Interview mit Robert Hübner
ChessBUase: Viele Schachfreunde suchen Sie
vergeblich in den Aufstellungen der Bundesliga-Mannschaften. Warum sind Sie
zur Zeit weder in der ersten noch in der zweiten Liga aktiv?
Antwort: Ich wurde aus dem Verein OSC Baden-Baden durch
schriftliche Benachrichtigung ausgeschlossen. Dem Ausschluß ging weder eine
Ankündigung voraus, geschweige denn ein Gespräch, noch folgte ihm irgendeine
Erklärung oder Begründung. Die Angelegenheit ist mir nach wie vor völlig
dunkel.
Als der Ausschluß rechtswirksam wurde, gab es für mich keine Möglichkeit
mehr, einen neuen Verein für die laufende Spielzeit zu finden.
ChessBase: Wie lange hatten Sie vorher in der
Bundesliga gespielt?
Antwort: Seit 1958 habe ich ohne Unterbrechung an
Mannschaftskämpfen in Deutschland teilgenommen. Im Jahre 1959 spielte ich
erstmals bei den Endkämpfen der 16 besten Vereine mit. Damals fanden sie
nach einem Ausscheidungssystem statt; die Bezeichnung „Bundesliga“ gab es
noch nicht.
ChessBase: Kürzlich hat ChessBase eine Umfrage zur Entwicklung der
Bundesliga gestartet. Eine große Mehrheit hat sich gegen den ausufernden
Ligatourismus und für mehr Authentizität der Mannschaften mit Hilfe von
eigenen Spielern ausgesprochen. Wie sehen Sie die Entwicklung der
Bundesliga?
Antwort: Im Prinzip ist es zu begrüßen, wenn
ausländische Kräfte herangezogen werden. Die Übersiedlung von Artur Jussupow,
Rustem Dautov und anderen Spielern nach Deutschland hatte eine höchst
erfreuliche Auswirkung auf das Schachleben.
Eine Mannschaft sollte meines Erachtens so aufgebaut
sein, daß sich um einen oder mehrere Spitzenspieler eine Gruppe
lernbegieriger Mitstreiter schart; ein reger Erfahrungsaustausch zwischen
den Mannschaftsmitgliedern wird ermöglicht, der die Spielstärke und die
Lebensfreude steigert. Es ist sehr wichtig, daß der Kern der Mannschaft auf
längeres Zusammenbleiben hin angelegt wird; nur so ist fruchtbares Wachstum
möglich. Ob die Spieler aus dem Ausland oder aus Deutschland stammen, ist
gleichgültig.
Mir scheint, daß der Verein von Godesberg diesem Modell
folgt; auch im Hamburger Schachklub hängt man offenbar derartigen Ideen
an. Vielleicht gibt es noch andere Vereine, in denen so gedacht und
gehandelt wird. Allzu häufig sieht man jedoch, daß eine Schar beliebiger
Spieler hastig zusammengerafft wird mit dem Zweck, in der nächsten Saison
möglichst hoch in der Tabelle zu kriechen. Das nennt man „Erfolg.“ Im ganzen
haben die Bundesligamannschaften meiner Meinung nach nicht genügend
Verbindung mit dem allgemeinen Schachbetrieb; die Bundesliga formt eine
abgeschiedene Eigenwelt.
ChessBase: Vor zwei Wochen waren Sie als Gast der Lasker-Gesellschaft
zu einem Gesprächsabend und einem Simultan in Berlin. Im Rahmen der
Berichterstattung über die Veranstaltung wurde bei chessbase.de vermeldet,
Sie hätten Ihre „Schachlaufbahn für beendet erklärt“. Das scheint ja aber
nicht der Fall zu sein…?
Antwort: Der Berichterstatter wollte offenbar Herz und
Gemüt des Lesers mit einer angenehmen Nachricht erfreuen. Leider ist sie
völlig unzutreffend.
Eine solche Erklärung wäre mir schon aus logischen
Gründen ganz unmöglich. Ich bin der Beschäftigung mit dem Schach nie
hinterhergerannt, so daß von einer Lauf-Bahn keine Rede sein kann; sie kann
also auch nicht beendet werden.
ChessBase: Sie haben nicht nur gespielt, sondern sich auch mit
Schachgeschichte beschäftigt. Nun entsteht auf Initiative der
Lasker-Gesellschaft eine umfangreiche Biografie zu Emanuel Lasker. In
welcher Weise waren Sie daran beteiligt und gibt es neue Erkenntnisse in
Bezug auf den einzigen deutschen Schachweltmeister?
Antwort: Ich habe die Partien Laskers aus seiner
Anfangszeit und dem ersten Wettkampf gegen Steinitz analysiert. Es gibt
neben Fischer (dessen Äußerungen man vielleicht zu viel Gewicht beigelegt
hat) noch andere Spitzenspieler, die Laskers Können gering schätzen; ich
zähle nicht dazu.
Immer wieder habe ich in Wort und Schrift zwei
Meinungen vertreten:
- Lasker hat nicht in besonderem Maße versucht, seine Züge im
Hinblick auf die Psyche des Gegners zu wählen.
- Schlechter war kein friedfertiger Spieler, der aus
Gutmütigkeit das Gewinnen vermied.
Obwohl ich einmal geschrieben habe, daß mein Kampf
gegen diese Mythen vergebens sein dürfte, hat es mich doch ein wenig
überrascht, daß mir in dem Bericht über den Gesprächsabend am 25. Oktober
2007 in Berlin gerade die Äußerungen in den Mund gelegt wurden, die ich
stets so deutlich als verfehlt herausgestellt habe.
ChessBase: Gerade hat die deutsche
Nationalmannschaft auf Kreta an der Mannschaftseuropameisterschaft
teilgenommen, aber nur mäßig abgeschnitten. Haben Sie eine Erklärung, warum
heute in Deutschland kaum noch Spieler nachrücken, die international mit der
Spitze mithalten können?
Antwort: Nein.
ChessBase: Viele sind der Auffassung, dass das
Trainernetz in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern nicht dicht
genug ist, um den Nachwuchs ausreichend zu fördern. Wie beurteilen Sie das?
Gibt Robert Hübner eigentlich Trainingsstunden?
Ich kenne die Organisation der Trainingsmöglichkeiten
in Deutschland nicht, geschweige denn die in anderen Ländern. Sie kann nur
auf die Verbreitung von Grundkenntnissen einwirken; für tieferes Verständnis
ist das persönliche, intensive Ringen mit dem Stoff unerläßlich. Die heute
anscheinend herrschende Auffassung, man könne junge Leute mit „Wissen“
vollpfropfen wie man Gänse nudelt, hat mich stets befremdet; selbst wenn
dies möglich sein sollte, ist es nicht wünschenswert.
Ich habe in früherer Zeit öfter versucht, den Zugang zu
analytischer Methodik im Schach zu vermitteln, sowohl bei der Arbeit mit
Einzelnen als auch in Gruppen. Es besteht aber wohl kaum noch Bedarf an
solcher Anweisung, nachdem die Ergebnisse analytischer Bemühungen vom
Rechner abgefragt werden können.
Köln, 6. November 2007.
Das Interview führte André Schulz.