"Wer ist dein Held?"

von ChessBase
15.06.2010 – Kürzlich besuchte Garri Kasparov wieder einmal Israel, diesmal als Preisträger des Dan David-Preises. David ist seinerzeit durch Passfotoautomaten reich geworden und hat später eine Stiftung gegründet, die jedes Jahr ähnlich dem Nobelpreis insgesamt drei Millionen Dollar an Preisträger in verschiedenen Kategorien vergibt. In diesem Jahr gab es einen weiteren Wettbewerb, bei dem Studenten in ganz Israel gefragt wurden "Wer ist dein Held?" Der Autor des Siegeraufsatz erklärte Kasparov zu seinem Helden und so lud Schachfan Dan David auch den 13. Schachweltmeister zur Preisverleihung ein. Zum Vergnügen von Kasparov fand sich unter den diesjährigen Preisträgern ein ganz Großer der Computerwissenschaft, dessen Name aber weitgehend unbekannt ist: Leonard Kleinrock - praktisch der Erfinder des Internets. Shay Bushinsky berichtet von der Preisverleihung und einem Kasparov-Simultan. Wer ist dein Held?...

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Wer ist Dein Held?
Text: Shay Bushinsky, Fotos: Shulamit Bushinsky

Dan David ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er hat ein Unternehmensimperium aufgebaut, indem er Sofortfotoautomaten in ganz Europa aufgestellt hat. Mittlerweile beaufsichtigt er eine Reihe erfolgreicher internationaler Unternehmen, von denen einige an der Londoner Börse notiert sind. Das macht David zu einem reichen Mann. Er ist 81 Jahre alt, liebt das Schach und sagt, dass er sich geistig fit hält, indem er jeden Tag zwei ernsthafte Schachpartien per Internet spielt.

Vor neun Jahren riefen David und die Universität Tel Aviv eine Stiftung ins Leben, der Davids Namen trägt. Jedes Jahr vergibt die Stiftung drei Millionen Dollar an Leute aus aller Welt, die Herausragendes geleistet haben. Die Sieger werden in jeder Kategorie aus einer Gruppe von vier Kandidaten gewählt. Die Auswahl erfolgt durch ein Komitee, das aus Nobelpreisgewinnern und Prominenten wie Henry Kissinger besteht. Zu den bisherigen Preisträgern zählen: der ehemalige US-Vizepräsident und amerikanische Senator Al Gore, Englands Premierminister Tony Blair, der amerikanische Cellovirtuose Yo Yo Ma sowie Robert Charles Gallo, der Entwickler des Anti-Aids-HIV-Impfstoffs.

Dieses Jahr wurde eine besondere Auszeichnung hinzugefügt. Er ging an den Sieger des Wettbewerbs "Wer ist Dein Held?". Dieser einzigartige Wettbewerb wurde zwischen Studenten aus ganz Israel ausgetragen. Die Studenten wurden gebeten, einen Aufsatz zu schreiben, in dem sie erklärten, wer ihr Held ist und warum.


Garry zwischen Dan David und Prof. Joseph Klafter, Präsident der Universität von Tel Aviv

Der Autor des Siegeraufsatzes 2010 erklärte Garry Kasparov zu seinem Helden und begründete dies mit Kasparovs Erfolgen am und jenseits des Schachbretts. Das veranlasste David, Schachfan und Philanthrop, Kasparov als Ehrengast zur Preisverleihung des Dan David Preises 2010 einzuladen, die letzten Monat in Tel Aviv stattfand.

Wer ist Leonard Kleinrock?

Garry Kasparov wirkte äußerst zufrieden. Er durfte in drei Kategorien Preise im Werte von je einer Million Dollar überreichen. Die erste Kategorie muss ihm passend erschienen sein. Es war der "/portals/3/files/10 Vergangenheit – Weg zur Demokratie"-Preis und er ging an Sen. Giorgio Napolitano – Spitzname "König Umberto" – der amtierende Staatspräsident Italiens.

Den Preis in der zweiten Kategorie, hervorragende literarische Leistungen, "/portals/3/files/10 Gegenwart – Literatur: Darstellung des 20. Jahrhunderts" teilten sich die kanadische Autorin Margaret Atwood und der indische Schriftsteller Amitav Ghosh.

Den Preis in der dritten Kategorie "/portals/3/files/10 Zukunft – Computer und Telekommunikation" teilten sich drei Giganten der Computerwissenschaft: Leonard Kleinrock, Gordon Moore und Michael Rabin.

Sie haben sich ihren Platz in der Geschichte der Computerwissenschaft verdient und gelten weithin als herausragende "Großmeister" des Fachs. Moore ist Mitbegründer von Intel. Seine Beobachtung, dass die Rechenleistung von Computern exponentiell wächst – und sich ungefähr alle zwei Jahre verdoppelt – wurde nach ihm "Moore’s Law" genannt.

Michael Rabin gilt als einer der Urväter der Computerwissenschaft, der Bahn brechende Beiträge in vielen Teilgebieten der Computerwissenschaften geleistet hat, insbesondere zur Komplexitätstheorie in der theoretischen Informatik und in der Kryptologie.

L-O-G I-N

Kleinrock hat die mathematischen Grundlagen für die Funktionsweise des Internets geliefert. Seine Arbeit entwickelte die Warteschlangentheorie – die neben vielen anderen Dingen die Kommunikationsprotokolle zur "Datenpaketvermittlung" unterstützt. Diese Protokolle ermöglichen digitale Netzwerkkommunikation, indem sie alle übertragenen Daten – unabhängig von Inhalt, Typ oder Struktur – in Blöcke passender Größe, genannt "Pakete" bündeln. Die Pakete werden gesammelt und über spezielle Netzwerkknoten in der richtigen Reihenfolge an ihre Empfänger geschickt...


Dasha und Garry Kasparov mit Shay Bushinsky

Als ich Kasparov vor der Verleihung des Dan David Preises traf, erzählte er gerade begeistert Kleinrocks Geschichte – von dem Moment, in dem Kleinrock "praktisch das Internet erfand": 1969 wurde der erste Netzwork-Gateway (ein Netzwerkknoten, den man als "Router" kennt) gebaut und an Kleinrock geschickt. Er testete sein neues Protokoll, indem er versuchte, durch diesen Router eine "logon-Nachricht" zu schicken. Das "l" und das "o" wurden erfolgreich übermittelt, aber der Buchstabe "g" brachte das System zum Absturz. Kleinrock und sein Team behoben den Fehler und tatsächlich funktionierte der erste Network-Logon dann auch.


Leonard Kleinrock beschreibt die Geburt des Internets – was auch immer Sie beschäftigt,
diesen entscheidenden Moment der Computergeschichte sollten Sie
nicht verpassen.

Ein Chirurg bei der Arbeit

Am nächsten Tag kam Garry Kasparov hellwach, gut gerüstet und in Begleitung seiner Frau ins Smolersh Auditorium der Universität Tel Aviv, um vor Hunderten von Zuschauern eine Simultanvorstellung an 30 Brettern zu geben. Zugegeben, die Gegner waren nicht allzu stark. Dennoch wird sich Kasparov an die schönen, aber auch die unangenehmen Momente erinnert haben, die er bei vorherigen Simultanveranstaltungen in Israel erlebt hat. Eine dieser Simultanveranstaltungen fand 1998 statt (als Teil der 50-Jahrfeier der Unabhängigkeit des Staates Israel) und war vielleicht einer der Höhepunkte in Garrys Karriere: In einem Uhrensimultan überrannte er die Israelische Nationalmannschaft (die einen Elo-Durchschnitt von mehr als 2600 aufwies und Spieler wie Alterman, Smirin, Huzman und Sutovsky in ihren Reihen hatte) mit 7-1. Bei ein paar anderen Simultanveranstaltungen gegen weniger elostarke israelische Spieler erlitt Kasparov jedoch ein paar unerwartete Niederlagen…

Dasha Kasparova ging nervös auf der Bühne umher und prüfte die Beleuchtung. "Garry braucht gutes Licht!", rief sie. Nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass alles in Ordnung ist, setzte sie sich in eine der vorderen Sitzreihen, um das Spektakel auf einem der großen Fernsehbildschirme zu verfolgen, die man im Hintergrund aufgestellt hatte. Die Simultanveranstaltung wurde live im Fernsehen und im Internet übertragen und von den Internationalen Schiedsrichtern Mordechai Sorek und Yedael Stepak, beide Veteranen ihres Fachs, beaufsichtigt.


Er nimmt diese Dinge sehr ernst: Kasparov vor Beginn des Simultans

Die Eröffnungsansprache hielt Prof. Joseph Klafter, Präsident der Universität von Tel Aviv. Klepter empfing Kasparov herzlich und meinte, er sei ein guter und treuer Freund Israels – vielleicht unterrichtet Kasparov ab nächstem Jahr sogar in der wirtschaftlichen Fakultät der Universität! Dan David hob Garry Kasparovs Leistungen im Schach als Modell für Spitzenleistungen hervor und sprach über seine Erfahrungen als Schachspieler und über die Schlüsselrolle, die Schach seiner Ansicht nach in der Bildung spielen sollte.


Dan David bei seiner Ansprache vor Beginn des Simultans

Dann begannen die Partien: Garry trat mit seiner üblichen Energie an die Bretter und variierte seine Eröffnungen systematisch. "Die relativ besser bewerteten Gegner machten einen strategischen Fehler, indem sie anfangs zu aggressiv spielten", meinte Garry hinterher. Andererseits errichtete einer der Studenten, der begabte Mohammed Nashef, gleich aus der Eröffnung heraus eine Festung, die Kasparov im späteren Verlauf des Simultans jedoch knacken konnte. Die Zuschauer genossen jede Minute der Veranstaltung – und verfolgten insbesondere die Partie des kleinen Drori, die Kasparov mit größerer Anstrengung zu spielen schien als die anderen Partien.


Die Figuren werden vor der Partie zurecht gerückt


In Erwartung des gegnerischen Zugs


Garry beobachtet, wie sein Gegner zieht

Die Spieler saßen bereits. Sie bildeten eine interessante Gruppe. Dan David wollte, dass die Mehrzahl der Teilnehmer junge Leute sind. David teilte die Simultanspieler in zwei Mannschaften auf; zur ersten gehörten David selbst, aber auch Prominente wie Yona Fogel und Moshe Spitzer, beides Manager israelischer Gasunternehmen. Die Gruppe der restlichen 20 Spieler setzte sich Studenten der Universität Tel Aviv und Kindern zusammen. Eins dieser Kinder, Saar Drori, war erst acht Jahre alt und hat vor kurzem die israelische Meisterschaft der U-9 gewonnen.

Kommentar: "Garry Kasparov war viele Jahre unangefochten Schachweltmeister. An der Universität von Tel Aviv University in Israel feierte er ein außergewöhnliches Comeback. Kasparov spielte gegen dreißig Studenten der Universität und gegen Kinder, die an einem wissenschaftlichen Forschungsprogramm teilnehmen. Nach vier spannenden Stunden hatte Kasparov den letzten seiner Gegner besiegt. Manche der Kinder, die an diesem Simultan teilnahmen, waren noch nicht einmal neun Jahre alt. Der jüngste Spieler war der achtjährige Saar Drori, ein Schachmeister. Er hat bereits oft gegen ältere Kinder gespielt, aber gegen Kasparov anzutreten, war ein denkwürdiges Erlebnis. Saar Drori: "Er spielte sehr aggressiv. Ich konnte Widerstand leisten, machte dann aber einen Fehler." Der junge Spieler hatte seine Hausaufgaben gemacht. "Mein Trainer und ich haben uns eine Menge von Kasparovs Partien angeschaut, um von seiner Technik zu lernen." Saars Traum ist es, noch einmal gegen Kasparov Schach zu spielen. – NTD Tel Aviv, Israel.


Eine Reihe nachdenklicher Gegner


Wie alt ist dieser Junge?? Kasparov gegen den achtjährigen Saar Drori


Die Gegner: Der Zweite von links ist Yona Fogel, gefolgt von Mohammed Nashef und Saar Drori

Während des Simultans waren manche Zuschauer der irrigen Meinung, Kasparov sei in ein paar Partien in Schwierigkeiten. Manche bezweifelten, dass Kasparov noch in Form sei und meinten, er hätte sich schon vor fünf Jahren vom professionellen Schach zurückgezogen... Aber sie irren sich. Kasparov erzählte mir, dass sein Blitz-Trainingsmatch mit Carlsen 3-3 Unentschieden ausgegangen ist… Wenn man Kasparov bei der Arbeit genau zusah, dann erkannte man, dass er wie in den guten alten Tagen an allen Bretter die Dinge unter Kontrolle hatte. Er kam an jedem Brett zu Plus-Gleich Stellungen und wusste genau, wann er Druck auf seine Gegner ausüben musste. Es war, als schaute man einem Chirurgen bei der Arbeit zu. Ohne Ausnahme schlug Kasparov methodisch jeden einzelnen seiner 30 Gegner.


Garry in charakteristischer Konzentration


Konzentriert bei der Arbeit während des Simultans an der Universität von Tel Aviv


Ein Chirurg bei der Arbeit – Kasparov gewann alle dreißig Partien

Für die Zuschauer und Spieler war es ein großartiges Erlebnis und eine großartige Veranstaltung. Vielleicht ist das bei solchen Simultanveranstaltungen normal. Doch für Kasparov war es eine besondere Simultanveranstaltung, aber nicht, weil er 30-0 gewonnen hat (ich glaube, er hatte nichts anderes erwartet). "Die bloße Anwesenheit der herausragenden Gewinner des David-Preises, die meine Partien verfolgt haben, war eine Inspiration für mich und das allein war mir alle Anstrengungen wert", meinte Kasparov abschließend.

Simultanpartie

Angefügt ist eine Partie aus der Simultanveranstaltung gegen den jungen und talentierten Oz Tal. Die Partie endete mit einem hübschen Damenopfer Kasparovs…

Kasparov,Garry - Tal,Oz [D00]
Tel Aviv, Simultan, 05.10.2010
1.d4 Sf6 2.Lg5 g6 3.Lxf6 exf6 4.e3 d5 5.c4 Lb4+ 6.Sc3 c6 7.cxd5 cxd5 8.Sge2 Sc6 9.a3 Lxc3+ 10.Sxc3 0-0 11.Le2 Te8 12.0-0 Lf5 13.Db3 Le4 14.Sxe4 dxe4 15.Dxb7 Sa5 16.Db4 Tb8 17.Dc3 Tb3 18.Dd2 Db6 19.Tab1 Tb8 20.g3 Sc6 21.Dc2 Sa5 22.Dxe4 Txb2 23.Ld3 Dd6 24.Txb2 Txb2 25.Da8+ Kg7 26.Dxa7 Dxa3 27.Le4 Tb5 28.Dd7 Tb6 29.Ld5 Df8 30.Tc1 Tb8 31.Tc7 Td8 32.Db5 Dd6 33.Txf7+ Kh6 34.Le4 De6

35.Dh5+!! Schwarz gab auf, denn er wird in vier Zügen Matt gesetzt: 35.Dh5+ gxh5 36.Txh7+ Kg5 37.f4+ Kg4 38.Tg7+ Kh3 39.Lg2#. 1-0.

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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