Gemäß dem
Beschluss des FIDE-Kongresses
vom 1. November 2003 hätte die Frauen-WM ursprünglich in Tiflis (Georgien)
stattfinden sollen. Die FIDE erklärte auf ihrer Homepage auf einer
Seite,
die in der letzten Zeit immer wieder geändert und ergänzt worden ist, dass der
damalige georgische Staatspräsident Eduard Schewardnadse FIDE-Präsident Kirsan
Iljumschinow einen Orden verliehen und bei dieser Gelegenheit vorgeschlagen
hat, die Frauen-WM 2004 in Tiflis zu veranstalten. Der Georgien-Besuch
Iljumschinows wird durch einen Bericht der
Georgian News
(Quelle: Batuminews) vom 23.10.03 bestätigt. Laut FIDE hat der georgische
Präsident Schewardnadse dann ein Dekret "Zur Organisierung der Frauen-WM in
Tiflis" erlassen Danach kam die Entscheidung des FIDE-Kongresses für Tiflis
(Datei: "History of the Women`s World Chess Championship 2004 in Elista").
Die Internet-Publikation
Georgian Messenger
bestätigte in der Ausgabe vom 20. April 2004 diese Darstellung. Der damalige
georgische Präsident Eduard Schewardnadse hatte der damaligen Präsidentin der
georgischen Schachföderation Nino Gurieli die finanzielle Unterstützung der WM
versprochen. Nach dem Machtwechsel in Georgien (23.11.03) erinnerte die FIDE
die neue Administration an die Garantien der Vorgänger-Regierung. Laut
Georgian Messenger ließ sich die neue Regierung zwei Wochen Zeit und gab
dann bekannt, dass sie nicht genügend Geld zur Durchführung der Meisterschaft
habe.
Zu Beginn des neuen Jahres wurde in der Newsline von
Radio Free Europe
/ Radio Liberty gemeldet (07.01.04),
dass die relativ wohlhabende autonome georgische Republik Adscharien erstmals
seit zwei Jahren Geld an den Staatshaushalt in Tiflis überwiesen habe
(umgerechnet 1,16 Millionen Dollar). Der Führer Adschariens, Aslan Abaschidse,
hatte in der Vergangenheit argumentiert, dass in dem georgischen
Länderfinanzausgleich die Zentralregierung seiner Region mehr an unbezahlten
Subsidien schulde als umgekehrt Adscharien Tiflis an ausstehenden Steuern. Die
Finanzknappheit Georgiens war bekannt. Am 13. Januar unterzeichnete ein
US-Diplomat in Tiflis ein Abkommen, in dem die Vereinigten Staaten die
Bezahlung der Gehälter derjenigen Staatsbediensteten übernahm, die an einem
US-Ausbildungsprogramm teilnehmen. Außerdem wurden weitere Finanzhilfen in
unbekannter Höhe zugesagt (RFE/RL Newsline 14.01.04).
Im Laufe der Monate Februar und März 2004 begannen die Spannungen zwischen
Adscharien und Tiflis zuzunehmen. Mitte März begab sich der Moskauer
Bürgermeister (und Ehrenbürger Georgiens) Juri Luschkow nach Batumi zu seinem
Freund Aslan Abaschidse, um seine brüderliche Verbundenheit zu demonstrieren.
Einer der Begleiter Luschkows war ein bekannter Geschäftsmann, ein gewisser
Herr namens Grigori ("Garri") Lutschanskij.
Am 17. März meldeten mehrere Nachrichtenagenturen, dass die Nationalbank
Georgiens gegen die Bank in Batumi vorgehen werde, über welche die
Transaktionen der adscharischen Führung erfolgt seien. Sämtliche
Bankoperationen in Adscharien seien unterbrochen worden, sämtliche Bankkonten
mit Verbindungen zur adscharischen Führung seien eingefroren worden. Gegen zehn
hochrangige Angehörige der adscharischen Führung (darunter befand sich nicht
Aslan Abaschidse) wurde Anklage erhoben - unter anderem wegen Beteiligung an
Mord, Waffen- und Drogenhandel (Quelle u.a.:
Rosbaltnews).
Laut FIDE erhielt die georgische Schachföderation am 31. März 2004 ein
Schreiben von dem zuständigen Minister Georgi Gabaschwili, worin die georgische
Regierung bedauert habe, dass sie nicht in der Lage sei, die WM in Tiflis aus
dem Staatshaushalt zu finanzieren, dass sie es aber begrüßen werde, wenn die WM
an einem anderen Ort in Georgien mit Hilfe von Sponsoren durchgeführt werde.
Wenn man nur die im Mai von der FIDE veröffentlichte Geschichte des Turniers
liest, könnte man den Eindruck haben, als sei nun erst, nach dem Schreiben des
georgischen Sportministers vom 31.03.04, Aslan Abaschidse ins Spiel gekommen.
Tatsächlich war aber schon in der FIDE-Vorstandssitzung Ende Februar von einer
Alternative die Rede: entweder Tiflis oder Batumi, auf Einladung von Aslan
Abaschidse. Wie auch immer - der Weg schien Ende März frei zu sein.
Es geht in der Veranstaltung um einen Preisfonds von 450.000 USD. Da mit dem
Preisfonds Gebühren an die FIDE verbunden sind und auch die Organisation Geld
kostet, wurden in den Medien unterschiedliche Zahlen genannt. Mal war von
500.000 USD die Rede, mal von 550.000 USD... Der Georgian Messenger
schrieb in der Ausgabe vom 20. April: "Um das Turnier unter idealen Bedingungen
durchzuführen, sind 670.000 USD erforderlich." Durch eine Aufrundung der
zuletzt genannten Zahl kommt man zu den 700.000 USD, mit denen der Co-Präsident
der georgischen Schachföderation Surab Asmaiparaschwili nach der Verlegung der
WM von Batumi nach Elista am 30. April zitiert wurde.
Ein Vorvertrag wurde am 9. April in Batumi zwischen Aslan Abaschidse und der
FIDE-Führung abgeschlossen. Das berichtete u.a.
Georgian Sports.
Erst der förmlichen und öffentlichen Vertragsunterzeichnung in Batumi am 15.
April folgte ein internationaler Protest des Außenministeriums und des
Sportministeriums in Tiflis. Über die harsche Reaktion und die Begründung des
Protests war man selbst in Tiflis überrascht. Der Georgian Messenger
schrieb am 20. April, dass der Hinweis darauf, dass man in Tiflis nicht die
Sicherheit der Spielerinnen in Batumi gewährleisten könne, eher eine Maßnahme
in einem "Informationskrieg" zwischen dem Zentrum und der Region sei, aber mit
der Existenz einer realen Gefahr nichts zu tun habe. Seit 1998 habe Adscharien
7 Schachturniere durchführt, und die Sicherheitsmaßnahmen in diesen Turnieren
seien angemessen gewesen. Der wirkliche Grund sei der, dass die
Zentralregierung Abaschidse nicht das internationale Prestige gönne, das mit
dieser Veranstaltung verbunden sei.
Als Aslan Abaschidse am 30. April auf Vorschlag von Kirsan Iljumschinow der
Verlegung der WM von Batumi nach Elista zustimmte, nannte Adjara TV dies
eine
"männliche Entscheidung",
die FIDE sprach auf ihrer Homepage am 2. Mai von einem "persönlichen Geschenk"
von Aslan Abaschidse.
Die Formulierung "persönliches Geschenk" konnte so aufgefasst werden, als sei
Aslan Abaschidse als Privatmann der alleinige Sponsor, eher also Mäzen der WM.
Der Beitrag der FIDE zur Geschichte des Turniers bietet eine andere Darstellung
des Sachverhalts. Schon vor seiner Zusage, das Turnier zu übernehmen, habe
Aslan Abaschidse mit möglichen Sponsoren und einflussreichen Geschäftsleuten
gesprochen. In der Unterredung am 30. April habe er den FIDE-Vertretern gesagt,
er habe seine Sponsoren überzeugen können, die vereinbarte Unterstützung auch
bei einer Verlegung der WM zu gewähren - zum Wohle des Schachs und zum Wohle
des Ansehens Georgiens als einer Schach-Supermacht.
Nach dem Abflug Aslan Abaschidses nach Moskau (6. Mai) stellte der
Sport
Express Kirsan Iljumschinow in einem
von FIDE am 10. Mai veröffentlichten
Interview die Frage, wer nun die WM
sponsern werde, und erhielt die Antwort, adscharische Gönner würden ihr
Sponsoring-Angebot nicht zurückziehen; georgische Schachenthusiasten hätten
bereits 500.000 USD auf das FIDE-Konto überwiesen.
Die FIDE übermittelte eine Presseerklärung des kalmückischen
Organisationskomitees unter der Leitung von Waleri Bowajew. Das Komitee hatte
demzufolge am 8. Mai getagt und sich mit dem Logo (Sergei Badendajew) und dem
Pressezentrum (vermutlich Alexander Roschal) beschäftigt. FIDE-Präsident Kirsan
Iljumschinow hatte Geurt Gijssen zum Hauptschiedsrichter ernannt. Die Sponsoren
waren anscheinend kein Thema.
Die russische Nachrichtenagentur REGNUM (http://regnum.ru)
berichtete am 13. Mai über ein Treffen des kalmückischen Organisationskomitees
am 11. Mai. Die vorbereitenden Arbeiten für die Veranstaltung waren anscheinend
schon weitgehend abgeschlossen. Am Ende des
Artikels wird in einem Satz auf die
Sponsoren eingegangen. Erwähnt werden die Aktionäre des Hafens von Batumi.
Diese Aussage ist insofern bedeutsam, als viele Leute glauben, dass die Familie
Abaschidse ihren Reichtum aus dem Ölterminal in Batumi bezog. In einem
Interview mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL wird der amtierende
georgische Präsident Michail Saakaschwili zu der Feststellung: Adscharien
ist aber auch wirtschaftlich unverzichtbar für Sie: Es ging um den wichtigen
Hafen Batumi und den Grenzübergang zur Türkei. mit der Aussage zitiert:
Ja, aber alle Einnahmen kassierte bislang eine einzige Familie. (DER
SPIEGEL 20-2004, S. 111)
An den dramatischen Verhandlungen, die zu dem Entschluss Aslan Abaschidses
führten, nach Russland ins Exil zu gehen, waren dänische Geschäftsleute
beteiligt, an die man zuerst denken sollte, wenn es um das Ölterminal in Batumi
geht: Jan Bonde Nielsen (Greenoak
Group) und Mogens Hansen (Direktor des
Ölterminals). Die dänische
Jyllands-Posten
berichtete darüber am 6. Mai und bezog sich dabei auf einen Beitrag der
Moscow Times vom 31. März:
Adzharia's Fortunes Lure New Masters
von Simon Ostrovsky. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung schöpfte am
6. Mai aus dieser Quelle: Mit Geschick und Größenwahn, von Markus
Wehner. Das Ölterminal in Batumi gehört der Firma Naftrans, in der
wiederum um 80 Prozent dem dänisch-britischen Unternehmer Jan Bonde Nielsen,
6,6 Prozent der Schweizer Firma
ENR Russia Invest
(dahinter steht u.a. die Opel-Familie)
und 11 Prozent der Great Circle Capital Ltd. gehören - eine Overseas
Private Investment Corporation (OPIC), die der US-Regierung untersteht.
Um das klare Signal auszusenden, dass seine Position in der georgischen
Ölindustrie durch die politischen Vorgänge der vergangenen Wochen nicht
erschüttert wurde, hat Jan Bonde Nielsen in einer Pressekonferenz am 13. Mai
2004, der ersten, die jemals im Ölterminal von Batumi stattfand, die Gründung
einer neuen Transportfirma, Petrotrans Ltd. bekanntgegeben.
Petrotrans wird auf Wunsch der georgischen Handelskammer in Tiflis
registriert sein. Das Ölterminal gehört weiter der Firma Naftrans, die
in Zypern registriert ist. Während eine georgische Nachrichtenagentur
Naftrans als eine "zu 100% ausländische" Firma bezeichnete, nannten die
Copenhagen Post am 14. Mai und der
Georgian Messenger am 17. Mai Details: an Naftrans sind beteiligt
zu 78,6% Jan Bonde Nielsen, zu 10,6% Great Circle Capital, zu 6,6%
ENR Russia Invest und zu 4,2% ein lokaler Partner, Guram Gogitidse. Jan
Bonde Nielsen und Guram Gogitidse kontrollieren das Unternehmen durch ein
50-50-Jointventure, Greenoak Holdings Ltd., das auf Zypern registriert
ist.
Jan Bonde Nielsen wies Berichte zurück, er habe Waffenkäufe für Aslan
Abaschidse getätigt. Der Georgian Messenger berichtete, als man Nielsen
nach geschäftlichen Beziehungen zu Aslan Abaschidse und dessen russischen
Freunden Juri Luschkow und Garry Lutschanskij fragte, habe Nielsen gesagt, es
gebe keine.
Andererseits haben nach Aussage Abaschidses (Moscow News 31.3.04) weder
Luschkow noch Lutschanskij geschäftliche Interessen in Adscharien.
Was also veranlasste Lutschanskijs
"Center of Investment Projects and Programs"
zum Auftritt als "Generalsponsor" der Frauen-WM in Elista? Welche Beziehung
besteht zu dem seit 1999 aktiven
Rosinternetfond, der unter dem
Vorsitz von Michail Gorbatschow die nicht-kommerzielle Verbreitung des
Internets in Russlands zum Ziel hat, und in Elista als "Sponsor" auftritt?
In Deutschland reicht die Erwähnung des Namens "Gorbatschow", um alle
kritischen Fragen verstummen zu lassen. Im Internet findet man wilde
Spekulationen über die Firma Nordex, die Lutschanskij 1989 zur Zeit
Gorbatschows in Wien gegründet hat. Aber die Londoner Times erhielt im
Jahr 2001 juristische Belehrungen, was man gemäß englischem Recht über Dr.
Grigory Loutchansky publizieren darf und wozu keine Veranlassung besteht ("no
duty to publish").
Der in Elista bei der Frauen-WM tätige Sponsorenpool bleibt mysteriös.
Vielleicht war hier jedoch der bekannte kalmückische Humor am Werk?
Gerald Schendel / 21.05.2004