Interview mit Vladimir Kramnik
Weltmeister Vladimir Kramnik
Yuri Vasiliev: Sind Sie enttäuscht,
weil Sie nur ein halber Punkt vom Siegertrio getrennt hat?
Vladimir Kramnik: Eigentlich nicht... ich
habe mich in diesem Turnier nicht sonderlich angestrengt. Ich war nicht sehr
motiviert: Es ist ja nicht die Weltmeisterschaft. Wenn ich mehr Energie besäße,
hätte ich diesen halben Punkt sicher irgendwo eingefahren. Ich würde über meine
Leistung nicht in Jubel ausbrechen, aber zufrieden bin ich schon. Ich habe
Elopunkte gewonnen und ganz anständig gespielt.
Yuri Vasiliev: Sie haben mal gesagt,
dass Sie Wijk aan Zee nicht mögen, weil Sie hier immer unglücklich spielen.
Warum haben Sie dann die Einladung angenommen?
Vladimir Kramnik: Es ist ja nicht so, dass
mir Wijk aan Zee nicht gefällt; es ist einfach nicht mein Turnier. Im Ernst,
hier habe ich nie gut ausgesehen, diesmal aber ist alles normal gelaufen.
Normalerweise reichen +3 zum zweiten Platz, dieses Jahr aber, wer weiß warum,
eben nur zum vierten.
Yuri Vasiliev: Als Nachziehender
wählen Sie immer Russisch gegen 1.e4, womit man auf diesem Niveau nicht mehr als
Remis erreicht. Warum kämpfen Sie nicht mit Schwarz? Bei Ihrer Klasse...
Vladimir Kramnik: Mein Eröffnungsrepertoire
ist auf Einzelduelle ausgelegt: Kompakt, solide. Und in derartigen langen
Turnieren wie diesem habe ich gewisse Probleme, weil es mir mit Schwarz schwer
fällt, auf Gewinn zu spielen. Mein Repertoire ist eben so; klassisch, für
Matches.
Yuri Vasiliev: Aber ich weiß noch sehr
gut, wie Sie mit Sveshnikov eine schöne Partie gegen Leko gewonnen haben, und
auch, als es nötig war, einmal einen messerscharfen Benoni auspackten. Sie
können also, wenn Sie wollen. Die Partie mit Schwarz so anzulegen, ist natürlich
immer mit Gefahren verbunden. Wollten Sie hier nichts riskieren?
Vladimir Kramnik: Manchmal läuft es bei mir
auch mit Schwarz, aber das ist eher die Ausnahme. Im allgemeinen kann ich nur
als Anziehender mit einem Sieg rechnen, und daher ist es für mich wichtig, eine
Weißpartie mehr zu haben. Diesmal hatte ich kein Glück, im Gegenteil, denn ich
hatte eine Schwarzpartie mehr.
Yuri Vasiliev: Auf dieses Losglück
habe ich ehrlich gesagt noch nie geachtet. Dann waren Sie von Anfang an im
Nachteil?
Vladimir Kramnik: Ja, es ist das dritte Mal
in Folge, dass ich in Wijk aan Zee einmal mehr Schwarz habe... Für diejenigen
mit einem aggressiven Schwarzrepertoire ist das nicht so wichtig, aber für mich,
mit meinem klassischen Repertoire, schon. Bei meinem Spiel ist es ganz
entscheidend, ob ich Weiß oder Schwarz habe. Und mit Weiß habe ich kein übles
Ergebnis gemacht: drei Siege und drei Remis.
Yuri Vasiliev: Wer ist Ihnen von der
Schippe gesprungen?
Vladimir Kramnik: Navara habe ich entwischen
lassen. Dies war der halbe Punkt, der mir zum ersten Platz fehlte. Den hätte ich
mitnehmen sollen...
Kramnik gegen Navara
Yuri Vasiliev: Und gegen Radjabov
hatten Sie einen Mehrbauern. In der Stellung, als Sie Remis anboten, hätten Sie
weiterspielen können.
Vladimir Kramnik: Mir gefiel meine Stellung
nicht. Ich hätte lieber mit Schwarz gespielt.
Yuri Vasiliev: Liefen Ihren
Schwarzpartien auch alle so glatt? Hat niemand versucht, Ihre Solidität auf die
Probe zu stellen?
Vladimir Kramnik: Ja, ich habe nichts
Besonderes bemerkt. Als Nachziehender hat man Gewinnchancen, wenn jemand um
jeden Preis gewinnen will, und hier hat nur Topalov versucht, mir ernste
Probleme zu stellen, als ich Schwarz hatte.
Yuri Vasiliev: Hat Sie die feinselige
Atmosphäre bei dieser Partie nicht beeinträchtigt?
Vladimir Kramnik: Ich hege keine besondere
Aversion ihm gegenüber. Er ist er, und ich bin ich.
Yuri Vasiliev: Aber Sie haben sich
nicht wie üblich die Hand gegeben; das Remis wurde auf ziemlich ungewöhnliche
Weise vereinbart...
Vladimir Kramnik: Nach allem, was er über
mich gesagt hat, verspürte ich keinerlei Lust, ihm die Hand zu geben... Und was
das andere angeht, in der Stellung, die wir erreichten, war das Remis
offensichtlich und ein Angebot überflüssig.
Yuri Vasiliev: Hat Sie Topalov in
dieser Partie unter Druck gesetzt?
Vladimir Kramnik: Nach der Eröffnung stand
ich schlechter, deutlich schlechter. Das ist gegen ihn schwer zu vermeiden. Ich
hatte eine sehr unangenehme Stellung. Aber dann fing er an, etwas primitiv zu
spielen. Ich hatte keinerlei Mühe, alle seine Züge vorauszusehen. Er stellte mir
keine besonderen Probleme. Ich glaube, wenn ich diese Stellung mit Weiß gehabt
hätte, hätte ich ihn lange quälen können... In punkto Eröffnungsvorbereitung ist
Topalov im Augenblick zweifellos allen anderen in der Welt voraus. Ich weiß
nicht, ob er selbst so viel arbeitet, ob er eine ganze Brigade von Leuten hat,
die für ihn analysiert, oder woran es sonst liegen kann, aber in dieser Hinsicht
ist er der Beste der Welt. Die Mehrzahl seiner Siege hier errang er, weil seine
Gegner mit sehr starken Neuerungen torpediert wurden. Sein Spiel selbst hat mich
im Großen und Ganzen absolut nicht beeindruckt.
Yuri Vasiliev: Welcher Teilnehmer hat
Ihnen am besten gefallen?
Kramnik gegen. Radjabov
Vladimir Kramnik: Radjabov hat sich stark
verbessert. Ich hatte lange nicht gegen ihn gespielt; jetzt aber habe ich
gespürt, wie sehr er als Schachspieler gewachsen ist. Er spielt auf einem Niveau
von Elo 2750, was er vielleicht bald auch selbst erreichen wird. Ich glaube,
dass er bereits zu den fünf bis sieben Stärksten der Welt gehört. Aronian war
immer schon ein Riese.
Yuri Vasiliev: Ich habe gelesen, Sie
hätten gegenüber FIDE-Präsident Kirsan Iliumzhinov den Wunsch geäußert, an der
Weltmeisterschaft in Mexiko Stadt teilzunehmen; Sie selbst aber haben noch
nirgendwo erklärt, dass Sie spielen werden.
Vladimir Kramnik: Niemand hat mich direkt
gefragt, und deshalb habe ich noch nichts gesagt.
Yuri Vasiliev: Fühlen Sie sich
gefragt.
Vladimir Kramnik: Ich werde in Mexiko
spielen. Und meine Einstellung dort wird eine ganz andere sein als hier in Wijk
aan Zee. Dort werde ich EINZIG UND ALLEIN um den ersten Platz kämpfen.
Yuri Vasiliev: Haben Sie von dem
Beschluss des FIDE-Vorstands in Antalya gehört, Ihnen, falls Sie im Turnier von
Mexiko nicht gewinnen, das Recht auf einen Rückkampf gegen den Sieger
einzuräumen?
Vladimir Kramnik: Ich persönlich habe nichts
in dieser Hinsicht gehört. Mein Manager, der sich dort befindet, hat mir gesagt,
dass diesbezüglich noch keine konkrete Entscheidung getroffen wurde und man dies
Ende Februar/Anfang März beschließen wird. Dies ist vielleicht eine der
Versionen, die derzeit zirkulieren.
Kramnik mit seinem Manager Carsten Hensel
Yuri Vasiliev: War dies nicht eine
Ihrer Bedingungen für die Teilnahme in Mexico 2007?
Vladimir Kramnik: Nein. Ich werde auf jeden
Fall in Mexiko spielen, unabhängig davon, welche Entscheidung bezüglich des
Weltmeisterschaftsmodus getroffen wird.
Yuri Vasiliev: Was sind Ihre nächsten
Pläne?
Vladimir Kramnik: Ich freue mich auf die
nächsten Monate, weil ich hoffe , mich endlich zu erholen. Dazu bin ich nämlich
leider bis jetzt vor lauter Arbeit nicht gekommen. Aber die nächsten Monate
werden nicht so stressig. Mir fehlt Energie, um so lange Turniere wie das in
Wijk aan Zee durchzustehen. Im März trete ich in Monaco an, dann spiele ich in
Ungarn ein Schnellschachmatch gegen Leko und im Juni das Superturnier von
Dortmund. Das heißt, bis Juni habe ich ein entspanntes Programm. Da die
wichtigste Veranstaltung im Herbst sein wird, in Mexiko, wird der erste Teil der
Vorbereitung darin bestehen, mich vollständig zu erholen. Im Sommer werde ich
anfangen, ernsthaft zu arbeiten, denn ich habe u.a. vor, die Weltmeisterschaft
in Mexiko zu gewinnen.
Kramnik in Bonn bei seinem Match gegen Deep Fritz 10
Yuri Vasiliev: In Bonn habe ich Sie
nach Ihrer Hochzeit gefragt, und Sie haben mir geantwortet: “Ich bin Junggeselle
”. Wenig später gaben Sie dann Ihre Eheschließung bekannt.
Vladimir Kramnik: In Bonn habe ich die
Wahrheit gesagt: in dem Moment war ich ja auch noch Junggeselle. Natürlich würde
die Öffentlichkeit früher oder später von der Hochzeit erfahren, aber ich wollte
bei einer streng privaten Feier keine Horde von Fotografen dabei haben.
Yuri Vasiliev: Wer ist denn die
Glückliche? Das Mädchen, mit dem Sie am Ufer des Sees von Ascona spazieren
gegangen sind, vor der entscheidenden Partie in Ihrem Match gegen Leko?
Vladimir Kramnik: Ja. Sie heißt Marie-Laure;
eine Journalistin von der Zeitung “Le Figaro”.
Vladimir und Marie-Laure
Yuri Vasiliev: Wo leben Sie? Offenbar
nicht in einem Millionärsapartment, das haben Sie ja damals nach dem Treffen in
Bonn so kategorisch abgestritten. Und ich will ja auch gar nicht wissen, wieviel
es kostet, dennoch die Frage, wohnen Sie in Paris?
Vladimir Kramnik: Ja. Es ist eine ziemlich
bescheidene Wohnung im Zentrum von Paris.
Yuri Vasiliev: Wer kocht? Oder gehen
Sie lieber in Restaurants?
Vladimir Kramnik: Sie kocht natürlich. Ich
kann das nämlich gar nicht. Und es schmeckt mir bei ihr. Aber sie ist ein
ziemlich beschäftigter Mensch, und wenn sie keine Zeit hat, gehen wir eben
irgendwo essen.