Interview mit Carsten Hensel
Von Diana Mihajlova
(geführt am 30. Mai 2008)
Ich bin Carsten Hensel zwei Mal begegnet, das erste Mal beim
Weltmeisterschaftskampf zwischen Kramnik und Leko und jetzt, beim Kampf
zwischen Peter Leko und Magnus Carlsen, zum zweiten Mal. In beiden Fällen
bemerkte ich sein tadelloses Auftreten, das Freundlichkeit und
Professionalität vereinbart, wenn auch etwas reserviert und distanziert ist.
Aber die Chance einer gemeinsamen Autofahrt auf der ein paar Stunden
langen Strecke von Miskolc nach Budapest gab mir die Gelegenheit, eine
extrem sensible, warme und direkte Person kennen zu lernen, mit einer
offensichtlichen Leidenschaft dafür, das Schach zu fördern, vor allem seine
Klienten Vladimir Kramnik und Peter Leko. Für ein paar Stunden genoss ich
eine wunderbare, spontane und höchst aufschlussreiche Konversation über
viele Aspekte der Schachwelt.
Diana Mihajlova: Ich nehme an, ich bin der erste, der
Ihnen Herzlichen Glückwunsch wünscht?
Carsten Hensel: Das ist zu früh, der ist erst am Montag!
Gut, dann vorgezogenen Herzlichen Glückwunsch! Wie ich gehört habe,
ist es der fünfzigste, nicht wahr?
Ja.
Wir wissen, dass Sie zwei der größten Spieler der Welt, Kramnik und
Leko, managen. Aber wir wissen sehr wenig über Sie. Wer ist Carsten Hensel
und wie wurde er der Manager von Kramnik und Leko?
Zunächst einmal – der Grund, warum ich im Hintergrund bleibe, ist der,
dass ich glaube, Manager, egal, in welcher Art von Sport oder Beruf, müssen
ihren Klienten dienen und nicht ihrem eigenen Ego. Wenn ich auf der
öffentlichen Bühne erscheine, dann weil ich einen guten Grund dafür habe: um
Vladimir oder Peter zu schützen oder ein bestimmtes Projekt zu unterstützen.
Aber nie, um mein eigenes Ego zu befriedigen. Das ist Teil des Jobs und ich
glaube, eine der wichtigsten Fähigkeiten ist, zu wissen, wer man ist und was
man macht – um in diesem Geschäft so lange zu überleben, wie ich es getan
habe.
Das Team: Vladimir Kramnik, Carsten Hensel und Peter Leko
Wie lange ist das?
Für mich begann das in den Neunzigern, als ich die Aufgabe übernommen
habe, Organisation und Marketing des Dortmunder Turniers zu verbessern. Eine
Art Durchbruch kam 1992: Damals – und dies war nur mit Hilfe von Garry
Kasparov möglich – gelang es uns, über elftausend Zuschauer und fast
zweihundert Journalisten zu einem Schachturnier zu bekommen. Dies war der
Beweis, dass Schach in Deutschland Mediensportart sein kann. Die ganzen
Neunziger habe ich dieses Projekt unterstützt und lernte dabei
Spitzenspieler wie Kramnik und Leko näher kennen.
Wenn ich es richtig sehe, haben Sie zuerst Leko und dann später
Kramnik gemanagt?
Das stimmt. 1998 habe ich angefangen, Leko zu managen, Kramnik dann drei
Jahre später. Natürlich kannten wir uns bereits früher, so dass ein anderes
wichtiges Element in diesem Geschäft, Vertrauen, bereits vorhanden war.
Außerdem verfüge ich über ein paar Fähigkeiten, die man braucht, um Manager
zu sein: Kenntnisse des Vertragsrechts, Organisationstalent und Geschick bei
der Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit. Aber auch die Fähigkeit, mit
dieser Art von Spielern umzugehen. Es dreht sich alles um den Klienten; es
dreht sich alles um den wichtigen Burschen. Man muss sehr feinfühlig sein
und man sollte ein gewisses Verständnis haben und wissen, wie man in dessen
Gebiet erfolgreich ist. Natürlich hängt viel vom Vertrauen ab. Aber
Vertrauen ist nur die Grundlage. Man muss seinen Job machen, seine Aufgaben
erledigen und dann einen bestimmten Weg einschlagen, der beim Umgang mit
dem, was da ist, weiter führt.
Wie vereinbaren Sie das berufliche und das persönliche Verhältnis zu
Ihren Klienten; wie weit kann man eine sofortige Freundschaft aufbauen?
Ich kenne Leko und Kramnik beide seit siebzehn Jahren. Als ich sie das
erste Mal getroffen habe, war Peter elf und stand kurz vor seinem zwölften
Geburtstag, und Vladimir war siebzehn. Über die Jahre habe ich sie immer
besser kennen gelernt und deshalb kann man zu Recht sagen, es gibt eine Art
persönliche Grundlage zwischen uns. Aber ich überbewerte das ganz und gar
nicht. Ich wünsche mir und hoffe, dass, wenn dieser Job, diese Karriere zu
Ende geht, wir immer noch eine phantastische persönliche Beziehung haben
werden, genau, wie wir sie immer hatten und jetzt haben. Man muss das
Persönliche vom Geschäftlichen trennen. Natürlich, wenn man eine Person
besser kennt, dann versteht man sie besser. Aber das sollte einen nicht
davon ablenken, technisch gute Arbeit als Manager zu leisten.
Also läuft alles perfekt, oder?
Es gibt immer etwas zu verbessern. Das ist ein Prozess. Selbst auf diesem
Niveau muss man immer Wege finden, um zu optimieren, um zu erkennen, wann
man entschlossen handeln muss. Das Gleiche gilt für den Schachspieler. Er
kann nicht wie Gott spielen, er macht nicht die ganze Zeit die besten Züge,
aber er wird versuchen, tiefer und tiefer in das Spiel einzudringen und zu
versuchen, seine Leistung zu verbessern. Das Gleiche gilt für den Manager.
Natürlich ist klar, dass Erfahrung und Energie die wichtigsten Eigenschaften
sind, die man als Schachspieler haben muss, aber ich glaube, das trifft auch
auf Manager zu. Denn man geht nicht ins Büro oder in die Fabrik. Man kann
seinen Urlaub nicht planen und es gibt keine Wochenenden.
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Die Familie: Birgit und Carsten Hensel
Tatsächlich muss man seinen Biorhythmus dem Biorhythmus der Spieler und
den Anforderungen des Jobs anpassen. Das heißt, man arbeitet bis spät in die
Nacht und geht oft erst um ein oder zwei oder drei Uhr morgens zu Bett. Man
gewöhnt sich das an. Das kostet viel Kraft und von der technischen Seite des
Jobs muss man sehr entschlossen sein und seine Erfahrung gut nutzen. Am
Anfang muss man vorsichtig sein; mit den Jahren gewinnt man zunehmend an
Selbstvertrauen, aber man muss immer daran denken, dass ein Fehler, den man
als Manager macht, vielleicht nicht nur einen selbst trifft, sondern auch
einem fantastischen Profi schaden kann. In der Schachwelt gibt es dafür
zahlreiche Beispiele, aber ich möchte keine Namen nennen.
Kramnik und Leko zu managen ist ein Full-Time-Job oder machen Sie
noch etwas Anderes nebenher?
Ja, natürlich ist das ein Full-Time-Job; andernfalls würde in der ganzen
Schachwelt etwas schrecklich im Argen liegen. Beide sind Teil des
Profigeschäfts. Das ist sehr komplex. Es geht nicht nur darum, hier mal
einen Vertrag zu machen oder dort mal eine Vereinbarung zu treffen. Beide
haben ein Konzept und eine Strategie, denen man folgen muss. OK, es gibt
gute Zeiten und schlechte Zeiten, aber es dreht sich alles darum, die Dinge
zu optimieren und ein bestimmtes Niveau an Disziplin einzuhalten. Es hilft,
wenn man gute Verbindungen hat. Der Job erfordert viel Kommunikation, jeden
Tag. Man kann nicht einfach dasitzen und abwarten. Zum Beispiel sind wir
jetzt in Ungarn, wo der Wettkampf in Miskolc stattfindet. Diese Wettkämpfe
werden bereits seit vier Jahren veranstaltet und dem aktuellen Vertrag
zufolge sollen sie noch ein weiteres Jahr stattfinden. Ich habe die ganze
Zeit viel Unterstützung geleistet. Als Manager kann man nicht einfach
abwarten und darauf warten, die Vertragstantiemen zu kassieren. Man muss
aktiv sein, nach neuen Sponsoren Ausschau halten, organisieren und
kontinuierlich nach Dingen suchen, die gut für den Klienten sein können.
Ihre erfolgreiche Karriere als Schachmanager muss auf vorherigen
Erfahrungen beruhen. Was haben Sie gemacht, bevor Sie Manager von Leko und
Kramnik wurden?
Ich habe Jura studiert und auch gewissen psychologischen Hintergrund. Ich
habe eine Zeit lang als Journalist gearbeitet und kam dann später zum Event
Management. Auf einem ziemlich hohen Niveau und da habe ich Einblicke in
Weltmeisterschaften in unterschiedlichen Disziplinen bekommen. Ursprünglich
hatte ich mit Spitzenveranstaltungen in anderen Sportarten als Schach zu
tun: Tischtennis, Eishockey, Eisschnelllauf... Wir müssen begreifen, dass
Schach, was kommerzielle Entwicklung betrifft, im Vergleich zu anderen
Sportarten, etwa zwanzig Jahre hinterher hinkt.
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Der Prozess, der technische Ablauf, auf all diesen Gebieten wie Werbung,
Marketing oder Medienarbeit ist im Prinzip immer gleich. Ich möchte nicht so
weit gehen zu sagen, dass Schach ein Produkt ist. Das wäre zu billig. Aber
in diesem Beruf ist es das natürlich in gewisser Weise. Ein Produkt braucht
einen Markt, aber zuerst braucht man ein Produkt, um einen Markt zu haben.
Man muss das Produkt in eine bestimmte Form bringen, damit man diese Art von
Produkt verkaufen kann. Natürlich gefallen mir diese Bezeichnungen überhaupt
nicht, aber es gibt überhaupt keine anderen, weil die technischen Abläufe im
Business und im Management praktisch immer gleich sind.
Da dieses Interview anlässlich des Schnellschachwettkampfs zwischen
Leko-Carlsen in Miskolc stattfindet, können Sie mir verraten, welchen
Eindruck Sie von dieser Veranstaltung haben?
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Der Oberbürgermeister von Miskolc dankt Carsten Hensel für seinen
Beitrag zu der Veranstaltung und überreicht ihm zu seinem 50. Geburtstag,
der ein paar Tage später sein wird, eine Flasche feinen Champagners.
Dieser Wettkampf sorgt für eine Menge Aufmerksamkeit. Was Peter Leko
betrifft, so ist das keine Überraschung, denn er spielt diesen Wettkampf
jedes Jahr. Aber Magnus Carlsen ist natürlich brandheiß und garantiert die
Aufmerksamkeit der Massenmedien. Er ist noch sehr jung und war der Shooting
Star der letzten zwei Jahre. In Runde drei und vier haben wir einfach
phantastisches Schach gesehen. Natürlich gefällt mir das Ergebnis nicht,
Peter hat Minus 1 [das Interview wurde nach der vierten Runde geführt].
Wir müssen sehen, wie sich die Dinge entwickeln, wie der Wettkampf zu Ende
geht. Aber was das Schach betrifft, so ist das phantastisch. Zuallererst ist
das ein Showwettkampf; es ist eine ausgezeichnete Show und den Leuten
gefällt sie. Für Leko ist diese Art von Aufmerksamkeit in Ungarn natürlich
sehr wichtig, in seinem eigenen Land eine solche Stellung eingeräumt zu
bekommen. Dafür sind wir der Stadt Miskolc dankbar. Leko ist sehr viel
unterwegs, aber es wäre schade, wenn in Ungarn selbst nichts passieren
würde. Diese Wettkämpfe waren jedes Jahr großartig.
Vielen Dank, Carsten und noch einmal: Vielen herzlichen Glückwunsch!