Schach im Fernsehen - in Russland

von ChessBase
19.09.2005 – Schach im Fernsehen hat in Russland eine weitaus größere Tradition als in anderen Ländern. Dorch auch hier haben sich die Zeiten geändert und Schach im TV ist kein Selbstgänger mehr, sondern muss mit anderen Angeboten um die knappen Sendezeiten kämpfen. Mit seinen "Golden Blitz" hat der russische Pay-TV-Sender NTV Plus Sport sich nicht gescheut, ein zweitägiges Schachturnier zu veranstalten und in sein Sportprogramm zu hieven. Mit Erfolg. Misha Savinov berichtet und macht sich Gedanken. Mehr...

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Teil I: Hintergrund; wenn Sie sich langweilen, scrollen Sie weiter
Von Misha Sawinov


Nigel Short in bester Gesellschaft?

Die Zukunft jeder Sportart hängt davon ab, wie spektakulär sie im Fernsehen wirkt. Schach erscheint im Fernsehen äußerst selten. Deshalb entspricht das Jahreseinkommen eines Spielers vom Kaliber McShanes etwa dem eines Ersatztorwarts in Russlands 2. Liga, obwohl Letzterer wohl nicht die geringsten Chancen haben dürfte, für den SV Werder Bremen zu spielen. Ich habe Motylev nie gefragt, ob er es bedauert, seine erfolgreiche Karriere als Jugendfußballer aufgegeben zu haben, weil dem offensichtlich nicht so ist. Eine neue Generation von Schachspieler sieht diese Dinge allerdings etwas pragmatischer. Die Frage ist, ob sie pragmatisch genug sind, um Pflichten zu akzeptieren, die jedem professionellen Sportler auferlegt werden.

Ich habe Marina Makarycheva, die zusammen mit ihrem Mann GM Sergey Makarychev für die Schachsparte im NTV Plus Sportsatellitensender zuständig ist (etwa 0,5 Millionen Abonnenten), gefragt, ob ihre Schachberichte ausreichend gute Einschaltquoten hätten, um zur Hauptsendezeit oder sogar im öffentlichen NTV-Kanal (allein in Russland 118 potenzielle Zuschauer) gezeigt zu werden. Ihre Antwort war: die Einschaltquoten wären doppelt- und dreifach so gut. Die Tatsache, dass Schach im Vergleich zu anderen Fernsehshows die Hundertzweite Geige spielt, hat nichts mit den Einschaltquoten zu tun.

Ich habe über den Fernseherfolg der Show am letzten Tag des Weltmeisterschaftskampfes zwischen Kasparov und Short gelesen. Ich erinnere mich, dass Eurosport Schnellpartien übertragen hat. Ich habe gehört, dass ESPN mit ihrer Schachshow ziemlich zufrieden war. Lag all das nur an Kasparov, der immer noch der einzige allgemein bekannte Schachspieler ist?

In Russland und in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist das Publikum besser vorbereitet. Wie allgemein bekannt, spielen unsere Taxifahrer gegen die Nationalmannschaften, die sie vom Flughafen Sheremetyevo abholen, Blindsimultan. Dieses Phänomen ist noch nicht ausreichend untersucht, aber Forscher haben festgestellt, dass ein perfektes Gedächtnis, gute Rechenfähigkeiten und die schnelle Reaktion eines Jedi-Ritters Eigenschaften darstellen, die sowohl für Taxifahrer als auch für Schachspieler nicht ohne Bedeutung sind. Das russische Publikum kann Schach im Fernsehen sehen und verstehen. Aber heutzutage will es auch unterhalten werden.

Vor etwa 40 oder 50 Jahren kommentierte Kortschnoi einen seiner Züge wie folgt: "Vielleicht nicht der stärkste Zug, aber ganz sicher der Zug, bei dem man Spaß hat". Diese Worte wurden von einem Zensor beanstandet: Schach ist kein Spaß. Für manche Leute hat sich die Lage nicht verändert; ein paar Schachpilotsendungen (wagen Sie es nicht, sie Show zu nennen) erschienen auf mehr oder weniger beliebten Kanälen, gemacht im typisch einheitlichen Sowjetstil: sprechende Köpfe, langweilige Stimmen, ein altertümliches Demobrett und ein beschränktes Repertoire an angestaubten Witzen.

Ist dies der Grund, warum die nationalen Fernsehanstalten dem Schach so skeptisch gegenüber stehen? Oder gibt es andere Gründe? Schließlich leistet NTV Plus mit Berichten über die großen Ereignisse gute Arbeit und ihre Einschaltquoten sind gut. Ich habe das Gefühl, dass wir für den hohen offiziellen Status, den das Schach in der UdSSR genossen hat, zahlen müssen. Unsere Erfolge im Schach werden nicht nur im Geist des Publikums sondern auch im Geist der Bosse der Fernsehsender stark mit dem totalitären Staat assoziiert. Schach muss noch Sport werden, muss noch in einen Bereich kommen, in dem Einschaltquoten das Einzige ist, was zählt.

Viele Vertreter der sowjetischen Schachgeneration, die in den 40er und 50er Jahren geboren wurden, zeigen oft einen schockierenden Mangel an dem nötigen Professionalismus und scheinen das nicht zu begreifen. Ein Spieler steigt ohne vernünftige Begründung einen Tag vor Beginn aus einem Superturnier aus. Ein Trainer, der fest bei einem Team angestellt ist, konzentriert den Großteil seiner Aufmerksamkeit auf das Einzeltraining eines Spielers eines Konkurrenzteams. Ein anderer Trainer, übrigens Mitglied des Trainerrats, weigert sich unter schönem Vorwand das Spiel der Mitglieder der Nationalmannschaft in einem kürzlich gespielten Turnier zu diskutieren: "Ich war nicht da, fragen Sie mich nicht". Er kannte die Partien, aber er will sie nicht diskutieren, Punktum.

Sie begreifen nicht, dass ein offizielles Amt einem nicht nur Privilegien bringt, sondern auch eine gewisse Offenheit in der öffentlichen Diskussion erfordert. Sie begreifen nicht, dass das aufreizende Enttäuschen eines Sponsors nicht nur ihren eigenen Ruf gefährdet, sondern auch den Ruf anderer Spieler. Sie sind gewohnt zu tun, was immer sie wollen, da die Partei sie schützt und alles andere egal ist.

Moses hat 40 Jahre gebraucht, aber das Leben im 21. Jahrhundert gehorcht einem schnelleren Rhythmus und hoffentlich müssen wir nicht so lange warten. "Verantwortung" ist hier ein Schlüsselwort, und – Überraschung! – wir sehen, wie junge Spieler sehr viel mehr Verantwortung zeigen als ihre Vorgänger.

Verzeihen Sie mir das lange Vorwort. Auf meiner Reise nach Moskau begleiteten mich gemischte Gefühle. Ich habe ganz klar gesehen, wie schwierig es ist, eine Show wie "Golden Blitz" zu machen und wie viel von deren Erfolg abhängt. "Golden Blitz" ist eine Großveranstaltung mit beträchtlichem Budget und zeigt die spektakulärste Form des Schachs – Blitz ohne Inkrement. Sollte dies scheitern, wären wir in einer traurigen Lage: es ist leichter als unerkanntes Genie in Armut zu leben als dies als hoffnungsloser Loser zu tun. Ein Scheitern einer finanziell gut ausgestatteten Blitz-Show würde bedeuten, dass Schach entweder von Natur aus nicht telegen ist, oder dass die Aufgabe, daraus eine gute Show zu machen, die Fähigkeiten normaler Leute übersteigt.

Ich kann nicht für alle NTV-Abonnenten sprechen, da ich von ihnen kein Feedback erhalten habe, aber auf mich wirkte alles im Jazz Town Casino-Club sehr viel versprechend. Es gab zwei kundige Kommentatoren, Sergey Makarychev und Joel Lautier, die das Publikum unterhielten und die Aufmerksamkeit auf die kritischen Momente der Partien lenkten.


Die Kommentatoren

Es gab ein professionelles TV-Team von NTV Plus, die die Show ohne sichtbare Pannen aufgenommen haben. Vielleicht waren nur die Werbe- und die technisch bedingten Pausen etwas zu lang, was die natürliche Dynamik des Blitzspiels ein wenig gedämpft hat. Die Organisation war ausgezeichnet und die Atmosphäre hätte kaum besser sein können. Und es gab junge und erfahrene Spieler, Frauen und Männer, die hoch spannende Partien voll raffinierter Ideen (und grober Patzer) spielten, und bei laufender Kamera offen sagten, was sie sich so denken und gedacht hatten.

Ich muss ein paar Worte über die mutigen Leute verlieren, die diese Veranstaltung organisiert haben. Bitte ignorieren sie diese Worte nicht, da diese Männer eine Menge an Zeit, Geld und Energie in etwas investiert haben, was ein Ticket zur Fernsehübertragung unseres Spiels sein könnte. Das erste Lob geht an Valery S. Tsaturian – Internationaler Meister, Trainer von Emil Sutovsky und Lilit Mkrtchian, Entwickler von "Chess Music" und zahlreicher anderer ehrgeiziger Projekte. Dies war seine Idee.

Der Präsident der ACP, Joel Lautier, war eine treibende Kraft hinter der Show, nachdem er sich mit Tsaturian getroffen und das Projekt während des Aeroflot Opens besprochen hatte. Ein Interview mit Joel, der interessante Pläne hat, erscheint in Kürze auf der Webseite der ACP.

Valery V. Tsaturian, ein Neffe von IM Tsaturian und Generaldirektor von "V&V Profi", war Hauptorganisator der Veranstaltung.


Valery S. Tsaturian

Er war der Vermittler zwischen Spielern, den Leuten vom Fernsehen, vom Casino, den Chefs des Hotels und des Restaurants, den Gästen und den Journalisten. Er erledigte eine große Menge an organisatorischer Arbeit und ich wüsste nicht, dass es irgendwelche Beschwerden gab.

Die Verantwortlichen bei NTV Plus Sport, die an die Idee geglaubt haben und das Turnier live zwei Tage lang gesendet haben. Später werden sie kurze Filme über jedes Match und eine gekürzte Version der Show veröffentlichen. Ich freue mich schon darauf.

Damit ist Teil I beendet, Ihnen allen Danke für die Aufmerksamkeit.

Teil II: Zwei Tage Golden Blitz

Ich bewundere die Person, die die Teilnehmer für die Veranstaltung ausgesucht hat. Heutzutage bin ich ein eher häuslicher Typ und komme nur selten zu einem Schachturnier, das nicht in Moskau oder St. Petersburg stattfindet (das heißt nicht, dass ich gute Angebote ablehnen würde!). Ich hätte kaum eine Chance gehabt, so bald mit Leuten wie Nigel Short, Zhu Chen oder Irina Krush zu plaudern, wenn das Golden Blitz nicht stattgefunden hätte.

Und die Leute, die ich bei Turnieren wie dem Aeroflot Open mehr oder weniger regelmäßig sehe, waren offener und entspannter als sonst. Die Situation war ideal – jeder gewinnt! Kein Elo-Verlust, kein Verlust an Selbstvertrauen – Blitz ist Blitz! – fast überhaupt keine negativen Gefühle. Ein bisschen natürlichen Ärger gibt es immer, wenn ein Sportler bei einem K.O.-Turnier ausscheidet, vor allem wenn dies durch einen groben Patzer geschieht, aber dieses Mal hatten sich solche Gefühle sehr schnell wieder verflüchtigt. Schauen Sie sich einfach ein paar der Fotos an, die am ersten Tag nach der Runde gemacht wurden!


v.l.: Vaiser, Tregubov, Makarycheva und Shipov


v.l.: Dvoretsky, Fressinet, Short

Die Spieler gewöhnten sich an die Kameras und fingen an, Spaß zu haben. Die Persönlichkeit eines Spielers kann sich sowohl durch kluge Züge als auch durch kluge Antworten enthüllen. Der ironische Evgeny Bareev war einer der Stars, der einen kleinen giftigen Mann spielte, der wenig sagt, aber dann stets scharfe Bemerkungen macht.


Ponomariov und Bareev nach dem Mannschaftskampf

Der selbstbewusst-schillernde Vlad Tkachiev zog als geborener Schauspieler eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Manche Leute waren sogar der Meinung, das Ergebnis sei ihm weniger wichtig gewesen, als so lange wie möglich im Rampenlicht zu stehen.


Nigel Short und Vlad Tkachiev

Ruslan Ponomariov ist kein besonders guter Schauspieler, aber wirkt durch seine Aufrichtigkeit.


Ruslan Ponomariov auf dem Weg zur Spitze

Und die Damen waren charmant, gut aufgelegt und aggressiv; sie forderten Anteilnahme und Bewunderung. Ohne sie würde das Turnier viel von seinem Reiz verlieren – dies war die allgemeine Meinung, der ich mich ohne weiteres anschließe. Es ist nicht möglich, eine Heldin der Veranstaltung auszuwählen – Alexandra Kosteniuk, Almira Skripchenko, Irina Krush und Zhu Chen sind für einen solchen Eindruck gleichermaßen verantwortlich.


Zhu Chen mit der Moskauer Kulisse im Hintergrund


Nach dem Finale: Warten auf die Preisverleihung


Irina Krush ist gerade angekommen, Valery V. Tsaturian zeigt ihr die Örtlichkeiten.

Ich möchte die Partien hier nicht im Detail besprechen – Blitz ist eine Sache der Form, der Wachheit und zu einem gewissen Grad auch des Glücks. Das gilt besonders für Wettkämpfe über zwei Partien. Man könnte sagen, Ruslan Ponomariov hatte bei dieser Veranstaltung extrem viel Glück, aber extrem viel Glück gegen Grischuk, Tkachiev und Bareev zu haben, ist nichts Anderes als ein Beweis des Könnens. Alexandra Kosteniuks Sieg wirkte überzeugender – sie brachte sogar eine brillante Neuerung in einer kritischen Variante der Russischen Verteidigung (und verbesserte so eine Partie zwischen niemand Geringerem als Kasparov und Kramnik), um die zweite Partie des Wettkampfs zu gewinnen.


Die Damen sind bereit zum Kampf


Die Teampartie

Seltsamerweise waren die Höhepunkte der Show nicht im Voraus geplant, sondern entstanden aus der ausgezeichneten Stimmung der Teilnehmer heraus. Skripchenko und Kosteniuk forderten die Gewinner des Männerturniers, Ponomariov und Bareev, zu einer Partie 2 gegen 2 heraus. Die wackeren Männer nahmen die Herausforderung an und die packende Partie, in der Bauerndurchbrüche an gegenüberliegenden Flügeln und ein spektakuläres Figurenopfer zu bewundern war, endete mit einem Remis durch Dauerschach.


Weiß wird bald remis erzwingen


Kosteniuk und Skripchenko nach der Teampartie

Allerdings betrug die Elo-Differenz zwischen den beiden Paaren gewaltige 439 Punkte; aber Almira Skrichenko verriet, dass sie und Alexandra schon oft als Team gespielt hätten und dabei über sehr viel Erfahrung verfügen. Ihre jüngsten Opfer, Joel Lautier und Laurent Fressinet, verloren einen Wettkampf mit 3-5; so gesehen schrammten Ruslan und Evgeny an einer ziemlichen Blamage vorbei. Bareev brachte es auf den Punkt: das nächste Mal sind sie gewarnt!

Also, wenn Sie die Show sehen wollen, schreiben Sie ihrem Abgeordneten oder warten Sie, bis NTV eine DVD herausbringt. Bis dahin hoffe ich, Ihnen gefällt eine kleine Auswahl an Fotos, die im Jazz Town Casino-Club und im Moskauer Stadtzentrum aufgenommen wurden.

Fotos:


Vor der "Jazz Town"


Das "Jazz Town"


Dekoration im Club


Kosteniuk beim Schminken


Zhu Chen, Igor Bolotinsky, und Alexandra Kosteniuk vor dem Semifinale


Skripchenko gratuliert Kostiuk zum Sieg


Das Finale der Frauen: Skripchenko und Kosteniuk mit Schiedsrichter Igor Bolotinsky


Almira Skripchenko: "Wir fühlen uns hier wie Schauspielerinnen!"


Die Sieger im Frauenturnier mit Valery V. Tsaturian


Die entscheidende Partie auf dem Bildschirm


Die Schlacht ist geschlagen


Ruslan Ponomariov mit Pokal


Die Pokalsieger: neidisch auf den Pokal des anderes´n


Die Sieger im Golden Blitz


Mark Dvoretsky und Alexander Motylev: Schach auch beim Essen


Der erste Tag: Halbfinale zwischen Irina Krush und Almira Skripchenko


Beim Abendessen. Irina Krush und Nigel Short.


Yannick Pelletier und Zhu Chen (und Shorts hand)


Yannick Pelletier


Gruppenbild mit Katze


Nachst an der Moskwa


Konstantin Kosteniuk und Igor Bolotinsky testen die Übertragungstechnik


Joel Lautier und Kirill Kiknadze, Leiter von NTV Plus Sport


Bareev gegen Short am ersten Tag


Motylev, Bolotinsky, Tkachiev


Tkachiev kommentiert seine Partie


Alexander Motylev


Alexander Grischuk kommt im Kasino an


Die Favoriten


Konstantin Kosteniuk organisierte die Übertragung der Partien

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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