Paul Morphy
22.6.1837-10.7.1884
Eine "Kombination à la Morphy" ist ein
geflügeltes Wort in der internationalen Schachsprache! Dabei erstreckte sich das
praktische Wirken dieses Mannes nur auf einen Zeitraum von drei Jahren, und er
spielte dabei nicht einmal hundert ernste Partien!
Der Nachfahre spanischer Einwanderer wurde in New Orleans geboren. Bereits mit
13 Jahren besiegte er den auf der Durchreise befindlichen britischen
Meisterspieler Johann Loewenthal. Das Studium der Rechtswissenschaften schloss
er 1857 mit dem Anwaltsdiplom ab. Da er das vorgeschriebene Alter für eine
Tätigkeit an Gerichtshöfen noch nicht besaß, beschloss er, seine schachlichen
Fähigkeiten in einem ernsthaften Wettbewerb zu erproben. Beim Kongress in New
York, einem Match-Turnier nach dem Vorbild von London 1851, zeigte sich Morphy
allen Teilnehmern überlegen. Nun wollte er sich auch mit den stärksten Meistern
der alten Welt messen und begab sich im Sommer 1858 auf eine ausgedehnte
Europareise. Doch Howard Staunton, damals der führende Meister Englands, mochte
nach dem niederschmetternden Eindruck von zwei Beratungspartien nicht gegen ihn
antreten, ein offizielles Match kam nur gegen den altbekannten Rivalen
Loewenthal zustande, der 9:3=3 besiegt wurde. Also begab sich Morphy in die
andere Schachhochburg jener Jahre, nach Paris, wo er tatsächlich große Triumphe
in Zweikämpfen feierte.
Zunächst schlug er den aus Deutschland stammenden Daniel
Harrwitz, der im Schachcafé de la Régence das Zepter führte, mit 5:2=1. Dann kam
es zum Zusammentreffen mit Anderssen, der die Einladung in die französische
Hauptstadt annahm und sich nach anderthalbjähriger Spielpause mit Morphy maß.
Auch diesmal setzte sich der Amerikaner mit erstaunlicher Leichtigkeit durch:
+7-2=2. Bei seiner Rückkehr in die Heimat wurde Morphy wie ein Nationalheld
empfangen. Damit war allerdings seine schachliche Laufbahn so gut wie beendet.
Morphy versuchte in der Folge sein Glück als Anwalt, ohne jedoch auch nur
annähernde Erfolge wie im Schach zu erreichen. Dazu kam, dass der amerikanische
Sezessionskrieg (1861-65) die Verhältnisse gerade in seiner Heimatstadt arg
erschütterte und seine Beziehungen zu Familienmitgliedern und Freunden in
Mitleidenschaft zog.
1863/64 kehrte er noch einmal nach Paris zurück, ohne sich
jedoch auf ernsthafte Schachkämpfe einzulassen. Er verfiel zunehmend in
Depressionen. Von seiner Familie weitgehend vor der Außenwelt abgeschirmt, starb
er 1894. Morphys Überlegenheit über seine Zeitgenossen fußt vor allem auf seinem
tiefen Verständnis vom Wesen der offenen Stellung. Die Leichtigkeit und Eleganz
seiner Siege prägten sich der Schachwelt so nachhaltig ein, dass dieser Eindruck
bis in unsere Tage nachwirkt.
(Albin Pötzsch, Quelle: "100 Jahre Schach")