
Nach zwölf Partien stand es im "Match des Jahrhunderts" zwischen Titelverteidiger Boris Spassky und Herausforderer Bobby Fischer in Reykjavik 1972 7,5-5,0 für Fischer. Boris Spassky hatte in der 11. Partie zurückgeschlagen und Fischer eine vernichtende Niederlage zugefügt. Das hatte den Kampf wieder spannend gemacht. In der 12. Partie kam Spassky mit Schwarz zu einem bequemen Remis.
In New in Chess 6/2012, schilderte GM Lubomir Kavalek, der in Reykjavik 1972 als Journalist und in der zweiten Hälfte des Wettkampfs als Sekundant von Fischer vor Ort war, was in der 13. Partie des Wettkampfs geschah [wir zitieren mit freundlicher Genehmigung des Autors]:
"Die 13. Partie ließ viele Spieler rätseln, sogar als sie schon vorbei war. Die Partie war ein epischer Kampf und Mikhail Botvinnik, dem Patriarch des Sowjetschachs, zufolge, Fischers größte Leistung im Wettkampf. ‘So etwas hat es im Schach noch nie gegeben,’ erklärte Botvinnik. Botvinnik's ehemaliger WM-Herausforderer David Bronstein spielte die Partie mehr als einmal durch und dennoch war sie ihm ein Rätsel. ‘Sie reizt meine Phantasie immer noch, wie eine geheimnisvolle Sphinx,’ meinte er.
Während dieser Partie fing ich an, mit Bobby an den Hängepartien zu arbeiten, nachdem er zuvor seinen offiziellen Sekundanten Bill Lombardy aus seiner Hotelsuite geschickt hatte. Bobby und Bill waren ein großartiges Paar, aber in dieser Nacht verwandelten sie sich in ein zwei ausgeprägte Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Meinungen. Die Spannung wurde aufgelöst, als Lombardy niesen musste. ‘Ich möchte mich nicht mit Deiner Erkältung anstecken, Bill,’ erklärte Bobby, und fügte hinzu, dass er mit mir arbeiten wollte. Ruhig verließ Bill das Hotelzimmer.
Fischers Sekundant in Reykjavik: Reverend William Lombardy Foto: Isländischer Schachverband Skáksamband Íslands]
Von da an analysierte ich mit Bobby bis zum Ende des Wettkampfs. Obwohl wir noch nie vorher zusammengearbeitet hatten, hatte Bobby Vertrauen in mich. Zu Beginn des Jahres hatte ich bei der U.S.-Meisterschaft den ersten Platz belegt und war zum Spieler mit der höchsten Elo-Zahl nach Fischer geworden. So lange er den Titel holen würde, war es egal, wer ihm half. Es war seine Entscheidung.
Die 13 war eine Unglückszahl und die Partie bot das Drama einer Entscheidungspartie. Mit einem Sieg hätte Spassky Fischers Vorsprung auf nur einen Punkt reduziert. Obwohl Bobby besser stand, war die Abbruchstellung ein Minenfeld, das ein äußerst umsichtiges Vorgehen verlangte. Eine Variante kristallisierte sich bei unseren Analysen als die praktisch beste Fortsetzung heraus. Die Variante verlief gradlinig, hatte aber ein paar Abzweigungen. Wir erreichten die Stellung, in der Fischers Turm auf g8 von Spasskys Läufer und Bauern gefangen war. Spasskys Turm musste gegen die fünf Bauern Fischers kämpfen, aber es schien, als ob Boris die Stellung halten könnte. Der schwarze König konnte daran gehindert werden, die d-Linie zu überqueren. Sollte es jetzt nicht mehr weiter gehen?
‘Bobby...’ fing ich an. Er verstand, was ich sagen wollte, und unterbrach mich: ‘Keine Sorge,’ erklärte er zuversichtlich, ‘ich schiebe einfach den h-Bauern nach vorne und dringe mit dem König ein. Und wir haben sowieso zu weit analysiert.’ Wir hatten uns bereits um die 20 Züge von der Hängestellung entfernt, und viele Pfade und Varianten hatten wir uns noch nicht angeschaut. Also guckten wir uns die Variante noch einmal von vorne an und überprüften das, was wir konnten. Der Tag war schon angebrochen, als ich in mein Hotelzimmer zurückging.
Eine Sache war mir aufgefallen. Ganz egal, wie tief die Analysen waren, Bobby behielt alles im Gedächtnis. Keine schriftlichen Notizen.
Bobby kam 21 Minuten zu spät zur Wiederaufnahme der Hängepartie. Die Partie wurde fortgesetzt und alles kam so, wie wir es analysiert hatten. Boris hatte den schwarzen Turm auf g8 eingesperrt und der Moment war gekommen, den h-Bauern zu opfern. Das war Bobbys einzige Chance, aber er zog nicht. Nach ungefähr 45 Minuten wunderten sich alle. Was überlegt er? Larsen, der auf dem Weg zum U.S. Open einen Zwischenstopp in Reykjavik eingelegt hatte, unterhielt die Menge im Pressezentrum mit Kommentaren zur Hängepartie. Er lief Gefahr, seinen Flug nach New York zu verpassen.
Bent Larsen (rechts) mit Robert Byrne und Frank Brady in Reykjavik 1972 [Foto: Isländischer Schachverband Skáksamband Íslands]
Bobby saß noch immer am Brett. Er hatte erkannt, dass er keine Fortschritte erzielen konnte. Doch das lange Nachdenken Fischers wirkte sich irgendwie auf Spasskys Konzentration aus. Kurz nachdem Bobby den Bauern geopfert hatte, machte Boris ein paar erzwungene Zug und patzte dann. Die Partie ging an Fischer. Er hatte die 13 in dieser Partie in eine Glückszahl verwandelt und führte im Match jetzt mit drei Punkten. Und Larsen kam rechtzeitig zum Flughafen Keflavik.
Bobby freute sich über den Sieg. ‘Worum geht es im Schach?’, lachte er. ‘Ums Gewinnen, oder nicht.’ Die Niederlage war niederschmetternd für Spassky und vor der nächsten Partie nahm er eine Auszeit. Fischer hatte nichts dagegen, obwohl er vor dem Wettkampf noch andere Ansichten vertreten hatte. ‘Auszeiten sind missbraucht worden,’ meinte er. ‘Die Russen haben das während ihrer Wettkämpfe gemacht. Wenn sie beschlossen hatten, eine kleine Pause zu machen, fast immer nach einer Niederlage, dann meldeten sie sich krank. Ich glaube, man sollte spielen, es sei denn, man ist so krank, dass man körperlich dazu nicht in der Lage ist. In guter körperlicher Verfassung zu sein ist Teil des Schachs. Ist man es nicht, ist man selber dafür verantwortlich. Ich glaube nicht, dass es immer eine Auszeit geben sollte, wenn sich das Wetter ein wenig ändert.’"
Dieses Bild von Bobby Fischer, Lubomir Kavalek und Florencio Campomanes wurde während der Eröffnungsfeier des Turniers in Manila 1973 gemacht. Bobby war von dem phillipinischen Präsidenten Ferdinand Marcos eingeladen worden, machte in einer Partie, die Teils des Zeremoniells war, neun Züge gegen ihn, kassierte $20,000 und flog später nach Japan (wo er seine spätere Frau Miyoko Watai das erste Mal traf).
In seinem Buch On My Great Predecessors, Part 4 schreibt der 13. Weltmeister, dass Fischer nach dem bequemen Remis, dass Spassky in der 12. Partie erzielen konnte "erkannt hatte, dass Starrsinn kein guter Rat war und er beschloss, für eine Weile auf den Sizilianer zu verzichten. Zum ersten Mal im Wettkampf griff er zur Aljechin-Verteidigung, und das war eine weitere unangenehme Überraschung für Spassky.
'Ich sage es ganz offen: eine ernsthafte Analyse der Möglichkeiten für Weiß in dieser Eröffnung hat es nicht gegeben. Und zwar deshalb, weil eine Reihe von Experten, darunter auch Spassky selbst, überzeugt war, dass Fischer in der Wahl seiner Eröffnungen extrem konstant war, und dass es höchst unwahrscheinlich war, dass er gegen 1.e4 irgendetwas Anderes als den Sizilianer spielen würde.' (Krogius)"
Nikolai Krogius (rechts), Assistent von Boris Spassky bei dessen Weltmeisterschaftskämpfen gegen Petrosian 1969 und Fischer 1972 [Foto: Skáksamband Íslands]
In Chess Life & Review Ausgabe vom November 1972 schrieb Robert Byrne, der aus Reykjavik berichtete:
Partie 13 war ein packender Kampf. Fischer spielte überraschend die Aljechin-Verteidigung, ergriff schnell die Initiative und schnappte sich einen Bauern. Da Spassky der Anblick der Stellung nicht gefiel, die er erhalten würde, wenn er auf Rückgewinn des Bauern spielte, opferte er den Bauern dauerhaft, um alles auf einen Angriff am Königsflügel zu setzen. Eine Ungenauigkeit von Fischer ließ den Angriff alarmierend stark werden, aber im entscheidenen Moment schwankte der Weltmeister und landete in einem Endspiel mit Minusbauern.
Das hätte vielleicht das Ende der Geschichte sein können, aber Bobby nahm die Dinge zu leicht, und gab den Gewinn ein paar Züge vor Partieabbruch aus der Hand. Bei Wiederaufnahme der Partie unternahm er im Endspiel unglaubliche Gewinnversuche: er opferte einen Läufer und ließ seinen Turm einmauern, um mit König und fünf Bauern gegen einen Turm auf Gewinn zu spielen. Spassky hatte ein Remis, aber nach den vielen Stunden, die bereits gespielt waren, war er erschöpft — im 69. Zug unterlief ihm ein schwerer Fehler und er verlor.
Vor 45 Jahren, am 11. August 1972, endete die 13. Partie und Fischer führte wieder mit drei Punkten Vorsprung.
Obwohl Fischer zur Wiederaufnahme der Partie 25 Minuten zu spät kam, hatte er immer noch 45 Minuten bis zur Zeitkontrolle im 56. Zug. Über seinen 61. Zug dachte Fischer 38 Minuten nach, länger als über jeden anderen seiner Züge im Wettkampf. Und für den Zug davor, der es Spassky gestattete, Fischers Turm einzusperren, hatte er 21 Minuten gebraucht. Die ersten 18 Züge nach Wiederaufnahme, bis zu Spasskys 60.Le7, hatte Fischer ziemlich schnell gespielt.
Nachdem Spassky die Partie aufgegeben hatte, analysierte er die letzten Züg gleich am Brett, und erkannte, dass er im 69. Zug mit Tc3 anstelle des Partiezugs Td1 Remis hätte halten können. Er sagte etwas zu Schiedsrichter Lothar Schmid, der jedoch mit Formularen beschäftigt war. Fischer war bereits gegangen.
Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (1)
In der letzen Juniwoche 1972 war die Schachwelt im Aufruhr. Der Weltmeisterschaftskampf zwischen Titelverteidiger Boris Spassky und Herausforderer Bobby Fischer sollte am 1. Juli in Reykjavik beginnen. Aber von Fischer war in der isländischen Hauptstadt nichts zu sehen. Die Eröffnungsfeier fand ohne ihn statt und die 1. Partie, die am 2. Juli gespielt werden sollte, wurde verschoben. Doch in den frühen Morgenstunden des 4. Juli traf Fischer schließlich in Reykjavik ein. Frederic Friedel berichtet.
Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (2)
Das legendäre "Match des Jahrhunderts" zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer wurde in der Laugardalshöllin in Reykjavik gespielt. Dies ist Islands größte Sportarena, 5.500 Zuschauer haben hier Platz. Auch Konzerte finden hier statt - Led Zeppelin, Leonard Cohen und David Bowie haben hier schon gespielt. 45 Jahre nach dem Spassky-Fischer Spektakel besuchte Frederic Friedel die Laugardalshöllin und hat ein paar Schätze entdeckt.
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (3)
Am 11. Juli 1972 begann das legendäre "Match des Jahrhunderts" zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer endlich. Doch Fischer kam zu spät zur ersten Partie, der Straßenverkehr hatte ihn aufgehalten. Fischer hatte in der ersten Partie Schwarz und spielte zur allgemeinen Überraschung nicht wie meist Grünfeld oder Königsindisch, sondern Nimzo-Indisch. Die Partie verlief in ruhigen Bahnen und die meisten Experten rechneten mit einem Remis. Doch dann, im 29. Zug, nahm Fischer einen vergifteten Bauern. "Ein Zug und wir machen in der ganzen Welt Schlagzeilen!", kommentierte einer der Organisatoren glücklich.
Vor 45 Jahren – Bobby Fischer in Island (4)
Bobby Fischer, Herausforderer und Favorit im WM-Kampf gegen Boris Spassky in Reykjavik 1972, verlor die erste Wettkampfpartie auf dramatische Weise. Fischer erklärte, ihn hätten die Kameras gestört. Zur zweiten Partie trat der Amerikaner aus Protest nicht an und verlor kampflos. Damit lag er im Wettkampf 0-2 zurück. Fischer hatte schon einen Rückflug nach New York gebucht, aber spielte die dritte Partie dann doch – in einem Raum hinter der Bühne!
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (5)
Nach drei Partien stand es im Match des Jahrhunderts 2:1 für den amtierenden Weltmeister. In Partie vier spielte Spassky eine gut vorbereitete Variante des Sizilianers und erhielt starken Angriff. Fischer verteidigte sich zäh und die Partie endete mit Remis. Dann folgte eine Schlüsselpartie, über die GM Robert Byrne, US-Meister 1972 und Korrespondent der New York Times und Chess Life, berichtet hat. In Reykjavik verfolgte Schachenthusiast Lawrence Stevens aus Kalifornien die Partien besonders aufmerksam: er schrieb per Hand auf, wie viel Bedenkzeit die Spieler für jeden Zug verbraucht hatten.
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (6)
Im sechsten Teil unserer Serie schauen wir uns an, was beim Wettkampf des Jahrhunderts Fischer gegen Spassky 1972 in Reykjavik hinter den Kulissen geschah. Spassky wurde von seinen Sekundanten umsorgt und von den sowjetischen Autoritäten unter Druck gesetzt. Geholfen hat es ihm nicht. Ein schwerer Schlag war Spasskys Niederlage in der sechsten Partie. Fischer spielte zum ersten Mal in seinem Leben Damengambit mit Weiß, Spassky konnte oder wollte sich nicht an seine Vorbereitung erinnern und Fischer gewann eine Glanzpartie.
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (7)
Boris Spassky startete mit einer 2-0 Führung in den "Wettkampf des Jahrhunderts" gegen Bobby Fischer in Reykjavik 1972. Aber dann schlug Fischer zurück: aus den nächsten acht Partien holte er 6,5 Punkte und führte so nach zehn Partien mit 6,5-3,5. Die Partien 8, 9 und 10 hatten viele dramatische Momente.
Vor 45 Jahren - Bobby Fischer in Island (8)
Nach zehn Partien stand es im Weltmeisterschaftskampf 1972 in Reykjavik 6,5-3,5 für den Herausforderer Bobby Fischer. Der Wettkampf schien praktisch schon entschieden, denn Titelverteidiger Boris Spassky hatte aus den letzten acht Partien nur 1,5 Punkte geholt. Doch in der elften Partie schlug Spassky zurück und fügte Fischer in der Najdorf-Variante eine vernichtende Niederlage zu.