"Man braucht ein gutes Gefühl für Harmonie"
Von Harry Schaack
Levon Aronian ist im Moment die Nr. 4 der Welt. Bei den Chess Classic wird der
armenische Olympiasieger vom 27.Juli bis zum 2. August in der Mainzer Rheingoldhalle
der Hauptakteur sein. Er versucht seinen WM-Titel im Chess960 zu verteidigen,
will Vishy Anands unglaubliche Siegesserie im Kampf um die GRENKELEASING Rapid
World Championship beenden, und eröffnet die Chess Classic mit dem traditionellen
Simultan an 40 Bretten. Darüber hinaus ist er ein großer Fan des Computerschachs,
der bei der Livingston Chess960 Computer World Championship auf seine Kosten
kommen wird. Harry Schaack sprach mit dem Mainzer Stammgast, der beim Schach
vor allem Spaß hat, seine Antworten oft mit einem Augenzwinkern gibt, und eine
bemerkenswerte Leichtigkeit ausstrahlt.
Harry Schaack: Herr Aronian, in diesem Jahr sind Sie der Hauptakteur der
Chess Classic. Sie spielen nicht nur beide Hauptturniere, die Chess960 WM und
die GRENKELEASING Rapid World Championship, sondern auch das traditionelle Simultan
an 40 Brettern. Lassen Sie uns mit letzteren beginnen: Wollen sie Anands Rekordergebnis
von 39:1 brechen?
Levon Aronian: Ich mag Simultanveranstaltungen. Sie bieten Amateuren eine gute
Gelegenheit, sich mit einem Top-Spieler zu messen. Der wichtigste Faktor beim
Simultan ist die Zeit. Ich denke nicht, dass ich mit Vishy in dieser Hinsicht
mithalten kann, denn er ist ein unglaublich schneller Spieler. Sein Rekordergebnis
zu überbieten, ist nicht mein vorrangiges Ziel. Ich schaue nicht so sehr auf
die Punkte. Ich versuche vor allem, Spaß zu haben und meine Gegner zu unterhalten.
Sie sind der amtierende Weltmeister im Chess960. Was denken Sie über diese
ungewöhnliche Schachvariante, in der die Grundstellung der Figuren zu Beginn
ausgelost wird?
Es ist heute schwer zu sagen, wer der beste im Chess960 ist, da es nur selten
gespielt wird. Die Weltmeisterschaft wird in Mainz im Schnellschach ausgetragen.
Das ist für den Moment ok. Vielleicht wird es in Zukunft neben Hans-Walter Schmitt
andere Organisatoren geben, die ebenfalls Chess960 Weltklassturniere auf die
Beine stellen. Dann können wir vielleicht auch irgendwann eine Weltmeisterschaft
mit klassischer Zeitkontrolle spielen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist jedes
Format in Ordnung. Ich denke, diese Weltmeisterschaft in Mainz bietet erstklassige
Unterhaltung.
Sie sind 2006 durch einen Sieg im Match gegen Svidler Chess960-Weltmeister
geworden. 2007 haben Sie den Titel in einem Rundenturnier verteidigt, wobei
die beiden Erstplatzierten ein Finalmatch spielten. Welches von beiden ist das
bessere Format?
Ich glaube, für die Zuschauer ist ein Rundenturnier interessanter als ein Match.
Und welcher der beiden Modi gefällt Ihnen persönlich besser?
Es ist mir eigentlich egal. Bei einem Rundenturnier ist der Zufallsfaktor höher
und es gibt mehr Spannung. In einem Match weiß man immer, was zu tun ist. Bei
vier Spielern kann ein unglückliches Resultat die gesamte Tabelle durcheinander
bringen und schließlich entscheidend für die Qualifikation für das Finalmatch
sein. Das bringt den besonderen Reiz. Da jeder Punkt zählt, ist in einem Turnier
auch der Kampfgeist höher. Mit Nakamura, Movsesian und Bologan wollen Ihnen
in diesem Jahr drei sehr starke Konkurrenten den Titel streitig machen.
Haben Sie gegen einen Ihrer kommenden Gegner schon einmal eine Chess960
Partie gespielt?
Nein, ich glaube nicht. Aber ich habe ein schlechtes Gedächtnis. (lacht) Ich
kann mich täuschen, aber ich erinnere mich nicht.
Wen betrachten Sie als Ihren größten Rivalen?
Das Feld ist sehr ausgeglichen, jeder kann gewinnen. Außerdem muss man berücksichtigen,
dass wir Chess960 spielen. Ein seltenes Spiel, in dem ein Spieler mit einer
geringeren Elo einen deutlich besseren sehr viel öfter schlagen kann als sonst.
Einer Ihrer Gegner ist Hikaru Nakamura, der zu den besten Schnellschachspielern
der Welt zählt. Können Sie etwas über seinen Stil sagen?
Unsere letzte Partie liegt schon einige Zeit zurück. Deshalb kann ich nichts
Substantielles dazu sagen. Erst wenn ich häufiger mit jemandem gespielt habe,
bekomme ich einen Eindruck von seiner Spielweise und kann ihn einschätzen. Ansonsten
bleiben die Kommentare mehr oder weniger unzureichend und sind bloße Spekulation.
WGM Arianne Caoili und GM Levon Aronian beim Championsdinner der Chess Classic
Mainz 2007
Und wie steht es mit den anderen beiden Kontrahenten, Movsesian und Bologan?
Die beiden kenne ich besser, denn ich habe erst kürzlich wieder gegen Sie gespielt.
Movsesian hat sich im letzten Jahr stark verbessert und spielt konzentrierter
als früher. Ich habe mich über seine guten Ergebnisse im letzten Jahr sehr gefreut.
Er hat das Potential, jedem gefährlich zu werden. Bologan ist ein solider Allround-Spieler.
Er ist im Lavieren und Manövrieren sehr versiert, weshalb ihm Chess960 liegt.
Sie haben eine Vorliebe für viele Schachabarten wie z.B. Tandem. Doch
vor allem sind sie der führende Experte im Chess960. Können Sie unseren Lesern
einen Hinweis geben, worauf es beim Chess960 ankommt?
Um im Chess960 erfolgreich zu sein, braucht man ein sehr gutes Gefühl für Harmonie.
Man muss seine Figuren vernünftig entwickeln und man muss wissen, wie man laviert.
Es ist ein sehr trickreiches Spiel. Die Taktik spielt eine weitaus größere Rolle
als im normalen Schach. Viele Partien werden durch Kombinationen entschieden.
Um aber ein perfekte Partie zu spielen, benötigt man eine strategische Vision.
Warum ist die Taktik im Chess960 bedeutender als im klassischen Schach?
Beim Chess960 tauchen oft sehr ungewöhnlich taktische Möglichkeiten auf. Solche
Situationen gibt es im klassischen Schach selten. Diese Stellungen sind eher
vergleichbar mit Studien oder Problem-Kompositionen.
Die Zuschauer können kaum das Highlight der Chess Classic 2009 erwarten:
Beim GRENKELEASING Rapid World Championship treffen Sie auf Weltmeister Vishy
Anand, der schon elfmal gewinnen konnte. Vielen ist noch Ihr fantastisches Match
von 2007 in Erinnerung, wo sie knapp mit 1,5-2,5 unterlagen. Welche Fehler haben
Sie damals gemacht?
Ich glaube nicht, dass ich große Fehler gemacht habe …
War es nur Pech?
Nein, Vishy hat damals einfach besser gespielt und verdient gewonnen. Ich versuche
dieses Jahr natürlich mein Bestes. Aber das Wichtigste ist der Spaß. Vishy und
ich kennen uns nun schon eine ganze Weile und wir haben etliche Partien miteinander
gespielt - das verbindet. Wir versuchen uns gegenseitig zu schlagen und benötigen
dazu keinen extra Stimulus. Es ist vor allem Spaß.
Aber es ist doch auch ein kompetitiver Wettbewerb, oder?
Ja, aber in Schnellschachturnieren ist die Ratingzahl nicht betroffen. Die Elozahl
ist heute sehr bedeutend, denn davon hängt für einen Profi ab, welche Einladungen
er bekommt. Das bedeutet auch, dass man im Schnellschach sehr viel entspannter
ist und kreativer sein kann. Insgesamt sind die Spieler auch in einer freundschaftlicheren
Stimmung.
Das bedeutet, Sie spielen im Schnellschach mit einem höheren Risiko …
Ja, ich denke, die meisten tun das. Man wählt Eröffnungsvarianten, die einen
unterhaltsamen Wert haben. Dabei ist es nicht so wichtig, ob sie auch hundertprozentig
korrekt sind.
Ist der Überraschungsmoment in der Eröffnung im Schnellschach bedeutender
als im klassischen Schach?
Man versucht den Gegner immer zu überraschen. Aber in Schnellturnieren kann
man auch mal zweifelhafte Abspiele wählen, weil der Gegner nicht genug Zeit
hat, die Idee am Brett zu widerlegen.
Wie schätzen Sie dieses Jahr ihre Chancen ein, Vishy zu entthronen?
Nun, ich möchte gewinnen. Das ist der einfache Plan.
(lacht)
Mit Nepomniachtchi und der deutschen Nr. 1 Naiditsch versuchen zwei Youngsters
Ihnen das Leben schwer zu machen. Was sind Ihre Erwartungen an diese beiden?
Es ist ein gutes Feld. Man könnte sagen: Doppel A (Anand / Aronian) gegen Doppel
N (Nepomniachtchi / Naiditsch)
(lacht wieder). Ich habe gegen beide schon
lange nicht mehr gespielt, aber ich kenne viele Partien von Ihnen. Sie sind
sehr gefährlich.
Sie sind ein großer Computer-Fan und ich bin sicher, sie werden sich wieder
die Livingston Chess960 Computer World Championship anschauen. Was fasziniert
Sie an einem Kampf zwischen zwei Schachprogrammen? Oder anders gefragt: Können
Sie das nicht auch am heimischen PC haben?
Das könnte ich, aber dort bekäme ich nicht die Menge an Informationen. In Mainz
kann man direkt neben den Programmierern sitzen, die diese Engines entworfen
haben. Man sieht, wie sehr diese Leute mitleiden und wie wichtig diese Sache
für sie ist. Sie können Dir alles über die Programme erzählen. Es ist eine sehr
lustige und ausgelassene Atmosphäre, die mich fasziniert.
Können Sie dabei noch etwas über die Programme lernen?
Ich bin nicht sicher, ob dies der beste Weg ist, mehr über die Programme zu
lernen. Aber mit diesen Leuten zu sprechen, die Dinge tun, die für uns Schachspieler
sehr wichtig sind, lässt mich gerne dorthin gehen. Die gesamte Atmosphäre ist
sehr nett.
Sie sind seit Jahren Stammgast bei den Chess Classic. Sie haben nicht
nur die Chess960 Weltmeisterschaft gewonnen, sondern Sie sind bis heute der
einzige Spieler, der das FiNet Chess960 Open zweimal gewinnen konnte. Was bedeutet
die Chess Classic für Ihre Karriere?
Als ich das erste Mal gewann, hatte ich eine Elo um die 2600 oder sogar weniger.
Dieser Sieg gab meinem Selbstbewusstsein einen enormen Schub. Chess960 ist für
mich so etwas wie pures Schach. Bei dieser Art des Schachs kann man sehr gut
erkennen, ob ein Spieler ein gutes Stellungsgefühl besitzt. Vielleicht habe
ich das Turnier deshalb zweimal gewonnen, weil ich zeigen wollte, dass mein
Sieg kein Zufall war. (lacht) Meiner Meinung nach wird im Chess960 deutlich,
ob ein Spieler Talent hat. Dieser Sieg brachte mir jedenfalls große Genugtuung.
Sie denken, Chess960 ist ein guter Test für Talente, weil sie sich nicht
hinter Eröffnungsvarianten verstecken können?
Ja, ich denke, im Chess960 sind die kreativen Spieler gegenüber denjenigen,
die gut Eröffnungsvarianten erinnern können, deutlich im Vorteil.
Spielen Sie auch privat gelegentlich Chess960?
Nein, irgendwie bin ich nie dazu gekommen.
Haben Sie sich auf das Chess960 irgendwie vorbereitet?
Ja, ich habe Bücher gelesen und mit einige Filme angesehen.
(lacht) Entspannt
zu sein ist ein gutes Training für meine Inspiration.
Die Chess Classic sind ein großes Festival. Welche Impressionen haben
Sie von der Veranstaltung?
Viele Leute mögen Schnellschach sehr gerne. Wenn sie einmal in Mainz waren,
kommen sie jedes Jahr wieder. Überall hört man: " Ich wünschte, alle Turniere
wären so wie dieses." Für mich persönlich ist es eine Gelegenheit, viele Freunde
zu treffen, die ich lange nicht gesehen habe. Ich kenne eine Menge Leute noch
aus der Zeit, als ich für Wattenscheid in der Bundesliga spielte. Das ist für
mich eine große persönliche Freude. Aber auch die Location ist toll. Mainz ist
eine schöne Stadt, der Spielsaal ist klasse, und die Organisatoren bemühen sich
sehr und erfüllen einem jeden Wunsch. Nicht zuletzt kann ich meine Lieblingsvariante
des Schachs spielen und bin in einer Umgebung von Leuten, die das Spiel so lieben
wie ich. Was kann es besseres geben?
Was sind Ihre persönlichen Erlebnisse, die Sie von den Chess Classic in
Erinnerung behalten haben?
Wahrscheinlich mein Sieg gegen Svidler und der damit verbundene Chess960 Titel
2006. Man wünscht sich bei den Chess Classic sehr, zu gewinnen, um im nächsten
Jahr eine erneute Einladung zu erhalten. Ich hatte etwas Glück, dass im letzten
Jahr, als ich andere Verpflichtungen hatte, meine Titelverteidigung um ein Jahr
ausgesetzt wurde. Dadurch habe ich ein zusätzliches Jahr, das ich in Mainz verbringen
kann.
Aber dieses Jahr haben Sie zwei Chancen, sich eine erneute Einladung zu
sichern …
Ja, und ich werde versuchen, die Gelegenheit am Schopfe zu packen.
Dank für das Gespräch und viel Glück.