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Die Geschichte der
Schacholympiade – Teil 7
Die Schachwelt rückt zusammen (1980 – 1990)
Von Frank Große
La Valetta 1980.
Das „Mediterran Conference Centre“ von Valetta, der Hauptstadt der zwischen
Europa und Afrika gelegenen kleinen Mittelmeerinsel Malta, war die
Austragungsstätte der 24. Schacholympiade im ausklingenden Jahr 1980. Die
geographisch günstige Lage und vielleicht auch viele Aktivitäten der FIDE, die
in den vorangegangenen Jahren insbesondere in Entwicklungsländern stattgefunden
hat, mögen bewirkt haben, dass der bisher gehaltene Teilnehmerrekord (73)
der Schacholympiade von Nizza (1974) mit 81 Ländern klar
übertroffen wurde. Um eine gerade Zahl für die Paarungen der Runden zu erhalten,
wurde dem Turnier eine zweite Vertretung Maltas hinzugefügt. Wie schon 1976
und 1978 spielte man wieder Schweizer System. Bei den vorgesehenen 14
Runden konnte man nur auf nicht einmal jeden fünften seiner möglichen
Brettgegner treffen. Da die Sowjetunion vor zwei Jahren überraschend von den
Ungarn überflügelt worden war, trachtete sie unbedingt auf den Rückgewinn, was
auch an der Mannschaftsaufstellung – Weltmeister Karpow, gefolgt von
Polugajewski, Tal, Geller, Balaschow und Kasparow
– deutlich wurde. „Titelverteidiger“ Ungarn war von der ersten Runde
Spitzenreiter (die Sowjetunion verlor das Auftaktmatch gegen Schachzwerg
Venezuela mit 1,5: 2,5!) und spürte den Atem des Verfolgers und ‚großen
Bruders‘ deutlich, der dann in der letzten Runde (!) hauchdünn an den Magyaren
vorbeizog und somit die Rückeroberung ermöglichte.
Manfred Mädler schildert in (1) seine Eindrücke von der Olympiade
im kleinen Malta: „Die organisatorischen Fehlpässe der Mammutveranstaltung
lagen u. a. bei der Unterbringung der Spieler, der Verpflegung und im
Transportwesen, denn bis zu 25 km entfernt wohnenden Mannschaften, was im
verkehrstechnisch nicht leicht zu meisternden Inselstaat eine Fahrzeit von gut
einer Stunde ausmachte. Die Teambusse, die alle Aktiven abholen sollten, kamen
meist unpünktlich, manchmal gar nicht. Die für den Beobachter der Olympiade
unerlässlichen Bulletin mit gespielten Partien kosteten 45 $ und waren nicht zu
gebrauchen. … Die Spielklasse-Unterschiede sind krass, sie fallen aber bei einem
Turnier nach Schweizer System nicht so ins Gewicht, da schwache Teams nach zwei
hohen Niederlagen ohnehin unter ihresgleichen spielen. Bei den letzten zwanzig
Männerteams lagen die Ingowerte meist über Hundert. Schlimm sah es manchmal bei
den Damen aus. Hie musste der deutsche Schiedsrichter Christian Krause sogar
einmal einer jungen Nigerianerin die korrekte Ausführung der Rochade erklären.
Die Erstbrettspielerin der Jungferninseln unterlag gar durch eine Art
„Schäfermatt“. Interviewte Spielerinnen von den Vereinigten Arabischen Emiraten
gaben an, dass sie Schach erst vor ca. acht Monaten erlernt hätten. Die
schachlichen Entwicklungsländer nahmen übrigens alles nicht so ernst. So reiste
das Team von Senegal erst nach der zehnten Runde an. Ihr Chef erklärte, dass man
vorher keine Zeit gehabt habe, nun aber unbedingt noch etwas mitspielen möchte.“
(1) Logo der 24. Schacholympiade
Abschlusstabelle La
Valetta 1980 (2)
Luzern 1982. War bei den beiden voran gegangenen Olympiaden die Organisation in die Kritik geraten, so erfüllte Luzern erfreulicherweise höchste Ansprüche, was sich auch in der Rekordbeteiligung von 91 Nationen wiederspiegelte. Dies verursachte ein Kostenvolumen von 3 Millionen Schweizer Franken, was bei ca. 70 Zügen pro Partie zu knapp 250.000 ‚Bewegungen‘ auf dem Brett führte und somit jeder Zug eine Wertigkeit von fast 11 Schweizer Franken erreichte.
(2)
Die FIDE tagte wie zu jeder Schacholympiade
Das Abschneiden bei den letzten beiden Olympiaden machte die Mannschaft der UdSSR durch eine souveräne Leistung wieder wett, überraschend der zweite Platz der Tschechoslowaken, die damit seit Folkstone 1933 wieder eine Medaille einheimsen konnten. Die geräumige Allendhalle, die als Austragungsort diente, musste täglich fast 700 Aktive, dazu Organisatoren, 250 Presseleute und 800 Zuschauer fassen, sodass es schon sehr eng werden konnte, wie auch Ervin Rosenblatt in seinem Olympiadebuch (3) die letzte Runde einfängt: „Hätte diese Runde bereits am Sonntag stattgefunden, so wäre die Halle wahrscheinlich wegen Überfüllung geschlossen worden. Aber auch so war der Ansturm der Besucher enorm und konzentriere sich auf die Estrade, wo die Spitzenteams ihre letzten Kämpfe ausfochten.“ Als traurige Randnotiz bleibt zu vermerken, dass die DDR als einzige europäische Nation kein Team entsandt. Hingegen die Mannschaft aus Uganda, die in der ersten Runde 4:0 gegen Griechenland verlor, da man irrtümlicherweise im 200 km entfernten Lugano aufgeschlagen war. Aber auch den Frauen wurde mehr Aufmerksamkeit teil und so wurde mit der Mexikanerin Helen Acevedo die „Schönste“ als ‚Miss Olympia‘ gewählt. Der mittlerweile für die Schweiz spielende Viktor Kortschnoi, der in seiner ehemaligen Heimat zur Unperson degradiert wurde, durfte gegen Garri Kasparow antreten – was dazu führte, dass beide Spieler den üblichen Händedruck verweigerten. Aber auch die Computer gelangten auf den Vormarsch, wobei die neuesten Modelle der später sehr beliebten Mephisto-Reihe ihr Stelldichein gaben.
Abschlusstabelle Luzern 1982 (2)
Sakho, der Spitzenspieler Senegal (links) und die
besten Einzelspieler nach Punkten: Barbara Pernici (Italien), sowie Franco Zenon
(Paraguay)
Thessaloniki 1984. Ganze 60 Jahre musste das Ursprungsland der traditionellen Olympiade warten, bis die drittgrößte Sportveranstaltung (gemessen an der Teilnehmerzahl) an die Pforten klopfte. Schach im „Land der Götter“ wurde von der Presse als angenehme Abwechslung zur Remis-Schlange im Weltmeisterschaftskampf zwischen Kasparow und Karpow empfunden (Karpow durfte beim Stand von 4:0 nachnominiert werden, sollte ein baldiges Ende des Wettkampfes eintreten, was aber nicht geschah, da der Wettkampf nach 48 Partien beim Stand on 5:3 für Karpow abgebrochen wurde.). Aber auch ohne die „K&K“-Fraktion marschierte das sowjetische Team sicher zum Sieg (u.a. ein deutliches 4:0 über Ungarn). England profitierte von einer Garde junger, hungriger Spieler die auf den zweiten Platz stürmten und somit auch noch die USA abfingen, die den dritten Platz belegten.
Abschlusstabelle Thessaloniki 1984 (2)
Dubai 1986. „Keine Frage- Dubai 1986 war eine der glanzvollsten Olympiaden der Nachkriegszeit. Organisatorisch perfekt, wie man es sich bei einer solchen Massenveranstaltung eben machen kann, sportlich ein absoluter Thriller und für die Spieler ein sehr angenehmer Aufenthalt.“, weiß Hans-Joachim Hecht in (4) zu berichten. Kein Wunder wurde die erste Olympiade in einem arabischen Land auch zur einer Gelddemonstration, da das Land aufgrund seiner Ölvorkommen im Reichtum „schwimmt“ und die Gesamtausgaben für die olympische Veranstaltung auf ca. 12,5 Millionen Euro geschätzt wurden. Dennoch hatte die Veranstaltung einen Wehrmutstropfen zu verzeichnen, da die Ausrichtung in einem arabischen Land eine Nichteinladung Israels zur Folge hatte, was dazu führte, dass die europäischen Nationen Niederlande, Norwegen, Dänemark, Schweden und Farörer-Inseln, sowie einzelne Spieler die Olympiade boykottierten. Dennoch nahmen 108 Nationen teil, was einen neuen Teilnehmerrekord darstellte.
(4)
Schach im Land der Scheiche, hier die regierenden
Scheiche der Emirate während der Schacholympiade 1986
Folgt man den Schilderungen von Hans-Joachim Hecht in (4) weiter, so könnte man meinen, dass der schachliche Wettkampf nur am Rande von Bedeutung war: „Und was taten die Emirate nicht alles für das Wohlergehen der Gäste! Ein sehr angenehmer und großzügig eingerichteter Turniersaal, eine riesige Halle mit Pressezentrum, Café, Ausstellungsstücke, Gebetsraum, Verkaufsstände etc., eine extra Halle für Freizeitgestaltung mit Disco, Bar, Videothek, Spiele aller Art usw.; das angeschlossene Hilton-Hotel, in dem u. a. auch die deutsche Kolonie wohnte, so dass alle Wege sehr kurz waren, kostenlose Buslinien zum Strand und in die Stadt und von jedem Hotel zum Trade Centre, wo die Olympiade stattfand, Schachsymbole in der ganzen Stadt und ein eigens für die Olympiade angelegter begrünter Hügel, Ausflugsangebote zu den spielfreien Zeiten (z.B. Kamelrennen, Fahrt in die Wüste usw.), kostenloser Getränkeservice im Turniersaal, kostenloses Bulletin, kostenloses Material wie Poster, Zeitung und sonstiges Informationsmaterial (in der Presse und TV wurde täglich ausführlich berichtet); eine bombastische Eröffnungszeremonie.“
Ob diese Begleitumstände daran lagen, dass das Team der Sowjetunion wankte, wage ich zu bezweifeln, aber die sportlich schwache Leistung des Landesmeister Witali Zeschkowski brachte die gesamte Mannschaft zum Wanken, was den starken Engländern und dem Team aus der USA berechtigen Hoffnungen auf den Titel einräumte. In der 6. Runde trafen die Sowjetunion auf England und führten einen Kampf, wie in einem Finale (nur Weißsiege), der 2:2 endete und den Engländern einen Vorsprung von 2,5 (!) Punkten sicherte, die zudem auch noch die als stark eingeschätzte Konkurrenz bereits gespielt hatte. Der große Knall passierte aber in der 10. Runde, denn die stolzen Spanier, die bereits den Jugoslawen den Zahn zogen, demontierten England mit einem vernichtenden 3,5: 0,5! In der Schlussrunde treffen die USA auf Bulgarien, Polen auf die Sowjetunion und Brasilien auf England. Alles schien möglich zu sein, aber die USA trafen auf die starken Bulgaren. Als England ein 4:0 vorlegt, ist die USA mit 2:2 schon aus dem Rennen, aber die Sowjetunion führte mit 3:0 gegen Polen, und Kasparow, der seine Partie noch gewinnen musste hatte die Chance sein Team zum Titel zu führen – was ihm gelang. Das deutsche Team konnte mit einem Schlussrundensieg den Setzranglistenplatz erreichen: 13.!
Abschlusstabelle Dubai 1986 (2)
(5)
Immergrünes Duell währen der Olympiaden der 70er
und 80er: Ungarn – Sowjetunion. Links spielt Portisch (Weiß) gegen Kasparow,
rechts Karpow (Weiß) gegen Ribli. Anthony Miles kiebitzt.
Thessaloniki 1988. Vier Jahre nach der Erstaufführung einer Olympiade in Griechenland gab es bereits die Wiederholung und diese sorgte mit einem Comeback der ostdeutschen Vertretung für die wiedererlangte Reisefreiheit schon vor dem Mauerfall. Die neugewonnenen Freiheiten setzte man auch sofort in siegbringende Energien um und deklassierte mit 3:1 sogar den „Klassenfeind“ aus dem anderen deutschen Land, sodass man sich zwischenzeitlich auf dem geteilten 2.-4. Platz wiederfand. Nach Kräfteschwund in der 11. Runde rutschte man am Ende auf den enttäuschten 17. Platz ab. Keine Überraschung hingegen beim Seriensieger, der diesmal mit einer der stärksten Aufstellungen auflauern konnte: Garri Kasparow, Anatoli Karpow, Artur Jussupow, Alexander Beljawski, Jaan Ehlvest und Wassili Iwantschuk.
(6)
Das ungarische Siegerteam bei den Frauen, von
links: Judit, Zsuzsa und Sofia Polgar, Ildiko Madl
Die sportliche Eintönigkeit bei den Damen durchbrach eine neue Nation: Polgarien! Die Ungarn traten mit den drei Geschwistern Zsuzsa (19), Sofia (14) und Judit (12) Polgar, sowie verstärkt durch Ildiko Madl mit einer Teenager-Truppe gegen die übermächtige Sowjetunion an. Karpow teilte auf seiner Pressekonferenz mit, dass er nicht an eine ernsthafte Konkurrenz für das sowjetische Damenteam von Seiten der Ungarinnen glaubte. Der Erfolgslauf der jungen Frauen war ein gefundenes Fressen, die in der 5. Runde die Sowjetunion mit 2:1 besiegten (trotz zwei Mal Schwarz), bei der ausgerechnet Madl den entscheidenden Siegpunkt einfuhr. Sie spielte nach einer Schockpause (ihr Freund und Sekundant Perenyi fiel bei der Anreise einem tragischen Autounfall zum Opfer) ihre erste Partie. Eine Runde vor Schluss lagen die beiden Kontrahenten gleichauf und die Nerven machten den Favoriten sichtbar zu schaffen, sodass die Außenseiter den Ton angaben. Die sowjetische Mannschaftsführung gab ihre drei Partien gegen die Niederlande remis, da bei einem Unentschieden Gold aufgrund der besseren Punktwertung gesichert war. Aber dann rettete sich Zsuzsa aus Verluststellung gegen Pia Cramling (12,5 aus 14!) und Judit steuerte den entscheidenden Punkt bei, da Sofia bereits remisiert hatte. Aus dem Team der ungarischen Mädchen und Frauen ragte Judit Polgar mit Ausbeute von 12,5 aus 13 heraus und sie sollte ihre Leistungen in den folgenden Jahren bestätigen und ist heute mit Abstand stärkste Schachspielerin der Welt!
Über eine weitere Herzensangelegenheit wusste Theo Schuster in (5) zu berichten: „Über der Schacholympiade von Saloniki schwebte der Zauber einer sowjetisch-amerikanischen Love-Story. Die Nummer eins im UdSSR-Schachteam, Elena Achmilowskaja, 29 Jahre, setzte sich von der sowjetischen Delegation aus dem Hotel „Makedonia“ in Saloniki ab. Nach der Trauung flog das Paar [Anmerkung: John Donaldson war der Gatte.] über Frankfurt in die USA. Im Informationszentrum der 28. Schacholympiade herrschte betretenes Schweigen von offizieller Seite. Aber die Öffentlichkeit ist von der Romanze, die in aller Heimlichkeit ein gutes Ende fand, entzückt. … Noch am Tag zuvor spielte Elena am ersten Brett der sowjetischen Damen gegen Indien, sie gewann gegen Miss Tipsay. Danach lief alles heimlich und perfekt organisiert Schlag auf Schlag. Die Nachricht von dem Absprung in den Westen und der Trauung des Paares schlug wie ein Blitz in die Spielhalle auf dem Messegelände ein.“
Abschlusstabelle Thessaloniki 1988 (2)
Novi Sad 1990. Europa auf dem Wege nicht mehr „diesseits und jenseits“ der Wege zu denken. Dennoch traten die deutschen Teams zum letzten Mal getrennt an, da die Schachverbände noch nicht vereint waren. Die ehemalige DDR (sechs Wochen zuvor mit der Bundesrepublik vereint) unter der Bezeichnung „DOR“ antretend (am Ende Platz 24) war aber nicht die einzige Nation, deren Synonym bei den zukünftigen Olympiaden nicht mehr zu lesen sein wird: auch Seriensieger Sowjetunion hatte (wenngleich zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt) seinen letzten Auftritt. Dieser wurde auch ohne Kasparow und Karpow zu einer souveränen Angelegenheit.
(7) Zum letzten Mal West- gegen Ostdeutschland. Vlastimil Hort, Robert Hübner, Uwe Bönsch und Wolfgang Uhlmann (v.l.n.r.) warten auf den Beginn ihrer Partie. Der historische Sieger behielt mit 2,5:1,5 auch im historischen Duell die Oberhand.
Abschlusstabelle Novi Sad 1990 (2)
Bilderquellen
(1)
olimpbase.org
(2)
Ervin Rosenblatt „Schacholympiade Luzern 1982“,
Münster Verlag, 1983
(3)
Ervin Rosenblatt „Schacholympiade Luzern 1982“,
Münster Verlag, 1983
(4)
Sonderband „Schacholympiade Dubai 1986“
(5)
Schach 02/1987
(6)
Schach 01/1989
(7)
Raj Tischbierik „Sternstunden des Schachs“, 1993
Quellenverzeichnis
(1)
Rochade 12/1980
(2)
olimpbase.org, Die kompletten Tabellen und
Statistiken sind auf dieser Webseite einzusehen und würden aufgrund der großen
Teilnehmerzahl den Umfang dieses Artikels sprengen.
(3)
Ervin Rosenblatt „Schacholympiade Luzern 1982“,
Münster Verlag, 1983
(4)
Europa-Rochade 01/1987
(5)
Schach Report 01/1989