Wie Bobby den Kalten Krieg gewann:
Ein
Interview mit John Eidinow über Fischer, Spassky und den Kalten Krieg
Von Johannes Fischer
Mr. Eidinow, vor kurzem erschien Ihr Buch Wie Bobby Fischer den kalten Krieg gewann, ein faszinierender Bericht über
den Wettkampf zwischen Fischer und Spassly 1972, den Sie zusammen mit David
Edmonds geschrieben haben. Sie schreiben nicht regelmäßig über Schach; können
Sie uns deshalb ein wenig mehr über Ihren beruflichen Hintergrund und die
Vorgeschichte des Buches verraten?
David ist Produzent beim BBC World Service,
ich war Moderator beim BBC World Service und habe Sendungen über aktuelle Themen
moderiert und betreut. David arbeitet noch immer für die BBC, während ich mich
als Moderator zur Ruhe gesetzt habe; ich arbeite jetzt vor allem als Autor.
Eines der von mir regelmäßig moderierten
Programme war ein wöchentlicher Überblick über das politische Geschehen in
Großbritannien und ich hatte das Glück, David als einen der Produzenten zu
haben. Darüber hinaus arbeiteten wir bei einer Reihe von Dokumentationen
zusammen, und haben uns so ziemlich gut kennen gelernt.
Die Idee zu unserem ersten Buch,
Wittgenstein's Poker (Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem
Feuerhaken drohte, DVA, 2001) entstand auf einer Zugfahrt zu einer der
alljährlichen Konferenzen einer der britischen Parteien. Nach dem Erfolg dieses
Buches, das in über zwanzig Sprachen übersetzt wurde, suchten wir nach Ideen für
ein weiteres Buch. Und zu dieser Zeit arbeitete David, der in Oxford Philosophie
studiert hat, aber auch ein beachtlicher Schachspieler ist, für die BBC an einer
Dokumentation über die Schachweltmeisterschaften. Er erwähnte diesen Wettkampf
zwischen Fischer und Spassky, während wir ganz allgemein darüber diskutierten,
worüber wir ein zweites Buch schreiben könnten. Er erwähnte den Wettkampf
einfach nur. Und wir starrten uns an und dachten, dies könnte ein Thema für uns
sein, denn es gab bestimmte Ähnlichkeiten zur Wittgenstein-Popper Geschichte,
von der unser erstes Buch handelte.
Ludwig
Wittgenstein, und Karl Popper
Wittgenstein's Poker
handelte von einem Zusammenstoß eines Philosophen, der als Genie galt, mit einem
anderen Philosophen, Karl Popper, der als sehr begabt galt, aber nicht als
Genie, dafür aber als weit normaler, sehr viel mehr als menschliches Wesen
erkennbar. Zu diesem Zusammenstoß kam es, als Karl Popper, der die Zeit des
Zweiten Weltkriegs in Neuseeland verbracht hatte, 1946 nach Cambridge ging, wo
Wittgenstein als Professor für Philosophie lehrte. In Cambridge wollte Popper
Wittgensteins philosophisches Denken gezielt anzugreifen und ihm seine
philosophische Krone entreißen, ja, ihn als Philosoph beinahe zerstören.
Das Buch war eine Detektivgeschichte.
Ursprünglich beschäftigte uns folgende Frage: "Hatte Karl Popper, ein sehr
bedeutender Philosoph, in seiner Autobiographie gelogen, als er berichtete, was
während der Auseinandersetzung mit Wittgenstein geschah, um sich selbst als
Sieger darzustellen – wie es Anhänger Wittgensteins Popper vorwarfen?" Unser
Buch schickte sich an, diese Frage zu beantworten.
Auch der Weltmeisterschaftskampf 1972 war
ein Zusammenstoß zweier Männer: Zwischen Boris Spassky, ohne Zweifel ein sehr
begabter Schachspieler, aber auch, wie deutlich zu sehen, ein menschliches
Wesen, und Bobby Fischer, der von so vielen als Schachgenie betrachtet wird –
mit all den Merkwürdigkeiten, die wir einem Genie zuschreiben. Aber
Wittgenstein's Poker drehte sich um eine zehnminütige Auseinandersetzung vor
einem Publikum von etwa 30 Personen in einem Raum in Cambridge 1946, und der
Kampf zwischen Fischer und Spassky wurde über zwei Monate unter den Augen der
Öffentlichkeit und der Weltpresse ausgetragen. Und einer der Gründe, warum wir
daran interessiert waren, war dann auch die Frage: "Warum beherrschte dieser
Weltmeisterschaftskampf die Schlagzeilen?", während man drei Jahre vorher, als
Spassky Petrosian die Krone entriss, als Schachfan die Zeitungen emsig
durchforsten musste, um Berichte über diesen Wettkampf zu finden. Also, warum
sorgte dieser Wettkampf 1972 für weltbewegende Schlagzeilen?
Wie haben Sie versucht, diese Frage zu
beantworten, wie haben Sie Recherchen über diesen Wettkampf angestellt, über den
bereits so viel geschrieben wurde?
Jetzt, mit dem Ende des Kalten Krieges gab
es die Möglichkeit, da zu recherchieren, wo man vorher nicht recherchieren
konnte und so einen völlig neuen Blick auf den Wettkampf zu werfen. Wir konnten
in den amerikanischen Archiven recherchieren und wir konnten die Russen
befragen, die damals für das Schach zuständig waren, Leute wie Yuri Averbakh und
Viktor Baturinskii, den Direktor den Zentralen Schachclubs. Aber das Wichtigste
war, dass wir mit Viktor Ivonin reden konnten, dem damaligen stellvertretenden
Minister für Sport, der für alle Vorbereitungen verantwortlich war. Wir durften
außerdem sein Tagebuch lesen, in das er damals täglich Einträge vornahm. Die
Gespräche mit ihm und sein Tagebuch verschafften uns einen exklusiven Zugang zur
Sicht der Sowjets auf den Wettkampf, ihre Einstellung zu dem Wettkampf, zu
Fischer und zu Spassky als Mensch und amtierenden Weltmeister. Wir erhielten
außerdem einen täglichen Bericht über Spasskys Vorbereitung, mit all den
Spannungen und dem Druck im sowjetischen Lager, und erfuhren, wie sie auf den
Wettkampf reagiert haben, einschließlich des Engagements des KGB und der
Reaktion auf Spasskys Niederlage. Natürlich ist das Ivonins Sicht der Dinge, es
ist das, was in seinen Augen geschehen ist, was er zu den Leuten gesagt hat und
muss natürlich überprüft und im Kontext gesehen werden.
Haben Sie auch mit Fischer und Spassky
sprechen können?
Wir haben enorme Anstrengungen unternommen,
um Fischer aufzuspüren. Wir hatten die Emailadresse einer Zwischenperson, aber
man sagte uns, Fischer würde nur Live-Interviews geben. Und nun gut, diese
Live-Interviews von Fischer... Schließlich erhielten wir die Nachricht, dass
Fischer uns kein Interview geben würde.
Aber wir sprachen mit Spassky. Er war sehr
hilfsbereit. Ein Mann von enormem Charme. Er war sehr freundlich und gab uns ein
ausführliches Interview und während wir das Buch geschrieben haben, fragten wir
bei ihm wegen vieler Dinge nach.
Durch die Gespräche mit all diesen Leuten
konnten wir hinter das Bild des Wettkampfs schauen, das damals präsentiert
wurde, und das seitdem weit verbreitet ist, nämlich dass dies ein Kalter-Kriegs
Wettkampf war, mit Bobby Fischer als einsamem amerikanischen Star, der
hinausreitet, um die Macht des sowjetischen Schachs herauszufordern. Und dass
Boris Spassky nur ein weiterer Teil dieser Schachmaschine war, ein extrem
begabter sowjetischer Schachapparatschik, und dass Bobby Fischer im Kalten Krieg
für den Westen gespielt hat und sein Sieg ein Sieg im Kalten Krieg war. Das war
das Bild, das Bobby Fischer gezeichnet hat, und das war das Bild, das die
westlichen Medien vollkommen akzeptierten und das weitgehend akzeptiert war –
bis unser Buch erschien.
Wir stellten die Frage: "War es das? War es
ein Kalter-Kriegs Wettkampf?" und unsere Antwort lautet "Nein". Tatsächlich war
1972 der Höhepunkt der Detente und die Luft war voller Flugzeuge, die Diplomaten
zu Verhandlungen flogen. Außerdem hatten weder Nixon noch Breschnew Interesse an
dem Wettkampf. Und Fischer war sicher kein wirklicher Repräsentant
amerikanischer Werte und die Regierung unter Nixon hat ihn auch nicht als einen
solchen gesehen.
Ebenso wenig war Spassky ein
Sowjet-Apparatschik. In dem Buch erscheint er als Mensch, der sehr viel zu
seinem eigenen Sturz beigetragen hat, sowohl durch seine generelle Haltung bei
der Vorbereitung auf den Wettkampf, zum Beispiel, indem er die Möglichkeit
abtat, dass Fischer andere Eröffnungen spielen könnte als die von Spassky
vorbereiteten, aber auch durch Spasskys Weigerung, einen Wettkampfmanager, einen
Dolmetscher oder einen Koch mit nach Reykjavik zu nehmen, obwohl man ihn dazu
drängte. Hätte er das getan, hätte der Wettkampf einen ganz anderen Verlauf
nehmen können. Aber Spassky war sehr siegessicher, und was immer man auch sagen
mag, er ging nach Reykjavik, um ein Schachfest zu feiern, während Fischer nach
Reykjavik ging, um einen Schachkrieg zu führen.
Vor kurzem hielt ich während einer
Vortragsreihe für die Deutsch-Britische Gesellschaft einen Vortrag mit dem Titel
"Reading Between Squares – The Role of Chess in Literature", in dem ich der
Frage nachging, wie die Literatur dazu beigetragen hat, diese Wahrnehmung des
Wettkampfs als einen Kampf im Kalten Krieg zu fördern. Geht man zurück zu Werken
wie Thomas Middleton's A Game of Chess und vielen anderen, so sieht man,
dass Schach enorme kulturelle Resonanz besitzt, und sowohl Gut und Böse
symbolisieren kann. Aber es gibt auch die Verbindung des Schachs mit Wahnsinn,
z.B. in Zweigs Schachnovelle oder in Nabokovs Lushins Verteidigung.
Und so haben die Leute den Wettkampf in diesen Begriffen interpretiert.
Glauben Sie, dieser Gedanke des
"wahnsinnigen Genies", den die Literatur so gerne zeichnet, erklärt auch, warum
man Fischer so viel nachsieht, sein rüpelhaftes Benehmen, seine exzentrischen
Auftritte, sein wütender Antisemitismus, etc.?
Bobby – und es heißt immer "Bobby" – scheint
diesen Drang, ihm zu helfen, in anderen Leuten hervorzurufen. Diese "Armer
Bobby" Haltung. Würde man irgendjemand anderem die Dinge verzeihen, die er
gesagt und getan hat? Sein Antisemitismus und seine Bemerkungen über den die
Ereignisse vom 11. September 2001? Aber bei Fischer zucken die Leute nur mit den
Achseln und sagen, er sei ein verstörter Junge, was er ganz sicher war. Viele
Leute schienen zu glauben, dass Fischer einen Weltmeisterschaftskampf verdient
hätte, einen Versuch, den Titel zu holen. Selbst Spassky, der Fischer
unglaublich bewundert, schien zu glauben, dass Fischer diesen einen Versuch, den
Titel zu holen, verdient hätte. Anstatt sich einfach umzudrehen und zu sagen
"Schauen Sie, ich bin der Weltmeister, ich lasse mich so nicht behandeln" hat er
versucht, den Wettkampf zu retten. Aber im Gegensatz zu anderen Gegnern Fischers
ließ er sich nicht überfahren, sondern wehrte sich mit enormem Mut und
Zähigkeit. Und nach dem Wettkampf baute er sich ein zweites Leben auf – anders
als Fischer.
Stichwort "zweites Leben: Was halten Sie
vom heutigen Fischer und seiner Einbürgerung in Island?
In Island ist Fischer immer noch sehr
populär und in gewisser Weise hat er Reykjavik tatsächlich zu einem Platz auf
der Weltkarte verholfen, aber natürlich musste dies gegen die amerikanische
Kritik an dieser Entscheidung abgewogen werden. Tatsächlich stehen die meisten
US-Amerikaner Fischer jetzt sehr kritisch gegenüber, und sie würden es begrüßen,
wenn er in den USA vor Gericht gestellt wird.
Im Nachhinein wirkt Fischers Leben wie eine
Tragödie. Wir haben diesen unglaublich begabten Schachspieler, der von dem Spiel
so absorbiert wird, dass er den Kontakt zur Wirklichkeit verliert und sich
später dazu entschließt, das Schach völlig aufzugeben. Während unserer
Recherchen haben wir mit russischen Großmeistern gesprochen, die Fischer während
seines Moskau-Besuchs 1958 getroffen haben, und selbst sie, die für Schach
lebten, waren verblüfft, wie sehr das Spiel Fischer absorbierte.
Sie hatten auch Zugang zu den FBI-Akten
über Fischer und seine Mutter Regina, die beide vom FBI überwacht wurden, weil
man Regina Fischer verdächtigte, eine Kommunistin zu sein. In diesen Akten haben
Sie entdeckt, dass Fischers Vater aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der
deutsche Physiker Gerhardt Fischer ist, sondern Paul Felix Nemenyi, ein
ungarischer Jude. Aber in der Schachwelt scheint diese verblüffende Entdeckung
kein großes Echo ausgelöst zu haben.
In der Tat scheint das die Leute nicht
besonders zu interessieren, selbst wenn sich so herausstellt, dass der
fanatische Antisemit Fischer jüdische Eltern hat. Aber für orthodoxe Juden ist
er immer Jude gewesen, da seine Mutter jüdisch war. Nebenbei bemerkt gab es auch
Gerüchte, dass Spassky Halbjude sei. Aber als wir mit ihm darüber sprachen, war
er ziemlich erstaunt, dass ein solcher Gedanke auftauchen kann. Er ist Russe,
sehr stolz darauf, wirklich stolz darauf, dass seine Familie seit
Menschengedenken Russisch-Orthodox ist.
Ihr Buch war bei Kritik und Publikum ein
Erfolg. Warum, glauben Sie, ruft dieser Wettkampf noch immer ein solch großes
Interesse hervor?
Der Wettkampf markierte einen Einschnitt.
Fast jeder erinnert sich noch, wo er war, als Fischer und Spassky spielten.
Nicht solch einen Einschnitt wie die Ermordung Kennedys, aber einen Einschnitt.
David Edmonds |
John Eidinow
WIE BOBBY FISCHER DEN KALTEN KRIEG GEWANN
Die
ungewöhnlichste Schachpartie aller Zeiten
Aus dem
Englischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel
Org.: Bobby Fischer goes to War, Faber & Faber London Eco Press, N.
Y. 2004
432
Seiten
€ 22,90 / € (A) 23,60 / sFr 40,20
München
Erschien am 15. Februar 2005
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Packend wie ein Thriller –
der Kalte Krieg am Schachbrett
- Das
berühmteste Schachduell des 20. Jahrhunderts: spannend und faktenreich,
historisch und biographisch erzählt
-
Aktualisiert um die jüngsten Ereignisse um Bobby Fischer
Reykjavik, 11. Juli 1972. Am
Schachbrett sitzt der amerikanische Schachgroßmeister Bobby Fischer dem
amtierenden russischen Weltmeister Boris Spasski gegenüber. Noch bevor die
Partie beginnen kann, macht der exzentrische Fischer seinem Ruf alle Ehre: Erst
nach einem Anruf Henry Kissingers und einer Verdoppelung des Preisgelds durch
einen englischen Millionär nimmt er das Spiel auf – und gewinnt. Die
schachfanatischen Sowjets sind geschockt über den Ausgang des Spiels, die
Amerikaner jubeln. Und die Berater Spasskis rätseln. Sind vielleicht
unerklärliche äußere Einflüsse für das Debakel verantwortlich? Ist Hypnose im
Spiel? Haben die Amerikaner Störsender eingesetzt oder Spasskis Orangensaft mit
Drogen versetzt?
Auf der Höhe des Kalten
Krieges war Reykjavik zu einem seiner Schauplätze geworden, und die Medien
stilisierten das Duell am Schachbrett zum ideologischen Kampf der Systeme:
Amerika gegen Rußland. Unter Auswertung bislang unzugänglicher sowjetischer und
ameri-kanischer Akten wird hier die Geschichte des wohl spektakulärsten
Schachwettkampfs des 20. Jahrhunderts neu erzählt.
»Selbst
wenn Sie glauben, die Story bereits zu kennen, werden Sie von diesem höchst
unterhaltsamen Bericht überrascht und begeistert sein.«
Publishers Weekly
Zu den
Autoren:
© Fatima Namdar |
David
J. Edmonds und John A. Eidinow sind mit vielen Preisen ausgezeichnete
Journalisten bei der BBC. Ihr erstes gemein-sames Buch Wie Ludwig
Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhaken drohte erschien 2001 bei
DVA.
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