AIGO-Schach

von ChessBase
01.02.2006 – AIGO-Schach ist eine Schachvariante, die im Wesentlichen dem europäischen Schach entspricht. Hinzu kommen jedoch vier Kanonen, Spielfiguren des chinesischen Schachs. Aigo wurde 2004 von Feng Jun, dem Schach begeisterten Präsidenten des chinesischen Technologie-Konzerns Huaqi Information Digital Technology Co., Ltd. erfunden und soll die Symbiose aus westlichem und östlichem Prinzip symbolisieren. Almira Skripchenko hat kürzlich auf einer Promotion Tour in China einen Wettkampf in Aigo-Schach gegen Xie Jun gespielt. Dr. René Gralla erklärt, worauf es bei dieser Schachvariante ankommt. Aigo... Beitrag beim Neuen Deutschland...Mehr...

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Jetzt geht's lo-h-oos: Vier Kanonen für ein Matt
Von Dr. René Gralla

Eine schöne Frau, die eine neue Version der Mutter aller Spiele promotet: Wer kann schon einer derart charmanten Einladung widerstehen? Almira Skripchenko, Werder Bremens weiblicher Popstar in der Schach-Bundesliga, hat jüngst in der Volksrepublik bei einem Showkampf gegen die ehemalige Weltmeisterin Xie Jun das innovative AIGO Chess getestet (siehe auch den Bericht bei www.chessbase.com/newsdetail.asp?newsid=2759). Die vor einem guten Jahr kreierte Variante made in China ist ein Produkt aus der Ideenschmiede von AIGO, einer Spezialfirma für digitale Technologie, zu deren Abnehmern unter anderem auch die boomende Raumfahrtindustrie in der Volksrepublik gehört.



Let's go AIGO: Plakatwerbung für das Kanonenschach-Duell zwischen
den weiblichen Denksport-Popstars Xie Jun und Almira Skripchenko

Mit seinem Unternehmen abheben wie eine Rakete, das ist die Vision von AIGO-Boss Feng Jun, und der spacige Manager setzt dabei konsequent auf das home-made AIGO Chess als Mittel der Imagewerbung.

Hoch die Tassen: AIGO-Chef Feng Jun (l.) feiert mit seinem neuen Promo-Model Almira Skripchenko in Peking den Beginn einer neuen Zeitrechnung in der Schachgeschichte - nach dem Startschuss für AIGO Chess.

Wobei die gesamte Aktion Chefsache ist: Feng Jun persönlich hat sich das AIGO Chess ausgedacht, einen temporeichen Mix aus östlicher und westlicher Denksporttradition; die Fusion auf dem Brett soll entsprechend den globalen Anspruch des weltweit operierenden AIGO-Konzerns unterstreichen.


Auf dem Sprung : Die Chinesen und ihr Schach - und jetzt auch noch nachgerüstet mit Kanonen (Foto: Almira Skripchenko).

Der Clou am AIGO Chess: Die Kanonen aus dem XiangQi, wie das besondere Schach der Chinesen heißt, erweitern das vertraute Arsenal aus Läufer, Bauer, Springer, Turm im westlich der Wüste Gobi verbreiteten König-Dame-Spiel.

Moderne Kriegsführung im Schach der Chinesen: Salven der Fernartillerie entscheiden viele Partien (Foto: Christoph Harder).

Zu diesem Zweck wird die Ausgangsstellung der Figuren leicht abgewandelt: Die "b"- und "g"-Bauern der beiden Armeen erwarten ihre Marschbefehle nicht mehr auf den Feldern b2/g2 bzw. b7/g7, sondern die besagten Infanteristen sind bereits vorgerückt um je einen Schritt. In den frei gewordenen Lücken sitzen nun zweimal zwei Geschütze für Weiß und Schwarz.


Diagramm der Ausgangsposition im AIGO Chess: Die chinesischen Symbole markieren die Feuerstellungen der Geschütze vor dem ersten Zug. Üblicherweise werden im XiangQi, aus dessen Arsenal die Kanonen übernommen worden sind, keine Figuren über das Brett geschoben, sondern flache Scheiben mit Schriftzeichen, die den Kampfwert des jeweiligen Steins (General, Mandarin, Wagen, Pferd, Kanone, Elefant, Soldat) definieren.

Die Kanonen geben dem XiangQi, obwohl das Spiel sehr alt sein soll - die Chinesen behaupten, es sei entstanden während der Bürgerkriegswirren der "Warring States" um 200 vor Christus, also mehrere Jahrhunderte vor dem indischen Proto-Schach "Chaturanga" - , einen geradezu modernen Anstrich. Mit der Artillerie im Brettspielformat sind die Miniaturarmeen von Rot und Schwarz, die über einen zentralen Grenzfluss hinweg angreifen und den gegnerischen Herrscher in seinem Palast stellen wollen, um 840 nach Christus aufgerüstet worden. Denn damals, als die Germanen zwischen Rhein und Elbe gerade mal froh waren, nicht mehr auf Bäumen hocken zu müssen, sondern in windschiefen Hütten unterkriechen zu dürfen, hatten die cleveren Chinesen schon Explosivkampfstoffe und Kanonen erfunden; ein Quantensprung der Wehrtechnik, der sich sofort im XiangQi niedergeschlagen hat.

Die Kanonen aus dem einstigen Reich der Mitte verfügen über zwei Möglichkeiten, ihre Positionen zu verändern. Will ein Spieler die Artillerie verlegen, ohne gleich zu schießen, bewegt er das schwere Gerät wie westliche Schachtürme, mithin stur geradeaus entweder horizontal oder vertikal. Sollen die Haubitzen aber feindliche Truppenteile vaporisieren, sind dafür so genannte "Rampen" erforderlich: im Einsatzfall ein Stein von eigener oder fremder Farbe, der in beliebigem Abstand zwischen Haubitze und Zielobjekt auf der Senkrechten oder Waagrechten postiert sein muss. Über diesen virtuellen Beschleuniger hinweg feuert die Kanone und bildet symbolisch die ballistische Flugbahn eines Geschosses ab. Der getroffene Stein kegelt vom Brett, und die attackierende Kampfmaschine donnert hinab auf den eroberten Geländeabschnitt.


Foto: Christian Borrmann

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Indem die Kanonen aus dem XiangQi per AIGO CHESS integriert werden in das Westschach, sorgen sie für zusätzliche Spannung. Verrammelte Positionen lassen sich überraschend knacken, schließlich sind die Kanonen erst dann stark, wenn sie andere Figuren in der geplanten Angriffsrichtung als Rampen nutzen. Im AIGO Chess darf sich also niemand darauf verlassen, den König hinter einer mehr oder weniger soliden Barrikade verschanzt zu haben; ausgerechnet dann können Gunships wie aus Francis Ford Coppolas Vietnamfilmepos "Apocalypse Now" feuerspeiend einschweben und die Verteidiger niedermähen.

Wie die Kanonen im AIGO-Chess im Verbund mit unterstützenden Einheiten den König im 64-Felder-Schach erledigen, das demonstrieren nachfolgend die Diagramme I bis VI, die Almira Skripchenko als Souvenir aus Peking mit nach Hause gebracht hat (Abkürzung für das Geschütz: "G").

                        I                                             II                                         III


                       IV                                         V                                             VI

Zum Diagramm I: 1.Gc8# ... : Der Springer f8 nimmt dem schwarzen König das Fluchtfeld h7, gleichzeitig bildet das Pferd die Rampe für das Geschütz Gc8, das entsprechend die Felder g8 und h8 beherrscht; den sonst möglichen Fluchtweg über g7 verstellt der weiße König. Übrigens kann das Matt in Diagramm I auch so zustande kommen, dass zunächst die Kanone auf c8 ihr Rohr direkt in Richtung schwarzer König auf der ansonsten freien Reihe Nr. 8 richtet, ohne dass der so Fixierte - in Ermangelung einer Rampe - in diesem Augenblick im Schach steht. Erst nachdem der Springer auf das Feld f8 sprengt - 1.Sf8# ... - ist das Matt exekutiert, weil die Operation der weißen Reiterei eine Doppelwirkung hat: Sie löst das Bombardement durch das weiße Gc8 aus - die Haubitze verfügt mit dem Sf8 nun über die ersehnte Rampe -, gleichzeitig kontrolliert der Schimmel den Punkt h7, das letzte Schlupfloch des schwarzen Monarchen.

Diagramm II: 1.Gh3# ... (anderer Weg, wenn der König zuvor nicht auf h6 gestanden hat: 1.Kh6# ... - auch ein Monarch, da gibt es keine Privilegien, kann oder muss mal als Rampe für die Artillerie herhalten): Ld5 kontrolliert g8, Kh6 beherrscht g7, die Granaten der Kanone h3 nutzen den eigenen Feldherren h6 als Feuerhilfe.

Diagramm III: 1.Tb8# ... (alternativ, falls die Kanone zunächst auf d8 gestanden hat: 1.Gd7#): Dauerfeuer des Gd7 über den Bauern f7 hinweg auf das Feld g7; der Turm b8 gibt das finale Schach.

Diagramm IV: 1.Gg4# ...: Der instruktive Fall einer Rochade-Burg, die eine nur trügerische Sicherheit verleiht, weil über ihre Mauern die Geschosse des Feindes jaulen und heulen. Der schwarze König möchte sich liebend gern hinter seinem Landwehrmann g6 wegducken - und gerade deswegen kann das weiße Geschütz g4 mit Hilfe des unglücklichen Aktivators g6 den Feldherrn des Nachziehenden ausknocken. Zumal, um der Sache die Krone aufzusetzen, die improvisierte Brustwehr h7 das Sperrfeuer der Kanone h3 auf h8 überhaupt erst möglich macht.

Diagramm V: 1.Da6# ...: Die weiße Dame kann sich feist auf a6 niederlassen, weil sie tabu ist für den schwarzen Springer b8. Denn der Reiter darf die Dame von dort nicht vertreiben, weil er auf dem Feld b8 festgenagelt ist; würde er nämlich die Position verlassen, stünde der schwarze König im Schach durch das weiße Ge8 über die Rampe des schwarzen Lc8 hinweg - die weiße Kanone e8 fesselt folglich sowohl Sb8 als auch Lc8.

Diagramm VI: 1.Gh3# ...: Paukenschlag der weißen Kanone über die Rampe des eigenen Bauern h7 hinweg; der schwarze König kann die todbringende Feuerhilfe des Gh3 nicht beseitigen, weil der Bh7 gedeckt wird von Kg6. Der Monarch des Anziehenden hat überdies g7 unter seine Kontrolle gebracht, und auf g8 würde der Fußsoldat h7 zuschlagen.

So weit das erste Briefing. Und wie ist das von den chinesischen Medien stark beachtete Kräftemessen zwischen Almira Skripchenko und Xie Jun im AIGO Chess ausgegangen?


Zwei Granaten - am Brett sowieso: Almira Skripchenko und Xie Jun lassen's in Peking richtig krachen - mit dem Kanonen-Schach Marke AIGO.

Die Partie nimmt einen Verlauf, der Chinareisenden, die mit den Locals dort schon mal am Brett gesessen haben - sei es beim XiangQi oder beim westlichen Schach - , aus leidvoller Erfahrung bekannt vorkommen wird. Almira Skripchenko erobert zunächst einen materiellen Vorsprung; aber während sie anschließend versucht, ihre Einheiten zusammen zu halten, um Xie Jun methodisch an die Wand zu drücken, kontert die Chinesin und komponiert ein Matt, bei dem ihre Artillerie den tragenden Part übernimmt.

Offenbar bringen die Kanonen zusätzliche Dynamik in das AIGO Chess. Einfach mal selber ausprobieren; zusätzliche Geschütze sind schnell gebastelt, dafür reichen ein paar Wasserflaschendeckel und etwas Phantasie.

Und jetzt geht's lo-h-oos: Vier Kanonen für ein Matt - mit explosiven Liebesgrüßen an Almira.

Dr. René Gralla, Hamburg

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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