Capablanca verpasste mehr als einmal das Remis
Zoran Petronijevic: Schlussfolgerungen zur Partie Aljechin-Capablanca, m/34 - 1927:
- Aljechin meinte, die Stellung nach dem 23. Zug sei gewonnen für ihn, aber wie Kasparov gezeigt hat, sollte Schwarz in der Lage sein, sich zu halten, obwohl Weiß besser steht.
- 23…Sc4 ist ein guter Zug, und laut Kasparov "hat Schwarz mindestens drei weitere akzeptable Züge." Kasparov hat recht, aber in Wirklichkeit hat Schwarz mindestens vier akzeptable Alternativen zu 23...Sc4.
- Der erste große Fehler von Schwarz ist 26...Sc4. Laut Kasparov ist das "der einzige wirkliche Fehler von Capablanca in dieser historischen Partie". Weiß hat danach Vorteil, der aber noch nicht entscheidend ist.
- 29...Sxe4 ist ein ernster Fehler (laut Kasparov ist der Zug lediglich zweifelhaft), der zu einer verlorenen Stellung führt. Nach 29...Se8 hat Schwarz gute Chancen, die Partie zu retten.
- Mit 30.Sxe5 verpasst Weiß eine gute Chance. Besser ist 30.Sxe4 mit Gewinnstellung für Weiß.
- 30…Dd6 ist ein sehr starker Zug. Eine interessante Alternative war 30…Sxe5.
- Auf den ersten Blick scheint 32…Sd6 ausreichend gut zu sein, aber tatsächlich steht Schwarz danach wieder auf Verlust. Besser war das aktive 32…Sd2, wonach sich Schwarz halten sollte.
- Nach 35…Tb8 steht Schwarz auf Verlust. Die zäheste Verteidigungsmöglichkeit des Schwarzen war 35…Ta6, womit Schwarz sich entlang der sechsten Reihe verteidigt. Aber auch dann steht Schwarz auf Gewinn, allerdings muss Weiß sehr präzise vorgehen.
- 36.Te2 ist eine Ungenauigkeit, nach der Weiß sehr präzise spielen muss, um zu gewinnen. Nach 36.a5 sollte Weiß relativ leicht gewinnen.
- Statt des Textzugs 36…Ta8 war 36…Tb6 zäher. Aber wenn Weiß präzise spielt, sollte Schwarz dennoch verlieren.
- 37…Ta7 ist ungenau. Zäher war 37…Kh7, um 38.a5 mit 38...Ta6 zu beantworten. Allerdings sollte Schwarz auch nach 37...Ta7 verlieren, allerdings muss Weiß noch sehr genau vorgehen.
- 38.Dc7 ist ein Fehler, der den weißen Vorteil wegwirft. Interessant ist, dass bislang nicht darauf hingewiesen wurde, dass dieser Zug ein Fehler ist. Kasparovs Vorschlag 38.De1 führt ebenfalls nicht zum Gewinn. Aber nach 38.Da1! gewinnt Weiß.
- Nach 38…Da6 kann Weiß nicht mehr gewinnen, da die schwarzen Figuren ausgezeichnet stehen. Interessanterweise hat auch hier bislang niemand erkannt, dass diese Stellung remis ist.
- Nach 41.Td7 wurde die Partie abgebrochen. Weiß steht besser, aber Schwarz sollte sich halten können.
- 41…Db1, der erste Zug nach Wiederaufnahme der Partie, war ein Fehler! Nach 41…Tf5 hat Schwarz sehr gute Chancen, sich zu retten. Dies war Capablancas letzte Chance, die Partie zu halten. Jetzt ist die schwarze Stellung bis zur Aufgabe Capablancas im 82. Zug objektiv verloren.
Wolfram Schön hat sich das Turmendspiel genauer angeschaut. Er kommt zu folgendem Schluss:
"Neben Aljechin und Kasparow befassen sich zahlreiche Endspielbücher mit diesem Turmendspiel. Eigentlich alle Endspielexperten, mit der bemerkenswerten Ausnahme von Mark Dvoretsky, haben es analysiert. Angefangen mit Rabinovich in den 1930er Jahren bis zu Grivas (2020), einschließlich der bekanntesten Endspielexperten wie Fine, Euwe, Levenfish/Smyslov, Averbakh, Karsten Müller in FCE oder John Nunn in "Understanding Chess Endgames".
Diese Partie dient als Lehrbuchbeispiel, wie man mit Hilfe eines entfernten Freibauern gewinnt, wenn der Turm des Angreifers hinter den Bauern gelangen kann. Die Analysen beginnen normalerweise mit 54.Ta4. Mit Ausnahme von Averbakh hat 95 Jahre lang niemand einen Zug kritisiert oder nennenswerte Alternativen für beide Seiten vor dem 67. Zug vorgeschlagen.
Deshalb glaube ich, dass die Endspielliteratur hier unvollständig ist. Ich glaube, meine Untersuchungen bieten eine Reihe neuer Ideen und auch den Nachweis, dass fünf Züge, die in dem Endspiel gemacht wurden, ungenau waren."
- 50.Txd4 Weiß steht auf Gewinn, das steht außer Zweifel.
- 53.Td4 Weiß muss den Turm nicht hinter den Freibauern stellen. 53.Tb5, was die von Tarrasch aufgestellte Regel, dass Türme hinter die Freibauern gehören, ignoriert, führt ebenfalls zu einem recht bequemen Gewinn.
- 56...h5 wurde von Averbakh als prinzipieller Fehler kritisiert. 56...Kd5 ist möglich, aber sollte mit Zugumstellung schnell zur Partien führen, und widerlegt damit Averbakhs Behauptung.
- 57.Kd3 Da die Könige einander gegenüberstehen, kann Weiß einen Wartezug spielen, z.B. 57.Ta1. Dieser Zug passt zum von der Theorie skizzierten Gewinnplan, aber kürzt den Gewinnweg ab. Das brutale Vorgehen mit 57.f4+, mit der Idee, f4-f5 zu spielen, ist ebenfalls möglich.
- 59.Ta2?! Die erste Ungenauigkeit. Den Turm auf die zweite Reihe zu bringen, führt zu Problemen. Besser ist 59.Ta1.
- 59...Kb5?! Schwarz verpasst die Möglichkeit, den Turm aus seiner misslichen Lage zu befreien und 59...Tf6! zu spielen, was Weiß dazu zwingt, seine Aufstellung zu ändern, um weiter auf dem Gewinnweg zu bleiben.
- 60.Kb3?! Führt zu noch größeren Problemen. Außerdem dem direkten 60.Kd4 ist auch 60.Tb2+ möglich.
- 60...Kc5?! Verpasst erneut die Möglichkeit, 60...Tf6 zu spielen! 60...Tf6 leistet hartnäckigen Widerstand und führt zu einer besseren Version des Verteidigungsplans, den Capablanca in der Partie angewandt hat. Weiß kann gewinnen, aber muss dafür noch sehr hart arbeiten.
- 61.Kc3 Den König und den Freibauern auf der a-Linie mit 61.Ka4 zu verbinden, gewinnt ebenfalls.
- 62...Td6+ Die Idee, die schwarzen Bauern mit dem König zu verteidigen und 62...Kc6 zu spielen, ist eine ernsthafte Alternative. Weiß gewinnt, aber er braucht einen Plan.
- 67.f4 Die meisten alten Analysen setzen erst hier mit konkreten Varianten ein. Weiß steht klar auf Gewinn und hat viele Wege zum Gewinn, wie bereits mehrfach korrekt gezeigt wurde. Aljechins 1932 geäußerte Selbstkritik zu seinem Spiel in der Schlussphase der Partie wirkt ein wenig übertrieben."
Endspielrätsel: Aljechin gegen Capablanca