Schachgrüße aus Kalifornien und neue Bücher
Der Winter gibt sich bei uns noch immer nicht geschlagen, deshalb freut
es einen, wenn Grüße aus wärmeren Gefilden eintreffen. So geschehen in diesen
Tagen, als sich Christian Hesse bei mir meldete. Der Mathe-Professor und Autor
des Bestsellers „Expeditionen in die Schachwelt“ hält sich seit dem vorigen
Sommer mit seiner Familie in Kalifornien auf. Ich hatte mich schon gefragt, wo
Christian ist, weil er bei den Dortmunder Schachtagen 2012 nicht zu sehen war.
Dort treffen wir uns sonst regelmäßig in jedem Jahr. Nun klärte Christian Hesse
mich auf:
„Ich bin im Juli 2012 mit der ganzen Familie nach Santa Barbara
aufgebrochen. Hauptgrund ist mein Forschungsaufenthalt an der Universität von
Kalifornien. Nebenher wollte ich beruflich das Land bereisen, einige
Autorenlesungen machen, ein paar Vorträge halten und etwas die Schachszene
verfolgen. Zudem ergab sich eine Teilnahme an der großen Oscar-Party in
Hollywood.“
Christian Hesse mit Ehefrau Andrea
Schminken für die Oscar-Party
Kindergeburtstag
Im sonnigen Kalifornien hat Hesse auch ein Buchmanuskript mit dem
launigen Arbeitstitel „Was Einstein seinem depressiven Papagei erzählte"
fertiggestellt. Darin geht es um Humor in der Wissenschaft. Das Buch kommt in
einigen Monaten beim Verlag C.H. Beck heraus.
Neben seiner Forschung war damit sein Leben am Ufer des Pazifiks
ziemlich ausgefüllt. Christian lernte viele interessante Menschen kennen,
darunter Ashleigh Brilliant, der einst Straßen-Philosoph in San Francisco war,
wo die Hippie-Bewegung in den 1960er Jahren begann. Vor knapp 50 Jahren gründete
er in der Bucht von San Francisco auf einem Boot die „Floating University", und
während der Blütezeit der Hippies im „Summer of Love" hielt er täglich
Vorlesungen im Golden Gate Park. Der heute 80- Jährige hat über 10 000
Aphorismen (Geistreiches mit weniger als 17 Worten) verfasst, wie zum Beispiel
„Meine Meinungen mögen sich geändert haben, aber nicht die Tatsache, dass ich
recht habe." Brilliant ist nach Hesses Worten ein ungemein geistreicher
Gesprächspartner. Er lebt vom Verkauf seiner Aphorismen-Bücher. Das Wall Street
Journal nannte ihn einmal den „einzigen professionellen Aphoristiker der
Weltgeschichte“.
Mit Ashleigh Brilliant. Das Foto zeigt die zwei bei der gemeinsamen
Arbeit an einem Aphorismus für Hesses oben genanntes Einstein-Buch.
Schon einige Zeit auf dem Markt ist Christian Hesses „Mathematisches
Sammelsurium“ (C. H. Beck, München 2012, 14,00 €). Dort finden sich Themen wie
der allergrößte Kartentrick aller Zeiten, die Umrechnung von gemessenen
in gefühlte Temperaturen, die Mathematik des Fußballs, die Eheformel,
mathematische Lyrik, eine Anleitung, Passwörter zu prüfen, ohne sie zu kennen
oder eine Möglichkeit, sich die vierte Dimension vorzustellen. Für Schachspieler
gibt es auch zwei Kapitel in dem Buch.
Buchcover
Etwas zum Knobeln
Im Kapitel „Mathematik und Schach“ ist folgende Aufgabe mit logischen
Denkschritten zu lösen.
Filip S. Bondarenko,
Europe Echecs 1964
Wer kann in einem Zug matt setzen?
Ist Weiß am Zug, so gewinnt er mit 1. Sxc7 matt. Ist Schwarz am Zug, so
gewinnt er mit 1...Sbxc2 matt.
Die Problemstellung läuft also darauf hinaus, aus der Figurenstellung
auf dem Brett zu erschließen, welcher der beiden Spieler in der gegebenen
Situation Zugrecht hat, Weiß oder Schwarz. Doch wie soll das zwingend und
eindeutig geschehen? Immerhin können jeder Springer und jeder Turm sowie auch
der schwarze und weiße König fast beliebig oft gezogen haben, oder? Wie will man
vor diesem Hintergrund ermitteln, welche Seite wie viele Züge ausgeführt hat,
welcher Spieler am Zug ist, wer also Matt setzen kann? Das ist nicht nur eine
Höchstschwierigkeit: Die Aufgabenstellung scheint geradewegs unmöglich. o:p>
Die Antwort wird aber möglich durch die Anwendung eines ganz
einfachen Denkwerkzeugs der Mathematik: des Paritätsprinzips. Man muss nur
herausfinden, welche Seite mehr Züge gemacht hat als die andere oder, ob beide
gleich oft gezogen haben. Und dafür wiederum reicht es aus, in Erfahrung zu
bringen, ob Schwarz und Weiß jeweils eine gerade Anzahl oder eine ungerade
Anzahl von Zügen ausgeführt haben.
MMehr soll hier nicht verraten werden. Durch logische Denkschritte kommt
man tatsächlich auf die richtige Lösung.
In einem anderen Kapitel mit der Überschrift „Man-in-the-Middle Angriff
“ zeigt Hesse seinen unverwechselbaren Schach-Humor.
Unverlierbare Spiele
Herrn K ist es gelungen, die beiden besten Spieler der Welt zum Schach
herauszufordern. Er erklärt, er werde simultan gegen beide spielen, am selben
Ort zur selben Zeit, aber in getrennten Räumen. Er verkündet ferner, dass er
gedenke, mindestens eine Partie zu gewinnen oder aber zwei Remis herauszuholen.
Herrn Ks scheinbar unüberwindliches Problem besteht leider darin, dass er
kaum etwas vom Schach versteht. Das ist kein kleines Manko, wenn man gegen Welt-
und Vize-Weltmeister antreten will. Dennoch kann er seine vollmundige Behauptung
ohne Risiko einlösen. o:p>
Er begibt sich dazu in den Raum 1 zu Großmeister 1 und wartet ab, was dieser
zieht. Dann begibt er sich in Raum 2 zu Großmeister 2 und zieht mit Weiß den Zug
Z1 des ersten Großmeisters. Er wartet den Antwortzug von Großmeister 2 ab, sagen
wir es ist Z2, und begibt sich anschließend wieder zu Großmeister 1 ans Brett
und zieht dort den Zug Z2. Diese Vorgehensweise lässt sich bis zum Ende
der Partien fortsetzen. Letzten Endes und genau besehen handelt es sich nur um
eine einzige Partie. De facto spielen die beiden Großmeister gegeneinander. Wenn
einer der beiden Großmeister gegen den anderen gewinnt, dann ist das aufgrund
des genialen Splittings von einer Partie in zwei, das Herr K betrieben hat, ein
Sieg und eine Niederlage für Herrn K. Oder die Partie der Großmeister endet
remis, dann kann Herr K sich gegen beide Großmeister jeweils ein Remis
gutschreiben. In beiden Fällen bedeutet das die Punkteteilung. Nicht schlecht
gegen die besten Spieler der Welt. Und auch die Qualität der von Herrn K
gespielten Partien kann sich sehen lassen.
IIm Buch sind witzige Zeichnungen zu dieser Geschichte.
Christian Hesse interessierte sich in den USA auch für das neue
amerikanische Schachwunderkind Samuel Sevian. Er hatte Kontakt mit dessen Vater,
der Physiker ist. Samuel erhielt schon mit 9 Jahren den Titel eines Nationalen
Meisters, was selbst Bobby Fischer erst mit 13 gelang. Inzwischen ist Sevian
FIDE-Meister und der stärkste U-14-Spieler des Landes. Wenn er sich auch
weiterhin für Schach begeistert, wird man noch viel von ihm hören, ist Christian
Hesse überzeugt.
Samuel Sevian (Foto: www.samuel-sevian.com)
Der Mathematiker und Schachfreund betätigt sich bei seinem
USA-Aufenthalt auch sportlich und ist ganz stolz, wenn danach die Pfunde
purzeln: „In der Freizeit mache ich ein intensives Mehrkampf-Training mit der
früheren Siebenkampf-Junioren-Weltmeisterin Annett Fleming (geb. Wichmann) als
Personal Trainerin, die ich hier kennenlernte. Sie stammt aus Jena und lebt
jetzt in Santa Barbara. Ich hatte noch nie ein so intensives und professionelles
körperliches Training.“
Training mit Annett Fleming
Kalifornische Impressionen
In San Francisco
It never rains in Southern California
Im Yosemite Nationalpark
Am Pazifik
Mathe Guru Hesse
Von Dagobert Kohlmeyer