Lesen und Spielen: Schach und Literatur

von ChessBase
20.05.2005 – Manche puristischen Hardliner mögen vielleicht Stefan Zweigs "Schachnovelle" als Reflex eines enttäuschten Patzers deuten, der die Grünfeld-Verteidigung nie richtig verstanden hat. Im Gegenzug erklärte Goethe seine langes Leben in ungetrübter geistiger Frische mit jedweder Abstinenz gegenüber Tabak und dem Schachspiel und dachte dabei offenbar an den Kollegen Schiller, dem es anders erging. Zu den Befürwortern des Spiels gehört Jean Paul, der in "Die unsichtbare Loge" den Obristforstmeisters von Knör sogar die völlige Steuerfreiheit für Schachspieler fordern lässt; Das brächte Ihm den Beifall der Schachspieler ein, zumindest derer, die wissen was das ist: Steuern: Dafür oder Dagegen: Gespielt haben viele Literaten und manche kamen nicht mehr los vom Spiel, so dass die Schachspieler in der Literatur häufig als zerrissene Persönlichkeiten dargestellt werden. Die Wirklichkeit ist natürlich ganz anders. Gestern präsentierten die NDR-Moderatorin Sabine Rheinhold und Professor Christian Farenholtz im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe im Rahmen der Ausstellung "Schachpartie durch Zeiten und Welten" einen humorvollen Streifzug durch das Thema Schach und Literatur. Peter Münder fasst zusammen und regt zum Lesen an. Museum für Kunst und Gewerbe...Schach und Literatur...

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Steuerfreiheit für Schachspieler!?
Ein amüsanter Streifzug durch Schach in der Literatur im Hamburger Museum für Kunst und Geschichte
Von Peter Münder

Wir zelebrieren im Schillerjahr zwar Leben und Werk des genialen schwäbischen Stürmers und Drängers, doch angesichts des viel zu frühen Todes des „Räuber“-und „Wallenstein“-Schöpfers fragt sich manch Schiller-Freund auch: Wie schaffte es Altmeister Goethe, in die Methusalem-Riege vorzustoßen und noch im hohen Alter halbwegs frisch und munter zu bleiben? Endlich ist das Geheimnis gelüftet: „Ich habe keinen Tabak geraucht und nicht Schach gespielet- so wurde mir keine kostbare Zeit geraubt“, lautete Goethes banale Erklärung.

In ihrem ebenso amüsanten wie äußerst informativen Streifzug durch „Schach in der Literatur“ präsentierte das glänzend eingespielte Duo Sabine Rheinhold (TV-Moderatorin von „Markt im Dritten“) und Professor Christian Farenholtz (Städteplaner und Vorsitzender der Justus Brinckmann-Gesellschaft) in der Bibliothek des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, wo gerade eine großartige Ausstellung über „Schach durch Zeiten und Welten“ stattfindet, noch weitere Preziosen.



Neben den bekannten „Schach-Literaten“ Stefan Zweig („Schachnovelle“), ...

Nabokov („Lushins Verteidigung“), Lewis Carroll („Alice hinter den Spiegeln“), Lessing („Nathan der Weise“) und modernen Autoren wie Paolo Maurensig („Die Lüneburg- Variante“) kamen auch Meister zu Wort, denen man ihre Schach-Faszination nicht zugetraut hätte.




Jean Paul („Flegeljahre“), der verträumte Spezialist für skurrile Figuren und fabulierende Phantastik, beschäftigte sich im 1793 veröffentlichten Roman „Die unsichtbare Loge“ nicht nur mit den klandestinen Machenschaften einer Freimaurer-Gruppe, sondern setzte sich auch mit dem Schachspiel auseinander. Da soll dann ein Match darüber entscheiden, wer Ernestine, die attraktive Tochter des Obristforstmeisters von Knör, ehelichen darf. Offenbar gehörte der forsche Obristforstmeister zu einer Art radikaler Anarcho-Patzer-Gruppierung, denn er forderte sogar die Steuerfreiheit für Schachspieler- wer wollte da widersprechen?!

Da Sabine Rheinhold und Christian Farenholtz ihre Fundstellen und Zitate mit verteilten Rollen vortrugen, wurde daraus ein lebendiger Vortrag mit flottem Hörspielcharakter.

Verblüffend, welche Raritäten da ans Licht kamen. Wer assoziiert schon Christian Morgensterns „Tapetenblume“ mit dem Schachspiel? Der grandiose „Galgenlieder“-Dichter fabuliert über monotone Tapetenmuster, schlägt dann aber die herrliche Volte:

„Du siehst mich nimmerdar genung,
so weit du blickst im Stübchen,
und folgst du mir per Rösselsprung-
wirst du verrückt mein Liebchen“.




Neben Hinweisen auf Friedrich Rückert („Liebesfrühling“), Hofstätters „Gödel, Escher, Bach“, Heines „Romanzero“ und Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ lieferte das Streifzug-Duo auch Anmerkungen zum „Göttinger Hain“. Wer hätte vermutet, dass sich diese aufmüpfige studentische Dichtergruppe um Voß, Hölty, Schubart, G.A. Bürger und Matthias Claudius regelmäßig beim Schachspiel traf?

Da es sogar in Schillers Macht-und Intrigen-Drama „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ etliche Passagen über Schach gibt, kommt der Schach-Fan schon ins Grübeln: Haben sich die jungdynamischen Dichter vielleicht zu früh aufgerieben, weil sie allzu fanatische Schachspieler waren? Und wie kommt es, dass Schach in der Literatur meist als Zeitvertreib für dämonische, zerrissene Naturen dargestellt wurde? War Stefan Zweigs „Schachovelle“ tatsächlich nur, wie puristische Hardliner meinen, die Rache eines enttäuschten Patzers, der nie in die Tiefen einer Grünfeldindisch-Eröffnung vordrang? Ein gelungener, sehr anregender Streifzug!


Links:
Stefan Zweig: Biographie...
Jean Paul: Die Unsichtbare Loge (bei Gutenberg.de)...
 

 

 

 

 


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