Jung, hübsch, Weltmeisterin: Interview mit Hou

von ChessBase
24.09.2013 – Im Interview gibt Yifan Hou einige Geheimnisse zum jüngst beendeten Weltmeisterschaftskampf preis. So dauerte ihre Vorbereitung nicht einmal einen Monat. Der Wettkampf sei nicht so leicht gewesen, wie mancher vielleicht glauben mag. Und ob sie im nächsten Jahr an der K.o.-WM teilnehmen wird, weiß die 19-Jährige noch nicht. Den WM-Modus im Frauenschach findet sie nicht optimal. Zum Interview...

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Hou Yifan: “Der Wettkampf war nicht so leicht, wie man vielleicht glaubt.”

Das nachfolgende Interview führte Anastasiya Karlovich am Tag nach der 7. Partie des Wettkampfs um die Frauenweltmeisterschaft. Die 19-jährige Weltmeisterin Yifan Hou spricht über Vorbereitung, ihre Gegnerin Anna Ushenina, den Wettkampf, Schach und das Leben.

Im Juli, in Beijing, während des Grand Prix, hast du nicht den Eindruck gemacht, dich schon besonders intensiv auf den Wettkampf gegen Anna Ushenina vorzubereiten. War das so oder nur mein Eindruck?

Tatsächlich habe ich mit meiner Vorbereitung ein paar Tage nach meiner Rückkehr aus Tromso begonnen. Alles in allem dauerte die Vorbereitung weniger als einen Monat. Allerdings kannte ich meine Gegnerin und so konnte ich mich gezielter vorbereiten. Wir hatten nicht viel Zeit und haben deshalb neben ein paar Eröffnungen ein paar grundlegende Dinge bearbeitet.

Manche Leute behaupten, du würdest nicht versuchen, deine Gegnerinnen oder Gegner in der Eröffnung zu überspielen. Versuchst du zu zeigen, dass du im Mittel- und im Endspiel besser bist, so wie es Magnus Carlsen macht?

Carlsen ist bekanntlich im Mittel- und im Endspiel sehr stark, ja, viel stärker als die meisten anderen Spieler. Ich bin nicht so gut. Ich glaube, Eröffnungen sind wichtig, aber nicht der wichtigste Teil des Spiels. Eröffnungen bilden nur die Anfangsphase, danach kommen eben noch Mittel- und Endspiel.

Was denkst du über deine Gegnerin?

Ich halte sie für eine starke Spielerin. Wir haben früher schon ein paar Mal gegeneinander gespielt, dann aber eine ganze Weile nicht. Ich habe mir gesagt, wenn sie in einem K.O.-Turnier Weltmeisterin wird, dann ist sie eine Kämpferin und kann nicht schwach sein.

Nach ein paar Jahren Pause hattest du beim Grand Prix in Genf die Chance, wieder gegen Anna anzutreten. Du hast diese Partie verloren. Was war das für ein Gefühl? Hast du daraus bestimmte Schlüsse gezogen?

In dem Turnier habe ich nicht nur gegen sie, sondern auch gegen ein paar andere Spielerinnen verloren. Ich war nicht in Form und habe einfach schrecklich gespielt. Doch diese eine Partie hat meine Haltung zum Match nicht verändert. Natürlich hatte ich immer vor, mich ernsthaft vorzubereiten – wie auf jedes Turnier. Wenn man nicht einfach nur zum Spaß spielt, dann sollte man auf die Vorbereitung achten.

Welche Erklärung hast du für deine Ergebnisse im letzten Jahr? Hatten die in irgendeiner Weise mit dem bevorstehenden Wettkampf zu tun?

Lange Zeit war ich nicht gut in Form. Den Grund kenne ich nicht genau, aber in gewisser Weise hielt ich das für normal, denn irgendwann muss das ja einmal passieren. Man kann nicht immer gut spielen und phantastische Ergebnisse erzielen. Natürlich hätte das auch während des Wettkampfs geschehen können, aber was soll man machen? Man kann nur versuchen, sein Bestes zu geben, um sich auf das Turnier vorzubereiten. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich mich zu sehr auf das Match konzentriert und mich nicht mehr um andere Turniere gekümmert habe. Nein, meine Ergebnisse hatten nichts mit dem Wettkampf zu tun. 2011, vor dem Wettkampf gegen Koneru, habe ich gut gespielt, deshalb glaube ich, dass ich jetzt einfach eine Zeit lang schlecht in Form war.

Haben die Ergebnisse des letzten Jahres deinen Glauben an dich selbst erschüttert?

Ich bin nicht jemand, der sich von Ergebnissen besonders beeindrucken lässt, auch wenn ich das Schach ernst nehme.

Hatte diese Phase etwas damit zu tun, dass sich dein Leben verändert hat? Ich habe gehört, du hast angefangen zu studieren.

Ja, ich kann dem Schach nicht mehr so viel Aufmerksamkeit widmen wie vorher, denn ich studiere wie eine ganz gewöhnliche Studentin. Ich kann zwar mit offizieller Genehmigung frei nehmen, wenn ich an Turnieren teilnehme, aber ich muss den versäumten Stoff dann selber wieder aufholen. Das hängt allerdings auch von den Professoren ab – sind die Professoren strikt und pedantisch, kann ich nicht allzu oft fehlen.

Was war das für ein Gefühl, in Taizhou zu spielen? Was denkst du über die Spielbedingungen? Ist der Heimvorteil beim Schach genauso wichtig wie beim Fußball?

Nun, Taizhou ist nicht meine Heimatstadt. Ich wurde in Xinghua geboren, das liegt eine Autostunde von hier entfernt. Xinghua hat mindestens eine Million Einwohner und viele meiner Verwandten leben heute noch da. Im Süden Chinas ist die Luft nicht so verschmutzt, die Luft ist besser, es gibt besseres Essen, mehr Gemüse. Natürlich musste ich hier meinen Rhythmus nicht an die Zeitverschiebung anpassen und das Essen war für mich okay, aber alles in allem wurde der Wettkampf so organisiert wie jedes andere Schachturnier.

Wie hast du reagiert, als du gehört hast, dass Korobov und Khalifman Anna Ushenina während des Wettkampfs unterstützen würden?

Als ich gehört habe, wer ihre Sekundanten sind, habe ich genau wie viele andere Leute gedacht: “Wow! Ihr Team ist aber stark!” Und in dem Moment habe ich auch gedacht: “Vielleicht sollte ich die ganze Sache doch ein wenig ernster nehmen? Vielleicht sollte ich doch irgendetwas anders machen?” (lächelt) Aber nach Tromso habe ich beschlossen, mir einfach selbst einen Sekundanten zu suchen, der mir bei der Vorbereitung hilft.

Hast du damit gerechnet, dass der Wettkampf so schnell vorbei ist?

Nun, ich war auf alles vorbereitet. Ich habe auch damit gerechnet, dass der Wettkampf schwierig wird und ich ein paar unangenehme Momente erleben würde.

Kannst du verraten, welche schwierigen Momente im Wettkampf es gab?

Die erste Partie war sehr kompliziert, genau wie die fünfte Partie.

Warum hast du trotz des starken Teams von Ushenina in der fünften Partie noch einmal Keres-Angriff gespielt? War das nicht ein bisschen riskant?

Die Variante ist in Ordnung, also habe ich sie einfach wiederholt. Und man kann ja auch nie wissen, welche Überraschungen in anderen Eröffnungen und Varianten auf einen lauern, oder? (lächelt)

Wie kommt es, dass Anna drei Mal mit Weiß verloren hat? Glaubst du, sie hat die falschen Eröffnungen gespielt?

In den ersten beiden dieser Partien hat sie Nimzo-Indisch gespielt, das ist meine Hauptwaffe mit Schwarz. Doch sie hat diese Partien nicht in der Eröffnung verloren, sondern später. In der dritten Partie unterlief ihr allerdings schon in der Eröffnung ein offensichtlicher Fehler.

Bist du zufrieden mit der Qualität deines Spiels in diesem Wettkampf?

Die Qualität meines Spiels war okay, aber natürlich nicht perfekt. Ich habe keine groben Fehler gemacht und nichts eingestellt, aber manchmal habe ich auch ungenau gespielt. In den erwähnten Partien stand ich schlechter, und ich glaube, das lag an meinem ungenauen Spiel.

Jetzt hast du schon zwei WM-Kämpfe gewonnen – einen in Tirana gegen Humpy Koneru und gestern den gegen Ushenina. Lassen sich diese beiden Wettkämpfe vergleichen?

Vor zwei Jahren war ich glücklich, genau wie jetzt, denn ich freue mich immer, wenn ich wichtige Turniere oder Wettkämpfe gewinne. Das Match in Tirana war schwieriger für mich. Gegen Koneru stand ich in der ersten Hälfte des Wettkampfs in mehr als einer Partie schlechter und musste wirklich kämpfen. Der Wettkampf gegen Ushenina verlief einseitiger. Doch zugleich war dieser Wettkampf nicht so leicht, wie man vielleicht glaubt, wenn man nur das Ergebnis kennt. In Tirana gegen Koneru hatte ich im Vergleich zu diesem Wettkampf mehr Probleme in der Eröffnung, aber trotzdem kann man nicht einfach sagen, dass ich mich besser auf den Wettkampf gegen Ushenina vorbereitet habe.

In Tirana hattest du gesundheitliche Probleme. Kamen die unerklärlichen Magenschmerzen denn jemals wieder?

Manchmal werde ich bei Turnieren krank. Bei diesem Wettkampf war alles okay, aber ein paar Tage vor Beginn des Turniers hatte ich Probleme und musste vier oder fünf Tage lang Medikamente nehmen.

Wer hat dir dieses Mal geholfen?

Dieses Mal habe ich auf ein Team verzichtet und wie oben erwähnt habe ich kurz vor Beginn des Wettkampfs lediglich einen Sekundanten angeheuert. Wie du vielleicht weißt, ist GM Ye Jiangchuan der Cheftrainer der chinesischen Mannschaft, und wenn er Zeit hatte, dann hat er mir ein wenig geholfen, aber meistens musste er jede Menge anderer Dinge erledigen. Deshalb habe ich schließlich selber einen Sekundanten angeheuert. Und viele Freunde in der ganzen Welt haben mich mit schachlichen Ratschlägen oder auf andere Weise unterstützt. Sie haben mich angefeuert und dafür bin ich ihnen sehr dankbar!

Wie hast du mental auf die Partien und den Wettkampf vorbereitet?

Natürlich war dieser Wettkampf wichtig für mich, aber er ist nicht das Wichtigste in meinem Leben. Mir ist es wichtiger, gesund und glücklich zu sein. Für mich sind Gesundheit und Glück immer eine “1”. Erfolge, Siege sind “Nullen”. Diese Nullen hänge ich jetzt an die “1” dran. Das ergibt je nach Tag und Lage 10, 1000 oder 10000, aber ohne die “1” kommt nichts dabei heraus. Ich glaube, meine Einstellung hat mir geholfen, das Match zu genießen und mich gut zu fühlen. Ich versuche keine Tragödie daraus zu machen, wenn ich eine Partie verliere. Bis zum definitiven Ende des Wettkampfs habe ich mich immer nur auf die nächste Partie konzentriert. Wenn man gewinnt, ist das kein Grund, völlig aus dem Häuschen zu sein, und auch wenn man verliert, ist das nicht das Ende der Welt.

Aber wenn du den Wettkampf verloren hättest?

Ja, das habe ich mir vor dem Wettkampf überlegt und für mich waren beide Möglichkeiten, Sieg oder Niederlage, akzeptabel. Ich weiß, dass viele Leute dazu beigetragen haben, diesen Wettkampf möglich zu machen, und ich bin dem Land und den Organisatoren dankbar, aber trotzdem hätte alles dabei herauskommen können. Ich habe einfach versucht, mein Bestes zu geben und optimistisch zu bleiben.

Was bedeutet dieser Titel für dich? Wie wichtig ist es für dich, nach neuneinhalb Monaten Unterbrechung wieder Frauenweltmeisterin zu sein?

Ich freue mich, den Titel wieder erobert zu haben und Frauenweltmeisterin zu sein. Letztes Jahr waren meine Ergebnisse nicht besonders gut, und ich hoffe, das zeigt, dass ich meine Formkrise allmählich überwunden habe.

Hast du das Gefühl, du bist die stärkste Spielerin bei den Frauen?

Nein, das Gefühl habe ich nicht. Zwischen mir und den anderen Spielerinnen gibt es keine ausgeprägten Spielstärkeunterschiede. Es gibt eine Reihe starker Spielerinnen, die mehr als 2500 Elo haben und gegen manche von ihnen habe ich ein insgesamt positives Ergebnis, gegen andere ist das Ergebnis ausgeglichen. Allerdings gibt es unter den Frauen keine Gegnerin, gegen die ich Schwierigkeiten habe.

Stört es dich, dass du deinen Titel in der nächsten Weltmeisterschaft nach K.O.-Modus wieder verlieren kannst, wie es in Khanty-Mansiysk passiert ist?

Ich weiß noch gar nicht, ob ich da spiele oder nicht, ich habe noch keinen klaren Zeitplan für nächstes Jahr. Du weißt vielleicht, dass ich eigentlich gar nicht an der K.O.-WM teilnehmen wollte, aber schließlich doch gespielt habe. Ich weiß nicht genau, welches WM-Format man beim Frauenschach anwenden sollte, aber Vergleiche mit dem Format bei den Männern bieten sich an. Ich glaube, dass die Organisation des gesamten WM-Zyklus bei den Männern vernünftiger und fairer ist. Ich würde mich freuen, wenn die FIDE dieses System auch im Frauenschach einführt.

Du bist jung, hübsch und Frauenweltmeisterin! Wie würdest du dein Leben im Moment beschreiben?

Ich habe noch viel vor mir und viele Jahre Zeit, um fast alles zu tun, was ich mir wünsche. Im Moment ist die Zeit gekommen, zu sehen, wie es im Schach, im Studium und in anderen Bereichen des Lebens weitergeht. Ich möchte mein Leben bereichern. Das Leben ist wunderbar!

Quelle: FIDE

 


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