Interview mit Vladimir Kramnik

von ChessBase
15.02.2007 – Im Anschluss an das Corus-Turnier in Wijk erschien Ende Januar (30.1.) im russischen Sport-Express ein Interview von Yuri Vasillievich mit Vladimir Kramnik. Der Weltmeister bewertet dort sein Turnierergebnis positiv, räumt aber ein, dass sein Repertoire, besonders mit den schwarzen Steinen zu sehr auf Wettkampf ausgelegt sei. Neben Aronian habe ihn besonders Radjabov beeindruckt. Beim WM-Turnier in Mexiko werde er teilnehmen und dort bedingungslos auf Turniersieg spielen. Originalartikel bei Sport Express (russ.)....Übersetzung...

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Interview mit Vladimir Kramnik



Weltmeister Vladimir Kramnik

Yuri Vasiliev: Sind Sie enttäuscht, weil Sie nur ein halber Punkt vom Siegertrio getrennt hat?

Vladimir Kramnik: Eigentlich nicht... ich habe mich in diesem Turnier nicht sonderlich angestrengt. Ich war nicht sehr motiviert: Es ist ja nicht die Weltmeisterschaft. Wenn ich mehr Energie besäße, hätte ich diesen halben Punkt  sicher irgendwo eingefahren. Ich würde über meine Leistung nicht in Jubel ausbrechen, aber zufrieden bin ich schon. Ich habe Elopunkte gewonnen und ganz anständig gespielt.

Yuri Vasiliev: Sie haben mal gesagt, dass Sie Wijk aan Zee nicht mögen, weil Sie hier immer unglücklich spielen. Warum haben Sie dann die Einladung angenommen?

Vladimir Kramnik: Es ist ja nicht so, dass mir Wijk aan Zee nicht gefällt; es ist einfach nicht mein Turnier. Im Ernst, hier habe ich nie gut ausgesehen, diesmal aber ist alles normal gelaufen. Normalerweise reichen +3 zum zweiten Platz, dieses Jahr aber, wer weiß warum, eben nur zum vierten.

Yuri Vasiliev: Als Nachziehender wählen Sie immer Russisch gegen 1.e4, womit man auf diesem Niveau nicht mehr als Remis erreicht. Warum kämpfen Sie nicht mit Schwarz? Bei Ihrer Klasse...

Vladimir Kramnik: Mein Eröffnungsrepertoire ist auf Einzelduelle ausgelegt: Kompakt, solide. Und in derartigen langen Turnieren wie diesem habe ich gewisse Probleme, weil es mir mit Schwarz schwer fällt, auf Gewinn zu spielen. Mein Repertoire ist eben so; klassisch, für Matches.

Yuri Vasiliev: Aber ich weiß noch sehr gut, wie Sie mit Sveshnikov eine schöne Partie gegen Leko gewonnen haben, und auch, als es nötig war, einmal einen messerscharfen Benoni auspackten. Sie können also, wenn Sie wollen. Die Partie mit Schwarz so anzulegen, ist natürlich immer mit Gefahren verbunden. Wollten Sie hier nichts riskieren?

Vladimir Kramnik: Manchmal läuft es bei mir auch mit Schwarz, aber das ist eher die Ausnahme. Im allgemeinen kann ich nur als Anziehender mit einem Sieg rechnen, und daher ist es für mich wichtig, eine Weißpartie mehr zu haben. Diesmal hatte ich kein Glück, im Gegenteil, denn ich hatte eine Schwarzpartie mehr.

Yuri Vasiliev: Auf dieses Losglück habe ich ehrlich gesagt noch nie geachtet. Dann waren Sie von Anfang an im Nachteil?

Vladimir Kramnik: Ja, es ist das dritte Mal in Folge, dass ich in Wijk aan Zee einmal mehr Schwarz habe... Für diejenigen mit einem aggressiven Schwarzrepertoire ist das nicht so wichtig, aber für mich, mit meinem klassischen Repertoire, schon. Bei meinem Spiel ist es ganz entscheidend, ob ich Weiß oder Schwarz habe. Und mit Weiß habe ich kein übles Ergebnis gemacht: drei Siege und drei Remis.

Yuri Vasiliev: Wer ist Ihnen von der Schippe gesprungen?

Vladimir Kramnik: Navara habe ich entwischen lassen. Dies war der halbe Punkt, der mir zum ersten Platz fehlte. Den hätte ich mitnehmen sollen...


Kramnik gegen Navara

Yuri Vasiliev: Und gegen Radjabov hatten Sie einen Mehrbauern. In der Stellung, als Sie Remis anboten, hätten Sie weiterspielen können.

Vladimir Kramnik: Mir gefiel meine Stellung nicht. Ich hätte lieber mit Schwarz gespielt.

Yuri Vasiliev: Liefen Ihren Schwarzpartien auch alle so glatt? Hat niemand versucht, Ihre Solidität auf die Probe zu stellen?

Vladimir Kramnik: Ja, ich habe nichts Besonderes bemerkt. Als Nachziehender hat man Gewinnchancen, wenn jemand um jeden Preis gewinnen will, und hier hat nur Topalov versucht, mir ernste Probleme zu stellen, als ich Schwarz hatte.

Yuri Vasiliev: Hat Sie die feinselige Atmosphäre bei dieser Partie nicht beeinträchtigt?

Vladimir Kramnik: Ich hege keine besondere Aversion ihm gegenüber. Er ist er, und ich bin ich.

Yuri Vasiliev: Aber Sie haben sich nicht wie üblich die Hand gegeben; das Remis wurde auf ziemlich ungewöhnliche Weise vereinbart...

Vladimir Kramnik: Nach allem, was er über mich gesagt hat, verspürte ich keinerlei Lust, ihm die Hand zu geben... Und was das andere angeht, in der Stellung, die wir erreichten, war das Remis offensichtlich und ein Angebot überflüssig.

Yuri Vasiliev: Hat Sie Topalov in dieser Partie unter Druck gesetzt?

Vladimir Kramnik: Nach der Eröffnung stand ich schlechter, deutlich schlechter. Das ist gegen ihn schwer zu vermeiden. Ich hatte eine sehr unangenehme Stellung. Aber dann fing er an, etwas primitiv zu spielen. Ich hatte keinerlei Mühe, alle seine Züge vorauszusehen. Er stellte mir keine besonderen Probleme. Ich glaube, wenn ich diese Stellung mit Weiß gehabt hätte, hätte ich ihn lange quälen können... In punkto Eröffnungsvorbereitung ist Topalov im Augenblick zweifellos allen anderen in der Welt voraus. Ich weiß nicht, ob er selbst so viel arbeitet, ob er eine ganze Brigade von Leuten hat, die für ihn analysiert, oder woran es sonst liegen kann, aber in dieser Hinsicht ist er der Beste der Welt. Die Mehrzahl seiner Siege hier errang er, weil seine Gegner mit sehr starken Neuerungen torpediert wurden. Sein Spiel selbst hat mich im Großen und Ganzen absolut nicht beeindruckt.

Yuri Vasiliev: Welcher Teilnehmer hat Ihnen am besten gefallen?


Kramnik gegen. Radjabov

Vladimir Kramnik: Radjabov hat sich stark verbessert. Ich hatte lange nicht gegen ihn gespielt; jetzt aber habe ich gespürt, wie sehr er als Schachspieler gewachsen ist. Er spielt auf einem Niveau von Elo 2750, was er vielleicht bald auch selbst erreichen wird. Ich glaube, dass er bereits zu den fünf bis sieben Stärksten der Welt gehört. Aronian war immer schon ein Riese.

Yuri Vasiliev: Ich habe gelesen, Sie hätten gegenüber FIDE-Präsident Kirsan Iliumzhinov den Wunsch geäußert, an der Weltmeisterschaft in Mexiko Stadt teilzunehmen; Sie selbst aber haben noch nirgendwo erklärt, dass Sie spielen werden.

Vladimir Kramnik: Niemand hat mich direkt gefragt, und deshalb habe ich noch nichts gesagt.

Yuri Vasiliev: Fühlen Sie sich gefragt.

Vladimir Kramnik: Ich werde in Mexiko spielen. Und meine Einstellung dort wird eine ganz andere sein als hier in Wijk aan Zee. Dort werde ich EINZIG UND ALLEIN um den ersten Platz kämpfen.

Yuri Vasiliev: Haben Sie von dem Beschluss des FIDE-Vorstands in Antalya gehört, Ihnen, falls Sie im Turnier von Mexiko nicht gewinnen, das Recht auf einen Rückkampf gegen den Sieger einzuräumen?

Vladimir Kramnik: Ich persönlich habe nichts in dieser Hinsicht gehört. Mein Manager, der sich dort befindet, hat mir gesagt, dass diesbezüglich noch keine konkrete Entscheidung getroffen wurde und man dies Ende Februar/Anfang März beschließen wird. Dies ist vielleicht eine der Versionen, die derzeit zirkulieren.


Kramnik mit seinem Manager Carsten Hensel

Yuri Vasiliev: War dies nicht eine Ihrer Bedingungen für die Teilnahme in Mexico 2007?

Vladimir Kramnik: Nein. Ich werde auf jeden Fall in Mexiko spielen, unabhängig davon, welche Entscheidung bezüglich des Weltmeisterschaftsmodus getroffen wird.

Yuri Vasiliev: Was sind Ihre nächsten Pläne?

Vladimir Kramnik: Ich freue mich auf die nächsten Monate, weil ich hoffe , mich endlich zu erholen. Dazu bin ich nämlich leider bis jetzt vor lauter Arbeit nicht gekommen. Aber die nächsten Monate werden nicht so stressig. Mir fehlt Energie, um so lange Turniere wie das in Wijk aan Zee durchzustehen. Im März trete ich in  Monaco an, dann spiele ich in Ungarn ein Schnellschachmatch gegen Leko und im Juni das Superturnier von Dortmund. Das heißt, bis Juni habe ich ein entspanntes Programm. Da die wichtigste Veranstaltung im Herbst sein wird, in Mexiko, wird der erste Teil der Vorbereitung darin bestehen, mich vollständig zu erholen. Im Sommer werde ich anfangen, ernsthaft zu arbeiten, denn ich habe u.a. vor, die Weltmeisterschaft in Mexiko zu gewinnen.


Kramnik in Bonn bei seinem Match gegen Deep Fritz 10

Yuri Vasiliev: In Bonn habe ich Sie nach Ihrer Hochzeit gefragt, und Sie haben mir geantwortet: “Ich bin Junggeselle ”. Wenig später gaben Sie dann Ihre Eheschließung bekannt.

Vladimir Kramnik: In Bonn habe ich die Wahrheit gesagt: in dem Moment war ich ja auch noch Junggeselle. Natürlich würde die Öffentlichkeit früher oder später von der Hochzeit erfahren, aber ich wollte bei einer streng privaten Feier keine Horde von Fotografen dabei haben.

Yuri Vasiliev: Wer ist denn die Glückliche? Das Mädchen, mit dem Sie am Ufer des Sees von Ascona spazieren gegangen sind, vor der entscheidenden Partie in Ihrem Match gegen Leko?

Vladimir Kramnik: Ja. Sie heißt Marie-Laure; eine Journalistin von der Zeitung “Le Figaro”.


Vladimir und Marie-Laure

Yuri Vasiliev: Wo leben Sie? Offenbar nicht in einem Millionärsapartment, das haben Sie ja damals nach dem Treffen in Bonn so kategorisch abgestritten. Und ich will ja auch gar nicht wissen, wieviel es kostet, dennoch die Frage, wohnen Sie in Paris?

Vladimir Kramnik: Ja. Es ist eine ziemlich bescheidene Wohnung im Zentrum von Paris.

Yuri Vasiliev: Wer kocht? Oder gehen Sie lieber in Restaurants?

Vladimir Kramnik: Sie kocht natürlich. Ich kann das nämlich gar nicht. Und es schmeckt mir bei ihr. Aber sie ist ein ziemlich beschäftigter Mensch, und wenn sie keine Zeit hat, gehen wir eben irgendwo essen.

 

 

 

 

 

 


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