Flexibel und stark: Komodo Dragon 2!

von Frederic Friedel
18.05.2021 – Mit seiner Mischung aus hoher Rechenkraft und feinem Positionsspiel gehört Komodo Dragon 2 zu den stärksten Engines der Welt. Und das Programm spielt nicht nur in einem Modus. Im Standardmodus sucht es nach dem objektiv besten Zug, im Monte Carlo Modus sucht Komodo Dragon 2 nach dem Zug, der dem Gegner die meisten Schwierigkeiten bereitet. Larry Kaufman (Foto), einer der Programmierer des Programms, weiß mehr.

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Ein neues Konzept

Nach Komodo 14 wollten GM Larry Kaufman und Mark Lefler, die Programmierer, noch einmal ganz neu anfangen. Der Schritt von der klassischen Engine zum neuen "Dragon", der, wie Fat Fritz 2.0, seine Stärke durch die Kombination einer Hochleistungsengine mit einem neuronalen Netz gewinnt, ist grundlegend.

Das Netz von Komodo Dragon 2 wurde mit Hilfe zahlloser ultra-schneller Partien des klassischen Komodo 14 trainiert, lange Zeit eine der stärksten Engines der Welt bei Partien mit solch kurzen Bedenkzeiten.

Und so spielt Komodo Dragon 2 - dank des neuronalen Netzes - positionell hervorragend und verfügt durch die klassische Alpha Beta Engine auch auch über phantastische taktische Fähigkeiten und große Rechenkraft.

Diese Kombination macht sich bezahlt: im Vergleich zum zweifachen Weltmeister Komodo 14 konnten die Entwickler die Spielstärke von Komodo Dragon 2 noch einmal um mehr als 200 Elo-Punkte steigern! Die erste Version des "Dragon" ist bereits unter den ersten Drei in der CCRL-Rangliste (Stand April 2021). Allerdings beruhte die Suchfunktion immer noch weitgehend auf den Einstellungen der alten Komodo 14 Engine. Dies hat sich beim "Dragon 2" geändert: In der neuen Version wurde die Suche optimiert und beruht auf den im neuronalen Netz gespeicherten Bewertungen. Man darf gespannt sein, ob Dragon die Konkurrenz dadurch überflügelt!

Topprogramm und Analysepartner

Komodo Dragon 2 verfügt über eine Reihe von Enginevarianten. Die Standardversion bietet ein Maximum an Spielstärke. Für die Analyse zahlreicher Varianten wird die "MCTS"-Version empfohlen. Diese Version bietet zusätzlich noch weitere aufregende Funktionen: Man kann sich den Zug, der die besten praktischen Chancen bietet, in der Analyse anzeigen lassen und man kann die Engine bei der Analyse und während einer Partie auf "Angriff", "Anfänger", "Verteidigung" oder "Endspiel" einstellen. Die Standardversion rechnet hingegen immer mit dem besten möglichen Spiel des Gegners und ist deshalb natürlich die erste Wahl, vor allem im Fernschach.

GM Larry Kaufman hat die unterschiedlichen Vorlieben und Spielstile des Programms in den unterschiedlichen Einstellungen so beschrieben:

Dragon 2 - MCTS vs Standard Mode 

In der Eröffnungsstellung kommt die MCTS-Version nach zehnminütigem Nachdenken auf einem schnellen 10 Core, 20 Threads Rechner, von denen sie 19 nutzt, zu dem Schluss, dass 1.e4 +.24, 1.d4 +.24, 1.Sf3 +.23 und 1.c4 + die vier besten Eröffnungszüge sind. Dies sind auch in der Meisterpraxis und auch in dieser Reihenfolge die vier beliebtesten Eröffnungszüge und praktische Ergebnisse haben gezeigt, dass Weiß mit allen vier Zügen fast 55% erzielt, wobei die beiden ersten Züge etwas besser abschneiden.

Die Standardversion zeigt in Bezug auf die Spitzenzüge eine sehr viel größere Bandbreite und die Reihenfolge ändert sich von Ply zu Ply. Bei einer Tiefe von 30 war 1.e4 klarer Spitzenreiter, doch bei einer Tiefe von 31 übernahm 1.c4 die Führung mit +.32, 1.e4 war auf Platz zwei mit +.31, 1.d4 Dritter mit +.28 und 1.Sf3 Vierter mit nur +.23. Bei 32 Ply 1.e4 ist wieder zurück an der Spitze mit +.32, aber 1.c4 liegt mit +.27 weiter vor den anderen, wobei 1.d4 auf +.26 und 1.Sf3 auf +.25 kommt.

Zumindest in Bezug auf die Ausgangsstellung war MCTS deutlich stärker im Einklang mit der Meisterpraxis und bei den Bewertungen sehr viel stabiler. In der Regel erkennt die Standardversion taktische Möglichkeiten schneller als MCTS, aber in nicht-taktischen Stellungen schwanken die Ergebnisse sehr viel stärker, da das Programm sehr tiefe Feinheiten erkennt, die kein Mensch je am Brett berechnen würde. Auf alle Fälle punktet es gut gegen andere Engines, die ebenfalls sehr tief rechnen.

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GM Larry Kaufman: Der beste Zug ist nicht immer der beste

Wir haben mit Larry Kaufman, einem der beiden Autoren des Komodo-Projekts, gesprochen. Larry hat sich, wie er selber sagt, "seit einem Jahrhundert mit Computerschach beschäftigt (wenn man 54 Jahre auf das nächste Hundert aufrundet)." Er meinte, "im Standardschach ist Komodo Dragon 2 gleichauf mit Stockfish 13, wenn beide darauf eingestellt sind, nach den fünf besten Varianten zu suchen". 

Wr haben Larry gebeten, zu veranschaulichen, wie MCTS funktioniert. Er wählte ein ungewöhnliches Beispiel: eine Handicap-Partie, mit der das Team experimentiert hatte (man muss den Menschen eine Chance geben). 

Er erklärte MCTS (MCTS steht für "Monte-Carlo Tree Search") ausführlicher:

Der Komodo Dragon MCTS Modus ist besonders geeignet, menschlichen Gegnern, die keine Engines nutzen, Probleme zu stellen. Das hat sich bei privaten und offiziellen Tests mit menschlichen Gegnern, IMs und GMs, wiederholt gezeigt. Da heutzutage jede Top Engine auch gegen die besten Spieler im Standardschach beinahe 100% erzielt, besteht die einzige Möglichkeit herauszufinden oder zu testen, wie Top Engines gegen Menschen abschneiden, die ohne Computerhilfe spielen, Handicap-Partien zu spielen.

Wir haben zahlreiche Wettkämpfe veranstaltet, in denen Dragon 2 sowohl im Standardmodus als auch im MCTS-Modus gegen den gleichen starken menschlichen Gegner mit den gleichen Handicaps und der gleichen Bedenkzeit gespielt hat. Im MCTS-Modus punktet das Programm normalerweise besser und im schlimmsten Fall genauso gut. Zwei Beispiel: aus Schnellschachwettkämpfen (15' + 10") gegen Hikaru Nakamura (wahrscheinlich der zweitbeste Schnellschachspieler der Welt), der eine Vorgabe von zwei Bauern (b2 oder c2 plus f2 oder g2) erhielt, holte das Programm im Standardmodus drei Remis und einen Sieg, während es im MCTS-Modus alle vier Partien gewann. Gegen GM Alex Lenderman, der im Chess960 eine Vorgabe von Springer für einen Bauern, einen Springer für das Recht auf die Rochade oder einen ganzen Springer erhielt, hat der Standardmodus drei Partien verloren und nur eine Remis gemacht, während der MCTS-Modus in 12 Partien mit +1 sogar besser abschnitt.

Aber wenn Dragon anderen Engines, deren Rating sich im GM-Bereich bewegt, Handicaps gibt, dann geschieht das Gegenteil: der Standardmodus punktet besser als MCTS. In schlechten oder verlorenen Stellungen ist es es wichtig, dass man menschliche Gegner vor Probleme stellt, aber gegen Engines scheint das weniger gut zu funktionieren, gegen die spielt man besser ordentliches Schach. Dem Standardmodus ist es egal, wenn es einen zwingt, die besten Züge zu spielen, aber MCTS versucht das zu vermeiden, wenn die Wahl zwischen verschiedenen Zügen knapp ausfällt.

Die meisten Fälle, in denen man einen objektiv schlechteren Zug spielen oder dem Gegner Möglichkeiten geben sollte, Fehler zu machen, kommen dann vor, wenn man schlecht oder auf Verlust steht. Ein einfaches Beispiel ist die traditionelle Vorgabe von "Bauer und zwei Zügen", bei dem Komodo Dragon MCTS nach 1.e4 und 2.Sc3 (bei fehlendem Bauer f7) mit 2...c5!? einen zweiten Bauern opfern will, während der Standardmodus das "korrekte" 2...d6 oder 2...Sh6 vorzieht.

Generell ist der Standardmodus am besten, wenn die Stellung gut ist. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der Gegner schlechter spielt als Dragon; wenn das Programm die objektiv besten Züge macht, dann kann es mit minimalem Risiko auf Gewinn spielen. Aber wenn die Stellung schlecht ist und vor allem, wenn sie verloren ist, dann werden die praktischen Chancen maximiert, indem das Programm davon ausgeht, dass der Gegner schlechter spielt als es selbst; andernfalls wird der Gegner wahrscheinlich gewinnen. Aber wir sollten nicht automatisch davon ausgehen, dass er alles sieht, was er sieht. Hier glänzt MCTS.

Nehmen wir das traditionelle Handicap von "Bauer und zwei Züge", wo Schwarz den Bauern f7 entfernt, Weiß e4 spielt und noch einmal am Zug ist.

 

Der beste zweite Zug von Weiß ist wahrscheinlich 2.Sc3, was den natürlichen Zug 2...e6? verhindert, da Weiß dann mit 3.Dh5+ g6 4.De5 Sf6 5.Sd5! einen Bauern gewinnt – was in den 1800ern niemand gesehen zu haben scheint. Da haben alle 2.d4 gespielt, was 2...e6 erlaubt.

Nach 2.Sc3 steht Schwarz objektiv auf Verlust, aber natürlich sollte er nicht aufgeben, denn trotz vieler Versuche konnte noch kein GM mit diesem Handicap je in einer öffentlichen Partie gegen Komodo gewinnen. Standard Komodo Dragon 2 spielt hier (nach 2.Sc3) gerne 2...Sh6 oder 2...d6 (nach 2.Sc3). Das sind wahrscheinlich die zwei objektiv besten Züge. Aber der MCTS-Version gefällt der Gambitzug 2...c5!?, was Weiß dazu einlädt, den Bauern mit 3.Dh5+ zu gewinnen und dabei seine Entwicklung zu vernachlässigen, da die Dame Zeit verliert, um wieder in Sicherheit zu gelangen. Wenn Weiß den Bauern nicht nimmt, dann ist 2...c5 wahrscheinlich der beste Zug, er Weiß daran hindert, mit 3.d4 ein starkes Zentrum zu errichten, und wenn Weiß den Bauern nimmt, dann muss er sehr genau spielen, um den zweiten Bauern zu halten, ohne in Schwierigkeiten zu geraten.

Das ist typisch für MCTS: einen Zug zu spielen, der gegen die meisten vernünftigen Züge des Gegners der beste ist, obwohl er bei perfektem Spiel des Gegners etwas schlechter ist. Das erklärt auch, warum der MCTS-Modus von Komodo (Dragon und Pre-Dragon) in Handicap-Partien gegen Großmeister deutlich besser gepunktet hat. Anders gesagt: wenn man mit normalen Zügen wahrscheinlich verliert, ist es dann nicht klug, ein Gambit anzubieten, das gute, wenn auch nicht wirklich volle Kompensation für den Bauern bietet?

Hier sind noch zwei knapp kommentierte Siege, die Komodo Dragon vor kurzem gegen starke Engines erzielt hat. In der ersten Partie kommt es zu einem Qualitätsopfer, in der zweiten zu einem Bauernopfer, die ein menschlicher GM wahrscheinlich nicht ohne Weiteres spielen würde, da man das Material nicht so schnell zurückgewinnt.

 

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Chefredakteur der englischen ChessBase-Seite. Hat in Hamburg und in Oxford Philosophie und Linguistik studiert und sein Studium mit einer Arbeit über Sprechakttheorie und Moralsprache abgeschlossen. Eine Karriere an der Universität gab er auf, um Wissenschaftsjournalist zu werden und Dokumentationen für das deutsche Fernsehen zu produzieren. Er ist einer der Mitbegründer von ChessBase.

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