"ANAND LIEGT UM
EINEN TICK VORN!"
Er ist der
Shooting Star im deutschen Schach. Obwohl eigentlich nur als Nr.
16 gesetzt, hat NICLAS HUSCHENBETH aus Hamburg
die Meisterschaft der Republik in Bad Liebenzell (Schwarzwald) gewonnen. Wie er
den Durchmarsch schaffte und wen er bei der jetzt
gestarteten WM
zwischen Titelverteidiger Anand (Indien) und Topalow (Bulgarien) in Sofia vorne
sieht, wollte CHESSBASE-Autor DR.
RENÉ GRALLA vom 18-jährigen Abiturienten wissen.
RENÉ GRALLA:
Wie fühlt sich das an, neuer Deutscher Meister zu sein? Immer noch überrascht
von Ihrem Riesenerfolg?
NICLAS
HUSCHENBETH: Selbstverständlich! Eigentlich hatte ich bis zur letzten Runde
nicht so richtig daran geglaubt.
RG:
In Bad Liebenzell fingen Sie
auf der Zielgeraden sogar den Topfavoriten ab, nämlich Großmeister Igor
Khenkin!
NH: Er hatte wohl
darauf spekuliert, dass ich im Schlussspurt mit Schwarz gegen IM Tobias Hirneise
keinen vollen Punkt holen würde, und gab seine eigene Partie Remis, während
meine Partie noch lief.
RG: Überhaupt hängten Sie eine ganze Reihe
von Konkurrenten ab, die dem Rating nach nominell stärker waren. Ihre
Mitbewerber haben Sie unterschätzt?
NH: Das glaube
ich nicht unbedingt! Die anderen haben einfach bloß nicht so hart gekämpft wie
ich. Hätte der Zweitplazierte Khenkin irgendwo doch noch mal eine Partie
gewonnen, anstatt wieder ein Unentschieden zu vereinbaren, wäre er jetzt
Deutscher Meister.
RG: Remisschieberei hat sich nicht
ausgezahlt.
NH: Das ist eben
einfach eine Sache des Charakters: ob Sie den Mut haben, auf Sieg zu spielen,
oder ob Sie Angst haben, eventuell zu verlieren.
RG: Sie
haben diesen Mut. Woher nehmen Sie Ihre mentale Stärke?
NH: Mir ist es
einfach niemals in den Sinn gekommen, aus taktischen Gründen ein Remis
anzubieten oder ein Remisangebot anzunehmen, wenn auf dem Brett noch viel
passieren kann und gar nichts entschieden ist. Außerdem gibt es kein besseres
Training als eine Partie zu Ende zu spielen: Wer vielleicht schon nach zwölf
Zügen in das Unentschieden einwilligt, hat doch gar nichts davon!
RG: Wie geht es weiter? Sie stehen kurz
vor dem Abitur - und dann?
NH: Ich werde bei
der Bundeswehr in der Sportförderkompanie meinen Wehrdienst ableisten.
RG: Können Sie sich vorstellen,
Schachprofi zu werden?
NH: Eher nicht.
Da verdienen nur die Topleute so viel Geld, dass sich das lohnt. Ich werde erst
einmal sehen, wie weit ich in der nächsten Zeit komme, bevor ich entscheide, in
welche Richtung ich gehe.
RG:
Nun wird in Sofia die Weltmeisterschaft
zwischen Titelverteidiger Viswanathan Anand aus Indien und dem Bulgaren Wesselin
Topalow ausgetragen.
Wie schätzen Sie die Chancen des Herausforderers ein?
NH: Topalow ist
ein großer Kämpfer. Er spielt nicht immer solide, aber gerade das macht ihn
unberechenbar. Manche Turniere gewinnt er ganz überragend, und zuletzt ist er in
guter Form gewesen, so hat er zu Beginn des Jahres im spanischen Linares Platz
eins belegt.
RG: Außerdem hat Topalow in Sofia den
Heimvorteil.
NH: Ich weiß gar
nicht, ob das unbedingt ein Vorteil ist. Falls Topalow nämlich eine Partie
verliert, werden ihn doch die heimischen Journalisten sofort fragen, wie das
passieren konnte. Das setzt ihn dann erst recht unter Druck.
RG: Böse Zungen unterstellen den Bulgaren,
dass sie vielleicht schmutzige Tricks für ihren
Mann versuchen.
NH: Bei der WM
2006 im kalmückischen Elista zwischen dem Russen Kramnik und Topalow gab es ja
tatsächlich den so genannten "Toilettenskandal" ...
RG: ... damals war Kramnik während der
Partien auffällig oft auf dem WC verschwunden. So dass ihn die Bulgaren
verdächtigten, heimlich auf dem stillen Örtchen womöglich per Computer die
jeweilige Lage zu analysieren ...
NH: ... ich
hoffe, dass der Wettkampf in Sofia ohne vergleichbare Probleme über die Bühne
geht. Ich glaube aber nicht, dass wir dort etwas Ähnliches wie in Elista
erleben. Diesen Imageschaden kann sich niemand leisten.
RG: Nun zu Anand. Wo sehen Sie dessen
Stärken?
NH: Für ihn
spricht seine große Erfahrung, er hat schon viele solcher Matches bestritten,
nicht zuletzt den Gewinn des Weltmeisterschaftsduells gegen Kramnik 2008 in
Bonn. Anands Stärke scheinen Zweikämpfe zu sein. Er spielt solider als Topalow,
und nach Niederlagen knickt er nicht gleich ein. Ich glaube, dass Anand die
besseren Nerven als Topalow hat. Eine Prognose ist schwierig, aber ich denke,
dass Anand um einen Tick vor Topalow liegt.