Das historische Bad
Wiessee in den 20er Jahren
Von Gerald Hertneck
Wenden wir den Blick kurz vom
Turniergeschehen ab, und schweifen wir in die Vergangenheit, und zwar in das
Jahr 1932, als das das Jod- und Schwefelbad Bad Wiessee einen Kurprospekt
auflegte, in dem viel Wissenswertes steht. So wurde im Jahr 1930 die
Wilhelmina-Quelle als zweite Heilquelle in Bad Wiessee erschlossen. Die erste
Quelle, die „König Ludwig III. Wiesseer Heilquelle“ wurde im Jahr 1909 in einer
Tiefe von etwa 700 Metern gebohrt und anschließend in Betrieb genommen. Es
handelte sich hierbei um die stärksten Jod- und Schwefelquellen des Deutschen
Reiches, wie Prof. Dr. Hintz in einer Zusammenstellung von 106 Quellen Europas
ermittelte. Im Bild die Pumpe der Wilhelmina-Quelle.
Seither nahm der Tourismus (den man damals
noch nicht so bezeichnete) in Bad Wiessee einen unaufhaltsamen Aufschwung. Der
Badebetrieb wuchs von 2.000 Bäderkuren im Jahr 1911 auf 10.000 Bäder im Jahr
1913. Im Jahr 1920 waren es bereits über 20.000 Kuren und 1927 über 100.000
Kuren. Der Höhepunkt wurde im Jahr 1929 mit 133.000 Kuren erreicht; danach
gingen die Zahlen aufgrund der Weltwirtschaftskrise wieder auf etwa 100.000
zurück. Infolge des starken Andrangs in der Hauptsaison empfahl die
Kurverwaltung bereits im Jahre 1931 die Monate Mai, September und Oktober für
den Kuraufenthalt zu wählen. Es wurden drei Arten von Kuren angeboten, nämlich
Trink-, Bade- und Inhalationskuren. In der Trink- und Badeordnung wird darauf
hingewiesen, dass lautes Sprechen, Singen und Pfeifen in den Badekabinen und
sonstigen Räumen des Badehauses nicht gestattet ist – anscheinend dachte man
auch damals schon an die für Schachspieler erforderlichen Turnierbedingungen.
Das Badehaus enthielt in getrennter Herren- und Damenabteilung 126 modern
eingerichtete Badekabinen, 52 Ruheräume, Massageräume, und ein neuzeitlich
eingerichtetes Inhalatorium. Das Haus war mit Dampfheizung versehen, und wurde
elektrisch ventiliert. Ferner war eine Trink-Wandelhalle vorhanden, in der
heutzutage mitunter Schach gespielt wird.
Aus dem bei Dr. E. Alt in Auftrag gegebene
klimatischen Bericht ist zu entnehmen, dass das Tegernseer Tal die Vorteile
einer gesunden Alpenluft mit ihren würzigen aber strömungsschwachen Lokalwinden.
Bei klarem Wetter steigt regelmäßig am Vormittag von der Talöffnung eine Brise
talaufwärts und des Abends senkt sich die erkaltete Luft der Höhen ins Tal
hinab; an den Berghängen ist die Luft in ständiger Zirkulation nach oben und
nach unten. Die Wassermassen des Tegernsees speichern in den Sommermonaten Wärme
auf und geben sie an die umgebende Luft ab. Das Tegernseer Gebiet verdankt dem
Einfluß des Sees eine Abkühlung der Sommerhitze und relativ milde Winter. Bad
Wiessee, am westlichen Ufer des Tegernsees, in einer Meereshöhe von 730 Metern
gelegen, ist von München nur 53 km entfernt.
Die Motorschiffahrt auf dem Tegernsee
existierte bereits im Jahre 1932 und wurde vom 1. Mai bis zum 31. Oktober
durchgehend angeboten, und brachte Wiessee in den regsten Verkehr mit den
übrigen am Tegernsee gelegenen Orten: Tegernsee, Egern, Rottach (Gmund ist nicht
genannt). Dank der regen Bautätigkeit in den 20er Jahren war die Zahl der in der
Gemeinde Bad Wiessee zur Verfügung stehenden Betten in Pensionen, Hotels und
Privathäusern derart gestiegen, dass von einem Wohnungsmangel keine Rede mehr
sein konnte. Die Mietpreise lagen zu der Zeit bei 7,50 bis 12,50 Reichsmark.
Zurück zum aktuellen Turniergeschehen. Nach
der vierten Runde gibt es nur noch 8 Spieler mit den vollen vier Punkten. Die
Begegnungen lauten wie folgt:
1 Lauber,Arnd, Dr. IM -
Burmakin,Vladimi GM
2 Schneider,Ilja -
Eingorn,Vereslav GM
3 Edouard,Romain IM - Zude,Arno
IM
4 Meister,Peter IM -
Naumann,Alexander GM
Im Ergebnis endeten alle vier Partien remis,
dafür wurden aber an den darauf folgenden Brettern drei von vier Partien
entschieden. Somit sehen sich die Großmeister morgen an den Spitzenbrettern mit
maximal 4,5 Punkten sitzen. Besonders schön anzusehen war aus meiner Sicht der
Endspielsieg von Ulf Andersson. Scheinbar aus dem Nichts heraus verlor sein
Gegner eine scheinbar ausgeglichene Partie. Das ist eben wahre Meisterschaft!
Chaostheorie im Schach
Heute hatte der Berichterstatter Gelegenheit
ein paar Worte mit Dr. Arnd Lauber zu wechseln. Mit seinen 32 Jahren darf er
als einer der aufstrebenden deutschen Spieler bezeichnet werden, was in diesem
Alter ungewöhnlich ist. Von Januar bis Oktober 2008 schoss er von Elo 2417 auf
2497, gewann also 80 Punkte dazu, und auch hier auf dem Turnier schlägt er sich
bisher mit 4,5 Punkten hervorragend. In der laufenden Bundesligasaison errang er
für die Schachfreunde Berlin am 5. Brett bisher 3,5 Punkte.
Arnd Lauber studierte in Barcelona, Paris,
Rio de Janeiro und Mexiko Mathematik mit Schwerpunkt Chaostheorie und
promovierte im Jahre 2004. Den häufigen Ortswechsel erklärt er so, dass es nur
wenige wissenschaftliche Fachgruppen für das Spezialgebiet der Chaostheorie
gibt. Da er sich sehr stark auf sein Studium konzentrierte, spielte er viele
Jahre gar kein Schach. Zwischen Oktober 2002 und Januar 2008 sind gerade einmal
8 international gewertete Partien eingetragen. Dann hat er sich entschieden, ein
Jahr lang Schach zu spielen, auch um Großmeisternormen zu machen. Nun hat er
eine GM-Norm, und hofft hier in Wiessee und / oder in der Bundesliga noch eine
zweite zu machen. Ab Januar wird er aber dann so richtig ins Berufsleben
einsteigen und bei einer Beraterfirma arbeiten. Wir wünschen ihm auf seinem
weiteren Lebensweg viel Erfolg!
An den Spitzenbrettern war die mit Abstand
wichtigste Partie des Tages die am Spitzenbrett, wo sich der führende Franzose
Edouard gegen den Elo-Favoriten Burmakin behaupten musste. Nach langem Kampf
endete diese Partie schließlich Remis, wobei der Russe lange am Drücker war.
Eine unangenehme Überraschung war das
Aussetzen von Ulf Andersson. Offensichtlich hatte ihn die gestrige Partie so
stark mitgenommen, dass er um eine Pause bat. Schade, bei einem Punktekonto von
4,5 aus 5.
Die für mich inhaltsreichste Partie war die
von Henrik Teske gegen Peter Meister. Sie ist im Partienteil ausführlich
kommentiert.
An der Spitze des Turnier stehen nur zwei
Spieler mit 5,5 Punkten: Edouard und Naumann. Mal sehen ob die morgige
Spitzenpaarung Remis ausgeht !?