2000 Kilometer, 1 Mio. Schlaglöcher

von ChessBase
21.04.2010 – Das hatte sich Weltmeister Anand ganz anders vorgestellt. Letzten Freitag wollte der Weltmeister schon in Sofia eintreffen, um dann noch eine Woche Zeit für Akklimatisierung und letzte Vorbereitung zu haben. Doch dann machte ihm die Asche eines isländischen Vulkans und das folgende Flugverbot einen Strich durch die Rechnung. Im Folgenden mussten eine Reihe von Schwierigkeiten überwunden werden, um doch noch von Frankfurt, wo Anand festsaß, nach Sofia zu gelangen. So ist es z.B. gar nicht so leicht, einmal bei der Lufthansa aufgegebenes Gepäck wieder zurückzubekommen. Nachdem auch ein Auto und Fahrer gefunden waren, konnte die Reise über Land beginnen. Sie dauerte 40 Stunden, von denen man die längste Zeit auf rumänischen Straßen verbrachte, und führte über 2000 Kilometer und eine Millionen Schlaglöcher. Es gab aber auch positive Erkenntnisse: Die Verfilmung von "Lord of Rings" ist bei weitem nicht zu lang und die bulgarische Polizei arbeitet aufmerksam. Ein Reisebericht...

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Ende einer Odyssee
2000 Kilometer, eine Million Schlaglöcher, eine überraschende Fahrt mit der Fähre und die „Herr der Ringe“ Trilogie im Gepäck. Wie der Schachweltmeister doch noch nach Sofia kam.

Monate der sorgfältigen Planung für die Schachweltmeisterschaft in Sofia wurden durch einen Vulkan in Island, gelegen unter Eyjafjallajökull, einem der kleineren Gletscher Islands gestört. Mehrere Zehntausende strandeten auf Flughäfen in ganz Europa. Auch der Schachweltmeister Viswanathan Anand und seine Frau und Managerin Aruna mussten kurzfristig umdisponieren. Das Ehepaar kam am Donnerstag (15. April) in Frankfurt am Main an und plante, einen Tag später mit Lufthansaflug „LH 3484“ um 10:05 Uhr mit drei Helfern und Freunden in die Bulgarische Hauptstadt Sofia zu fliegen. Zwei andere Sekundanten planten, am Freitag ebenfalls nach Sofia zu kommen um sich dort mit dem Weltmeister zu treffen, allerdings von anderen Europäischen Flughäfen. Am Donnerstag reisten bereist zwei Chess Tiger nach Sofia, Hans-Walter Schmitt und Christian Bossert, um die Ankunft des Teams Anand vorzubereiten. Der Plan war wohl durchdacht, aber am Donnerstag wurde klar, dass die Aschewolke aus Island auch den Flugverkehr am größten deutschen Flughafen in Frankfurt beeinträchtigen würde.

Am Freitag wurde der Flughafen tatsächlich um 09:00 Uhr geschlossen, gerade mal eine Stunde bevor der Flug nach Sofia abheben sollte. Ärgerlich, aber da auch am Abend um 19:45 Uhr noch eine Lufthansa-Maschine nach Sofia fliegen würde, wurde kurzfristig auf die Abendmaschine umgebucht. Da niemand genau wusste, ob und wann überhaupt noch ein Flugzeug würde abheben dürfen, entschied Aruna Anand vorsichtshalber, das abgefertigte Gepäck wieder ausschleusen zu lassen. Die Lufthansa war in diesem Fall sehr kooperativ und konnte eine Ausnahme machen. Gepäck wird nämlich nur in Ausnahmefällen ausgehändigt, da es sehr schwer und kompliziert ist, zwischen mehreren zehntausend Gepäckstücken genau die Gepäckstücke zu finden, die man sucht. So dauerte es mehrere Stunden, bis das Gepäck tatsächlich da war. Eine weise Entscheidung, da wenig später bekannt wurde, dass auch der Abendflug annulliert wurde. Erneut wurde umgebucht, die Bordkarten für den nächsten Flug nach Sofia am Samstag (17. April) wurden ausgestellt. Allerdings begann das Team um Anand bereits am Freitag damit, nach alternativen Transportmöglichkeiten zu suchen. Wolfgang Grenke von der GRENKELEASING AG, einer der Sponsoren der Chess Classic der Bundesligamannschaft OSG Baden-Baden bot sogar an, mit seinem Privatflugzeug nach Sofia zu fliegen, aber auch für diesen Flug bekam man wegen der Aschewolke bereits keine Genehmigung mehr.

Viele Zugpläne wurden genau studiert, aber es wurde schnell klar, dass überhaupt keine Karten mehr für Züge gen Süden zur Verfügung standen. Außerdem musste noch beachtet werden, dass die Reise über den Landweg kompliziert werden würde, da Anand und seine Frau mit ihren Indischen Pässen nicht überall einfach einreisen können und für einige Europäische Länder ein Visum benötigen! Der kürzeste Weg über Land von Frankfurt nach Sofia geht über Serbien, aber genau für dieses Land brauchen Inder ein Visum, auch wenn sie nur auf der Durchreise sind! Es war allerdings nicht mehr möglich, so kurzfristig ein noch Visum zu bekommen.

Nachdem am 17. April klar wurde, dass in ganz Deutschland kein Flug mehr abheben würden, blieb nur eine Alternative übrig: der Weg über die Straße. Ein Weg über 2000 Kilometer, wobei fünf Länder durchkreuzt werden mussten und der schnellste Weg über Serbien nicht möglich war. Und wo bekommt man ein geeignetes Fahrzeug nebst Fahrer her? Viele Taxiunternehmen im Rhein-Main Gebiet hatten entweder keine Fahrzeuge oder Fahrer mehr, andere Unternehmen weigerten sich schlicht, „mal eben“ nach Bulgarien zu fahren. Nach mehreren Stunden fand sich dennoch ein Taxiunternehmen in Amstelveen in den Niederlanden(!), welches bereit war, die Fahrt mit zwei Spitzenfahrern und einem geeigneten Transportmittel zu organisieren. Da die 500 Kilometer zwischen Amstelveen und Bad Soden am Taunus, wo die Reise beginnen sollte, noch überbrückt werden musste, konnte die Reise erst am Sonntag (19. April) starten. Da allerdings auch die beiden Sekundanten, die an anderen Flughäfen in Europa gestrandet waren, noch nach Bad Soden unterwegs waren, um geschlossen als Team nach Sofia zu reisen, war dies die beste Lösung. Die Flughäfen blieben vorläufig geschlossen und sogar Sofia wurde mittlerweile von der Aschewolke bedroht.

Pünktlich um 11:00 Uhr am 19 April stand der Mercedes Sprinter mit den beiden Fahrern, Paul Oostheim und Peer Reintjes, in Bad Soden vor der Tür.

Das Auto war ausgestattet mit einem DVD-Spieler, bequemen Ledersitzen und einem Kühlschrank. Um 11:28 Uhr ging es dann los: Die Strecke führte über Passau nach Wien in Österreich und von dort aus ging es weiter in die Ungarische Hauptstadt Budapest, wo der Sprinter nach einer sehr angenehmen und sonnigen Fahrt um 22:30 Uhr vor dem Hotel Zara eintraf. Die ersten 1000 Kilometer waren geschafft!

Am nächsten Tag ging es dann um 08:00 wieder los und schon nach wenigen Metern standen der Weltmeister und seine Mannschaft in einem schönen Montagsmorgenstau. Erstaunlich schnell navigierten die erfahrenen Fahren aber den Sprinter aus der Stadt heraus und weiter ging es über Szeged Richtung rumänische Grenze, da die Indischen Mitfahrer kein Visum für Rumänien benötigen. Und genau hier starteten das Entertainment Programm: Der erste Film aus der „Herr der Ringe“ Trilogie verschwand im DVD Spieler. Die lange Version, wohlgemerkt.

„Nur“ 480 Kilometer mussten durch Rumänien gefahren werden, bis zur bulgarischen Grenzstadt Vidin. Aber …



die Straßen in Rumänien waren schlecht: viele Schlaglöcher und Dutzende Baustellen erschwerten die Fahrt, er regnete stark.

Außerdem mussten die Fahrer einige tote Hunde und Katzen umfahren. Sogar die erfahrenen Fahrer hatten solche Straßenverhältnisse noch nie erlebt. Nachdem für die knapp 500 Kilometer mehr als 12 Stunden benötigt wurden und die Schachspieler im Bus mittlerweile die zweite Folge der „Herr der Ringe“ Trilogie gebannt geschaut hatten, erreichte man um 22:35 Uhr den Grenzort Calafat. Das Schild „Port Calafat“ hätte uns schon warnen müssen und tatsächlich, als die Rumänische Grenze ohne Probleme überschritten wurde, musste unser Sprinter sich brav in eine Schlange einreihen: die Autos warteten auf eine Fähre nach Bulgarien! Da es keine Brücke über den Fluss „Romania“ gab, musste gewartet werden bis die Fähre voll besetzt war, damit sich die 15-minütige Überfahrt auch lohnte! Um 23:45 war es dann endlich so weit und um kurz nach Mitternacht am 20. April betrat der Weltmeister Bulgarischer Boden.

Nur noch 250 Kilometer bis Sofia! Wenn Sie meinen, das war es dann wohl, haben Sie sich geirrt! Mittlerweile lief „Die Rückkehr des Königs“, die dritte und letzte Folge der Trilogie im Sprinter. Liebe Leser, wenn Sie mehr als 36 Stunden unterwegs sind, die Straßen menschenleer sind und ihr Ziel so nahe ist, ja, dann kann es passieren dass man etwas schneller fährt als eigentlich erlaubt ist. Und wenn Sie dann auch noch mit einem niederländischen Nummernschild unterwegs sind … Um 02:15 Uhr wollte ein höflicher bulgarischer Polizist dann doch noch gerne wissen, warum der Fahrer denn eigentlich 74 kmh statt 50 kmh gefahren sei. Und was er denn überhaupt in Bulgarien wolle. Als er dann erfuhr, dass der Schachweltmeister an Bord war, sagte er: „Okay, bring den Anand nach Sofia, aber nicht zu schnell!“

Das war dann tatsächlich die letzte Hürde, sehen wir mal von einer routinemäßigen Verkehrskontrolle, kurz vor Sofia ab. Nach mehr als 40 Stunden, am 20. April um 05:30 Uhr erreichte das Team Anand endlich sein Ziel: das Hilton Hotel in Sofia. Es gab allerdings doch noch ein kleines Problem: Die letzte Stunde des Films haben die Spieler verpasst! Na ja, es gibt ja auch noch eine Rückfahrt

 

 

 

 

 

 

 

 


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