Von Frederic Friedel
Gesundheit
Frederic Friedel:
Vladimir, bevor wir zu unserem zentralen Thema, dem Computer-Match, kommen,
muss ich noch ein paar allgemeine Dinge fragen. Nach Deiner Gesundheit
beispielsweise. Was ist passiert?
Vladimir Kramnik:
Eigentlich spreche ich nicht gerne darüber und würde das in diesem Fall
wahrscheinlich auch nicht tun. Aber wie Du wahrscheinlich weißt, kursierten
irgendwann eine ganze Menge Gerüchte. Aids und Krebs waren noch die
harmlosesten Dinge, die ich angeblich hatte. So kam ich zu dem Schluss, es
wäre an der Zeit, den Leuten das wirkliche Problem zu erklären [ankylosing
spondylitis, eine rheumatische Krankheit, die in der Wirbelsäule und den
Sakroiliakalgelenken zu Arthritis führt und oft auch Entzündungen der Augen,
Lungen und Herzklappen verursacht – siehe
http://www.chessbase.com/newsdetail.asp?newsid=2846].
FF: Wann
begann das?
VK: Bereits vor ein paar
Jahren, nach 2000, aber genau diagnostiziert wurde die Krankheit erst vor
drei Jahren. 2001 traten die Entzündungen und Schmerzen gelegentlich auf,
aber sie waren zu ertragen. Nicht schön, aber erträglich. Anfänglich biss ich
einfach die Zähne zusammen, aber dann fing es an, schlimmer zu werden. Die
Ärzte sagten, das müsse behandelt werden, und es bräuchte Zeit, die Krankheit
loszuwerden.
FF: Welche
Wirkung hatte das auf Deine Leistungen, während einer Partie oder während
eines Turniers? Hast Du Dich am Anfang gut gefühlt und wurdest dann
allmählich müde oder wie war das?
VK: Nein, mit Turnieren
hängt das nicht zusammen. Man fühlt sich einfach nicht wohl, vor der Partie
nicht, während der Partie nicht und nach der Partie nicht. Es tut einfach
weh, alles tut einem einfach weh. Es ist Arthritis, die Entzündung
unterschiedlicher Gelenke. Im Falle einer Krise schmerzen etliche Gelenke
dann ganz besonders, andauernd. Deshalb muss man eine Menge Schmerzmittel und
entzündungshemmender Medikamente nehmen, was einen unglaublich schläfrig
macht. Dabei beseitigen sie den Schmerz nicht einmal völlig, sie betäuben ihn
nur.
FF: Ich musste
so eine Pille auch ein paar Mal nehmen. Die sind ziemlich brutal, die haben
mich einfach umgehauen. Ich erinnere mich noch an das letzte Mal, ein paar
Stunden, nachdem ich aufgewacht war, schlief ich schon wieder ein …
VK: Wahrscheinlich hast
Du nur eine genommen. Ich musste vier oder fünf pro Tag nehmen. Du kannst Dir
vorstellen, wie das war, als ich im Superfinale in Moskau gespielt habe. Wir
hatten einen Platz, wo man sich hinlegen konnte, und ich sehnte mich so
danach, die ganze Zeit. Aber ich wusste, wenn ich das tun würde, wäre ich in
einer Minute hinüber.
FF:
Schrecklich…
VK: Ja, die Krankheit
ist nicht wirklich gefährlich – sie verkürzt die Lebenserwartung nicht oder
ähnliche Dinge. Sie ist einfach nur sehr unangenehm und schmerzhaft. Und wenn
man Woche um Woche Schmerzen hat, dann schlägt das ziemlich aufs Gemüt.
FF: Wie lange
wird die Behandlung dauern? Wann wirst Du sagen können, dass Du wieder
vollkommen fit bist?
VK: Die Behandlung
erfordert, dass ich oft zu meinen Ärzten gehen und diesen
Medikamentencocktail weiter nehmen muss. Ich weiß nicht, wie lange das
dauert. Manche Leute machen in ein paar Monaten große Fortschritte, bei
anderen dauert es ein halbes Jahr oder sogar ein ganzes. In meinem Fall muss
ich sagen, dass ich mich definitiv besser fühle als letzten November oder
Dezember. Aber ich bin immer noch weit davon entfernt, mich vollkommen okay
zu fühlen.
FF:
Tatsächlich weiß ich, dass Du Dich besser fühlst, denn vor kurzem wurdest Du
als Zuschauer eines Fußballspiels entdeckt …
VK: Ah, davon hast Du
gehört? Ja, ich hatte in London zu tun, nur einen Tag lang, und zufällig fand
an diesem Tag das Spiel Chelsea gegen Barcelona statt. Über Verbindungen
konnte ich ein Karte bekommen.
FF: Und wie
hat es Dir gefallen?
VK: Ausgezeichnet, ich
habe mich gut amüsiert, aber es war ziemlich kalt. Ich habe beschlossen, wenn
ich mir das nächste Mal ein Fußballspiel anschaue, dann mache ich das im
Sommer. Das Rückspiel ist diese Woche, aber das schaue ich mir im Fernsehen
an. Das war genug Freiluftunterhaltung für mich.
FF: Durch
Deine Krankheit hast Du eine Reihe von Turnieren verpasst und wirst noch ein
paar mehr verpassen. Was planst Du als nächstes? Wirst Du in Monaco spielen?
VK: Nein, leider werde
ich dort nicht spielen. Ich bin immer noch in intensiver Behandlung, die ich
nicht einfach zwei Wochen unterbrechen kann. Ich wollte wirklich spielen,
aber mein Arzt hat "Nein" gesagt. Er sagte, natürlich fühlen Sie sich ein
bisschen besser, und es gibt positive Zeichen der Besserung, aber es kann Sie
zurückwerfen, wenn Sie die Behandlung so unterbrechen. Das ist wirklich
schade. Ich bin wirklich gerne in Monaco. [Seufzt] Es ist das erste Mal in
zwölf Jahren, dass ich dieses Turnier verpasse. Seit 1994 habe ich dort jedes
Jahr gespielt; es ist das Turnier, an dem ich am häufigsten teilgenommen
habe.
FF: Wann wird
man Dich wieder ohne Einschränkungen spielen lassen?
VK: Das kommt drauf an.
Ich hoffe wirklich, dass sie mich im Mai entlassen, so dass ich bei der
Olympiade spielen kann. Nicht nur, weil ich vollkommen geheilt sein möchte,
sondern auch, weil ich darauf brenne, Schach zu spielen. Ich fühle mich sehr
unwohl, so eine lange Zeit kein Schach spielen zu können.
FF: Du
vermisst es …?
VK: Sehr sogar. Ich
vermisse den Wettbewerb, die Atmosphäre, die Leute um einen herum, unter
Leuten sein, über Schach reden. Ich fühle mich abgeschnitten.
FF: Wie
verbringst Du im Moment Deine Tage?
VK: Natürlich arbeite
ich weiter am Schach. Ansonsten treffe ich ein paar Freunde, mache dies und
das, nichts Besonderes. Aber ich arbeite weiter, nicht sehr intensiv, aber
beständig.
FF: Wie sieht
es mit Dortmund aus, wirst Du an dieser Veranstaltung teilnehmen können?
VK: Oh, ja, ich glaube
fest daran. Bis dahin sollte das ganz sicher möglich sein. Es wäre alles
andere als lustig, wenn ich bis Ende Juli nicht spielen könnte. Bis dahin
sollte die Behandlung vorbei sein.
Wiedervereinigung im
September?
FF: Okay,
erzähl uns etwas über den Wettkampf in Elista im September. Wie sieht die
Lage aus?
VK: Das ist nicht ganz
klar. Vielleicht weißt Du mehr darüber als ich. Ich meine, von meinem
Standpunkt aus ist es klar, ich habe mehrfach erklärt, dass ich bereit bin,
zu spielen, bereit bin, zu verhandeln, jederzeit und an jedem Ort. Ich habe
nie verstanden, warum wir wir nach dem Angebot, das wir im November gemacht
haben, nicht gespielt haben [
http://www.chessbase.com/newsdetail.asp?newsid=2744 ]. Ich habe nie ganz
verstanden, warum es abgelehnt wurde.
FF: Und das
Angebot der FIDE in Elista zu spielen?
VK: Ich weiß noch immer
nicht, welchen Standpunkt genau Topalov vertritt. Jetzt kommt es sehr auf ihn
an. Bis jetzt habe ich in dieser Angelegenheit von seiner Seite noch keine
klare Aussage gehört.
FF: Also bist
Du bereit zu spielen? Wenn es zu einer Einigung kommt und das Match
organisiert wird, dann spielst Du im September gegen Topalov und dann wieder
gegen den Computer im November?
VK: Ja, definitiv.
Natürlich wird das ziemlich schwer werden, aber ich bin bereit dazu. Mein
Plan ist, im Sommer vollkommen genesen zu sein. Dann kann ich mich
vorbereiten und beide Wettkämpfe spielen. Das ist eine ernste Sache, aber ich
glaube, ich werde voll und ganz bereit sein. Aber im Moment bin ich immer
noch ein wenig verwirrt. Die Zeit läuft, alle sprechen über das Topalov-Match,
alle sind neugierig, aber es gibt keine klare Antwort. Es wäre großartig,
wenn Veselin eine klare Aussage machen würde. Wenn er nicht spielen will,
dann sollte er das sagen, da wir dann zumindest nicht unsere Zeit vergeuden.
Er hat San Luis letzten Oktober gewonnen und ich glaube, es gab ausreichend
Zeit, um sich zu entscheiden. Ich würde es wirklich begrüßen, wenn er ein
klares Statement zu seiner Haltung in dieser Angelegenheit abgeben würde.
Der Computerwettkampf
FF: Okay,
kommen wir zum aktuellen Thema. Du spielst bald ein weiteres Match gegen
einen Computer. Eins hast Du bereits gespielt, 2002 in Bahrain, und
Unentschieden gemacht. In der Zwischenzeit sind die Programme sehr viel
stärker geworden und die Computer, auf denen die Programme laufen, sehr viel
schneller. Dein Gehirn, glaube ich, ist weder größer noch schneller geworden.
Also, wie also schätzt Du Deine Chancen ein?
VK: Ich weiß das
wirklich noch nicht. Ich weiß allerdings ganz sicher, dass ich Chancen habe,
sonst würde ich das Match nicht spielen. Es wäre einfach uninteressant. Für
mich ist das Spielen gegen den Computer eine sehr ernste Herausforderung. Ich
glaube, dies ist eine der letzten Möglichkeiten für einen Menschen, die
Maschine zu schlagen. Ich glaube, der Computer ist Favorit und zwar in jedem
Match gegen jeden Menschen. Sie sind wirklich unglaublich stark geworden.
Aber wir befinden uns immer noch an einem geschichtlichen Zeitpunkt, an dem
es eine Chance gibt. Ich weiß, dass ich eine Chance habe. Ich glaube, ich
kann Bahrain als sehr gute Lehrstunde nutzen, da ich dort eine Menge
Erfahrung gesammelt habe. Das wird mir für den Wettkampf in Bonn helfen. Aber
natürlich weiß ich, dass es bei den Computern keinen Stillstand gab, und dass
sie sich kontinuierlich entwickeln. Ich kann sehen, wie Fritz besser und
besser wird.
FF: Also hast
Du das Gefühl, der Außenseiter in diesem Match zu sein. Ist das ein Vor- oder
ein Nachteil?
VK: Tatsächlich war das
genauso, als ich gegen Kasparov gespielt habe. Alle haben gesagt, dass er der
Favorit war, und dass hat mich überhaupt nicht gestört. Vielmehr gilt: Je
größer die Herausforderung, desto größer meine Motivation. Auch wenn ich
denke, dass meine Chancen wahrscheinlich ein wenig schlechter sind als die
des Computers, fühle ich mich deswegen weder entmutigt noch ängstlich. Ich
weiß aus der Erfahrung mit Garry, dass ich einen solchen Wettkampf gewinnen
kann, also warum sollte ich das nicht noch einmal können? Ich bin sehr
zuversichtlich, dass ich dem Computer wirklich einen ernsthaften Kampf
liefern kann, und ich wäre unglaublich glücklich, wenn mir ein Sieg gelingen
würde. Weil das vielleicht der letzte Sieg eines Menschen über den Computer
ist.
FF: Die
Fritz-Programmierer sind nicht besonders froh, gegen Dich zu spielen. Sie
würden andere Gegner vorziehen, da sie Dich für einen besonders unangenehmen
und schwierigen Gegner halten. Weißt Du warum?
VK: Ich glaube, das
liegt an meinem Stil. Ich glaube auch, dass ich gegen den Computer einer der
unangenehmsten Gegner sein könnte. Weil mein Stil stärker auf positionellen
Grundlagen beruht, auf Endspielen – ich glaube, ich verrate kein Geheimnis,
wenn ich behaupte, dass ich im Endspiel ziemlich gut bin. Dies sind
Schwachstellen des Computers. Ein sehr kombinatorischer Spieler, der auf
seine Rechenkünste vertraut …
FF: Oder ihre
Rechenkünste…
VK: Ja, genau, wie
Judit. Diese Spieler haben gegen Computer sehr viel weniger Chancen, da sie
den Kampf im Rechnen ohnehin verlieren. Mein Spiel beruht nicht auf dem
Rechnen, so dass ich trotz all der Pluspunkte des Computers auch ein paar
Trümpfe halte. Es gibt ein paar sehr starke Spieler, die keinen Trumpf gegen
Computer haben, aber ich glaube, ich habe ein paar und ich werde versuchen,
sie einzusetzen.
FF: In Bahrain
hast Du gegen Fritz ein dramatisches Opfer gebracht. Das war reine
Berechnung.
VK: Ja, Partie sechs. Du
weißt, dass der Computer ziemlich einschüchternd wirkt, aber ich habe einen
gewissen Selbstrespekt als Schachspieler. Wenn ich denke, dass ein bestimmter
Zug der beste ist, und auch wenn ich begreife, dass es nicht klug ist, ihn
gegen einen Computer zu spielen, dann muss ich ihn dennoch machen. Es ist
sehr leicht, seinen Selbstrespekt zu verlieren, wenn man absichtlich
schlechtere Züge macht. Es fällt mir sehr schwer, mich dazu zu zwingen.
Damals habe ich gedacht, das Springeropfer ist sehr interessant, mir gefiel
es, also habe ich so gespielt, obwohl ich wusste, dass es sehr riskant ist.
Natürlich war das die falsche Entscheidung, weil mich der Computer im Rechnen
geschlagen hat.
FF: Das ist
also die größte Gefahr für Dich: Du könntest einen sehr guten Zug sehen und
ihn spielen, auch wenn es gewagt ist, so etwas gegen eine Maschine zu tun.
VK: Natürlich. Man kann
eine Partie nicht gewinnen, wenn man überhaupt nicht rechnet. Natürlich kann
man versuchen, Stellungen zu erreichen, in denen das Variantenrechnen nicht
so wichtig ist wie positionelle Überlegungen, aber man kann keine Partie
gewinnen, wenn man überhaupt keine Varianten rechnet. Da Computer hier so
unglaublich stark sind, besteht immer die Möglichkeit, dass man überspielt
wird, wenn die Partie dieses Stadium erreicht. Aber man muss sich auf den
Rechenkampf vorbereiten und ich muss in der Lage sein, Varianten sehr gut zu
berechnen.
FF:
Tatsächlich hast Du schon ein paar sehr schöne taktische Partien gegen
Computer gewonnen…
VK: Ja, wie in Dortmund
2000. Aber das waren andere Zeiten. Man kann keine Partien mehr gewinnen,
wenn man alle seine Figuren auf die g-Linie stellt und den gegnerischen König
Matt setzt. Das funktioniert nicht mehr. Programme wie Fritz verstehen jetzt,
was man macht. Alles ist ganz anders, selbst im Vergleich zu Kasparovs
Wettkampf gegen Deep Blue. Fritz ist ganz anders als Deep Blue, man kann
nicht mehr die gleiche Strategie anwenden, man kann nicht mehr die gleichen
Dinge tun. Man muss sich anpassen, die Entwicklung der Programme verfolgen,
schauen, in welche Richtung sie gehen. Genau wie die Programmierer die
Entwicklung der Schachspieler verfolgen und sich auf sie vorbereiten. Es ist
das gleiche. In dieser Hinsicht gleicht die Vorbereitung der Vorbereitung auf
einen Weltmeisterschaftskampf. Man schaut sich alle verfügbaren Partien des
Gegners an, man versucht zu sehen, wo er sich verbessert hat, wo er Schwächen
hat, findet Veränderungen, die vor kurzem gemacht wurden. Fritz entwickelt
sich ziemlich dynamisch, ich kann das sehen.
FF: Also wirst
Du Dich sehr ernsthaft vorbereiten?
VK: Ich habe noch nicht
angefangen, vor allem wegen des theoretisch möglichen Wettkampfs gegen
Topalov, der meine Pläne stark beeinflusst. Aber wenn erst einmal alles klar
ist, fange ich an, mich sehr ernsthaft auf mein Match gegen den Computer
vorzubereiten.
FF:
Tatsächlich kennst Du Deinen Gegner Fritz bereits sehr gut, glaube ich.
VK: Ja, ich nutze das
Programm täglich.
FF: Warum
Fritz? Es gibt noch andere starke Programme.
VK: Nun gut, zunächst
einmal habe ich keine anderen Engines. Aber das liegt auch daran, dass ich
2002 das Match gegen Fritz gespielt und ich mich an dieses Programm gewöhnt
habe. Ich verstehe das Programm wirklich gut, und ich weiß, wann ich seinem
Urteil vertrauen kann. Aber auch andere Schachspieler, Spitzenspieler, mit
denen ich rede, ziehen es anderen Schachprogrammen vor. Das heißt
wahrscheinlich, dass sie denken, es ist ein bisschen besser als andere.
FF: Oder
einfach nur die Macht der Gewohnheit. Was ist mit gewaltigen, parallelen,
gigantischen Hardware-Maschinen…
VK: Du meinst Hydra? Ich
kenne das Programm nicht allzu gut, aber mir scheint es nicht sehr viel
besser als andere Programme zu sein. Ich habe den Wettkampf gegen Adams
gesehen, der ziemlich furchteinflößend war, weil es keinen Kampf gab, nicht
eine einzige Chance für den Menschen. Aber ich glaube, in gewisser Weise war
dies Mickeys Fehler, denn er hat sich nicht ausreichend vorbereitet. In einem
Wettkampf gegen einen Computer ist Vorbereitung sehr wichtig, absolut
entscheidend. Wahrscheinlich hat Mickey das Programm nicht ernst genug
genommen. Er sah mein Unentschieden gegen den Computer, und er hat gesehen,
wie Kasparov es in New York ebenso gemacht hat, und wahrscheinlich dachte er,
das wäre nicht so schlimm. Aber ich weiß tatsächlich sehr gut, dass die Dinge
schrecklich schief gehen können, wenn man nicht sehr gut vorbereitet ist.
Die Arbeit mit Computern
FF: Seit wann
arbeitest Du mit Computern? Wann hast Du das erste Mal einen Computer
angeschaltet und Schach damit gemacht?
VK: Ich glaube, das war
1993, ganz zu Beginn des Jahres, auf einer Art “366” Computer. Ich weiß die
Details nicht, nur dass er sehr langsam war. Ich wollte lernen, wie man einen
Computer benutzt. Mit Fritz habe ich 1995 ernsthaft zu arbeiten begonnen. Ich
erinnere mich, dass dies nach meinem Wettkampf gegen Kamsky geschah. Während
meiner Vorbereitung habe ich keinerlei Schachprogramm benutzt. Ich glaube,
Kamsky hat dies bereits gemacht, und das war der Grund, warum ich die erste
Partie verloren habe. Ich habe sie aus der Eröffnung heraus verloren, nach
einem unglaublichen Computerzug, der am Brett sehr schwer zu finden oder zu
widerlegen ist. Dann war mir klar, dass es ein großer Vorteil ist, mit einem
Computerprogramm zu arbeiten. Nach dieser Erfahrung begriff ich, dass es
wahrscheinlich Zeit für mich war, Fritz auf meinem Computer zu installieren.
FF: In der
Rückschau auf Deine Arbeit mit Computern, würdest Du sagen, Du bist glücklich
darüber, dass sie aufgetaucht sind? Ist es gut, dass sie Schach spielen
können und es so gut können? Oder ist das eine Entwicklung, die schlecht für
das Spiel ist?
VK: Nun gut … es ist
nicht schlecht für das Schach, es ist einfach nur schlecht für die
Schachspieler [lacht]. Man muss verstehen, dass wir zehn Mal mehr arbeiten
müssen als vorher, weil die Menge an Informationen so groß ist. Außerdem muss
man sehr viel präziser sein als früher, wenn man Stellungen analysiert. In
der Vor-Computer-Ära hatte man bestimmte interessante Ideen, Züge, die gut
aussahen, und das war genug. Die Vorbereitung war erledigt, man ging los und
spielte den Zug. Die Vorbereitung dauerte im Wesentlichen zwei Stunden. Jetzt
dauert die gleiche Sache fünf Stunden oder mehr. Man muss alle Partien seines
Gegners durchsehen, dann muss man alles durchsehen, was in der Variante, die
man spielen möchte, passiert ist. Dann schaut man sich an, was Fritz zu den
Ideen sagt, die man hatte, und dann versucht man, all das zu erinnern. So
arbeitet man viel härter.
FF: Was
bedauerlich ist?
VK: Nein, das ist
normal. Es gibt gewisse Entwicklungen, wissenschaftliche Fortschritte, die
wir nicht aufhalten können. Ich habe damit überhaupt keine Probleme. Es gibt
auch gewisse Punkte, die sehr positiv sind. Computer machen es viel leichter,
die eigenen Partien zu analysieren und herauszufinden, wo man Fehler gemacht
hat. Das ist sehr gut für die eigene Entwicklung. Man muss die eigenen
Partien nicht wochenlang analysieren, man kann sehr schnell herausfinden, wo
die eigenen Schwächen sind und wie man sie beseitigen kann. Zweitens fällt es
sehr viel leichter, sich Wissen anzueignen, das Wissen, das nötig ist, um auf
sehr hohem Niveau zu spielen. Ich erinnere mich noch, wie ich früher mit
Büchern gearbeitet habe, Enzyklopädien, und es viel mehr Zeit gekostet hat,
irgendetwas zu finden, sich einfach theoretisches Wissen anzueignen. Jetzt
geht das viel schneller, und ich glaube, das ist einer der Hauptgründe, warum
Schach jünger und jünger wird. Ich bin ziemlich sicher, dass dies an den
Computern liegt.
FF: Verbessern
Computer den Spielstil? Werden Turniere, vor allem auf höchstem schachlichen
Niveau, interessanter oder sind sie langweiliger?
VK: Ich weiß nicht, ob
Computer den Spielstil verbessern, ich weiß, dass sie ihn ändern. Schach
wurde zu einem anderen Spiel, man kann sagen, dass Computer die Schachwelt
verändert haben. Das ist ziemlich klar.
FF: Auf welche
Weise? Sind Partien im Spitzenschach spannender oder weniger spannend, sind
sie gewagter oder weniger gewagt, sind sie interessanter oder weniger
interessant?
VK: Das ist sehr
subjektiv. Ich als Profi habe eine Sicht auf die Dinge, und ich nehme an,
Amateure haben eine ganz andere Sicht. Für mich sind die meisten der im
Spitzenschach gespielten Partien interessant. Selbst ein kurzes Remis kann
sehr oft interessant und entscheidend für eine bestimmte Variante sein. Doch
die Partien selbst haben sich sehr verändert. Es gibt viel mehr Taktik, sehr
viel mehr Komplikationen. Heutzutage muss man dank der Computer komplizierte
Stellungen anstreben, wenn man irgendetwas in der Eröffnung haben möchte. Vor
allem, wenn man gewinnen möchte. Das geht nicht, indem man einfach eine etwas
bessere Stellung bekommt und seinen Gegner langsam erdrückt. Gut, tatsächlich
geht das, aber es wird zunehmend schwieriger. Also streben die Leute
Komplikationen an. Man kann das in den aktuellen Turnieren sehen, wie jetzt
gerade in Morelia/Linares. Die meisten der Partien werden in großen
Komplikationen entschieden.
FF: Das
klingt, als wäre Schach interessanter geworden.
VK: Ja, das kann man so
sagen, wenn dies dem eigenen Geschmack entspricht. Ich selbst genieße pure
Positionspartien ebenso sehr wie die komplizierten. Aber Amateure und
Schachfans lieben natürlich wilde Komplikationen und Kombinationen, was ich
verstehen kann. Für mich ist das Niveau das wichtigste im Schach. Wenn eine
Partie auf einem sehr hohen Niveau gespielt wird, dann ist es mir nicht so
wichtig, ob sie kompliziert oder trocken ist, in beiden Fällen bereitet mir
die Partie großes Vergnügen. Wenn eine Partie sehr kompliziert ist, mit
vielen Opfern, aber auch einer Menge Fehlern, dann kann ich sie nicht so sehr
genießen. Für mich ist das also mehr eine Frage der Qualität und weniger des
Stils der Partie. Ich glaube, das gilt für die meisten Spitzenspieler.
FF: Eine
letzte Frage: Was ist es für ein Gefühl, wenn ein Schachfan mit einer Elo von
vielleicht 1400, der Deine Partie am Computer verfolgt hat, hinterher zu Dir
kommt und darauf hinweist, dass Du ein Fehler gemacht oder einen Gewinn im
32. Zug ausgelassen hast? Oder dass Du ein forciertes Matt in 16 Zügen
übersehen hast?
VK: Ja, das ist
tatsächlich ein Problem. Ich finde das nicht so schlimm – weißt Du, ich bin
ein sehr einfacher Mensch und an Kritik gewöhnt. Aber man bekommt das Gefühl,
dass die Leute den Respekt vor den Schachspielern verlieren. Natürlich ist es
sehr gut und sehr vergnüglich für die Schachliebhaber, ein Programm an ihrer
Seite zu haben, mit dem sie die Partien verfolgen können und so wirklich eine
klare Vorstellung zu haben, was gerade passiert. Auch ohne Kommentator kann
man Fritz anschalten und die Züge mehr oder weniger verstehen. Aber manchmal
bekommen Amateure, vor allem die, die selbst nicht besonders aktiv sind, das
Gefühl, dass wir nicht besonders gut spielen, dass wir die ganze Zeit Fehler
machen, dass wir zwanzig Minuten für einen Zug brauchen, den Fritz in ein
paar Sekunden findet. Sie bekommen vielleicht den Eindruck, dass die
Spitzenspieler überhaupt gar nicht so stark sind. Aber das stimmt nicht. Es
ist eine Illusion. Mit einem Computer an der Seite ist es sehr leicht,
Urteile zu fällen, aber wenn man alleine am Brett sitzt, sieht die Sache ganz
anders aus. Tatsächlich glaube ich, dass das generelle Niveau heute höher ist
als je zuvor, aber weil Computer jeden Fehler so schnell und leicht zeigen,
kann der Eindruck entstehen, es sei niedriger. Früher wurde jeder
komplizierte Zug, jedes interessante Opfer mit großem Beifall und
Enthusiasmus aufgenommen. Heute schaltet man einfach seinen Fritz an, und man
kann sehen, was los ist, ob der Zug geht oder nicht. So ist meine einzige
Bitte an Schachamateure, uns, die professionellen Schachspieler, nicht zu
streng zu beurteilen. Wir sitzen am Brett und wir können nicht Millionen von
Zügen pro Sekunde berechnen. Wir brauchen Zeit und wir können Fehler machen.
Aber das heißt nicht, dass Spitzenspieler keine großen Schachspieler sind. Es
ist einfach so, dass man bessere Instrumente hat, um zu analysieren, was sie
tun. Vielleicht wirkt die Aura früherer Spieler glanzvoller als die der
heutigen Spieler, aber das liegt daran, dass man kein Programm wie Fritz
hatte, das einem all die Löcher in ihren Partien zeigt.
FF: Also kann
der Computer sich schädlich auf das Image der Spieler auswirken?
VK: Das scheint die
Schlussfolgerung aus dem letzten Teil unserer Unterhaltung zu sein. Aber wir
müssen sehen, dass der Computer sehr viel mehr Begeisterung für das Spiel
weckt. Es gibt viel mehr Zuschauer, was die direkte Folge davon ist, dass die
Leute verstehen, was gerade passiert. Das ist definitiv eine positive
Entwicklung. Dennoch, als Schachplayer spüre ich manchmal ein bisschen
Nostalgie für die guten alten Zeiten, als man sich in ein oder zwei Stunden
vorbereiten konnte, um sich dann auszuruhen und Bücher zu lesen. Man kam mit
einem frischen Gefühl zur Partie, da man nicht seitenweise Varianten erinnern
musste. Das ist nur die Nostalgie eines älteren Schachspielers – ich glaube,
jüngere Spieler kennen dieses Gefühl nicht, und verstehen vielleicht nicht,
worüber ich rede. Aber ich erinnere diese Zeit noch und sie war sehr schön,
auf ihre Weise.