Schach mit Brecht
Wenig bekannt ist die Schach Leidenschaft des Dramatikers und Lyrikers Bertolt
Brecht, oder wie Marcel Reich-Ranicki ihn einmal charakterisierte: " Ein
begnadeter Lyriker, der auch ein paar Theaterstücke geschrieben hat." Brecht
hatte sein großes Talent auch seinen zahlreichen Mitarbeiterinnen zu verdanken,
denen er stets eng verbunden war. Zusammen mit Ex-Frauen und Ehefrau nannte man
die Brecht-Familie auch gerne den "Brecht-Harem". Seine Mitarbeiterinnen
haben Brecht in großem Umfang zugearbeitet und eigentlich konnte man nie richtig
feststellen, was aus Brechts eigener Feder stammte oder was einer seiner
Mitarbeiterinnen niedergelegt hatte. Zudem gingen "Brecht&Co" (Brecht-Biographie
von John Fuegi) recht lässig mit dem geistigen Eigentum anderer um.
Brechts beste Mitarbeiterin war wohl Margarete Steffin, die nicht nur
literarisch, sondern auch organisatorische eine große Hilfe war. Als Steffin
1941 33-jährig in Moskau verstarb - der Brecht-Clan- befand sich just auf der
Abreise in die USA - war das für Brecht nicht nur privat eine Katastrophe.
In "Konfutse versteht nichts von Frauen" beschreibt Steffin, wie die
Kommunistische Jugend auch nach ihrem Verbot 1933 in Berlin die Treffen in einem
Jugendheim fortsetzten, indem sie sich als Schachclub tarnten. Einer der
Jugendlichen hatte einen glänzenden Schachspieler als Bruder, der alle im Schach
unterrichtete. Andere kommunistische Zellen tarnten sich als Gesangsverein,
flogen aber sofort auf, als sie bei der Kontrolle etwas vorsingen sollten.
Schach war da die bessere Tarnung.
Brecht selbst war vermutlich zuvor schon in München mit dem
Schach in Berührung gekommen. Im Café Stefanie in Schwabing spielte man viel und
gerne auch Schach.
Schach im Café Stefanie in München
1933 ging Brecht ins Exil, zunächst nach Dänemark, wo er neue Bekanntschaften
machte. Aus dieser Zeit datieren einige Bilder, die Brecht beim Schach zeigen,
mit seinem Freund Walter Benjamin und mit Margarete Steffin.
Bert Brecht und Walter Benjamin beim Schach
Im Guardian erschien im Januar eine Analyse der abgebildeten
Partie zwischen Brecht und Benjamin:
Mit Maragarete Steffin und Schachuhr
1939 floh Brecht nach Schweden und Finnland, schließlich
emigrierte er über Moskau per Transsibirischer Eisenbahn über Wladiwostok nach
Kalifornien (Santa Monica). Dort traf er viele andere Emigranten aus
Deutschland.
Vor 1941 war Brecht bereits zweimal in Moskau gewesen, da man ihn dort als
Aktivisten gegen Deutschland und die Naziherrschaft zu gewinnen suchte. 1935
besuchte Brecht eine Parade und war Gast bei der Einweihung der prachtvollen
Moskauer Metro, die er mit einem Gedicht ehrte. 1935 war bekanntlich auch das
zweite große Schachturnier von Moskau, an dem auch der zu dieser Zeit in Moskau
im Exil lebende Lasker teilnahm.
Einweihung der Metro
Lasker und Brecht bei der Einweihung der Moskauer Metro 1935
Mehr über die Moskauer Metro...
Lasker und Brecht lernten sich bei der Eröffnung kennen und
blieben in der Folge, wie man erst seit kurzem weiß, in intensivem Briefkontakt.
Im Nachlass der Lasker-Familie fanden sich sich zahlreiche Briefe Brechts an
Lasker, z.T. auch mit vielen schachlichen Fragen.
Noch in diesem Jahr soll der vollständige Briefwechsel,
übrigens mit z.T. sensationellen Entdeckungen, in großer Schmuckausgabe als
Folgeband zur Lasker-Biographie erscheinen:
Forster Hansen Negele: Emanuel Lasker Bertolt Brecht Briefe
1935-1941, 1500 Seiten, 79, Euro
Als kleiner Ausschnitt des Werkes wurden vorab schon einige
Briefe veröffentlicht, die besonders auch schachlich interessante Aufschlüsse
geben.
Lieber Lasker,
Skovbostrand per Svendborg, 31.9.35
ich habe ihr Buch "Gesunder Menschenverstand"
inzwischen mit großem Gewinn gelesen und mich mit einigen Fragen der
Eröffnung beschäftigt. Mir erscheinen die Parallelen von großen
Schachpartien mit den Fragen des Theater ebenso offensichtlich wie
Ihnen, mehr noch. Kann nicht gar der Gang der Menschheitsgeschichte
sogar mit den Mitteln des Schachspiels erklärt werden. Denken Sie nur an
die Rolle des Proletariats in beidem? Was mir besonders zu denken gab:
Im Schach übernimmt das Proletariat im Endspiel die Anführerschaft, und
sollte es nicht auch so sein bei der Bestimmung der Geschicke des
Menschen?
Noch bin ich zum Lesen ihres schönen Werkes "Vom Menschen die
Geschichte" nicht gekommen. Habe mir aber vorgenommen, es als nächstes
zur Hand zu nehmen.
Übrigens hatte ich bei der Analyse ihre Schachpartien eine Idee. In
ihrer Partie gegen Pirc, im Moskauer Turnier, konnte man da nicht nach
1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 d6 6.Le2
statt 6... e6 viel besser 6...e5 ziehen. Proletarier vor!
In ihrer Partie hatte Schwarz nach 7.0–0 a6 8.Le3 Dc7
9.f4 Sa5 10.f5 Sc4 11.Lxc4 Dxc4 12.fxe6 fxe6 ja keine Chance nach
13.Txf6 gxf6 14.Dh5+ Kd8 15.Df7 Ld7 16.Dxf6+ Kc7 17.Dxh8 Lh6 18.Sxe6+
Dxe6 19.Dxa8 Lxe3+ 20.Kh1 1–0
Herzlichst ihr alter
Lieber Lasker,
Skovbostrand per Svendborg, 31.11.35
danke für den Hinweis mit dem Feld d5 in ihrer Partie
gegen den Pirc . Aber so ist es eben: wer stürmisch vorprescht,
hinterlässt auch mal eine Lücke. Ich sehe das nicht so dramatisch wie
Sie. Und sehen Sie, auch die vielen Prozesse, von denen man jetzt in
Moskau hört und von denen Sie berichtet haben, haben ihr Gutes. Denn je
unschuldiger sie sind, um so mehr haben sie den Tod verdient.
Ich muss noch um Aufschub bitten, was ihr Theaterstück angeht. Viele
andere Arbeiten sind mir dazwischen gekommen.
Gestern Abend hatte ich noch so eine proletarische Idee:
Nach 1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 d6, was man wohl
nun die Scheveninger Variante nennt, könnte man nicht einfach nun direkt mit
6. g4 zum Angriff übergehen?
Seien Sie gegrüßt von ihrem
Lieber Lasker,
Skovbostrand per Svendborg, 30.02.37
ich freue mich, dass Sie Zeit fanden,
meine Vorschläge zu prüfen. An die spätere Rochade hatte ich zunächst
gar nicht gedacht. Sie haben ganz recht, wenn Sie mich darauf verweisen,
dass nach g2-g4 der Königsschutz schon sehr zerstört ist. Nach links zu
rochieren verbietet sich unter Meistern wohl?
Es freut mich zu hören, dass Sie noch einmal literarisch tätig werden
wollen und ich bin begierig, ihr neues Werk bald in Händen zu halten.
Ihres und ihres Bruders Stück konnte ich noch immer nicht lesen, es tut
mir schrecklich leid. Zu viele andere Dinge sind von vordringlicher
Wichtigkeit. Doch es liegt hier schon bereit und ich hoffe gleich
nächste Woche mit dem Lesen beginnen zu können.
Haber gerade ihre Partie aus dem letztjährigen Turnier nachgespielt, die Grete mir aus Moskau
geschickt hat:
Botvinnik,Mikhail - Lasker,Emanuel, 1936
1.Sf3 d5 2.c4 e6 3.g3 Sf6 4.Lg2 Le7 5.0–0 0–0 6.d4
Sbd7 7.Sc3 dxc4 8.e4 c6 9.a4 a5 10.De2 Sb6 11.Td1 Lb4 12.Se5 De7 13.Le3
Ld7 14.Sxc4 Sxc4 15.Dxc4 b5 16.De2 Tab8 17.axb5 cxb5 18.e5 Se8 19.d5
exd5 20.Sxd5 Dxe5 21.Sxb4 1–0
Mir scheint, die frühe Aufgabe der Mitte (7. dxc4) war ein Fehler, vor
allem das beharrliche Festhalten am Materiellen. Das ist doch nie gut.
Ich hatte die Idee: 6...dxc4, aber nach 7.Dc2 dann 7...a6 und
schließlich nach 8.Dxc4 b5 Vormarsch der Arbeiterklasse. Was meinen Sie?
Ich plane eine Reise nach Moskau und hoffe Sie dort erneut zu
treffen.
herzlichst
Lieber Lasker,
Helsingfors, Juni 40
herzlichen Dank für ihr neues Werk "Wie
Wanja Meister wurde." Es liegt neben ihrem Theaterstück und sogleich,
wenn ich dieses gelesen habe, werde ich mich der neuen Arbeit widmen.
Schon zu lange musst ich mir die Freude verkneifen wegen andere
Geschäfte. Inzwischen habe ich auch ein besseres Verständnis für ihre
Abreise in die USA. Im Vertrauen sage ich Ihnen, ich plane selbst,
möglichst bald mich dorthin zu begeben. Ich danke herzlich für die
Zusendung der Mitschriften ihres Wettkampfes gegen Marshall. Hier ist
mir eine Verbesserung aufgefallen, zu der ich ihrer Meinung einholen
möchte:
Marshall,Frank James - Lasker,Emanuel, New York, 18.05.1940
1.c4 e6 2.Sf3 Sf6 3.Sc3 d5 4.d4 Sbd7 5.Lg5 Le7 6.e3
0–0 7.Dc2 c5 8.cxd5 Sxd5 9.Lxe7 Dxe7 10.Sxd5 exd5 11.Ld3 g6 12.dxc5 Sxc5
13.0–0 b6 14.Tac1 a5 15.Tfd1 Lb7 16.Sd4 Tfc8 17.De2 Df6 18.h3 Tc7 19.Tc3
Tac8 20.Tdc1 De5 21.a3 a4 22.Lb5 Ta8 23.Lxa4 Txa4 24.b4 De8 25.Dc2
und nun sollte 25...Ta8 26.bxc5 bxc5 27.Se2 c4 die
Partie in völligem Gleichgewicht halten, was denken Sie?
Stattdessen wie
bekannt
Te7 26.bxc5 bxc5 27.Txc5 Txe3 28.fxe3 Dxe3+ 29.Df2
Dxd4 30.Dxd4 Txd4 31.Ta5 Tc4 32.Txc4 dxc4 33.Tc5 La6 34.a4 1–0
Mit bestem Gruß
Ihr bertolt brecht
Liebe Hella Wuolijoki
Helsingfors, Nov. 40
bin mit meinen Abreisevorbereitungen weit gediehen. Wir
warten noch die ganze Zeit auf die amerikanischen Visen. Es gibt auch
noch Probleme mit den Billeten von Wladiwostock nach San Francisco. Muss
Apletin noch schreiben. Ich hoffe, wir können in Rubel bezahlen. Wir
nehmen nur das Nötigste mit. Gerade habe ich (endlich!) auch die Bücher
von diesem Lasker weg geworfen. Sie lagen hier immer herum, denn ich
hatte Angst, er würde mich mal nach etwas fragen. Furchtbarer Quälgeist
und noch schlimmerer Dilettant. Wer sollte wohl jemals solchen
leblosen Unfug aufführen?
Herzlich und immer wieder Dank
Dein
brecht
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Nach einer Anhörung des FBI, das Brecht der Mitgliedschaft in
der Kommunistischen Partie verdächtigte, verließ Brecht einen Tag später, am
31.Oktober 1947 endgültig die USA und reiste über Paris nach Zürich. 1949
schließlich nahm er ein Engagement am Deutschen Theater in Berlin an, wobei ihm in
Aussicht gestellt wurde, in der neu gegründeten DDR ein eigenes Ensemble zu
formieren (Berliner Ensemble), an deren Spitze auch seine Ehefrau Helen Weigels
stehen sollte.
In dieser Zeit konnten sich Brecht und Weigel die Anschaffung eines Landhauses
leisten, das auf einem großen Seegrundstück in Buckow (bei Berlin) steht. Heute
ist hier das Brecht-Museum untergebracht.
Das Gärtnerhaus in Buckow, in dem Brecht später lebte
Brechts Arbeitszimmer
Das Helene-Weigel-Haus
Die original Kutsche aus der Erstaufführung von Mutter Courage
Seeufer mit großem Springer
Nach der blutigen Niederschlagung der Unruhen vom 17.Juni 1953
erklärte Brecht sich in einem Brief solidarisch mit der Politik der SED und
wurde infolgedessen außerhalb der DDR scharf kritisiert. In Westdeutschland
setzte man vorübergehend seine Stücke ab. Durch intensive und erfolgreiche
Inszenierungsarbeit gelang es Brecht jedoch später seine internationale Reputation
zurückzugewinnen.
Kürzlich wurde im Rundfunkarchiv von Radio DDR übrigens eine
bisher unbekannte Mitschrift eines Interviews mit Brecht entdeckt, in dem dieser
den Entwurf eines revolutionären Schachspiels vorstellt (s. u.).
Im Sommer 1956 starb Brecht an den Folgen eines Herzinfarktes.
Mitschrift Rundfunkinterview