Ende einer Odyssee
2000 Kilometer, eine Million Schlaglöcher, eine überraschende
Fahrt mit der Fähre und die „Herr der Ringe“ Trilogie im Gepäck. Wie der
Schachweltmeister doch noch nach Sofia kam.
Monate der sorgfältigen Planung für die Schachweltmeisterschaft in Sofia wurden
durch einen Vulkan in Island, gelegen unter Eyjafjallajökull, einem der
kleineren Gletscher Islands gestört. Mehrere Zehntausende strandeten auf
Flughäfen in ganz Europa. Auch der Schachweltmeister Viswanathan Anand und seine
Frau und Managerin Aruna mussten kurzfristig umdisponieren. Das Ehepaar kam am
Donnerstag (15. April) in Frankfurt am Main an und plante, einen Tag später mit
Lufthansaflug „LH 3484“ um 10:05 Uhr mit drei Helfern und Freunden in die
Bulgarische Hauptstadt Sofia zu fliegen. Zwei andere Sekundanten planten, am
Freitag ebenfalls nach Sofia zu kommen um sich dort mit dem Weltmeister zu
treffen, allerdings von anderen Europäischen Flughäfen. Am Donnerstag reisten
bereist zwei Chess Tiger nach Sofia, Hans-Walter Schmitt und Christian Bossert,
um die Ankunft des Teams Anand vorzubereiten. Der Plan war wohl durchdacht, aber
am Donnerstag wurde klar, dass die Aschewolke aus Island auch den Flugverkehr am
größten deutschen Flughafen in Frankfurt beeinträchtigen würde.
Am Freitag wurde der Flughafen tatsächlich um 09:00 Uhr
geschlossen, gerade mal eine Stunde bevor der Flug nach Sofia abheben sollte.
Ärgerlich, aber da auch am Abend um 19:45 Uhr noch eine Lufthansa-Maschine nach
Sofia fliegen würde, wurde kurzfristig auf die Abendmaschine umgebucht. Da
niemand genau wusste, ob und wann überhaupt noch ein Flugzeug würde abheben
dürfen, entschied Aruna Anand vorsichtshalber, das abgefertigte Gepäck wieder
ausschleusen zu lassen. Die Lufthansa war in diesem Fall sehr kooperativ und
konnte eine Ausnahme machen. Gepäck wird nämlich nur in Ausnahmefällen
ausgehändigt, da es sehr schwer und kompliziert ist, zwischen mehreren
zehntausend Gepäckstücken genau die Gepäckstücke zu finden, die man sucht. So
dauerte es mehrere Stunden, bis das Gepäck tatsächlich da war. Eine weise
Entscheidung, da wenig später bekannt wurde, dass auch der Abendflug annulliert
wurde. Erneut wurde umgebucht, die Bordkarten für den nächsten Flug nach Sofia
am Samstag (17. April) wurden ausgestellt. Allerdings begann das Team um Anand
bereits am Freitag damit, nach alternativen Transportmöglichkeiten zu suchen.
Wolfgang Grenke von der GRENKELEASING AG, einer der Sponsoren der Chess
Classic der Bundesligamannschaft OSG Baden-Baden bot sogar an, mit
seinem Privatflugzeug nach Sofia zu fliegen, aber auch für diesen Flug bekam man
wegen der Aschewolke bereits keine Genehmigung mehr.
Viele Zugpläne wurden genau studiert, aber es wurde schnell
klar, dass überhaupt keine Karten mehr für Züge gen Süden zur Verfügung standen.
Außerdem musste noch beachtet werden, dass die Reise über den Landweg
kompliziert werden würde, da Anand und seine Frau mit ihren Indischen Pässen
nicht überall einfach einreisen können und für einige Europäische Länder ein
Visum benötigen! Der kürzeste Weg über Land von Frankfurt nach Sofia geht über
Serbien, aber genau für dieses Land brauchen Inder ein Visum, auch wenn sie nur
auf der Durchreise sind! Es war allerdings nicht mehr möglich, so kurzfristig
ein noch Visum zu bekommen.
Nachdem am 17. April klar wurde, dass in ganz Deutschland kein
Flug mehr abheben würden, blieb nur eine Alternative übrig: der Weg über die
Straße. Ein Weg über 2000 Kilometer, wobei fünf Länder durchkreuzt werden
mussten und der schnellste Weg über Serbien nicht möglich war. Und wo bekommt
man ein geeignetes Fahrzeug nebst Fahrer her? Viele Taxiunternehmen im
Rhein-Main Gebiet hatten entweder keine Fahrzeuge oder Fahrer mehr, andere
Unternehmen weigerten sich schlicht, „mal eben“ nach Bulgarien zu fahren. Nach
mehreren Stunden fand sich dennoch ein Taxiunternehmen in Amstelveen in den
Niederlanden(!), welches bereit war, die Fahrt mit zwei Spitzenfahrern und einem
geeigneten Transportmittel zu organisieren. Da die 500 Kilometer zwischen
Amstelveen und Bad Soden am Taunus, wo die Reise beginnen sollte, noch
überbrückt werden musste, konnte die Reise erst am Sonntag (19. April) starten.
Da allerdings auch die beiden Sekundanten, die an anderen Flughäfen in Europa
gestrandet waren, noch nach Bad Soden unterwegs waren, um geschlossen als Team
nach Sofia zu reisen, war dies die beste Lösung. Die Flughäfen blieben vorläufig
geschlossen und sogar Sofia wurde mittlerweile von der Aschewolke bedroht.
Pünktlich um 11:00 Uhr am 19 April stand der Mercedes
Sprinter mit den beiden Fahrern, Paul Oostheim und Peer Reintjes, in Bad
Soden vor der Tür.
Das Auto war ausgestattet mit einem DVD-Spieler, bequemen
Ledersitzen und einem Kühlschrank. Um 11:28 Uhr ging es dann los: Die Strecke
führte über Passau nach Wien in Österreich und von dort aus ging es weiter in
die Ungarische Hauptstadt Budapest, wo der Sprinter nach einer sehr angenehmen
und sonnigen Fahrt um 22:30 Uhr vor dem Hotel Zara eintraf. Die ersten 1000
Kilometer waren geschafft!
Am nächsten Tag ging es dann um 08:00 wieder los und schon
nach wenigen Metern standen der Weltmeister und seine Mannschaft in einem
schönen Montagsmorgenstau. Erstaunlich schnell navigierten die erfahrenen Fahren
aber den Sprinter aus der Stadt heraus und weiter ging es über Szeged Richtung
rumänische Grenze, da die Indischen Mitfahrer kein Visum für Rumänien benötigen.
Und genau hier starteten das Entertainment Programm: Der erste Film aus der
„Herr der Ringe“ Trilogie verschwand im DVD Spieler. Die lange Version,
wohlgemerkt.
„Nur“ 480 Kilometer mussten durch Rumänien gefahren werden,
bis zur bulgarischen Grenzstadt Vidin. Aber …
die Straßen in Rumänien waren schlecht: viele Schlaglöcher und Dutzende
Baustellen erschwerten die Fahrt, er regnete stark.
Außerdem mussten die Fahrer einige tote Hunde und Katzen
umfahren. Sogar die erfahrenen Fahrer hatten solche Straßenverhältnisse noch nie
erlebt. Nachdem für die knapp 500 Kilometer mehr als 12 Stunden benötigt wurden
und die Schachspieler im Bus mittlerweile die zweite Folge der „Herr der Ringe“
Trilogie gebannt geschaut hatten, erreichte man um 22:35 Uhr den Grenzort
Calafat. Das Schild „Port Calafat“ hätte uns schon warnen müssen und
tatsächlich, als die Rumänische Grenze ohne Probleme überschritten wurde, musste
unser Sprinter sich brav in eine Schlange einreihen: die Autos warteten auf eine
Fähre nach Bulgarien! Da es keine Brücke über den Fluss „Romania“ gab, musste
gewartet werden bis die Fähre voll besetzt war, damit sich die 15-minütige
Überfahrt auch lohnte! Um 23:45 war es dann endlich so weit und um kurz nach
Mitternacht am 20. April betrat der Weltmeister Bulgarischer Boden.
Nur noch 250 Kilometer bis Sofia! Wenn Sie meinen, das war es
dann wohl, haben Sie sich geirrt! Mittlerweile lief „Die Rückkehr des Königs“,
die dritte und letzte Folge der Trilogie im Sprinter. Liebe Leser, wenn Sie mehr
als 36 Stunden unterwegs sind, die Straßen menschenleer sind und ihr Ziel so
nahe ist, ja, dann kann es passieren dass man etwas schneller fährt als
eigentlich erlaubt ist. Und wenn Sie dann auch noch mit einem niederländischen
Nummernschild unterwegs sind … Um 02:15 Uhr wollte ein höflicher bulgarischer
Polizist dann doch noch gerne wissen, warum der Fahrer denn eigentlich 74 kmh
statt 50 kmh gefahren sei. Und was er denn überhaupt in Bulgarien wolle. Als er
dann erfuhr, dass der Schachweltmeister an Bord war, sagte er: „Okay, bring den
Anand nach Sofia, aber nicht zu schnell!“
Das war dann tatsächlich die letzte Hürde, sehen wir mal von
einer routinemäßigen Verkehrskontrolle, kurz vor Sofia ab. Nach mehr als 40
Stunden, am 20. April um 05:30 Uhr erreichte das Team Anand endlich sein Ziel:
das Hilton Hotel in Sofia. Es gab allerdings doch noch ein kleines Problem: Die
letzte Stunde des Films haben die Spieler verpasst! Na ja, es gibt ja auch noch
eine Rückfahrt