„Anand spielt clever,
Doping im Schach bringt nichts“
Interview mit Exweltmeister Anatoli Karpow
Von Dagobert Kohlmeyer
Die russische Schachlegende war zwei Tage Ehrengast beim
WM-Duell Anand- Kramnik in Bonn. Karpow ist 12. Weltmeister der
Schachgeschichte, spielt heute nur noch selten, weil er den russischen
Friedensfonds leitet und Unicef-Botschafter seines Landes ist. Der 57-Jährige
Moskauer ist gern gesehener Gast bei vielen Schach-Events. Vor der sechsten
Partie in Bonn führte Karpow symbolisch den ersten Zug am Brett von Anand und
Kramnik aus, brachte letzterem aber kein Glück.

Danach kommentierte er mit Yasser Seirawan für die
englischen User und mit Adrian Michaltschischin für die russischen Schachfans
über „Foidos“ die gerade laufende Partie. Hinterher fand sich auch noch Zeit für
ein Gespräch mit dem Exweltmeister.


Wie bewerten Sie das Niveau der Schach-WM in Bonn?
Es ist mit früheren WM-Kämpfen nicht vergleichbar. Die
Eröffnungstheorie wurde viel komplexer, die Bedenkzeit sehr verkürzt, und
Computer haben ungeheuren Einfluss auf die Spielweise der heutigen Spitzenleute.
Dadurch geht viel Kreativität verloren. Das war zu meiner Zeit anders. In den
WM-Duellen gegen Kortschnoi oder Kasparow lösten wir die Probleme vorwiegend im
harten Fight am Schachbrett, nicht zu Hause mit dem Rechner.
Wie schätzen Sie Kramniks Aussichten nach seinem
überraschendem 3-Punkte-Rückstand ein?
Seit dem letzten Desaster ziemlich hoffnungslos. Vor der
sechsten Partie dachte ich, noch ist nicht alles verloren. So wie bei
Präsidentschaftswahlen. Bevor ein Kandidat nicht offiziell zum Sieger erklärt
wurde, kann er sich nicht sicher fühlen. Bei Halbzeit des Matchs hat jeder
WM-Finalist noch seine Chance, Anand ist noch nicht am Ziel, glaubte ich.
Woher nahmen Sie diesen Optimismus?
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schnell so ein Duell um
die Schachkrone auch mal kippen kann. 1986 habe ich in Leningrad gegen Kasparow
eine seltene Serie hingelegt und drei WM-Partien hintereinander gewonnen. Ob
Kramnik das jedoch hier in Bonn gegen Anand noch schaffen kann, ist mehr als
fraglich.
Also, seine Aufgabe ist so gut wie unlösbar?
Sie ist extrem schwierig, keine Frage. Weil er jetzt einen
Spagat hinlegen muss. Einerseits darf er die Ereignisse auf dem Brett nicht
forcieren, so wie zuletzt, wenn die Stellungen scharf und chaotisch sind. Die
Taktik ist Anands Territorium. Kramnik muss sich auf seine Stärke, das
strategische Spiel, besinnen und aus einer sicheren Verteidigung heraus agieren.
Wenn er andererseits gar nichts tut und in den nächsten Spielen nicht punktet,
dann ist sein Traum vom WM-Titel endgültig geplatzt.

Haben Kramniks Sekundanten schlecht gearbeitet?
Sollte er seine Eröffnungen wechseln?
Das ist nicht so einfach. Anand hat bisher große Stärke
gezeigt und immer Wege gefunden, in seine vorbereiteten Varianten zu kommen. Der
Inder scheint sehr gut präpariert zu sein; er nutzt seine Chancen resolut und
clever. Kramnik hingegen befindet sich in keiner guten Form.
Welche Match-Taktik empfehlen Sie Ihrem Landsmann für
die nächsten Partien?
Ich gehöre nicht zu seinem Trainerstab und habe ihm deshalb
keine Ratschläge zu erteilen.

FIDE-Präsident Iljumschinow war nicht zur
WM-Eröffnung in Bonn. Wissen Sie, warum?
Als Präsident Kalmückiens ist er wegen der Finanzkrise
derzeit in Russland eben unabkömmlich.
Die Führungsriege des Weltschachbundes ist seit
langem die alte. Es gibt noch immer kein einheitliches WM-Reglement. Zeit für
Veränderungen?
Sicher. Ich bin für die klassische Linie und will keine
Experimente mehr: Kandidatenturniere - WM-Match - Punkt. FIDE-Präsident
Iljumschinow hat keine guten Berater und trifft manchmal falsche Entscheidungen.
Er braucht echte Schachprofis als Ratgeber. Leute, die ganz eng mit dem Spiel
verbunden sind. Die jetzigen Seilschaften im Verband denken nur an ihren Vorteil
und verstehen zu wenig vom Schach. Darum dümpelt die FIDE seit langem vor sich
hin. Ohre Führungsmannschaft muss dringend erneuert werden.

Haben Sie keine Ambitionen, FIDE-Präsident zu werden?
Nein, derzeit ist das für mich kein Thema. Neuwahlen sind
erst beim FIDE-Kongress in zwei Jahren. Fragen Sie mich dann noch einmal.
In Bonn mussten Anand und Kramnik nach der 6.
WM-Partie zur Dopingkontrolle. Macht so etwas überhaupt Sinn im Schach?
Es ist völliger Quatsch. Die Föderation will unbedingt,
dass Schach olympisch wird, darum diese Schritte. Wir sind aber keine
Bewegungssportart. Aufputschmittel helfen einem Großmeister nicht, bessere
Denkleistungen zu bringen. Und olympisch werden wir, wie es aussieht, auch
nicht.
Im nächsten Monat haben wir die Schacholympiade in
Dresden. Russlands Ergebnisse waren in letzter Zeit beim Turnier der Nationen
nicht berauschend. Warum?
Das ist richtig. Die letzten Olympiasieger waren die
Ukraine und Armenien. Der 6. Platz von Turin war völlig inakzeptabel. Andere
Nationen wie die Chinesen haben stark aufgeholt. Unser russischer Verband hat
Konsequenzen daraus gezogen und arbeitet jetzt besser. Eine große Hilfe dabei
ist Vizepremier Alexander Shukow, der unseren Schachverband leitet. Es wird viel
getan, auch in meinen Schachschulen, die es überall im Land gibt. Wir können
unsere Spitzenposition im Weltschach nur durch konzentrierte Arbeit
wiedergewinnen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Journalisten-Blitzturnier am Ruhetag gewann übrigens
die russische Journalistin Elmira Mirzoeva. Sie ist Frauengroßmeisterin.


DSB-Vize Matthias Kribben und Elmira Mirzoeva

Elmira mit dem WM-Schachbrett und Siegfried Koch