Jon Speelman: Das Kandidatenturnier nach Runde sechs

von ChessBase
18.03.2016 – Nach sechs von 14 Runden liegen L. Aronian und S. Karjakin beim Kandidatenturnier 2016 mit 4.0/6 an der Spitze. Einen halben Punkt dahinter folgt V. Anand, F. Caruana und A. Giri liegen mit einem weiteren halben Punkt Rückstand mit 3.0/6 in Lauerstellung. Aber haben Karjakin und Aronian ihre Nerven im Griff? Und läuft ein Spieler zu großer Form auf? Mehr...

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Stand nach sechs Runden

Das Bündel von drei Partien, der Runden vier bis sechs, die zwischen den beiden Ruhetagen gespielt wurden, klärte die Lage beim Kandidatenturnier in Moskau ein wenig, aber warf auch eine Reihe von Fragen auf. Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass Peter Svidler, Hikaru Nakamura und Veselin Topalov, die drei Spieler am Tabellenende, schlecht in Form sind und das Turnier wahrscheinlich nicht gewinnen werden. Keiner von ihnen konnte bislang auch nur eine Partie gewinnen.

Svidler hat bis zum Debakel gegen Anand in Runde sechs im Großen und Ganzen gut gespielt, aber konnte nie überzeugen, wenn es darum ging, auf Gewinn zu spielen; Topalovs Zug 3.h4!? gegen Giri in Runde war wunderbar, aber atmete auch den Hauch der Verzweiflung und tatsächlich verbrachte Topalov den größten Teil der Partie in der Defensive; und Nakamura unterliefen zwei schreckliche Fehler.

29...Sxg3?? gegen Sergey Karjakin war schlimm genug, aber das Berührt-Geführt-Wirrwarr in Runde sechs gegen Aronian, als Nakamura eindeutig 74...Kf8?? ziehen wollte, und nicht erkannt hatte, dass der weiße Turm auf d6 das Turmschach des Schwarzen auf a6 parieren konnte, zeigt, dass Nakamura von seiner Normalform weit entfernt ist.

Wirkt nervös: Hikaru Nakamura

L. Aronian - H. Nakamura, Stellung vor 74...Kf8??

S. Karjakin - H. Nakamura, Stellung vor 29...Nxg3??

V. Topalov - A. Giri, Stellung nach 3.h4!?
Topalov muss das Ruder herumreißen und griff gegen Giri mit 3.h4
zur Brechstange. Aber dieses Konzept hätte leicht nach hinten
losgehen können, denn Giri verteidigte sich ausgezeichnet, und hoffte nach der Partie
"auch in Zukunft auf Kreativität meiner Gegner."

Weniger klar liegen die Dinge in der oberen Tabellenhälfte, vor allem in Bezug auf die in Lauerstellung liegenden Fabiano Caruana und Giri, die bislang alle ihre sechs Partien Remis gespielt haben. In den drei Partien vor dem ersten Ruhetag hatte Karjakin die beste Form gezeigt und diesen Eindruck unterstrich er noch einmal in Runde vier, als er nach 26 vergeblichen Anläufen das erste Mal gegen Viswanathan Anand gewinnen konnte. Das war ein wichtiger Moment für ihn, dem er zwei Remis mit Schwarz gegen Topalov und Caruana folgen ließ, und dabei in beiden Partien schwierige Stellungen erfolgreich verwaltete: gegen Topalov nur für ein paar Züge, aber gegen Caruana deutlich länger. Karjakin scheint immer noch in guter Form zu sein, aber die große Frage ist, ob er auch die Führungsrolle gut ausfüllen kann.

Sergey Karjakin kam vor dem zweiten Ruhetag auf 4.0/6 und liegt so gemeinsam mit...

Aronian ist ebenfalls in guter Form. Seine Ergebnisse können sehr unterschiedlich sein, doch beim Kandidatenturnier zeigt die Kurve nach oben. Gegen Caruana griff er mit großer Zuversicht an und zeigte in einer wirklich komplizierten Stellung angemessenes Vertrauen in seine Intuition (wobei sich Caruana allerdings sehr zäh verteidigte); und Nakamura setzte er ernsthaft unter Druck, was dessen Zusammenbruch beschleunigte.

...Levon Aronian, der ebenfalls 4.0/6 hat, an der Spitze des Feldes.

Anand muss die Niederlage gegen Karjakin überrascht haben und sein Spiel in dieser Partie, vor allem 18...La6, verriet Nervosität.

S. Karjakin - V. Anand, Stellung nach 18...La6?
Anand strebt gerne Vereinfachungen an, wenn er mit Remis zufrieden,
aber würde er unter anderen Umständen, in einem
anderen Turnier, einen so negativen Zug wie  ...Ba6 spielen?

Aber eine ziemlich ruhige Partie gegen Nakamura brachte ihn wieder ins Gleichgewicht, und beim dann folgenden brutalen Sieg gegen Svidler zeigte er sich gut erholt. Svidler machte es ihm nicht allzu schwer, aber trotzdem musste Anand den Gewinnzug erst sehen und dann auch korrekt berechnen.

V. Anand - P. Svidler, Stellung vor 20.Sg5.
Die Fortsetzung 20.Sg5! gewinnt, aber
diesen Zug kann man auch übersehen.

Vishy Anand und Peter Svidler bei der Analyse der Partie in der Pressekonferenz.

Kommen wir jetzt also zu den beiden Spielern in Lauerstellung. Giri agiert bislang sehr vorsichtig und scheint es vor allem darauf anzulegen, keine Niederlage zu riskieren. Damit hat er bislang Erfolg gehabt, aber wenn er um den Turniersieg spielen will, muss er auch mal eine Partie gewinnen.

Anish Giri

Caruanas Turnier verlief viel dramatischer als das von Giri: gegen Topalov ließ er eine gute Möglichkeit aus und auch gegen Karjakin hatte er gute Chancen, obwohl diese Partie niemals einfach war. Caruana wird über seinen bisherigen Turnierverlauf enttäuscht sein, aber er hat es in jeder Partie versucht und ein kleiner Funke könnte ihn explodieren lassen.

F. Caruana - V. Topalov, Stellung vor 41.T1b5?
Es verwundert, dass Caruana hier nach der Zeitkontrolle
nicht 41.Txf6 Dxf6 42.Tb2 gespielt hat.

Natürlich haben die Spieler noch nicht einmal die Halbzeitmarke erreicht und jeder von ihnen könnte noch einen Lauf haben. Aber ich glaube, vor allem für die drei Spieler am Tabellenende wird es schwer werden, was unter anderem am der Terminierung der Ruhetage liegt. In einer ganzen Reihe von doppelrundigen Turnieren gestaltete sich der Turnierverlauf der ersten und der zweiten Turnierhälfte ganz unterschiedlich. Allerdings vor allem dann, wenn die beiden Hälften an anderen Spielorten gespielt wurden - und so tatsächlich beinahe zwei unterschiedliche Turniere waren. Ein Beispiel ist der Grand Slam 2011 in Sao Paulo und Bilbao.

Ergebnisse der ersten Turnierhälfte, die in Sao Paulo stattfand

Ergebnisse der zweiten Turnierhälfte, die in Bilbao stattfand

Das Turnier in Moskau ist allerdings eher in "fünf Fünftel" aufgeteilt. Ruhetage gibt es nach den Runden 3, 6, 9 und 12, und damit gehen die beiden Turnierhälften ohne einen Ruhetag nach der siebten Runde ineinander über. Und ich vermute, dass es dadurch psychologisch schwerer wird, das Tempo zu verändern und sich selbst davon zu überzeugen, dass man wieder bei Null anfängt. Ob das so ist, werden wir bald sehen. Dies ist jedenfalls eins dieser Turniere, die erst ganz am Ende entschieden werden könnten - phantastisch für die Zuschauer, aber mörderisch für die Spieler.

Fotos: Amruta Mokal

Über den Autor

Jonathan Speelman wurde 1956 geboren und entschied sich 1977 nach einem erfolgreichen Abschluss des Mathematikstudium am Worcester College in Oxford zu einer Laufbahn als Schachprofi. 1977 wurde er Internationaler Meister, 1980 folgte der Großmeistertitel. Von 1980 bis 2006 war er Mitglied der englischen Olympiamannschaft.

Er wurde drei Mal Britischer Meister und qualifizierte sich zwei Mal für die Kandidatenwettkämpfe, die damals noch im k.o.-System ausgetragen wurden. 1989 kam er ins Halbfinale des Kandidatenturniers, aber unterlag dort 3,5:4,5 gegen Jan Timman. 1993 arbeitete er als Sekundant von Nigel Short beim Weltmeisterschaftskampf Shorts gegen Garry Kasparov und 1995 arbeitete er als Sekundant von Viswanathan Anand be dessen WM-Kampf gegen Garry Kasparov in New York 1995.

Seit 1993 schreibt er eine wöchentliche Schachkolumne für den "Observer" und seit 1998 schreibt er für den "Independent". Speelman bietet Online-Training an, puzzelt gerne und liebt schwierige Kreuzworträtsel und Killer-Sudokus.

Für Rückfragen, Kritik, etc, benutzen Sie bitte  Jonathan Speelmans Email-Adresse.


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