"Ich mag Länder mit Schachtraditionen und
qualifizierte Zuschauer“
Interview mit Weltmeister Wladimir Kramnik
Von Dagobert Kohlmeyer
Der amtierende Weltmeister hat Ende
April/Anfang Mai seine Form in Schnellschach-Matches gegen den Ungarn Peter Leko
und den Armenier Levon Aronian getestet. Einmal gewann er 4,5:3,5, einmal verlor
er 2:4. Höhepunkt des Jahres wird auch für Wladimir Kramnik das WM-Turnier in
Mexiko-City sein, wo er mit einem Sieg beweisen möchte, der Primus inter pares
zu sein. Im Gespräch mit Dagobert Kohlmeyer äußert der frisch Vermählte sich
über seine Ehe, das Schachland Ungarn, über die anstehenden Kandidatenduelle in
Elista, das Turnier in Mexiko und über die Arbeit mit dem Schachnachwuchs.
Wladimir, du bist seit Anfang des
Jahres verheiratet. Was hat sich an deinem Leben geändert?
Eigentlich wenig, weil meine Frau Marie
Laure und ich schon einige Jahre zusammen leben. Bisher habe ich sie noch nicht
aufgefordert, das Essen zu kochen oder die Wohnung sauber zu machen, auch wenn
ich das jetzt vielleicht von ihr erwarten könnte. Nein, ich bin sehr zufrieden
mit meinem persönlichen Leben. Es ist alles sehr gut, und ich denke, das hilft
mir auch im Spitzenschach. Ich bin ich in guter Form und habe auch keine
gesundheitlichen Probleme. Es ist alles bestens.
Was habt ihr nach der kirchlichen
Trauung getan?
Zum Jahresbeginn standen die Turniere in
Wijk aan Zee und Monaco an, also war keine Zeit für lange Flitterwochen. Zuvor
aber, nach der standesamtlichen Trauung, sind wir eine Woche verreist, das war
sehr schön.
Warum kam deine Frau nicht zum Match
in Miskolc mit?
Sie hätte es sehr gern getan, aber arbeitet,
wie du weißt, als Journalistin beim "Figaro“. In der heißen Phase des
französischen Wahlkampfes konnte sie Paris nicht einfach so verlassen.
In Monte Carlo hast du souverän
gewonnen, schon zum sechsten Mal, - eine tolle Serie, ähnlich wie auch in
Dortmund!
Ja, in Monaco lief es sehr gut, ich hatte
keine schlechte Form. Wie sie danach war, zeigte das Match gegen Peter Leko.
Leider hat die Form des Schachspielers die Angewohnheit, mal hoch und mal runter
zu gehen. (siehe Kramniks anschließendes Schnellschach-Ergebnis gegen Levon
Aronian – d. A.). Man kann niemals sicher sein, dass sie immer auf dem höchsten
Level ist.
Wie erfolgte deine Vorbereitung auf
das Match gegen Peter Leko?
Ich habe selbstverständlich etwas
präpariert, obwohl wenig Zeit war. Es ist nicht einfach, sich auf acht Partien
vorzubereiten, wenn man einen solchen Gegner hat, der selbst sehr viel Energie
in das Studium von Eröffnungen steckt. Natürlich hatte ich einiges in petto, wie
der Verlauf des Matchs zeigte. Zu Beginn gab es kein großes Abtasten, wir
servierten einander gleich einige Überraschungen. Vor und nach der Partie sind
wir Freunde, am Brett wird jedoch hart gekämpft.
Ein paar Worte von dir über Ungarn als
Schach-Land.
Sie haben große Traditionen. In den 70er und
80er Jahren war Ungarn die Schachnation Nr. 2, schnappte der Sowjetunion bei der
Olympiade sogar einmal die Goldmedaille weg. Vor kurzem hat Lajos Portisch
seinen 70. Geburtstag gefeiert und ein Match gegen Boris Spasski gespielt. Mit
Spasski habe ich guten Kontakt. Er war auch zu meiner Hochzeit, wir telefonieren
ab und zu miteinander.
Was unterscheidet Ungarn von Ländern,
wo das Schachspiel nicht so hoch im Kurs steht?
Einiges. Als Botschafter des Schachs mag ich
Länder mit reichen Schachtraditionen besonders. Zum einen kommen dort viele
Zuschauer zu den Schach-Events, zum anderen sind das qualifizierte Leute, nicht
nur zufällige Zaungäste. Sie sind sehr interessiert am Schach und wissen zu
schätzen, was wir Großmeister am Brett leisten. Es ist immer angenehm, wenn du
weißt, dass du mit deinem Spiel einer Menge Leute Vergnügen bereitest. Das ist
ein wichtiger Bestandteil unseres Berufs.
Highlight des Jahres wird das
WM-Turnier in Mexiko sein. Was erwartest du von ihm?
Derzeit denke ich noch nicht sehr stark
daran, weil mein Kalender bis dahin gut gefüllt ist. Zu den Schachtagen in
Dortmund bin ich Ende Juni wieder Titelverteidiger und treffe dort auf Vishy
Anand, Peter Leko oder Magnus Carlsen, also auf sehr starke Konkurrenz. Mexiko
aber wird auf jeden Fall das härteste Turnier und der Höhepunkt dieses
Schach-Jahres. Ich habe ja schon viele Erfahrungen mit so langen Wettbewerben
auf höchster Ebene gesammelt. Aber keiner kann vorher garantieren, dort zu
gewinnen. Ich denke allerdings, nicht weniger Aussichten zu haben als jeder
andere dort. Meine ernsthafte Vorbereitung auf Mexiko-City beginnt im Sommer.
Die FIDE ist dir mit ihrem Beschluss
sehr entgegen gekommen, der da lautet: Auch wenn Kramnik in Mexiko nicht
gewinnt, bekommt er als amtierender Weltmeister noch ein Match gegen den
dortigen Sieger. Keine schlechte Offerte oder?
Vorteil hin oder her, ich werde dort im
September ganz klar um den ersten Platz spielen. Das ist mein Anspruch. Denn ich
meine, dass so ein Bonus auch hinderlich sein kann. Jeder Gedanke, „es ist ja
nicht so wichtig, ganz vorn zu sein“, kann die Motivation stören. Ich bin
bestrebt, auch in Mexiko zu siegen, alles andere interessiert mich nicht. Warten
wir das Turnier einfach ab.
Du bist aber der Meinung, dass der
Schachweltmeister Privilegien haben sollte!
Nun, es gab sie schon immer in der
Schachgeschichte. Im Moment haben wir praktisch einen Übergang von der
Weltmeisterschaft in Turnierform zurück zur klassischen Ermittlung des Champions
in einem Match. Ich würde deshalb einen Wettkampf zwischen mir und dem
eventuellen Sieger von Mexiko nicht als WM-Revanchematch ansehen, das wäre
Nonsens. Im Prinzip finde ich es richtig, wie der Weltverband entschieden hat.
Ende Mai beginnen die Duelle der
WM-Kandidaten in Elista. Was meinst du, wer sich durchsetzen wird?
Es ist nicht leicht, eine Prognose zu
stellen, aber natürlich interessiert mich schon sehr, wer die Vier sind, die
sich für Mexiko qualifizieren. Alle Teilnehmer sind stark. Der Sieger zwischen
Levon Aronian und Magnus Carlsen spielt evtl. gegen Michael Adams. Das wird sehr
spannend. Wenn Peter Leko gegen Michail Gurewitsch gewinnt, dann könnte er in
der nächsten Runde auf Judit Polgar treffen. Das wäre für die Ungarn ein ganz
heißes Duell.
Aber "Gesetzte“ gibt es für dich auch
nicht.
Nein. Es gibt auch dort in der Tat für
niemanden eine Garantie. Natürlich finden wir unter den WM-Kandidaten Leute, die
eine gewisse Favoritenstellung einnehmen. So hat Peter Leko sicher keine
schlechten Chancen, sich durchzusetzen, aber ich bleibe dabei: Es wird in allen
Duellen einen großen Kampf geben.
In der Schachgeschichte gab es schon
viele WM-Kandidaten, aber nur wenige erreichten den Gipfel. Warum ist das so?
Weil der Weltmeister besondere Qualitäten
haben muss. Er ist der Primus inter pares. So fühle ich mich derzeit auch. Es
gibt eine Menge starker Schachspieler, doch nur ganz wenige, die ein WM-Duell
auch gewinnen können. Dafür braucht man eine gewisse Befähigung. Ich denke,
Peter Leko könnte so ein Spieler sein, das hat er schon 2004 in Brissago
angedeutet, wo es ganz eng zwischen uns war. Darum schließe ich nicht aus, dass
wir beide irgendwann noch ein Match austragen werden.
Dein Freund und Kollege Peter hat in
Miskolc seine Schachschule gegründet. Früher gab es in der Sowjetunion sehr
berühmte Schulen. Du selbst warst Zögling von Botwinnik und Kasparow. Wann wird
die erste Kramnik-Schule eröffnet?
Das wird dann geschehen, wenn es ein
konkretes Angebot gibt. Es muss schon eine Struktur existieren, damit ich aktiv
werden kann. Gern würde ich einer Schule meinen Namen und damit persönliche
Unterstützung geben. Peter Leko hat in Miskolc ein sehr gutes Umfeld und
engagierte Mitarbeiter gefunden. Das ist ein Glücksfall. Wenn solche
Enthusiasten auch an mich herantreten, bin ich durchaus bereit, eine
Kramnik-Schule zu eröffnen und dem Nachwuchs meine Erfahrungen zu vermitteln.
Ich bin sicher, dass so ein Projekt über kurz oder lang realisiert wird.
Ein anderes interessantes Konzept für
den Schachnachwuchs, an dem du dich beteiligen sollst, ist gerade in Deutschland
entwickelt worden.
Ja, ich bin Schirmherr einer Aktion der
deutschen Schachjugend geworden. Sie sucht Patenschulen für die Schacholympiade
in Dresden. Diese Schulen sollen dann im Herbst 2008 die einzelnen
Ländermannschaften betreuen. Bevor die Aktion gestartet wurde, hat man bei mir
angefragt, und ich habe spontan und sehr gern zugesagt, weil es nützlich ist,
jedes Schulschach-Projekt zu unterstützen. Als Weltmeister möchte ich den
Schachnachwuchs ermuntern, regelmäßig zu trainieren und dadurch seine Leistungen
nicht nur in unserem Sport, sondern auch in Schule und Beruf zu steigern.