Schachgrüße aus Blumenau

von Jonathan Carlstedt
14.09.2017 – Blumenau könnte irgendwo in Deutschland liegen, ist aber tatsächlich ein Ort in Brasilien - wenn auch von Deutschen gegründet. Jonathan Carlstedt befindet sich gerade dort auf dem Weg zu den Jugend-Weltmeisterschaften U14, U16 und U18, die ab 16. September in Montevideo stattfinden werden und pflegt deutsch-brasilianische Schachfreundschaften.

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Schach in Brasilien und Südamerika

Als Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler und ich zum ersten Mal die Idee hatten, war ich sofort begeistert. Delegationsleiter bei der WM der Kadetten (u8, u10 und u12) im brasilianischen Pocos de Caldas vom 21.8. bis 31.8.2017 und bei der Jugend-WM in Montevideo, Uruguay vom 16.9. bis 26.9.2017. Als Schachspieler/Trainer ist man immer begeistert und hat den Luxus sich die entsprechende Freiheit zu nehmen, neue Orte, Länder und Kontinente zu entdecken. So lag der Plan, die Zeit zwischen den beiden Weltmeisterschaften „irgendwo“ in Brasilien bzw. Südamerika zu verbringen, auf der Hand.

Bei den Gedankenspielen, was am Besten in den freien Wochen zwischen den Meisterschaften zu tun ist, kam rasch die Idee auf einen alten Bekannten zu kontaktieren, Guilherme Deola Borges seines Zeichens Präsident des Schachverbandes Santa Catarina, und ihn um Hilfe zu bitten. Er hatte 2007/2008 ein Jahr in Hamburg verbracht und ich hatte ihn bei der Jugend-WM 2016 in Khanty Mansysk, wo er Delegationsleiter für Brasilien war, wieder getroffen.

Zu meiner großen Überraschung und vor allem Freude, gab er mir nicht nur Tipps, sondern bot an mich in den 2 Wochen zu beherbergen. Ein nicht ganz unwichtiger Fakt, der mir nicht bewusst war, ist, dass es in Brasilien keinen Zug-Fernverkehr mehr gibt. Einen Umstand den ich bei meinen vorherigen Planungen nicht einbezogen hatte und so war es umso besser, dass Guilherme mich nicht nur beherbergen würde, sondern auch von Pocos de Caldas mitnehmen würde, wo er als Schiedsrichter fungierte und auch den Transport nach Montevideo mit dem Auto anführen würde, wo er wiederum als Trainer aktiv sein wird.

Meine Reise führte mich nach der Weltmeisterschaft der Kadetten auf die Insel Florianopolis, kurz auch „Floripa“ genannt, wo wir für einige Nächte bei Guilhermes Freundin unterkamen.

 

Floripa ist eine wunderschöne Insel, zwar sind kaum Leute am Strand, da 20 Grad Wassertemperatur und 25 bis 30 Grad Außentemperatur hier gerade mal Frühlingsanfang bedeuten. Aber die Zeit unter Brasilianern ist eine großartige Erfahrung. Überall wo man hinkommt ist es als würde man bereits nach wenigen Stunden Teil einer Familie sein.

Den Aufenthalt in Floripa nutzen Guilherme und ich am lokalen Schachturnier teilzunehmen, zur Unterstützung des Schachklubs Florianopolis wird jeden Monat ein Schnellturnier veranstaltet und ich bin sehr stolz zu sagen, bei offiziellen Turnieren in Südamerika 100% der Punkte erspielt zu haben. Bei diesem Turnier lernten wir Raed kennen. Einen syrischen Flüchtling im Rollstuhl, der aus der Hölle des syrischen Bürgerkrieges nach vielen Strapazen, einem Schlaganfall und großem Leid mit seinen 3 Kindern und seiner Ehefrau in Florianopolis angekommen war. Wir halfen Raed nach Hause und kamen wenigen Tagen später der Einladung zu einem gemeinsamen Mittagesseen nach.

Die nächste Station auf unserer Brasilienreise war die Stadt Blumenau, in der Guilherme seine Zelte aufgeschlagen hat. Blumenau, von einem Deutschen gegründet und mit einer beinah beängstigenden Liebe zum Oktoberfest ausgestattet sollte für eine Woche unsere Heimat werden.

Denn der Schachverein Blumenau feiert just in 2017 seinen 100. Geburtstag und Guilherme hat natürlich enge Verbindungen zu seinem ehemaligen Heimatverein und als Präsident des Schachverbandes auch eine offizielle Funktion. Als eine der Feierlichtkeiten veranstaltete der Schachverein Blumenau im „German Village“, im Deutschen Dorf, die Brasilianische Schülermeisterschaft mit fast 600 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, an einem verlängerten freien Wochenende (Donnerstag der 7.9. ist Tag der Unabhängigkeit in Brasilien).

In meinem Abschlussbericht zur Weltmeisterschaft der Kadetten für den Deutschen Schachbund hatte ich mich über die Organisatoren negativ geäußert, da ich die Qualität der Organisation einer Weltmeisterschaft nicht für angemessen hielt. Dass diese schlechte Organisation nicht sein muss, bewiesen die Organisatoren der Schülermeisterschaft. Im Gegenteil zur Weltmeisterschaft gab es hier eine Eröffnungsveranstaltung und Siegerehrung mit angemessener Preisverleihung, Vorstellung der Spieler, musikalischer Darbietung und emotionalen Reden.

Aufmarsch der jungen Spieler

Das erste was mir auffiel, als ich in die Turnierhalle kam, war dass die verschiedenen Bundesstaaten bzw. die Spieler der entsprechenden Verbände mit ihren eigenen Trikots ausgestattet waren. Etwas, das man in Deutschland bei solchen Veranstaltungen vermisst. Neben dem Turnier an sich gab es verschiedene Verkaufsstände, eine nach dem Motto „Schach“ eingerichtete Sitzecke und einen Essensbereich. Der Zeitplan wurde mehr oder weniger eingehalten und jede Alterklasse hatte seinen eigenen Schiedsrichter. Am ersten Tag wurden 2 Runden gespielt, der zweite Tag war mit 3 Runden der anstrengendste für die Teilnehmer. Aber auch der Abschlusstag war mit einer finalen Runde, der Siegerehrung und einem Blitzturnier nichts für schwache Nerven!

Große Schachbegeisterung

Die Turniere wurden in den verschiedensten Altersklassen, jeweils nach Geschlecht unterschieden, ausgetragen. Während des Turniers wurden einige TeilnehmerInnen, Schiedsrichter und Eltern bei uns untergebracht. Davon schaffte es eine Maria Eduards Gomes sogar Meisterin in ihrer Klasse zu werden. Während 2 Jhenifer Vitoria Correa Delavy und Maria Ivy Segalin Buffon einen starken zweiten Platz belegten. Mir werden aber vor allem die Abende in Erinnerung bleiben, an denen man sich, ohne vorherige Bekanntschaft und trotz Sprachbarriere wie in einer großen Schachfamilie gefühlt hat.

Als Europäer schaut man häufig was in seinem eigenen Land schachlich vor sich geht. Als vermutlich reichster Kontinent und Deutschland als eines der reichsten Länder der Welt, merke ich jedoch, dass wir deutlich unter unseren Möglichkeiten bleiben. Wenn Brasilien und die Föderationen hier es mit sehr geringen finanziellen Mitteln schaffen solche Veranstaltungen so großartig zu organisieren, dann sollte es europäischen Ländern leicht fallen das Niveau ähnlicher Veranstaltungen zu heben. Ich bin begeistert wie der Schachverband Santa Catarina und der Schachverein Blumenau dieses Event organisiert haben und sehe hier in Brasilien großes Potenzial, trotz schwieriger wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen.

Mit diesen Eindrücken machen wir uns am 12.9. auf Richtung Uruguay, wo am 16.9. die WM der Jugendlichen startet.
 

Jugendweltmeisterschaften U16-U18 in Montevideo...

Die nominierten Spiele der Deutschen Schachbundes...

  


Jonathan Carlstedt ist Internationaler Meister, Autor und Schachtrainer. Außerdem organisiert er Schachturniere.

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