Rostow Senioren-Europameister - Deutschland ohne Medaille
Von
Dagobert Kohlmeyer
Bei der Team-Europameisterschaft der Schach-Senioren in Dresden belegten Rostow
am Don, Moskau und Odessa die ersten drei Plätze. Die deutsche Mannschaft blieb
diesmal ohne Edelmetall und wurde Sechster. 52 Teams aus 12 Nationen kämpften
neun Tage lang im Ramada Hotel - das war Teilnehmerrekord. Bei Halbzeit lag
Titelverteidiger Moskauer mit 10:0 Mannschaftspunkten vorn, dann gab es wieder
einen Führungswechsel. Am sechsten Spieltag verlor der Spitzenreiter gegen Rostow
am Don mit 1,5:2,5 und kassierte damit seine einzige Niederlage im Turnier.
Die Großmeister aus Rostow übernahmen mit 11:1 Mannschaftspunkten die Tabellenführung
vor Katalonien und Moskau (je 10:2) und gaben sie bis zum Ende nicht mehr ab.
Nicht nur die sieggewohnten Moskauer mussten in dieser Runde Federn lassen,
auch Deutschland verlor gegen die Katalanen sein erstes Match. Zum tragischen
Helden des Quartetts wurde Wolfgang Uhlmann, der am ersten Brett mit den weißen
Steinen agierte. Gegen den starken Großmeister Vargas Rodriguez, der bis dahin
alle seine Partien gewonnen hatte, entwickelte sich in einem Damengambit ein
Kampf auf Biegen und Brechen.
Vargas Rodriguez - Bester Einzelspieler der Senioren Europameisterschaft
Mit unglücklichem Ausgang für das Dresdner Schachidol. Uhlmann hatte im Spielverlauf
den feindlichen König völlig bloßgelegt, übersah aber in Zeitnot nach 34 Zügen
die Gewinnforstsetzung. Mit einer Figur weniger und das eigene Matt vor Augen
gab er die Partie verloren.
Wolfgang Uhlmann
Dabei hätte der Dresdner den Kampf mit einem kraftvollen Läuferopfer schnell
zu seinen Gunsten entscheiden können. "Ich war müde und hatte am Ende einen
Blackout", kommentierte der Lokalmatador das Ergebnis der Partie. Nach Uhlmanns
vermeidbarer Niederlage spielte Burkhard Malich in Remisstellung mit Gewalt
auf Gewinn und überzog seine Stellung. Klaus Klundt gewann, Hajo Hecht spielte
remis. Am Ende hieß es 2,5:1,5 für Katalonien, und Deutschland rutschte auf
den 8. Tabellenrang.
Während die Mannschaft des Gastgebers bei diesem EM-Turnier keinen Ersatzmann
hatte, brachten die meisten Teams fünf Spieler nach Dresden mit, so dass jeder
ein- oder zweimal pausieren konnte. Das dürfte die Lehre des deutschen Teams
aus dem Turnier sein. In den letzten drei Runden versuchte unser müdes Quartett
dann, wieder so weit wie möglich im Gesamtklassement nach oben zu klettern.
Hier die Schicksalspartie, die Deutschland zwei Mannschaftspunkte kostete:
W. Uhlmann - V. Rodriguez Damengambit D32
1.c4 e6 2.Sc3 d5 3.d4 c5 4.cxd5 cxd4 5.Da4+ Ld7 6.Dxd4 exd5 7.Sf3 Sc6 8.Dxd5
Sf6 9.Dd1 Lc5 10.e3 De7 11.Le2 0-0-0 12.0-0 g5 13.a3 g4 14.Sd4 De5 15.Scb5 a6
16.f4 gxf3 17.Sxf3 De7 18.Sbd4 Sg4 19.Dd3 Thg8 20.Ld2 Ld6 21.Tac1 Kb8 22.Txc6
Lxc6 23.Sxc6+ bxc6 24.Dxa6 Lc5 25.Sd4 Se5 26.g3 h5 27.Tf5 Tg6 28.Lxh5 Th6 29.Lc3
Td5 30.Le2 Sc4 31.Tf3 Sxe3 32.Sxc6+ Txc6 33.Dxc6 Sg4+ 34.Kh1 Dxe2
In dieser Situation gab Wolfgang Uhlmann das Spiel auf. Er hatte nur noch wenige
Sekunden auf der Uhr. Weiß ist materiell im Nachteil, und Schwarz droht Matt
auf h2. Aber
35.Le5+! gewinnt leicht, denn nun wird der Weg für den Turm
frei und es ist Weiß, der den Gegner mattsetzen kann.
0-1
Partie zum Nachspielen...
Wolfgang Uhlmann mit Ehefrau Christine
Zwei Runden vor Abschluss der Senioren-EM festigte die Mannschaft aus Rostow
am Don ihre Führung. Das Team um Großmeister Vitali Zeschkowski gewann gegen
Katalanien klar mit 3,5:0,5 und hatte jetzt 13:1 Mannschaftspunkte. Am Spitzenbrett
trennten sich Zeschkowski und Rodriguez remis, alle anderen Partien entschieden
die Russen für sich. Zweiter blieb Moskau (12:2), das gegen die Sportfreunde
Katernberg mit 3:1 erfolgreich war.
Glückwünsche für Vitali Zeschkowski (links)
Eine Überraschung gelang dem Team aus Niedersachsen, das gegen die starke Mannschaft
VIS Odessa 2:2 spielte. Am ersten Brett gewann Professor Clemens gegen Großmeister
Jakow Murey, nachdem dieser ein Remisangebot abgelehnt hatte. "Als Neurologe
weiß er, wie man mit einem nervlich angeschlagenen Gegner umgehen muss", lautete
der lakonische Kommentar von Turnierleiter Gerhardt Schmidt.
Jakow Murey
Das deutsche Team machte durch einem 3:1-Sieg gegen die Berliner Auswahl wertvollen
Boden gut und verbesserte sich auf den vierten Tabellenrang. Wolfgang Uhlmann
bezwang Peter Rahls in einer kämpferischen Partie, Klaus Klundt gewann ebenfalls,
während Hajo Hecht und Burkhard Malich remis spielten. Eine Medaille war für
die deutsche Mannschaft jetzt wieder in Reichweite. Allerdings musste sie tags
darauf gegen Moskau antreten, das seine Ambitionen auf den Turniersieg noch
nicht aufgegeben hatte. Hinter dem Führungsduo gab es ein großes Gedränge, wie
die Tabelle zeigt. Am Ende würden neben den Mannschaftspunkten sicher die Brettpunkte
entscheiden.
Spitze nach 7 Runden: 1. Stiller Don Rostow 13 :1 (22,0 Brettpunkte), 2. Central
Moskau 12:2 (17,5), 3. Odessa 10:4, (19,0), 4. Deutschland 10:4 (18,5), 5. Schweiz
10:4 (17,0), 6.
Einen Tag später stand das Team aus Rostow am Don schon vorzeitig als Sieger
fest. Nach einem 3:1-Erfolg gegen die Auswahl Niedersachsens hatten die russischen
Großmeister 15:1 Mannschaftspunkte auf ihrem Konto und konnten von keinem anderen
Team mehr überholt werden. Mit 25 Zählern in der Brettwertung hielt das Quartett
"Stiller Don" auch in dieser Hinsicht die Bestmarke.
Das Siegerteam
Aber Niedersachsens Spitzenbrett Professor Christian Clemens bezwang den früheren
Weltklasse-Spieler Vitali Zeschkowski und eroberte damit seinen nächsten Großmeisterskalp.
Respekt!
Die deutsche Mannschaft hatte Titelverteidiger Moskau zum Gegner und erreichte
ein 2:2- Unentschieden. Alle vier Spiele im Ramada Hotel endeten friedlich.
Die Gäste aus der russischen Hauptstadt hatten während des Matchs schon früh
Remis an allen Brettern angeboten, doch das deutsche Team lehnte die Offerte
ab und kämpfte die Partien voll aus. Am Ende wurden die Punkte dennoch geteilt.
Das Ergebnis gegen den Mitfavoriten ließ dem Uhlmann-Quartett mit nunmehr 11:5
Mannschaftspunkten nur noch eine minimale Chance auf Bronze, für den Fall, dass
die Konkurrenz schwächeln würde.
Mit 13:3 Punkten hatte das Moskauer Team die besten Aussichten auf die Silbermedaille.
Dahinter folgten mit je 12:4 Punkten Odessa, das Katalonien 3:1 bezwang und
die Schweiz, die Phönix Köln 2,5:1,5 schlug. Schachlegende Viktor Kortschnoi
holte bis dahin 7 Punkte aus acht Partien für die Schweiz. Die wichtigsten Paarungen
der letzten Runde lauteten: Rostow - Odessa, Moskau - St. Petersburg, Leipzig
- Schweiz und Deutschland - Köln.
Noch einmal lag Spannung über dem Ramada Hotel, als in der Schlussrunde am Wochenende
die Medaillen ausgespielt wurden. Die Rostower Mannschaft, schon vorzeitig als
neuer Titelträger feststehend, konnte sich mit einem 2:2 gegen Odessa begnügen.
Nach kurzer Zeit wurde an allen vier Brettern die Friedenspfeife geraucht. Silber
ging erwartungsgemäß an den Titelverteidiger aus Moskau, der am letzten Spieltag
St. Petersburg mit 3:1 bezwang. Bronze holte Odessa, das zwar mehr Brettpunkte
als Moskau erzielte, aber zwei Mannschaftszähler weniger. Diese gaben den Ausschlag
zugunsten der Russen.
Die drei Siegerteams
Nicht auf das Podest kam die deutsche Mannschaft, die sich mit einem 2:2 gegen
Phönix Köln aus dem Turnier verabschiedete. Mit dem 6.Platz blieb man diesmal
unter den Erwartungen. Das Quartett um den Dresdner Wolfgang Uhlmann (Sieger
2004 und 2005) ließ den Biss früherer Jahre vermissen und leistete sich gegen
schwächere Gegner wie Leipzig oder Köln vermeidbare Unentschieden. Auch Uhlmanns
Pech beim Kampf gegen Katalonien, das wir geschildert haben, verhinderte eine
bessere Platzierung. Aber es lag nicht nur an Wolfgang Uhlmann, Hajo Hecht spielte
z.B. achtmal remis, bei ihm war sicher auch mehr drin.
Erfolgreichste Einzelspieler am ersten Brett wurden die Großmeister Vargas Rodriguez
(Katalonien) mit 8,5 Punkten und Viktor Kortschnoi (Schweiz) mit 8,0 Punkten
aus neun Partien.
Viktor Kortschnoi
Ältester Teilnehmer war Robert Wade aus England, der zur Siegerehrung besonders
viel Beifall und eine Rose bekam. Er wird in Kürze 86 Jahre und spielte zum
sechsten Mal in Dresden mit: "Ich habe sieben Schacholympiaden als Aktiver für
mein Land bestritten und komme gern im nächsten Jahr wieder in Ihre schöne Stadt.
Nicht nur, um die Senioren-EM mitzuspielen, sondern auch, um die Olympiade in
Dresden zu besuchen."
Eine Rose für Bob Wade
Veranstaltungsleiter Dr. Dirk Jordan wertete das Turnier mit der Rekordbeteiligung
von 52 Teams als einen Riesenerfolg und betonte: "Die Senioren freuen sich schon
auf das nächste Jahr, wenn wir mit der 10. Team-Europameisterschaft an gleicher
Stelle ein Jubiläum feiern. Vorher erlebt die Schachmetropole Dresden mit der
Einzel-EM für Männer und Frauen in der ersten Aprilhälfte 2007 noch ein echtes
Highlight auf dem Weg zur Schacholympiade im kommenden Jahr."
Dirk Jordan
Bei der Siegerehrung (die Fotos erhielten wir netterweise vom Kollegen Klaus
Lais) gab es viele Dankesworte und Blumen für Turnierleiter Gerhardt Schmidt
und seine Gattin Helga, die das interessante Kulturprogramm für die Teilnehmer
organisierte.
Blumen für Ehepaar Schmidt
Auch Falk Sempert, die drei Schiedsrichter, die Bulletinmacher und alle anderen
Helfer haben ein dickes Lob verdient. Antje Jurke verfasste auf der Website
spritzige Rundenberichte und informierte auch über das sehr gelungene Rahmenprogramm,
wobei sie Humor und Schreibtalent zeigte. - Auf ein Neues zum Jubiläumsturnier
in Dresden!
Antje Jurke
Endstand an der Spitze: 1. Stiller Don Rostow 16:2 Mannschaftspunkte (27 Brettpunkte),
2. Central Moskau 15:3 (22,5), 3. VIS Odessa 13:5 (24,0), 4. Schweiz 13:5 (21,5),
5. Wien 12:6 (22,5), 6. Deutschland 12:6 (22,0), 7. Salzburg 12:6 (21,0), 8.
SG Leipzig 12:6 (19,5), 9.Hessen 12:6 (19,5), 10. Berlin 12:6 (18,5)
Deutschland ist in diesem Jahr Euroland, nicht nur als "Ratsherr" in Brüssel,
sondern auch bei fast allen Schach-EM. Nach der Teammeisterschaft der Senioren
folgt Anfang April die Einzel-EM in Dresden und vom 2.-10. Juni die Einzel-Senioren-Europameisterschaft
in Hockenheim. Turnierleiter Dieter Auer lud noch in Dresden dazu ein und verwies
darauf, dass die Schachakademie Hockenheim als Veranstalter ihren Namensgeber
Anatoli Karpow zum Simultan am 6. Juni gewinnen konnte. Weitere Infos über das
Turnier auf
www.euro-seniorchamp.de.vu/
Turnierleiter Dieter Auer