Von Dagobert Kohlmeyer
Eine Woche nach seiner Rückkehr aus Wijk aan Zee war
Levon Aronian wieder einmal zu Gast im „Russischen Haus“ in der Berliner
Friedrichstraße. Der dortige Schachklub „Präsident“ lud den Armenier am
Montagabend zum traditionellen Treffen ein, und viele Schachfreunde kamen.
Das Team von "Präsident"
Im Publikum saßen auch Norbert Sprotte und Attila
Figura von Aronians Bundesliga-Verein SC Kreuzberg.
Attila Figure und Norbert Sprotte
Kurz vor Beginn gab es ein großes Hallo, weil
Großmeister Jewgeni Postny, der wie Levon in Berlin wohnt, an diesem Abend
auch vorbeischaute. Er kam in Begleitung seiner Freundin Veronika Minina,
die nicht nur schön anzusehen ist, sondern auch eine ELO-Zahl von 2150
besitzt und wie ihr Partner im russischen Schachklub „Präsident“ mit Erfolg
die Figuren setzt.
Veronika Minina und Jewgeni Postny
Der Vereinsvorsitzende Juri Zarubin begrüßte Levon
Aronian und gratulierte dem Großmeister zum geteilten Sieg in Holland.
Eine Flasche Schachsekt für den Corus-Sieger
Danach bat er ihn, das Schachjahr 2007 einmal aus
seiner Sicht Revue passieren zu lassen.
Juri Zarubin und Boris Gruzman
Levon zeigte sich mit dem Start im Vorjahr zufrieden,
denn er hatte auch vor zwölf Monaten in Wijk aan Zee (gemeinsam mit Teimur
Radjabow und Weselin Topalow) gewonnen. Dann jedoch habe er einen Knick
durchgemacht und einige schwächere Turniere gespielt. „In Morelia bzw.
Linares war ich nicht so erfolgreich und auch in anderen Turnieren mit der
Qualität meines Spiels nicht zufrieden.
Lewon Aronian
Das betrifft natürlich auch die WM in Mexiko. Es zeigte
sich, dass ich meine Vorbereitung verbessern muss. Ohne eine solide
Präparation ist heute im Spitzenschach kein Erfolg mehr möglich“.
Levon Aronian kommentierte vor dem interessierten
Auditorium seine Gewinnpartie gegen Loek van Wely aus Wijk und beantwortete
an diesem Abend geduldig viele Fragen, darunter auch die unseres
Hauptstadt-Reporters.
Interview mit Levon Aronian
Gratulation zum Sieg in Wijk aan Zee! Schmerzt
dich die schlechte Platzierung von Mexiko heute noch?
Die Weltmeisterschaft war für mich eine klare
Enttäuschung und mein schwächstes Turnier 2008. Ich war zu Beginn krank und
konnte dann den Rückstand nicht mehr wettmachen. Die Quittung war der
vorletzte Platz. Der Weltcup in Sibirien verlief dann auch nicht optimal,
aber er war ein etwas besserer Abschluss zum Ende des Jahres.
Im November gab es das Tal-Memorial in Moskau.
Deine Anhänger haben dich dort im Teilnehmerfeld vermisst.
Ich hatte eine Einladung, aber aus Termingründen musste
ich leider absagen. Unmittelbar nach dem Turnier begann doch der Weltcup in
Chanty-Mansisk, und ich hatte so gute Erinnerungen an 2005, so dass ich
diesem Wettbewerb, wo ich Titelverteidiger war, den Vorzug gab.
Es ist doch normal, dass nach einem guten Jahr
auch ein schlechtes kommen kann.
Sicher. Ich glaube an eine gewisse Logik in der
Entwicklung des Schachspielers. Voriges Jahr habe ich vielleicht zu viele
Turniere gespielt und zu wenig Zeit für die Vorbereitung gehabt. Wenn ein
Mensch talentiert ist und viel arbeitet, werden sich über kurz oder lang
Erfolge einstellen. Es passiert jedoch auch, dass talentierte Menschen ihr
Ziel nicht erreichen und weniger talentierte mit großer Energie etwas
schaffen.
Jeder Schachmeister macht mal ein Formtief durch.
Die Frage ist doch, wie kommt man da wieder heraus?
Es ist vor allem eine Frage der Psychologie. Ich glaube
weniger daran, dass jemand nur schlecht spielt, weil er nicht in Form ist.
Das ist nicht der einzige Grund. Rückschläge steckt man vor allem dann ein,
wenn man kein Selbstvertrauen hat. Nach einer schmerzlichen Niederlage ist
es besonders schwer, sich wieder zu fangen und neu zu motivieren.
War die Null gegen Kramnik in Wijk aan Zee im
Turmendspiel so eine, oder hat dich dein erster Platz im Gesamtklassement
darüber hinweg getröstet?
Jede Niederlage tut weh, auch diese. Vor allem, weil
sie unnötig war. Das Turmendspiel war objektiv remis. Nicht nur Wassili
Smyslow, sondern auch viele andere haben schon gezeigt, dass man gegen den
f- und h-Bauern remis halten kann. Aber ich war nach sieben Stunden Spiel
sehr müde und hatte auch wenig Zeit auf der Uhr. Ich bin mir etwas böse,
dass ich während der Partie zu lange nachgedacht habe und mir dann am Ende
die nötige Zeit fehlte.
Wie gefällt dir Wladimir Kramniks Stil und seine
Taktik, mit Weiß auf Sieg und mit Schwarz auf Remis zu spielen?
Es ist nicht meine Art, aber jeder hat eben seine
Methode, ein Ziel zu erreichen. Ich mag Wladimirs Schachstil, er gefällt
mir. Wir schätzen uns als Persönlichkeiten.
Wie wichtig ist die Eröffnungsvorbereitung?
Kolossal, und ihre Bedeutung nimmt weiter zu. Das
Turnier in Wijk aan Zee zeigte, dass man den Gegner auch heute noch mit
Neuerungen überraschen kann. Wer auf diesem Gebiet nichts tut, wird im
Spitzenschach auf Dauer keinen Erfolg haben. Früher haben die Großen kaum
theoretische Studien betrieben. Oder hat Boris Spasski etwa Eröffnungen
gepaukt?
Du bist ein sehr schöpferischer Schachspieler und
denkst dir im Eröffnungsstadium manchmal sehr originelle Züge aus.
Improvisierst du gern?
Ja. Man darf sich nicht nur auf traditionelle Varianten
verlassen. Der Überraschungseffekt ist wichtig und kann dir eine gute
Stellung oder gar einen zusätzlichen Punkt einbringen. Ohne viel Arbeit ist
kein Erfolg möglich. Das gilt übrigens auch für andere Gebiete des Lebens.
Was hältst du von so „krummen“ Zügen wie zum
Beispiel 2. Sa3 im Sizilianer?
Ich glaube mehr an einen logischen Partieaufbau.
Natürlich überrasche ich meine Gegner gern, aber es muss fundiert sein.
Warum wurde bei der WM in Mexiko so wenig
Sizilianisch gespielt?
Ich denke, die Leute wollten nicht so viel riskieren.
Es ist eine sehr scharfe Eröffnung. Sie bietet zwar viele Chancen, es kann
aber auch schief gehen. Man braucht auf Grund der Variantenfülle etliche
Tage für die Vorbereitung. Denken wir nur an das Najdorf-System, wo in
letzter Zeit viele Ideen auftauchten, die früher keinem in den Sinn kamen.
Und da im WM-Turnier so viel auf dem Spiel stand, wählten die meisten
Teilnehmer lieber ruhigere Eröffnungssysteme. Sie hatten Angst, in einer
entscheidenden Partie eine Null zu riskieren.
Wie lenkt man sich vom Turnierstress ab und tankt
neues Selbstbewusstsein?
Durch Sport, Kino oder philosophische Gespräche. Ganz
wichtig ist eine gute körperliche Verfassung. In Berlin gehe ich regelmäßig
schwimmen oder spiele Badminton.
Hast du eine Lieblingsfigur?
Nein, man muss mit allen Steinen gut arbeiten. Ich mag
Tigran Petrosjans Antwort auf eine entsprechende Frage. Er erwiderte, am
liebsten seien ihm die Figuren, die er dem Gegner abnimmt.
Was sagst du zu Gata Kamskys Rückkehr ins
Welt-Spitzenschach?
Ich freue mich, dass er wieder da ist, weil ich ihn für
einen interessanten Spieler halte. Allerdings weiß ich nicht, ob es die
beste Entscheidung von ihm war, so lange zu pausieren, wenn er Weltmeister
werden will.
Möchtest du auch Schachweltmeister werden wie
dein Landsmann Tigran Petrosjan?
Natürlich!
Armenien ist amtierender Olympiasieger. Werdet
ihr euren Titel in Dresden verteidigen?
Ich hoffe sehr. Wir haben ein starkes Team, das sich
gegenüber der Olympiade 2006 in Turin nicht sehr verändern wird. Neben mir
sind Akopjan und Sargissjan feste Größen. Mit Arschak Petrosjan haben wir
einen erfahrenen Nationaltrainer. Die Stadt Dresden gefällt mir sehr. Ich
habe dort im Frühjahr bei der Europameisterschaft vorbeigeschaut und meinen
Landsleuten die Daumen gedrückt.
Wie beliebt ist Schach in deiner Heimat?
Wir können sehr zufrieden sein. Es ist nach Fußball die
Sportart Nr. 2. Unser Staatspräsident ist ein großer Schachfreund.
Du kommst wie die anderen Supergroßmeister nicht
mehr ohne Computer aus. Welche Meinung hast du über die Rechner?
Sie sind unser Freund und eine große Hilfe, aber sie
stehlen uns auch die Zeit. Wir Schachspieler arbeiten viel mit ihnen und
werden dadurch stärker, keine Frage. Die Computer besiegen ja heute schon
den stärksten Menschen. Ein Match Rechner gegen Rechner finde ich nicht
besonders interessant. Das ist eher für die Programmierer oder die Verkäufer
der Software von Bedeutung.
Text und Fotos:
Dagobert Kohlmeyer