Vom Winde verweht
Von Anna Dergachova
Windig: Wijk aan Zee
Schachliebhaber aus Holland
und der ganzen Welt sind bestimmt sehr glücklich über die Nachricht, die Jeroen
van de Berg bei der Eröffnung des traditionellen Turnier in Wijk aan Zee
bekannt gab, die Austragung des Turnier ist bis zum Jahr 2010 gesichert. Im
letzten Jahr hieß es noch bis 2005. Nun aber gelang es den Organisatoren den
Hauptsponsor Corus für weitere 5 Jahre zu gewinnen. Die Turniergeschichte
erläuterte mir Dolf Voss, der schon seit 6 Jahren der Organisatorengruppe
angehört.
Zum ersten Mal wurde das
Turnier 1938 ausgetragen und seitdem, mit einer Unterbrechung im Jahr 1945 (Sie
können sich schon denken warum, meinte er zu mir), 66 Mal hintereinander. 1938
hat alles mit einer kleinen Großmeistergruppe mit 4 Spielern begonnen. Heute
sind es die 3 Großmeisterturniere A, B und C. Und noch 7 weitere Turniere, in
denen Amateure und auch Profispieler um Gruppengewinne kämpfen.
Das System in Wijk ist sehr
interessant. Man kann als Amateur ganz unten anfangen und in 10 Jahren (unter
der Bedienung, dass man jedes Jahr Bester in seiner Gruppe wird) bis zum
Großmeisterturnier A schaffen. Doch bis jetzt hat es wohl noch niemand
geschafft. Aber viel Spaß haben diese Schachspieler trotzdem. Ich habe
beobachtet, wie entspannt und freundlich die Gesichter der Amateure wirken, und
das nur wenige Minuten vor Turnierbeginn. Die Menschen lesen Zeitungen,
quatschen nett miteinander (und auch mit dem Gegner), wünschen sich schöne
Partien usw.
Die Gesichter der
Großmeister wirken dagegen weniger entspannt, ich würde sogar behaupten,
teilweise etwas verkrampft. Verständlicherweise, schließlich ist dies hier ihr
Job.
Van Wely, Anand
Zhang Zhong
Vladimir Kramnik
Hikaru Nakamura
Naiditsch, Stellwagen
Konzentriert und ernst
werden sie im Schach schon sehr früh, wie z.B. der 13-jährige Magnus Carlsen
aus Norwegen oder die 14-järige Ekaterina Lahno aus der Ukraine.
Magnus Carlsen
Ekatarina Lahno
Hätte ich über irgendein
gewöhnliches Mädchen in diesem Alter geschrieben, so hätte ich sie mit
Sicherheit Katja genannt. Es ist so üblich, Mädchen in diesem Alter mit einem
Kurznamen zu nennen. Doch zu dieser jungen Dame passt Ekaterina viel besser.
Nicht nur ihre außergewöhnliche Spielstärke, sondern auch das gesamte Auftreten
zeigt bereits eine junge Dame. Manchmal aber machen die schachspielenden
Großmeisterinnen für Journalisten auch mal eine Ausnahme, und lächeln sogar in
die Kamera. (Vielleicht aber nur weil sie unter der Fassade eines
Fotojournalisten gerade eben ihre Kollegin entdeckt haben
J).
Zhu Chen
Antoaneta Stefanova
Tea Lanchava
Die erlaubten 10 Minuten
vergehen sehr schnell. Die ersten Eröffnungszüge sind gemacht. Ich bin leider
kein Theoriemonster, meistens interessieren mich die Partien erst in der
Zeitnotphase, wo es etwas zügiger zur Sache geht und üblicherweise ein kleiner
Nervenkitzel entsteht. Deshalb verbringe ich die Zeit dazwischen im
Pressezentrum.
Loek Van Wely und Vladimir Chuchelov
Dort trifft man hin und
hier die Sekundanten. Sie schauen gespannt auf die Monitore und ballen ihre
Hände zu Fäusten. Ich verstehe schon, warum sie alle etwas nervös sind. Gute
Vorbereitung ist die halbe Miete, gelungene oder misslungene Eröffnung kann auf
diesem Niveau schon die Partie kosten. Doch von ihren Gesichtern kann man
natürlich nichts ablesen. Die Lippen sind aufeinander gepresst. Alles ist hoch
geheim, natürlich. Die Kommunikation miteinander verläuft ungefähr so: „Heute
ist aber sehr kalt, nicht wahr?“. „Oh ja, und auch windig. Ich wurde fast vom
Winde verweht“.
Mit mir sind sie manchmal
etwas offener. Z.B. erfahre ich manchmal, dass der eine oder anderer Schützling
eine bestimmte Variante verwechselt hat, und damit die dreistündige Analyse
zunichte gemacht hat. „Mir passiert es ständig, in jeder zweiten Partie
vergesse ich etwas Wichtiges. Als ich angefangen habe Tschigorin zu spielen,
endete der erster Versuch mit 1. d4 d5 2.c4 Sc6 3. Sc3 e6..., versuche ich dann
den Trainer zu trösten. „Du bist ja auch kein Supergroßmeister, oder?“ -
bekomme ich dann als Antwort zu hören. Doch manchmal gelingt es mir auch die
großen Schachköpfe mit einer interessanten Studie zu beschäftigen.
Dieses mal war es keine Studie, sondern meine eigene Spanisch-Partie aus
Böblingen, die ich mit einer Springer-Opfer in 16 Zügen gewann.
Danailov und Tregubov
analysieren den Spanier
Nachdem GM Silvio Danailov
(Sekundant vom GM Veselin Topalov) zusammen mit GM Pavel Tregubov
(Sekundant vom Vladimir Kramnik) eine Zeit lang ohne Erfolg versucht hatten,
die Variante zu widerlegen, mussten sie zugeben, dass die Idee sehr interessant
sei. Natürlich hätte ich an dieser Stelle das Lob einsammeln und ein ganz
wichtiges Gesicht machen können, doch ich gab zu, dass die Idee von Paul Keres
stammte und nur noch nie gespielt wurde.
Die Ehefrauen warten dann
geduldig auf ihre Gatten und verbringen die Zeit damit, alte Fotos anzuschauen,
und zu raten, wer das wohl sein könnte. Weil die beiden Ehefrauen Margarita
Bologan und Sofia Leko aber noch viel zu jung sind, um manches Gesicht zu
identifizieren, helfe ich ihnen gern.
Sofie Leko und Margarita Bologan
Frau Timman
Leider gab es in den ersten
Runden des A-Turniers einige Remispartien, ohne dass es zu großen Aufregungen
kam. Dafür konnte ich dann aber bei den Analysen lauschen. Es ist immer
interessant, wie weit die Großmeister rechnen können und wie sie die Stellungen
einschätzen und wer mehr versteht, oder wer während der Partie Gespenster sah.
Bologan und Kramnik
Doch das häufigste, was ich
auch dort hörte, war die Beschwerde über starken Wind in Wijk und Bemerkungen
wie, "ich könnte einen freien Tag gebrauchen" (wohl gemerkt ich kam gerade nach
einem freien Tag, also war es wohl ein Witz). Also auch hier, das alte
Versteckspiel. Bloß nicht zuviel verraten.
Zhun Chen und Stefanova bei der Analyse, Al-Modhiaki schaut zu
Am Abend besuchte ich dann
einen Italiener – kann ich nur empfehlen. Ich meine eventuellen Besuchern, da
es alle Schachspieler längst wissen. Ich bin mittlerweile sehr taktvoll
geworden, deshalb keine Bilder, die die Privatsphäre von Menschen verletzen
könnten.
Franzose beim Italiener: Laurent Fressinet (re.)
Familie Carlsen
In der letzten Woche fahre
ich noch einmal dorthin. Vielleicht wird es dann spannender.