Julie Beck führte für das renommierte US-Magazin The Atlantic ein Doppelinterview mit den beiden ungarischen Schachspielerinnen Judit Polgar und Anna Rudolf. Judit Polgar war die erste Frau, die beim Schach in die absolute Weltspitze vorstoßen konnte. Inzwischen hat sie sich vom Profischach zurück gezogen und kümmert sich wie ihre ältere Schwester Susan auch um die Popularisierung des Schachs, unter anderem mit ihrem Global Chess Festival
Anna Rudolf spielte eine Zeit lang Turniere und wechselte dann ins Journalismus-Fach. Sie wird häufig auch als Kommentatorin engagiert.
In dem Interview berichten die beiden Spielerinnen, wie sie zum Schach kamen und wie sie schließlich Freundinnen wurden. In einer Passage des Interviews werden die Rollen von Mann und Frau in der Schachszene diskutiert. Diese Passage haben wir ausschnittsweise ins Deutsche übersetzt:
...
"Beck: Meine Wahrnehmung von außen ist, dass Schach eine Art männlich dominierte Welt ist. Habt ihr das Gefühl, dass es hilfreich ist, eine Freundin zu haben, die die Welt versteht, in der du dich bewegst?
Judit und Anna unternahmen im November 2015 eine Reise nach Norwegen. (mit freundlicher Genehmigung von Anna Rudolph)
Judit: Ich denke, wenn du irgendwo erfolgreich bist, wirst du zumeist mehr Männer um dich herum treffen als Frauen. Du brauchst Kampfgeist und Ausdauer. Ich war immer im Wettbewerb mit Jungs, von klein auf. Es hat mir nicht zu viel Ärger bereitet. Manchmal war ich das einzige Mädchen im Wettbewerb, aber das hat mir nichts ausgemacht.
Bei Anna denken die Leute, dass es für sie einfacher ist, als Blondine. Aber ich glaube sie arbeitet mehr als die Jungs.
Anna: Bei dir war es doch auch so. Auch wenn du keine Blondine bist.
Judit: Ich war nicht mit so bizarren Situationen konfrontiert wie Anna, als sie 20 Jahre alt war. Sie ist ein hübsches, junges, nettes Mädchen. Sie spielte unglaublich gut, das Turnier ihres Lebens, Aber weil sie ein Mädchen ist und blond, fingen die anderen Spieler an, sie des Betrugs zu beschuldigen. Es ist nicht leicht, mit so einer Anschuldigung umzugehen.
Anna: Das war 2007. Es war ein Open in Frankreich. Nach vier Runden führte ich das Turnier an. Eine Runde vor Schluss führte ich immer noch. Da kam der Schiedsrichter zu mir und sagte: "Es gibt einige Spieler, die glauben, dass du vielleicht Hilfe in deinen Partien benutzt."
Der Schiedsrichter selbst und die Organisatoren, sie glaubten es nicht, aber sie wollten sicherstellen, dass sich die Spieler nicht beschweren. Also nahmen sie mir meinen Rucksack weg und überprüften meinen Lippenbalsam, weil ich ihn auf dem Tisch liegen hatte. Man dachte, ich hätte vielleicht einen Mikrochip in meinem Lippenbalsam versteckt, der über einen Sender in meinem Rucksack mit dem Internet verbunden sei. Und immer, wenn ich den Lippenbalsam benutzte, würde ich einen Zug übermittelt bekommen.
Judit: Das war ein großer Schlag und eine Lehre fürs Leben, wie unfair es sein kann, aber man muss weiter kämpfen. Stimmt's?
Anna: Das ist wahr. Und man bekommt auch sexistische Kommentare. Spieler sagen, sie würden nie gegen eine Frau verlieren, und ähnliches in dieser Richtung
Judit: Oh, es gab viele sexistische Äußerungen wie diese. Die Jungs können oft kaum glauben, dass deine Ergebnisse deshalb gut sind, weil du gut bist. Natürlich sollte man nicht davon ausgehen, dass alle das denken, aber es gibt einige, die so denken. Um mit einer solchen Situation fertig zu werden, muss man einen starken Charakter haben, um weitermachen zu können."
...
Ganzes Interview (in Englisch) bei The Atlantic...