das sind meine stärksten Erinnerungen.

Was hat die Schule Ihnen gebracht?

Sehr viel. Dort arbeitete ja nicht nur der Patriarch des sowjetischen Schachs,  sondern in den letzten Jahren unterrichtete auch Garri Kasparow gemeinsam mit ihm in der Schule. Das war für uns alle sehr wertvoll.

Welche nachhaltigen Erinnerungen haben Sie noch, und welche Eindrücke von der Schule werden für immer bleiben?

Allein Michail Botwinniks Anwesenheit war wichtig. Seine interessanten Erzählungen über das Schach, das alles hat mich sehr bereichert. Es war nicht so, dass ich nach seinen Lektionen in Moskau in diesem zarten Alter sofort viel besser spielte. Das kam erst später. Aber der instruktive Unterricht von Botwinnik und Kasparow gab einem als jungem Schachspieler für die Karriere natürlich sehr viel.

 

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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