"European Small Nations" haben ihren Einzel-Europameister ermittelt

von Klaus Besenthal
01.10.2022 – Die "European Small Nations", das sind zehn europäische Mini-Staaten, die jeweils einen Spieler zu dieser "Europameisterschaft" entsenden durften, so dass ein neunrundiges Turnier mit klassischer Bedenkzeit durchgeführt werden konnte. Austragungsort war Vaduz, die Hauptstadt von Liechtenstein, wo das Turnier am Samstag zu Ende gegangen ist. Turniersieger wurde der für Andorra spielende Großmeister Lance Henderson de la Fuente mit einem Score von 8,0/9. Entschieden wurde die Sache erst in der letzten Runde, in der Henderson den zuvor mit ihm gleichauf liegenden Färinger Luitjen Akselsson Apol schlagen konnte. | Fotos: ECU

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European Small Nations Individual Chess Championship

Zwergstaaten, Steueroasen, "goldene Pässe" - die "Small Nations" haben bei uns in Deutschland oftmals nicht den allerbesten Ruf. Berechtigt ist diese Kritik mal mehr, mal weniger, es hängt wohl davon ab, über welches Land man konkret spricht. Schauen wir also, welche Länder jeweils einen Spieler zu diesem Turnier entsenden durften:

Andorra: Der kleine Pyrenäen-Staat, zwischen Frankreich und Spanien gelegen, ist bei Sportinteressierten wohl vor allem für diverse Bergankünfte der Tour de France bekannt. In der Schach-Weltrangliste belegt das Land Platz 97, hat aber immerhin zwei Großmeister aufzubieten, von denen Lance Henderson, der Gewinner dieses Turniers, der stärkere ist. 

Monaco: Hier kommen wir dem "Steuerparadies" schon näher. Das von Frankreich umschlossene Fürstentum an der Mittelmeerküste kennt man natürlich vor allem wegen seines Formel-1-Rennens. Schachlich gesehen ist Platz 84 in der Weltrangliste nicht so beeindruckend, doch zwei Großmeister hat auch Monaco aufzubieten: den in Georgien geborenen Igor Efimov sowie den im Iran geborenen Amir Bagheri. Efimov wurde beim Turnier in Vaduz Zweiter. 

Ein ganz anderes Land ist Färöer, eine nördlich von Schottland im Atlantik gelegene Inselgruppe. Von dort kommt der heute gegen Henderson unterlegene Luitjen Akselsson Apol. Apol ist kein Großmeister, aber was nicht ist, kann ja noch werden: Der junge Mann ist erst 16 Jahre alt. In der Schach-Weltrangliste ist das Land mit seinem Platz 78 stärker positioniert als Monaco und Andorra, Apol ist in der Länderrangliste von Färöer die Nummer 16. An Position 1 wird ein Großmeister namens Helgi Dam Ziska geführt.

Luxemburg, auf Platz 79 der Welt einen Platz hinter Färöer angesiedelt, hatte IM Fred Berend nach Vaduz geschickt.

Die Mittelmeerinseln Malta und Zypern (die beiden EU-Staaten wurden zuletzt wegen des Themas "goldene Pässe" kritisiert) haben bei diesem Turnier die Plätze 5 und 6 belegt.

Als eigenständige Staaten gelten auch die Kanalinseln Guernsey und Jersey, die viele Deutsche vermutlich als Teil von Großbritannien betrachten werden. Das ist aber rein rechtlich nicht der Fall, die Inseln sind weder ein Teil von Großbritannien noch Kronkolonien, sondern "Kronbesitz". Als solcher sind sie direkt dem König unterstellt und können eigene (Steuer-!) Gesetze erlassen. Einen ähnlichen Status genießt auch die unter Schachspielern sehr bekannte Isle of Man. Die Plätze in der Weltrangliste: Jersey 140, Guernsey 143.

Und, last but not least, Liechtenstein (Platz 130) und San Marino (Platz 168) dürfen bei dieser Aufzählung europäischer Ministaaten natürlich auch nicht fehlen.

Der 19-jährige Großmeister Lance Henderson de la Fuente bekommt natürlich allein dadurch eine gewisse Aufmerksamkeit, dass er für den Zwergstaat Andorra spielt. In seinem Heimatland Spanien, wo er in Malaga als Sohn eines amerikanischen Vaters und einer spanischen Mutter geboren wurde, würde er ja in der Masse von 40 oder noch mehr Großmeistern nicht gerade untergehen, aber doch weniger sichtbar sein. In der entscheidenden Partie gegen den Färinger Apol kam Henderson heute mit geduldigem Spiel zu einem ungefährdeten Sieg:

 
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1.e4 0 e6 1:33 2.d4 21 d5 8 3.Nd2 22 c5 35 4.Ngf3 25 cxd4 0 5.Nxd4 37 Nf6 39 6.exd5 24 Nxd5 26 7.N2f3 56 Bb4+ 37 8.Bd2 1:35 Bc5 50 9.c3 13:03 0-0 1:10 10.Bc4 3:07 Bxd4 13:49 11.Nxd4 18:08 b6 19:03 12.Qe2 4:42 Bb7 1:27 13.0-0 0 Nd7 2:06 14.Rad1 4:22 Re8 8:49 15.Rfe1 7:59 a6 3:27 16.Nf3 8:43 Qc7 4:49 17.Bb3 7:53 b5 7:09
Weiß stand längere Zeit minimal besser, weil Schwarz diese Zeit gebraucht hat, um seine Türme verbunden zu bekommen. Das ist bei dieser - aus schwarzer Sicht - nicht eben aggressiven Eröffnungsvariante ja auch gar kein Wunder. 18.Bg5 2:45 Aber jetzt folgt eine Phase, in der Weiß eher planlos agiert. Nach 18.c4! bxc4 19.Bxc4 wäre es Weiß weiterhin gut gegangen: Seine Läufer hätten durch den Bauerntausch an Freiraum gewonnen, der sich noch weiter vergrößern würde, wenn Schwarz seinen Ba6 mit a6-a5 aus der Schusslinie der weißen Dame-Läufer-Batterie wegholen würde. 18...f6 10:55 19.Bh4 12 N7b6 2:10 20.Nd4 5:25 e5 3:50 21.Nf5 1:53 Kh8 0 22.Bg3 3:03 Rad8 1:40 23.Bc2 2:04 Nc4 53
Und jetzt ist es Schwarz, der etwas besser steht - die logische Folge daraus, dass Weiß offenbar keinen konkreten Plan verfolgt hat. Optisch drückt sich dies schon darin aus, dass die schwarzen Springer zurzeit aktiver zu sein scheinen als die weißen Läufer. 24.Be4? 58 Und jetzt dieser Taktikfehler. Nach 24.Bd3 wäre für Weiß noch alles in Ordnung gewesen. 24...g6?! 1:27 Schwarz nimmt seine Möglichkeiten nicht optimal wahr, aber er weiß natürlich, dass er bereits besser steht und auch mit ruhigem Spiel vorankommen wird. Nach 24...Nf4! hätte Weiß diesen Springer nicht nehmen dürfen, weil Schwarz dann mit g7-g6 nebst f6-f5 die Fesselung des Le4 hätte ausnutzen können. Der Anziehende hätte deswegen - bei schlechter Stellung - einen Bauern verloren: 25.Qc2 Rxd1 26.Rxd1 Bxe4 27.Qxe4 Nxb2-+ 25.Nd4? 5:14 Weiß verpasst 25.Bxd5! Rxd5 26.Ne3 25...Nf4! 5:32 Jetzt spielt er diesen Zug. 26.Bxf4 2:26 exf4 9 27.Qc2 50 Weiß hat einen Zug Zeit, um mit dem drohenden f6-f5 umzugehen. Schlecht steht er allerdings dennoch: Wieder ist es der Bb2, der Probleme macht. Bxe4 1:16 28.Rxe4 2 Rxe4 0 29.Qxe4 12 Nxb2 27 30.Rc1 2:17 Na4 4:27
31.Ne2? 3:04 Dass diese passive Überdeckung des Bc3 keinen Ertrag bringen wird, weiß man fast schon intuitiv. Nach 31.Ne6 hat Schwarz mehrere gute Möglichkeiten. Eine davon ist Qxc3 Dieses Motiv sehen wir auch in der Partie noch. Besser war aber 31.Qe6 Hier muss Schwarz zunächst die Drohung Dxf6+ entschärfen. 31...Qe5?! 1:33 31...Nxc3!-+ 32.Qxf4?! 32 Hartnäckiger war 32.Qf3! 32...Qxf4 1:03 33.Nxf4 1 Nxc3 43
Erneut dieses Motiv, mit dem Schwarz jetzt die Weichen auf Sieg stellt. 34.g3?! 57 Das erleichtert Schwarz die Arbeit. 34.a3 war zäher, hätte aber auf lange Sicht auch nichts mehr genützt. 34...b4! 55 Der Springer wird festzementiert. Wir bekommen jetzt noch einen schönen Schlussangriff am Damenflügel zu sehen. 35.Rc2 30 Rd1+ 52 36.Kg2 1 Ra1 1:14 37.Nd3 55 a5 0 38.Nc1 19 a4 46 39.Kf3 17 a3 35 40.Ke3 38 Nxa2! 37 41.Nxa2 1:32 b3 10
Ein Bauer auf der 3. Reihe kann für Schwarz den Wert einer Leichtfigur haben. Hier besitzt der Nachziehende gleich zwei solcher Bauern. 42.Rc8+ 3:04 Kg7 38 43.Nc3 1:24 a2 1:31 Jetzt droht Te1+ nebst a1D - dagegen kann Weiß nichts mehr tun. 44.Rc7+ 1:36 Kh6 18 45.Nxa2 6:21 bxa2 39 46.Kd4 20:00
0–1
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WhiteEloWBlackEloBResYearECOEventRnd
Apol,L2113Henderson de La Fuente,L25040–12022C074th ESNA Championship 20229.4

 

Lance Henderson (links) beim Spiel der 1. Runde gegen den Liechtensteiner Renato Frick

Schachklassiker - Partien, die man kennen muss

Wie der Autor im Einführungsvideo erklärt, bereichert die Kenntnis der klassischen Partien aus der Vergangenheit das Schachverständnis im Allgemeinen und hilft, das Niveau der eigenen Partien zu verbessern.

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Abschlusstabelle nach 9 Runden

Rg. Name Pkt.  Wtg1 
1 Henderson de la Fuente Lance 8 0
2 Efimov Igor 7,5 0
3 Apol Luitjen Akselsson 7 0
4 Berend Fred 6 0
5 Mizzi Jack 5,5 0
6 Michaelides Konstantinos 4 0
7 Kirby Peter J. 3 0
8 Frick Renato 1,5 1
9 Carpenter Paul A. 1,5 0
10 Volpinari Danilo 1 0

Partien

 
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Klaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.

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