"Free Bobby Fischer"-Interview mit Hans-Walter Schmitt

von ChessBase
23.08.2004 – Der Organisator der Chess Classic Mainz, Hans-Walter Schmitt, fühlt sich dem früheren Weltmeister Bobby Fischer als Promoter der Fischerschach-Variante ganz besonders verbunden. Als er von der Inhaftierung Fischers in Japan hörte, gründete er eine "Free Bobby Fischer"-Initiative, startete eine Unterschriftenaktion unter den Großmeistern der Chess Classic Mainz und schrieb einen Brief an Innenminister Otto Schily mit der Bitte um Hilfe für Fischer. Allerdings trug ihm sein Engagement auch Kritik ein. Dr. René Gralla führt ein Interview mit dem Schach-Organisator, das in der Wochenendausgabe von Neues Deutschland erschien. Zu Neues Deutschland...Interview mit Hans-Walter Schmitt...

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„Chess Classic Mainz“-Hans Walter Schmitt im Austausch für Bobby Fischer in den Knast?
„Als Sportsmann ist er untadelig gewesen“

Bobby Fischer und kein Ende. Der ehemalige Schachweltmeister sitzt seit über einem Monat in japanischer Auslieferungshaft, nachdem die USA seinen Pass für ungültig erklärt haben. Der 61-jährige soll sich in den Vereinigten Staaten vor Gericht verantworten, weil Fischer 1992 in Jugoslawien 20 Jahre nach seinem spektakulären WM-Sieg über Boris Spassky gegen den Gegner von 1972 ein Revancheduell austrug und damit ein internationales Embargo verletzte. Der exzentrische Ex-Champ hat sich spätestens dann viele Feinde gemacht, als er in Interviews für philippinische Radiosender die Terroranschläge vom 11. September 2001 begrüßte und Israel wüst beschimpfte. Zwischenzeitig ist Robert James Fischer aus der Abschiebezelle auf Tokios Flughafen Narita in ein Internierungslager verlegt worden.

Währenddessen formieren sich die Fischer-Freunde. Der alte Rivale Boris Spassky bittet den US-Präsidenten George W. Bush um Milde. Andernfalls möge auch er verhaftet und mit Fischer in eine gemeinsame Zelle gesperrt werden – aber bitte mit einem Schachspiel (ChessBase berichtete). Überraschend hat die Präsidentin des Japanischen Schachverbandes, Miyoko Watai, eine langjährige Beziehung zu Fischer enthüllt und angekündigt, die beiden wollten nun heiraten. In Deutschland ruft Hans-Walter Schmitt aus Bad Soden, Promoter der von Fischer erfundenen Schachvariante „Chess960“, eine Kampagne „Free Bobby Fischer“ aus und bietet unter www.chesstigers.de gleich die passenden Soli-T-Shirts an (Unterstützer-Preis: 9,60 Euro). Eine Initiative, die ihrerseits auch Kritiker auf den Plan ruft: Jetzt wird der Fischer-Fan Schmitt in die anti-semitische Ecke gerückt. Der Autor Dr. René Gralla hat mit Hans-Walter Schmitt gesprochen.

Sie haben einen Offenen Brief an den Bundesinnenminister in Sachen Bobby Fischer gesandt. Was fordern Sie von Otto Schily?

Der Offene Brief enthält zwei Botschaften. Erstens: weil Fischer deutschstämmig ist, sollte Herr Schily doch bitte prüfen, ob es nicht möglich ist, Fischer Asyl in Deutschland zu gewähren. Zweitens: Wir können Fischer im Rhein-Main-Gebiet unterbringen, mein Verein „Chesstigers“ wird für ihn sorgen; Unterhalt, Kost und Logis für Herrn Fischer sind gewährleistet.

Gleichzeitig haben Sie eine Kampagne „Free Bobby Fischer“ gestartet und sammeln dafür Unterschriften.

Auf der Homepage meines Clubs „Chesstigers“ findet sich ein entsprechendes Formular. Bereits während des Turniers „Chess Classic Mainz 2004“ Anfang August habe ich unter den prominenten Teilnehmern Unterstützerlisten herumgehen lassen. Der FIDE-Weltmeister 2002, Ruslan Ponomarjow aus der Ukraine, hat aus Begeisterung spontan ein „Free Bobby Fischer“-T-Shirt angezogen. Auf diese Weise sind allein in der Mainzer Rheingoldhalle vier-, fünfhundert Unterschriften zusammengekommen.

Auf den Offenen Brief hat es aus dem Innenministerium eine erste Reaktion gegeben: Bobby Fischer müsse sich schon persönlich melden, so eine Sprecherin. Ein berechtigter Einwand – oder eine Ausflucht?

In diplomatischen Angelegenheiten bin ich leider nicht so bewandert, um das einschätzen zu können.

Die Affäre Fischer ist deswegen heikel, weil sich das frühere Schachgenie in den letzten Jahren vor allem durch anti-semitische Tiraden hervorgetan hat. Haben Sie, Herr Schmitt, keine moralischen Bedenken, sich mit so einem Mann zu solidarisieren?

Als Sportsmann ist er untadelig gewesen: Er hat keine Betrügereien am Brett begangen, er hat keine schnellen Remisen gemacht, er hat keine heimlichen Absprachen getroffen. Und vor allem: Während des Kalten Krieges ist er ganz allein gegen die Hegemonie der sowjetischen Großmeister angetreten. Leider ist es mir erst jetzt aufgegangen, dass seine anti-semitischen und anti-amerikanischen Ausfälle dazu führen, dass es Menschen gibt, die mein Engagement für Fischer als unerträgliche Verletzung religiöser Empfindungen und politischer Grundansichten ansehen. Das aber ist selbstverständlich niemals meine Absicht gewesen. Für mich war Bobby Fischer einfach nur ein sportliches Idol. Wegen Fischer habe ich angefangen, Schach zu spielen. Daher hat bei mir ganz einfach bloß Dankbarkeit überwogen: etwas zu tun für einen Menschen, der momentan gehetzt durch’s Leben geht. Und das um so mehr, als wir hier in Mainz, mit unserer „World New Chess Association“ WNCA, sein „Fischer Random Chess“ propagieren: Fischers neues Schach mit einer variablen Startposition der Figuren, das wir „Chess960“ nennen. Da kann man doch einfach nicht verleugnen, dass Bobby Fischer der ursprüngliche Gedankengeber ist. Alles andere wäre unfair.

Hat aber nicht der bekennende Anti-Semit Fischer dessen eigene Vision eines reformierten modernen Schachspiels auf Dauer beschädigt? Wie man es jetzt ja auch sogar Ihnen vorhält, Herr Schmitt: Ein derart krankes Hirn wie Fischer könne doch gar keine vernünftige neue Schachvariante entwerfen?!

Das ist eine Art der Fragestellung, die eigentlich gar nicht legitim ist. Eine gute Idee kann aus jedem Gehirn kommen. Und die Idee ist nicht per se krank, wenn auch der Mensch krank ist. Fischers Konzept ist einfach brillant: das Schach von angestaubter Theorie zu entrümpeln und für frische moderne Ideen zu öffnen.

Dennoch: Kann man das wirklich sauber trennen - hier der Sportsmann, dort die Person, die sich als fanatischer Anti-Semit outet?

Für mich bleiben da aber noch viele Fragen offen. Unter welchen Umständen hat Fischer die Aussagen gemacht, die ihm vorgeworfen werden; ist er da überhaupt Herr seiner Sinne gewesen? Womöglich stand er unter Drogeneinfluss?! Außerdem: Jeder begeht einmal Fehler im Leben. Jeder kommt in emotional schwierige Situationen. Hier hat auch die Sorgfaltspflicht der Journalisten nicht gewirkt - indem sie die Tiraden einfach zugelassen und hinterher veröffentlicht haben.

Wie schätzen Sie Fischer psychologisch ein? Was für ein Mensch ist er?

Da kann ich mir kein abschließendes Urteil erlauben. Was seine geistige Haltung beziehungsweise seinen Geisteszustand angeht, würde ich zunächst gerne lieber selber mit ihm reden. Ich vermute aber, dass er psychisch krank ist.

Möglicherweise geht sein Verhalten heute auf einen Vorfall von 1981 zurück, als er in Kalifornien irtümlich als Bankräuber verhaftet worden ist.

Bobby Fischer hat in Extremsituationen, wenn es um Geld im Schachsport oder um verletzte Persönlichkeitsrechte gegangen ist, immer kompromisslos reagiert. Wenn das stimmt, dass er in Pasadena, wo er lange Zeit lebte, festgenommen und dabei gefoltert worden ist, so kann ich es ein bisschen verstehen, dass er das Vertrauen in den Staat USA verloren hat. Ich meine, dass bei Bobby Fischer ein gesteigerter Selbstbehauptungswille deutlich wird: Er sagt, was er denkt. Und das ist falsch.

Obendrein hat er sich zu einer ungeheuerlichen Aussage hinreißen lassen – indem er die Anschläge vom 11. September 2001 ausdrücklich begrüßt hat!

Wahrscheilich ist das eine totale Überreaktion auf seine schlechten Erfahrungen gewesen, die Fischer persönlich in den Vereinigten Staaten gemacht hat. Diese Twin Towers in New York in die Luft zu jagen, das hat es noch nie gegeben, das war wie eine Kriegserklärung an die USA. Und so etwas gut zu heißen: Das ist natürlich unglaublich, so etwas überhaupt auszusprechen. Ich denke wirklich, dass Fischer eine gespaltene Persönlichkeit ist. Das eine sind seine Verfehlungen, was seine politischen und religiösen Ansichten angeht; das andere ist seine sportliche und schachlich wirklich überragende Persönlichkeit.

Mittlerweile wirft man sogar Ihnen, Herr Schmitt, Anti-Semitismus vor: weil Sie Bobby Fischer unterstützen.

Da gibt es vereinzelte Anrufe von verwirrten Geistern. Die nicht besser und nicht schlechter sind als die kurzfristigen Ergüsse von Bobby Fischer in Richtung USA und 11. September. Ich nehme das nicht zu ernst; ich war nur überrascht davon, weil ich überhaupt nicht damit gerechnet hatte, derartige Reaktionen mit meiner Aktion „Free Bobby Fischer“ loszutreten. Vielleicht bin ich zu naiv an das Thema herangegangen. Ich habe dabei diese ganzen politischen und religiösen Implikationen überhaupt nicht berücksichtigt. Für mich ist Fischer einfach nur der größte Weltmeister aller Zeiten gewesen. Deswegen hat mich besonders gefreut, dass ich viele E-Mails aus den USA, gerade auch aus New York erhalten habe – und alle sind positiv. Die Absender sagen, dass sie froh seien, dass ich Bobby Fischer unterstütze, und dass ich den Mut hätte, so etwas zu organisieren.

Ex-Weltmeister Boris Spassky, Fischers Gegner in den beiden Matches von 1972 und 1992, hat an den US-Präsidenten George W. Bush appelliert, Bobby Fischer zu begnadigen. Andernfalls solle man auch ihn verhaften.

Das ist eine Unterstützung, über die ich sehr froh bin. Und wenn sich sogar ein Boris Spassky für die Freilassung Fischers einsetzt, dann kann das nicht alles falsch sein, was wir mit unserem Aufruf „Free Bobby Fischer“ machen. So hat inzwischen übrigens auch der Passauer Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Max Stadler den Innenminister Schily in einer Presseerklärung dazu aufgefordert, Schily möge seine sehr guten Beziehungen zur US-Regierung für eine baldige Freilassung Fischers einsetzen.

Vielleicht greifen Sie, Herr Schmitt, den Vorschlag von Boris Spassky auf – in einer anderen Variante: Sie, Herr Schmitt, bieten sich den Amerikanern im Austausch für Bobby Fischer an. Sie gehen in den US-Knast, und Fischer kommt frei!

(Lacht) Das würde keine große Wirkung erzielen, weil ich eine total unwichtige Persönlichkeit bin. Das wäre deswegen bloß ein aufgetragener Marketinggag. Marktschreierische Dinge sind mir einfach zu plump; das möchte ich nicht machen in Bezug auf einen Menschen, den ich verehre – nicht wegen seiner politischen Meinung, sondern wegen seiner schachlichen Leistungen. Sollte aber wider Erwarten ein Austasch tatsächlich der einzige Weg sein, um Bobby Fischer zu helfen – dann würde ich auch das tun.

Ihr Tipp, wie die Affäre Fischer  ausgeht? Momentan sitzt er ja im Internierungslager in Japan: Das klingt beunruhigend, könnte aber auch im Ergebnis positiv sein. Die Unterbringung im Internierungslager deutet nämlich auf eine längere Verfahrensdauer hin – so dass ein Blitzabschiebung Fischers an die USA nun eher unwahrscheinlich wird.

Die gesamte Angelegenheit sieht insgesamt ziemlich dubios aus. Und ich vermute, da ist momentan viel Taktik im Spiel – wer da welche Strippen hinter den Kulissen zieht. Ich glaube ziemlich sicher, dass der Fall in den nächsten drei bis fünf Wochen geregelt sein wird.

Bis dahin kann ja jetzt der amtierende Weltmeister im von Fischer erfundenen „Chess960“, der Russe Peter Svidler, per Internet ein paar Partien gegen den Vater der Idee austragen. Svidler hat schließlich gerade seinen Titel während der „Chess Classic Mainz 2004“ Anfang August verteidigt – und Bobby Fischer hat momentan viel Zeit im japanischen Internierungslager.

Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit.

Interview: Dr. René Gralla

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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