"Ich sehe die Dinge jetzt entspannter als früher": Ein Interview mit Roven Vogel

von Conrad Schormann
30.01.2020 – Roven Vogel hat beim Tata Steel Turnier 2020 das "Qualifiers" gewonnen und sich für das Challengers Turnier im nächsten Jahr qualifiert. Conrad Schormann sprach mit dem 19-jährigen, der für USV TU Dresden in der Bundesliga spielt, über sein Turnier in Wijk, seine Einstellung zum Schach und was er jetzt anders macht als früher. | Foto: Schachbundesliga

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Mit Einladungen zu starken Rundenturnieren werden deutsche Schachmeister nicht gerade überhäuft, im Gegenteil. Solche Plätze sind rar, und mit den sich abzeichnenden Veränderungen rund um das Dortmunder Superturnier werden sie noch rarer.

Auf Einladungen zu hoffen, ist der eine Weg. Der andere ist, sich sportlich zu qualifizieren. Vincent Keymer und Daniel Fridman haben es vorgemacht: Mit Siegen beim Grenke Open 2018 bzw. 2019 qualifizierten sich diese beiden für das Grenke Classic des folgenden Jahres.

"Für mich das größte und stärkste Turnier jemals"

Dem ehemaligen U16-Weltmeister Roven Vogel ist jetzt ein ähnlicher Coup gelungen. Beim Tata Steel Chess in Wijk an Zee gewann der 19-Jährige das Qualifiers-Turnier. Damit hat er einen Platz in Challengers-Turnier 2021 sicher.

In einem Jahr wird er bei einem der führenden und meistbeachteten Schachfestivals weltweit auf eine Auswahl veritabler Spitzengroßmeister aus der 2650+-Liga und auf einige Jungstars treffen, höchstwahrscheinlich auch auf Vincent Keymer. "Das wird mein größtes und stärkstes Turnier jemals", sagt Roven.

Wir haben mit dem jungen Schachmeister aus Dresden über seinen Erfolg in Wijk gesprochen – und darüber, was zu tun ist, damit er 2021 ebendort in einem Klassefeld bestehen kann.

Glückwunsch! Mit deinem Sieg beim Qualifiers in Wijk an Zee hast du dich für das Challengers-Turnier nächstes Jahr qualifiziert. Wie warst du ins Qualifiers gekommen?

Man kann sich in Wijk über Rundenturniere bis ins Qualifiers hochspielen, aber ich habe mich einfach direkt angemeldet. Der Organisator sagte, die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass sich nicht viele Stärkere anmelden, dann sei ich dabei. Und so kam es.

Erstaunlich, dass sich wenig starke Spieler anmelden, oder? Der erste Preis, die Qualifikation fürs Challengers, ist ja enorm attraktiv.

Vielleicht wissen viele nicht, dass man sich da einfach anmelden kann.

Gelungener Auftakt gegen den Elo-Favoriten: 26…Sxg4 war dem Weißen entgangen. Nach 27.hxg4 Lxd4+ 28.Txd4 Da7 nebst …e5 hat Weiß ein Fesselungsproblem.

Führe uns durch dein Turnier. Wie ist es gelaufen?

In der ersten Runde ging es gleich mit Schwarz gegen Thomas Beerdsen, den Elo-Favoriten. Die Eröffnung war nicht toll, da habe ich mir zwei Ungenauigkeiten geleistet. Ich musste einen Bauern geben, hatte dafür wahrscheinlich nicht genug Kompensation, aber zumindest praktische Chancen. Dann hat er mit 26.h3 den Trick 26…Sxg4 übersehen, das funktioniert wegen Fesselungsmotiven auf der Diagonalen g1-a7. An der Stelle hat sich das Blatt gewendet. Gut war die Partie nicht.

Aber wichtig. Den nominell besten Gegner hattest du damit gleich zu Beginn aus dem Weg geräumt.

Stimmt, für den Turnierverlauf und das Endergebnis enorm wichtig. In Runde zwei, wieder mit Schwarz, gegen Fred Slingerland ist mir ein sauberer Sieg gelungen…

…und dann wartete in Runde drei nicht irgendjemand.

Akash G, ein indischer IM. Der hatte kurz zuvor beinahe die indische Meisterschaft gewonnen und dort 30 Elo plus gemacht. Mit Weiß hatte ich gegen ihn eine Sizi-Stellung mit vertauschten Farben auf dem Brett, stand schnell auf Gewinn, aber habe mich schwergetan, die Partie zu beenden. Selbst nachdem er sie in Zeitnot weggeschmissen hatte, war das Endspiel trotz Mehrfigur nicht trivial. Das hat ewig gedauert, 84 Züge, und Nerven gekostet.

Drei aus drei, perfekter Start.

Dann Runde vier, schrecklich. Nach der Eröffnung stand ich wieder gut, Bauer mehr gegen den nominell schlechtesten Spieler des Turniers, ich dachte, das muss ich nur noch verwerten. Und dann habe ich plötzlich nichts mehr gesehen. Die Partie hat mich genervt, weil ich so schlecht gespielt habe.

"Der wird mal ein Großer": U14-Weltmeister Aydin Suleymanli. | Foto: ChessBase India

Aus der Bahn geworfen hat dich diese Niederlage nicht.

Doch, schon. In Runde fünf habe ich mit Weiß schnell remis gemacht. Nach so einer schlechten Partie wie in der vierten Runde hat man selten Lust auf Schach, es sei denn, man will beweisen, dass man es besser kann. Das war bei mir an diesem Tag nicht der Fall. Der Gegner war allerdings auch kein Schlechter.

Aydin Suleymanli aus Aserbaidschan.

Amtierender U14-Weltmeister, Elo 2473. Der wird mal ein Großer. Er hat mir erzählt, er sei schon seit drei Jahren Profi. Und das mit 14!

Danach hast du wieder zwei volle Punkte gesammelt.

Ja, erstaunlich bequem sogar. Mein Eindruck war, dass einige Leute deutlich unter ihrem Niveau gespielt haben. Mehrere Partien im Turnier waren recht kurz, weil eine Seite keinen Widerstand geleistet hat.

"Ich wusste, dass das Endspiel in Ordnung ist": Der Zeitverbrauch dokumentiert, dass Roven Vogel gegen Arthur Pijpers seine Vorbereitung aufs Brett bekam.

Und du musstest an Tabellenführer Nico Zwirs dranbleiben.

Der war mit 2/3 gestartet, danach fünf Siege am Stück. Ich war beständig Zweiter, einen halben Punkt dahinter. In Runde acht mit Schwarz gegen Arthur Pijpers ist meine Vorbereitung bis ins Endspiel aufs Brett gekommen. Ich wusste, dass das Endspiel in Ordnung für Schwarz ist. Danach habe ich ihn sogar überspielt, leider meine Chance nicht genutzt. Aber das war gar nicht so entscheidend. Um das Turnier zu gewinnen, musste ich in der letzten Runde Zwirs schlagen, so oder so.

Wie geht man so eine Must-win-Partie an?

Ich habe mir keinen Druck gemacht. Mit meinem Turnier bis dahin war ich ja zufrieden, ich hatte überwiegend gut gespielt, das war in Ordnung. Den Druck habe ich eher bei ihm gesehen. Er musste etwas verteidigen. Ich wollte einfach nur spielen und mal sehen, was passiert.

Die Partie spiegelt genau das.

Na, ja. Erstmal war das meinerseits eine schlechte Partie, die Eröffnung ist mir missraten. Er hatte mich mit Semi-Slawisch überrascht, und dann wollte ich ihn mit 5.Dd3 zurücküberraschen, eine alte Idee, die Luca Moroni mal gegen mich gespielt hatte. Aber ich habe nicht gut fortgesetzt, stand bald schlechter, und er bot remis an. Das habe ich abgelehnt, gewinnen wollte ich immer noch. Um ihn zumindest auf der Uhr unter Druck zu setzen, habe ich danach schnell gespielt. Und das hat sich im 38. Zug ausgezahlt. Bis dahin hatte er mehrere klare Wege zum Remis ausgelassen, schließlich stellte er mit noch vier Minuten auf der Uhr das Endspiel ein.

"Wollte ihn zumindest auf der Uhr unter Druck setzen": Mit 38…Ke5? stellte Nico Zwirs an dieser Stelle das Endspiel ein, und Roven Vogel qualifizierte sich für das Challengers 2021. Trivial ist es nicht, aber nach 39.g5 entscheidet das weiße Freibauernduo auf der g- und h-Linie. Der schwarze König kann sich den weißen Freibauern nicht effektiv entgegenstellen, weil ihm seine eigenen Bauern auf e6 und f5 den Weg zum Königsflügel verstellen.

Hast du schon einen Plan für das Challengers 2021?

Wijk kann ganz schön lang werden, das habe ich schon während der elf oder zwölf Tage jetzt gemerkt. Es gibt dort neben dem Schach nicht viel zu tun. Das Challengers wird noch länger, 13 Runden. So ein Turnier kann man nur mit richtig viel Lust auf Schach angehen. Darum werde ich mich vorher auf eine Schachdiät setzen, damit ich mit großer Spielfreude am Brett sitze. Allerdings muss ich auch aufpassen, nicht einzurosten. Vielleicht finde ich eine Gelegenheit, um mich warm zu spielen, aber mehr als das soll es nicht sein.

Und schachlich?

Das Challengers 2021 wird das größte und stärkste Turnier, das ich je gespielt habe. Wenn ich auf dem Level mithalten will, muss ich meine Eröffnungen verbessern.

U16-Weltmeister Roven Vogel im Jahr 2015. | Foto: FIDE

Du warst U16-Weltmeister, was ist seitdem passiert? In einem Interview nach dem Titelgewinn hast du vor vier Jahren gesagt, jetzt werde der GM-Titel angepeilt.

Den peile ich immer noch an. Im Nachhinein sehe ich, dass ich ab 2016 nicht besonders effizient trainiert habe, deswegen habe ich sportlich nicht die Fortschritte gemacht, die ich mir vorgestellt hatte. Dann kamen gesundheitliche Probleme dazu, ich konnte ein Jahr nicht spielen. Das ist aber überwunden. Im Moment arbeite ich viel an meinem Schach, es geht wieder vorwärts.

Was machst du jetzt anders?

Ich vertrödele nicht mehr so viel Zeit beim Online-Blitz. Wenn ich trainiere, dann intensiv und fokussiert. Einen Trainingsplan habe ich jetzt auch, das fehlte früher. Und ich habe mir Hilfe gesucht, Leute, mit denen ich zusammenarbeite, um mich weiter zu entwickeln.

Hat sich auch deine Einstellung geändert?

Und ob. Ich sehe die Dinge jetzt viel entspannter als früher. Mein Fokus liegt auf der Qualität der Partien, die ich spiele. Ich bin nicht mehr so ergebnisorientiert – und glaube, dass genau das mittelfristig zu besseren Ergebnissen führt. Ein bisschen entspannter mit ihrem Schach umzugehen, würde vielen Leuten helfen, glaube ich.

Du hast 2019 dein Abi gebaut, was sind die Pläne für die Zukunft?

Bis Oktober erstmal Schach. Dann fange ich an zu studieren.

Erstveröffentlichung bei Conrad Schormanns Schachblog Perlen vom Bodensee. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Alle Partien des Qualifier-Turniers

 

Links

 


Conrad Schormann, gelernter Tageszeitungsredakteur, betreibt in Überlingen am Bodensee ein Büro für Redaktion und Kommunikation. Fürs Schachspielen hat er zu wenig Zeit, was auch daran liegt, dass er so gerne darüber schreibt, sei es für Chessbase, im Reddit-Schachforum oder für sein Schach-Lehrblog Perlen vom Bodensee...


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