Interview mit Robert K. von Weizsäcker
Von Jörg Schulz
Vor einigen Wochen stand es auf der Homepage des Deutschen
Schachbundes, Prof. Dr. Robert K. von Weizsäcker wurde vom Präsidium und den
Sprechern der Landesverbände gebeten, als Nachfolger von Alfred Schlya für das
Amt des Präsidenten des Deutschen Schachbundes zu kandidieren.
Robert K. von Weizsäcker hat im Alter von sechs, sieben Jahren vom Vater das
Schachspiel erlernt. Das Interesse daran war jedoch nicht all zu groß, was auch
daran lag, dass die Partien gegen den Vater regelmäßig verloren gingen. Dann
aber brach 1972 bei ihm wie bei vielen anderen auch der Schachvirus aus, denn
der Weltmeisterschaftskampf Spasskij gegen Fischer in Reykjavik zog ihn mächtig
an und brachte ihn zum Schach zurück. Und dann aber gleich so intensiv, dass die
Familie sogar Sorge bekam, dass er zuviel Schach im Kopf haben könnte. Als
Autodidakt brachte er sich durch das intensive Studium der Schachliteratur
Schach bei.
Der Schritt in den Verein war zwar noch eine Überwindung für ihn, doch als er im
Godesberger SK angekommen war, merkte er schnell, dass die dort auch nur mit
Wasser kochen und sein Schachwissen ausreichte, um mitzuhalten und auch
mitzumischen. Ein verdientes Remis bei einer Simultanvorstellung 1973 gegen die
Schachlegende Botvinnik zeigte ihm, dass er nicht nur in der Familie von
Weizsäcker die schachliche Oberhand gewonnen hatte, sondern auch im aktiven
Vereinsschach eine Rolle spielen konnte. Und sogar keine geringe. So spielte
Robert von Weizsäcker in der Saison 1978/79 in der ersten Schachbundesliga für
den Bonner SK 05. Seit 1973 spielte er parallel zum Nahschach auch Fernschach.
Am Fernschach begeisterte ihn vor allem das wissenschaftliche Arbeiten am
Schach.
Mit Beginn des Studiums der Mathematik und der Volkswirtschaftslehre trat das
aktive Schachleben in den Hintergrund, und erst als es im Beruf etwas ruhiger
zuging, fand Robert von Weizsäcker Ende der neunziger Jahre zum Fernschach
zurück. Dort legte er eine unwahrscheinliche Siegesserie hin. Jedes
Fernschachturnier beendete er entweder als Sieger oder zumindest als geteilter
Erster; insgesamt verlor er seit 1973 nur 2 (!) Fernschachpartien. Im Jahre 2002
wurde er Internationaler Meister, 2004 Internationaler Großmeister im Fernschach
und im Jahre 2004 auch Weltmeisterschafts-Kandidat. Derzeit spielt er mit der
Deutschen Nationalmannschaft im Finale der Schacholympiade der
Fernschachspieler, und die Mannschaft hofft, für die Schacholympiade 2008 in
Dresden ein gutes Ergebnis vorlegen zu können. Derzeit sieht es sehr danach aus.
Robert K. von Weizsäcker, geboren 1954, studierte an der Universität Bonn
Mathematik und Volkswirtschaftslehre. Über den Diplom-Volkswirt in Bonn und die
Promotion an der London School of Economics beendete er seine wissenschaftliche
Ausbildung 1990 mit der Habilitation an der Universität Bonn.
Nach Stationen an den Universitäten Bonn, Berlin, Halle-Wittenberg, Mannheim und
verschiedenen Aufenthalten in den USA und England erreichte ihn ein Ruf an die
Technische Universität München, an der er seit 2003 Ordinarius für
Volkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und Industrieökonomik ist. Seine
Forschungsschwerpunkte sind die Gebiete der Finanzwissenschaft,
Unternehmensfinanzierung, Bildungsökonomik, Bevölkerungsökonomik und
Industrieökonomik.
1) Sie spielen Fernschach auf Weltniveau.
Das bedeutet, Sie wenden viel Zeit neben dem Beruf und der Familie für Schach
auf. Warum? Was ist für Sie die Faszination am Schach?
Seit über vierzig Jahren kommt Schach in meinem Leben vor. Intensive und weniger
intensive Phasen lösten einander ab – ob als reiner Anfänger, als
Freizeitspieler, als amateurhafter Turnierspieler, als späterer
Bundesligaspieler, als Fernschachspieler oder auch als Schachjournalist, stets
war die faszinierende Auseinandersetzung auf den 64 Feldern gegenwärtig.
Gefesselt haben mich seit jeher die tiefen strategischen Elemente der
Partieführung sowie die ästhetische Seite des Spiels. Was die enorme
Zeitinvestition angeht, so bin ich bis heute davon überzeugt, dass auch mit
Blick auf die Welt außerhalb des Schachs und jenseits der reinen Freude am Spiel
nicht ein Tag umsonst war. Denn diejenigen Fähigkeiten und Charaktermerkmale,
die man durch das Schach erwirbt oder vertieft, sind auch darüber hinaus äußerst
nützlich. Das gilt insbesondere für den von mir später gewählten
Wissenschaftsberuf. Beispiele sind: analytisches Denken, abstrakte Fantasie und
das Vertrauen in die eigene Disziplin des Entscheidens. Eine Eigenschaft, die
sich besonders durch die Beschäftigung mit Schach herausgebildet hat, knüpft an
das Letztgenannte an: Es ist eine quasirationale Kraft zur Entscheidung im
Lichte des Ungewissen.
2) Ist Schach eine Beschäftigung für jedermann, oder benötigt man bestimmte
Eigenschaften und Fähigkeiten, die eventuell nicht jeder hat? Oder anders
gefragt: Ist Schach Volkssport?
Grundsätzlich ist Schach ohne jede Einschränkung eine Beschäftigung für
jedermann. Ich betrachte Schach daher durchaus als Volkssport, auch wenn das
Spiel bei uns in Deutschland diesen Stellenwert nicht hat. Das bekannteste
Volkssportbeispiel ist sicherlich Russland, zu nennen sind aber auch eine Reihe
weiterer Länder, wie etwa die Niederlande. Will man als Spieler in die Spitze
vorstoßen, dann allerdings bedarf es bestimmter Eigenschaften, von denen ich
oben ja einige genannt habe. Die bisweilen anzutreffende These, dass man von
einer hohen Spielstärke im Schach auf eine hohe generelle Intelligenz zurück
schließen könne, halte ich übrigens für gewagt.
3) Schach scheint an den Schulen, vor allem im Grundschulbereich, zu boomen,
zumindest ist in den letzten Jahren das Interesse stark gestiegen, viele
Schachschulen haben sich gebildet. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Stundenlanges Fernsehen, ewiges Surfen im Internet oder relativ stumpfsinnige
Computerspiele schöpfen auf die Dauer weder das spielerische Potential noch den
natürlichen Spaß an schöpferischen Aktivitäten der Jugendlichen aus. Hier bietet
Schach eine hervorragende Alternative, die nicht nur Freude bereitet und die
Jugendlichen objektiv fördert, sondern auch von einer recht breiten
gesellschaftlichen Akzeptanz getragen ist. Als Bildungsökonom betrachte ich
Schach überdies als eine spielerische Antwort auf PISA.
4) Wäre Jugend- und Schulschach für Sie
als DSB-Präsident ein herausragendes Thema?
Das ist für mich in der Tat das Thema mit der höchsten Priorität.
5) Sie gehören als früherer Bundesligaspieler und vor
allem als Großmeister im Fernschach zu den Spitzensportlern. Welchen Stellenwert
in einem Verband muss der Leistungsbereich haben?
Spitzenspieler sind Vorbilder, die in die Breite des Sports zurückwirken.
Spitzenschach ist für mich daher eine conditio sine qua non – auch und gerade
wenn man Schach als Volkssport begreift. Darüber hinaus sind verschiedene
Förderungsmöglichkeiten des Schachs, insbesondere Fragen des Marketings, aber
auch Fragen der Finanzierung sowie die öffentliche Aufmerksamkeit, in der Regel
eng verknüpft mit den Leistungen an der Spitze.
6) Sie selbst sind über den legendären
Weltmeisterschaftskampf Spasskij – Fischer zur intensiven Beschäftigung mit
Schach gekommen. Welche Rolle spielen Vorbilder im Schach und wie schätzen Sie
die derzeitige Situation im Weltschach ein?
Die Frage nach den Vorbildern lässt sich sicher nicht allgemein beantworten. Die
WM 1972 war für mich zweifellos ein Schlüsselerlebnis, ebenso wie eine
Simultanpartie gegen Botvinnik ein Jahr später. Meine eigenen Vorbilder im
engeren Sinne haben sehr viel mit meinem ausgeprägt positionellen Spielstil zu
tun. „Die Kunst der Bauernführung“ von Hans Kmoch sowie „ Mein System“ von Aaron
Nimzowitsch haben mich sehr beeinflusst, und ich wurde in der Folge ein großer
Anhänger von Capablanca, Botvinnik, Petrosjan und auch Karpow – weniger von
Kasparow übrigens. Was die Situation im Weltschach angeht, so kann ich nur
hoffen, dass der „Vereinigungsweltmeister“ Kramnik einen Wendepunkt in der viel
zu lange gespaltenen internationalen Schachwelt markiert.
7) Viele Mitglieder in den Vereinen des DSB fiebern der
Schacholympiade 2008 in Dresden entgegen, und mit vielen verschiedenen Aktionen
wird für die Schacholympiade 2008 geworben. Freuen Sie sich auf dies
Großereignis in Deutschland, und welche Bedeutung kann es für die Entwicklung
des deutschen Schachs haben?
Selbstverständlich freue ich mich, und ich hoffe natürlich sehr, dass das
Großereignis Schacholympiade genutzt werden kann, um auf den Schachsport
aufmerksam zu machen, sein Image zu heben und neue Anhänger zu gewinnen. Dazu
wird freilich auch eine gute Öffentlichkeitsarbeit nötig sein.
8) Sie haben in Ihrer Lebensplanung
bestimmt nicht an die Funktion des DSB-Präsidenten gedacht. Wie überrascht waren
Sie, als man mit der Frage nach einer Kandidatur an Sie heran trat?
Die Überraschung war vollkommen. Tatsächlich sollte das gegenwärtig laufende
Finale der Fernschach-Olympiade meine vorerst letzte Schachaktivität sein.
Fernschach auf sehr hohem Niveau hat ja etwas mit einer selbst gewählten Form
der Versklavung zu tun. Ich kann nur hoffen, dass ich jetzt nicht vom Regen in
die Traufe gerate…
9) Sie haben viele Gespräche mit vielen Ebenen im Deutschen Schachbund
geführt. Welchen Eindruck haben Sie dabei gewonnen? Und welche Ideen für die
nächsten Jahre haben Sie im Hinterkopf?
Diese Fragen kann ich heute noch nicht abschließend beantworten. Der Deutsche
Schachbund scheint ein nicht unkompliziertes Gebilde zu sein. Er besitzt, wenn
Sie so wollen, als Verband der Verbände eine vertikal integrierte
Holdingstruktur. Nach allen Erfahrungen in der unternehmerischen Praxis hat eine
solche Organisationsform eine Fülle von Anreizproblemen zur Folge. Ich werde
versuchen, von außen kommend den DSB strukturell zu durchleuchten, um eine
einigermaßen zielorientierte Verbandspolitik zu gewährleisten. Für mich ist
Schach ein Kulturgut. Mein prinzipielles Ziel wird es daher sein, die
gesellschaftliche Anerkennung des Schachsports voranzubringen. Schwerpunkte
möchte ich vor allem in zwei Bereichen setzen: Zum einen in dem Bereich Kinder
und Jugend – die Zukunftsträger des Schachs; und zum anderen auf dem Gebiet der
internationalen Repräsentanz des Deutschen Schachbundes. Hier bedarf es einer
längerfristig angelegten, geschickten Koalitionsbildung, um einen gewissen
Einfluss auf die FIDE zurückzugewinnen.