Das Interview erschien in
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
Wirbel um fehlende Sponsoren - 50 Prozent des Olympiaetats für Dresden
nicht gedeckt
"3,88 Millionen Euro sind kein Sparetat ", sagt
Schacholympiade-Geschäftsführer Verleger im ND-Interview
Aufregung um die Schacholympiade 2008 in Dresden: Für 50 Prozent des Etats
über 3,88 Millionen werden noch Sponsoren gesucht. Im Notfall müsste die
Landeshauptstadt Dresden den Fehlbetrag decken. Vor der entscheidenden
Abstimmung am 15. November spricht ND-Mitarbeiter RENÉ GRALLA mit
JÖRN-TORSTEN VERLEGER (35), Geschäftsführer der Schacholympiade 2008 – Chess
Foundation GmbH und Leiter des Organisationsbüros der Schacholympiade 2008.
ND: Ist die Finanzierung der Schacholympiade in Gefahr? Rund zwei Millionen
Euro sollen fehlen.
JÖRN-TORSTEN VERLEGER: Richtig ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch eine
Finanzierungslücke in Höhe von 1,9 Millionen Euro besteht. Insgesamt sind
3,88 Millionen Euro veranschlagt für den Etat, der mit dem Weltschachbund
FIDE abgestimmt ist. Da spielt eben die Tatsache eine Rolle, dass wir uns
noch über ein Jahr vor der Veranstaltung befinden und dass wir es bisher
nicht geschafft haben, Sponsoren im notwendigen Umfang zu binden, was aber
für Sportveranstaltungen dieser Größe nicht ungewöhnlich ist.
ND: Die ursprüngliche Finanzplanung für die Olympiade sah sechs Millionen
Euro vor. Warum sind die um mehr als ein Drittel zusammengestrichen worden?
VERLEGER: Auch im ursprünglichen Etat von sechs Millionen Euro, der sich auf
den Gesamtzeitraum von 2005 bis 2008 bezogen hat, waren nur 4,4 Millionen
Euro für das eigentliche Olympiajahr 2008 vorgesehen. In Bezug auf diese 4,4
Millionen Euro haben wir als Konsequenz der Beschlusslage des Stadtrates der
Landeshauptstadt Dresden eine Reduzierung auf 3,88 Millionen Euro
herbeigeführt, weil der Stadtrat uns gebeten hat, Einsparungsmöglichkeiten
im Etat zu überprüfen, wenn nicht ausreichend Sponsoren gefunden werden.
ND: Offenbar ist das jetzt also ein Sparetat, wenn man berücksichtigt, dass
die diesjährige Schach-WM in Mexiko rund vier Millionen US-Dollar gekostet
hat. Bei der Weltmeisterschaft waren aber bloß acht Kandidaten am Start,
während nach Dresden 2008 rund 2000 Aktive anreisen.
VERLEGER: Ich lege Wert auf die Feststellung, dass 3,88 Millionen Euro kein
Sparetat sind, sondern eine qualitativ hochwertige Veranstaltung
garantieren. Und außerdem lassen sich die zwei Veranstaltungen nicht
miteinander vergleichen. Im Etat für Mexiko waren auch umfangreiche
Preisgelder enthalten, und bekanntlich werden bei der Olympiade keine
Preisgelder ausgeschüttet. Die größten Ausgabenposten für Dresden sind
Unterbringung und Verpflegung der Sportler. Diese Budgetansätze machen
annähernd zwei Millionen Euro aus und sind unverändert geblieben. Unser
Hauptaugenmerk gilt zunächst dem Hauptevent. Erst wenn weitere Sponsoren
gefunden werden, können auch Veranstaltungen aufgewertet werden, die zum
Rahmenprogramm gehören.
ND: Dass Sie die Verpflegung für wichtig halten, werden die Sportler gerne
hören. Teilnehmer an der Europameisterschaft 2007, die Dresden im Frühjahr
ausgerichtet hat, beklagten sich darüber, dass sie Trinkwasser im
Turniersaal an einer Bar zu Hotelpreisen kaufen mussten.
VERLEGER: Die Regularien für die Europameisterschaft und die Schacholympiade
sind vollkommen unterschiedlich. Die FIDE fordert kostenfreies Wasser für
die Teilnehmer im Spielsaal, und dies werden wir auch anbieten.
ND: Was ist dem Rotstift zum Opfer gefallen?
VERLEGER: Für den Fall, dass nicht ausreichend Sponsoren gefunden werden,
wird es beispielsweise bei Rahmenturnieren für Senioren und dem Open keine
Geldpreise geben. Wir werden diese Turniere aber ebenso durchführen wie den
mit dem Deutschen Schachbund geplanten Deutschland-Cup oder das Jugendlager
der Deutschen Schachjugend.
ND: Anlässlich des Besuches des FIDE-Vizepräsidenten Geoffrey Borg vor
einigen Wochen in Dresden, der sich über den Stand der Vorbereitungen
informiert hat, gab es ein gemeinsames Statement: FIDE und
Organisationskomitee seien sich darin einig, dass der reibungslosen
Übertragung der Wettkampfbegegnungen in das Internet eine Schlüsselrolle
zukommt. Da hat es während der EM 2007, die vorher als Generalprobe für die
Olympiade deklariert worden war, Probleme gegeben.
VERLEGER: Die Schwachstellen lagen im IT-System. Deswegen haben wir unter
Leitung des städtischen Eigenbetriebes IT eine Task Force gegründet, die
unter Beteiligung der Technischen Universität und weiterer Partner an einer
Lösung arbeitet. Und wir sind zuversichtlich, dass die technischen Probleme
bis zur Schacholympiade gelöst sein werden.
ND: In diversen Internetforen wird heiß diskutiert, welche Spielbretter bei
der Olympiade zum Einsatz kommen - weil die Qualität der Live-Übertragungen
auch etwas mit der Funktionsfähigkeit der eingesetzten elektronischen
Schachbretter zu tun hat. Der niederländische Hersteller DGT bietet ein
Produkt an, das sich in Turin 2006 bewährt hat und das auch von der FIDE
autorisiert ist. Gleichzeitig wird in Dresden seit Jahren an der Entwicklung
eigener Bretter gebastelt: Warum? Ist es nicht riskant, für eine derart
wichtige Veranstaltung wie die Schacholympiade eine neue Technologie zu
entwickeln?
VERLEGER: Wir haben schon seit 2005 ein schriftliches Angebot der FIDE für
die mietweise Bereitstellung von elektronischen Schachbrettern. Das Angebot
umfasst 500 DGT-Bretter und kostet inklusive Personal einen sechsstelligen
Betrag. Sollten wir keine Bretter der Firma DGT nehmen, so fordert die FIDE
auf Grund ihrer Regularien mit der Firma DGT eine Zahlung in Höhe von 25.000
Euro. Andererseits wissen wir von den Bemühungen der Dresdner Firma eChess
GmbH & Co. KG um ein neues Übertragungssystem. An dieser Stelle ist aber
klarzustellen: Die Bemühungen um dieses Übertragungssystem werden weder vom
Organisationsbüro oder dem Ausrichter der Schacholympiade gefördert, noch
erfolgen sie in unserem Auftrag. Unsere mit der FIDE abgestimmte Position
hierzu ist vielmehr, dass ein funktionierendes und von der FIDE anerkanntes
System die Basis jeglicher Überlegungen zu einer Übertragung der
Live-Partien während der Schacholympiade bildet.
ND: Zwischen der Firma eChess und Dr. Dirk Jordan, der zugleich auch
Chairman des Organisationskomitees ist, soll es geschäftliche Verbindungen
geben.
VERLEGER: Es ist bekannt, dass Dr. Jordan sich für die Entwicklung dieses
neuen System engagiert und Prokura für die Firma eChess besitzt.
ND: Kritiker argwöhnen, dass Gelder aus dem Olympiaetat abgezweigt worden
seien für die Entwicklung neuer Bretter in Dresden.
VERLEGER: Das ist unwahr. Es sind keine Gelder - weder von der Stadt noch
vom Organisationskomitee oder der Schacholympiade 2008 - Chess Foundation
GmbH - an die Firma eChess geflossen.
ND: Das heißt, dass die betreffende Dresdner Firma auf eigenes Risiko die
Chance der Olympiade zu nutzen versucht, um ein eigenes Produkt anzubieten.
Aber wenn das nicht funktioniert, werden die Bretter nicht eingesetzt.
VERLEGER: Meines Wissens entwickelt und produziert die Firma eChess dieses
neue Übertragungssystem unabhängig vom Einsatz bei der Schacholympiade.
ND: Sie haben eingangs beruhigend darauf hinwiesen, dass Sie noch ein gutes
Jahr Zeit hätten, Sponsoren für die Olympiade einzuwerben. Ist diese Frist
aber nicht bereits sehr knapp? Oder wahrscheinlich sogar zu knapp - weil
erfahrungsgemäß zum jetzigen Zeitpunkt die Etats für 2008 bei potenziellen
Großsponsoren schon festgezurrt sind?!
VERLEGER: Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an der Lösung dieses Problems.
ND: Hauptsponsor der Schacholympiade sollte eigentlich die ZMD AG sein, das
Zentrum Mikroelektronik Dresden. Die sind zwischenzeitig abgesprungen.
Warum?
VERLEGER: In wiefern sich ZMD für die Schacholympiade engagiert, ist noch
nicht abschließen geklärt. Die Gründe, warum ZMD nicht mehr als Hauptsponsor
zur Verfügung steht, können von uns nicht abschließend bewertet werden. Klar
ist aber, es hat nichts mit der Sportart Schach zu tun.
ND: Deutschland möchte auf dem IT-Sektor vorankommen, außerdem ist die
Republik ein wichtiger Standort für die Game-Branche, die viel Geld ausgibt
für PR. Eine neu gestartete Kampagne "Spiel fördert Schule" unterstützt den
Einsatz intelligenter Spiele im Unterricht. Und Schach ist das schlaue Spiel
schlechthin - warum also soll es derart schwierig sein, Sponsoren für die
Olympiade im Schach zu gewinnen?
VERLEGER: Wie ich bereits ausgeführt arbeiten wir mit Hochdruck an der
Lösung dieser Frage. In Zusammenarbeit mit der Universität Mainz haben wir
eine aktuelle Zielgruppenanalyse durchgeführt, die noch einmal bestätigt
hat, dass Schach attraktiv für alle Altersgruppen ist. Und: Schachsport wird
eher betrieben von Personen aus höheren Einkommensschichten mit höheren
Schulabschlüssen. Wir glauben, dass es daher gelingen wird weitere Partner
für die Schacholympiade an Bord zu holen.
ND: Die Verdienste von Dr. Jordan für die bisherige Vorbereitung der
Olympiade sind allgemein bekannt. Warum ist im August 2007 nun Dresdens
Sportbürgermeister Lehmann zum Präsidenten des Organisationskomitees berufen
worden?
VERLEGER: Die Schacholympiade war von Anfang an Chefsache bei dem für Sport
verantwortlichen Bürgermeister der Landeshauptstadt Dresden, Winfried
Lehmann. Bürgermeister Lehmann hatte von Anfang an vor, sich intensiver
einzubringen, sobald die heiße Phase der Vorbereitung beginnt; ein gutes
Jahr vor der Veranstaltung ist der Zeitpunkt dafür gegeben. Als Chairman des
Organisationskomitees ist Dr. Jordan verantwortlich für die sportfachliche
Seite der Olympiade. Dr. Jordans Kompetenzen in diesem Bereich sind
unbestritten.
ND: Oder hat die Berufung von Bürgermeister Lehmann etwas damit zu tun, dass
gegen Dr. Jordan zwischenzeitig ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren
geführt worden ist wegen angeblicher
Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Abrechnung der Frauen-EM 2004 in
Dresden?
VERLEGER: Dr. Jordan hat sich um die Schacholympiade 2008 und die Förderung
des Schachsports in Dresden große Verdienste erworben. Ich bitte Sie zur
Kenntnis zu nehmen, dass die aufgrund einer anonymen Anzeige geführten
Ermittlungen gegen seine Person bezüglich der Frauen-Europameisterschaft
2004 seit August 2007 abgeschlossen sind, sich als völlig haltlos erwiesen
haben und deshalb durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurden.