"Ich versuche mein ganzes Leben, besser Schach zu spielen."

von Sagar Shah
25.09.2017 – Vassily Ivanchuk ist einer der stärksten und interessantesten Spieler der Welt. An guten Tagen kann er jeden schlagen, an schlechten schnell verlieren. Beim World Cup in Tiflis verlor in Runde 5 gegen Levon Aronian. Danach sprach er in einem kurzen Interview über den World Cup, das Damespiel, Inspiration und über den Weltmeistertitel.

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

"OK, fünf Minuten"

Zur Enttäuschung vieler Fans ist Vassily Ivanchuk in der fünften Runde des World Cups 2017 in Tiflis ausgeschieden. Der ukrainische Großmeister hatte Vladimir Kramnik und Anish Giri aus dem World Cup geworfen, aber in Runde fünf verlor er gegen Levon Aronian.

Ivanchuk

Nach seinem Ausscheiden verließ er sofort den Turniersaal, aber er reiste nicht gleich ab. Ich hatte also noch die Gelegenheit ein Interview mit ihm zu führen. Am Tag nach seiner Wettkampfniederlage ging ich zur Rezeption des Hotels, in dem er übernachtete, und ließ mich zu ihm durchstellen.

"Hallo", meldete sich eine Stimme mit starkem ukrainischem Akzent. "Vassily, hier spricht Sagar Shah von ChessBase. Ich würde gerne ein kurzes Interview mit Dir machen." "Tut mir Leid, aber ich möchte kein Interview geben", antwortete er. "Du hast ein phantastisches Turnier gespielt. Unterhalten wir uns wenigstens für fünf Minuten." "Ok, fünf Minuten. Ich komme in 30 Minuten zur Rezeption."

Eine halbe Stunde später trafen wir uns an der Rezeption und gingen in den Turniersaal. Dort hatte ich eine Stellung aus einer Partie aufgebaut, die Ivanchuk beim Capablanca Memorial 2017 gegen den amerikanischen Großmeister Sam Shankland gespielt hatte. Ivanchuks Augen leuchteten als er die Stellung sah. Nicht umsonst ist Ivanchuks Schachbegeisterung legendär.

 

Video interview

Ein Interview mit einem Schachgenie

Interview

Sagar Shah: Wie siehst Du den World Cup und Dein Spiel im World Cup? 

Vassily Ivanchuk: Das war ein wirklich interessantes Turnier. Ich habe mich gefreut, hier spielen zu können. Dafür geht mein Dank an Emil Sutovsky, der mich unterstützt hat.  [Ivanchuk wurde durch die Association of Chess Professionals für das Turnier nominiert - Red.]. Leider habe ich mich nicht über meine Elo-Zahl qualifiziert. Es war ein interessantes und sehr spannendes Turnier. In den ersten beiden Runden hatte ich etwas Glück und am Ende habe ich ziemlich gut gespielt. In der ersten Partie gegen Aronian habe ich allerdings schrecklich gespielt. In der zweiten Partie habe ich ziemlich gut gespielt, aber das hat nicht gereicht, da sich mein Gegner gut verteidigt hat. Und ich konnte nicht gewinnen. Das war wirklich ein gutes Turnier. Ich habe kreatives und kämpferisches Schach gespielt. Wenn ich auf diese Weise weiter spiele, dann werde ich noch viel Erfolg haben.

SS: Gegen Giri und Kramnik hast Du sehr gut gespielt. Wie hast Du Dein bestes Schach abrufen können?

VI: Ich versuche einfach, mich in jeder Partie gut zu konzentrieren und die Varianten gut zu rechnen. Irgendwann haben meine Gegner Fehler gemacht, und die konnte ich ausnutzen.

Du schienst sehr gut in Form zu sein, aber dann hast Du die Partie gegen Aronian verloren. Was ist da schief gegangen?

In einer einzelnen Partie kann alles passieren. Das war nicht meine beste Partie (lacht). Das kann jedem passieren. 

Vassily Ivanchuk kam beim World Cup bis ins Viertelfinale | Foto: Amruta Mokal

Vassily, welche Turniere stehen bei Dir demnächst auf dem Plan?

Ich spiele demnächst in der kroatischen Liga, die am 28. Oktober beginnt - nein, Entschuldigung, am 28. September (lacht), und Ende Oktober spiele ich in Hoogeven, Holland, einen Wettkampf gegen Wei Yi, der über sechs Partien mit klassischer Bedenkzeit geht. Und dann möchte ich in Gibraltar spielen. Vielleicht auch in der chinesischen Liga, aber da bin ich noch nicht sicher.

Im Moment dreht sich alles ums Schach, für Dame ist keine Zeit?

Ich möchte auch Dame spielen. Ich weiß nicht, ob dieses oder nächstes Jahr, aber ich werde versuchen, zu spielen. Ich finde es interessant, neue Spiele zu lernen. Seltsamerweise hatte ich meinen größten Erfolg im Friesländischen Damespiel. Ich habe dieses Jahr in einem ziemlich starken Turnier gespielt und wurde Dritter. Ich habe viele Meister geschlagen. Diese Variante hat eine ganze Reihe von Sonderregeln.

Arbeitest Du an Deinem Damespiel oder kommt alles von allein?

Wenn ich in Turnieren spielen will, dann muss ich mich darauf vorbereiten. Man muss ein bisschen Eröffnungstheorie lernen und ich löse ein paar Kombinationen. Ich versuche, die Strategie des Spiels zu verstehen. Auf meinem Niveau ohne Vorbereitung zu spielen ist albern (lacht). 

Genau wie Schach? 

Ja, aber ich bin kein Profi. Ich versuche das zu tun, was ich tun kann.

Vassily, Du bist einer kreativsten Denker im Schach. Du hast viele wunderbare Ideen am Brett gefunden, z.B. in der Partie gegen Shankland (siehe Diagramm unten). Wie findest Du diese Ideen? Was inspiriert Dich?

Ivanchuk erläutert die Partie Ivanchuk - Shankland, Capablanca Memorial 2017

Hier spielte Ivanchuk Txc5.

Ich spiele einfach Schach und versuche, etwas Interessantes zu finden, vor allem, wenn ich gut in Form bin, wenn ich mich gut fühle. Dies war eine Mittelspielstellung und ich habe auch an Sa7 überlegt - das ist ebenfalls ein interessanter Zug. Nach Tc7 kommt b4, auf Ta8 Sc6 und danach b4. Ich habe Txc5 gespielt, aber auch Sa7 in Betracht gezogen.

Txc5 war ein langfristiges Qualitätsopfer, nicht wahr?

Ja. Ich habe viele Züge im Voraus berechnet. Ich habe auch Sa7 berechnet und versucht zu begreifen, in welcher Variante ich bessere Chancen habe. Das war natürlich nicht leicht.

Ivanchuk während der Eröffnungsfeier des World Cups 2017 | Foto: Amruta Mokal

Vassily, diese Ideen fallen Dir nicht nur am Schachbrett ein, sondern oft auch während Du umhergehst, nicht wahr?

Ja, ich kann umherlaufen und dabei nachdenken. Mit kommt eine bestimmte Stellung in den Sinn und plötzlich fällt mir ein Zug ein (lächelt) und ich fange an, darüber nachzudenken. Als Erstes versuche ich zu verstehen, ob der Zug gut oder schlecht ist, wenn ich nicht ganz sicher bin, überprüfe ich ihn mit dem Computer. Aber ich mag es nicht, gleich den Computer zu Hilfe zu nehmen, ich will solche Züge erst einmal selber verstehen.

Gibt es eine Eröffnungsidee, die Dir besonders gefallen hat oder die Du für die beste hältst, die Du je gefunden hast?

Okay, das hängt davon ab, ob ich diese Idee am Brett oder während der Analyse gefunden habe. Zum Beispiel habe ich gegen Anish Giri Le3 gespielt, das war keine Vorbereitung, diese Idee habe ich am Brett gefunden.

In der ersten Partie des Wettkampfs gegen Anish Giri in Runde 4 des World Cups gewann Ivanchuk mit 9.Le3 - eine Idee, die er am Brett gefunden hat.

Ahh, diesen Zug hast Du am Brett gefunden? Ich habe gedacht, das ist Teil Deiner Hausanalyse.

Nein, nein, nein. Wenn das Vorbereitung gewesen wäre, hätte ich wohl kaum eine halbe Stunde nachgedacht (lacht).

Erinnerst Du ähnliche Ideen?

Gegen Radjabov im Sizilianer habe ich eine Neuerung gebracht, ein Bauernopfer: 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cd 4.Sd4 Sf6 5.Sc3 e6 6.Sc6 bc 7.e5 Sd5 8.Se4 und jetzt kam mir am Brett die Idee, einen Bauern zu opfern, für den Weiß starke Kompensation bekommt.

Mit 12.Ld2! opfert Weiß den Bauern b2

Stimmt es, dass Du ein sehr gutes Gedächtnis hast und alle 48 Partien des ersten Wettkampfs zwischen Kasparov und Karpov 1985/1985 auswendig kennst?

Nein, nein! (lacht). Vielleicht habe ich ein gutes Gedächtnis, aber man kann leicht begreifen, dass alle Partien des Wettkampfs zwischen Karpov und Kasparov vollständig auswendig zu kennen nicht besonders nützlich ist. Es gibt keinen praktischen Grund, sie auswendig zu kennen. Ich erinnere Eröffnungsideen und ein paar interessante Momente. Das ist nützlicher als eine Partie von Anfang bis Ende im Gedächtnis zu haben. Zum Beispiel gab es in dem Wettkampf viele Partien, in denen Weiß mit Läufer und Springer gegen Läufer und Springer des Schwarzen spielte, bei ungleichfarbigen Läufern. Die Partien dauerten manchmal 80 Züge. Wie soll ich das von Anfang bis Ende behalten (lacht). Und selbst wenn ich das könnte, welchen praktischen Sinn hätte das?

Vassily, man hat Dich ein Genie genannt und Kasparov hat gemeint, Du seist einer der stärksten Spieler seiner Generation. Hast Du das Gefühl, Dir fehlt etwas im Leben, weil Du nie Weltmeister geworden bist?

Fehlt etwas? | Foto: Amruta Mokal

Okay, hmmm, ... ob etwas fehlt... Ich glaube nicht, dass dies das einzig wichtige in meinem Leben ist. Ich würde mich zum Beispiel freuen, wenn ich im Damespiel Meisterstärke erreiche. Das ist auch wichtig. Natürlich wäre ich froh, Schachweltmeister zu sein. Aber dies ist nicht die einzige Sache in meinem Leben, über die ich mir Gedanken mache.

Du spiellst gerne und das Ergebnis ist zweitrangig, oder?

Natürlich nicht. Ich will gute Ergebnisse erzielen. Wenn ich im Weltmeisterschaftszyklus spiele, dann kann ich so tun, als ob ich um den Titel spiele. Wenn ich andere Turniere spiele, dann kann ich den Titel nicht holen, selbst wenn ich das Turnier gewinnen. Wie auch immer, ich versuche, mein bestes Schach zu zeigen oder zumindest gutes Schach zu spielen, aber ich freue mich auch über gute Ergebnisse. Es ist albern, zu spielen und seinen Gegner nicht besiegen zu wollen. Das ist unlogisch (lacht).

Eine letzte Frage: Hast Du immer noch den Ehrgeiz, Schachweltmeister zu werden?

Dieser Zyklus ist jetzt für mich zu Ende, wir werden sehen, was der nächste Zyklus bringt. Ich werde etwas planen. Aber im Moment ist dafür nicht die Zeit. Ich muss mich ein wenig entsprann, um mich für mein nächstes Turnier - die kroatische Liga - vorzubereiten - und natürlich muss ich, wie in meinem ganzen Leben, versuchen, meine Spielstärke zu verbessern und das werde ich auch versuchen.

Eine Klasse für sich | Foto: Amruta Mokal

Übertragung aus dem Englischen: Johannes Fischer


Sagar Shah ist ein junger Internationaler Meister aus Indien. Er ist zugleich ausgebildeter Wirtschaftsprüfer und würde gerne der erste indische Wirtschaftsprüfer sein, der Großmeister wird. Sagar berichtet leidenschaftlich gerne über Schachturniere, denn so begreift er das Spiel, das er so liebt, besser. Aus Leidenschaft für das Schach betreibt er auch einen eigenen Schachblog.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren