Steuerfreiheit für Schachspieler!?
Ein amüsanter Streifzug durch Schach in der Literatur im Hamburger Museum für
Kunst und Geschichte
Von Peter Münder
Wir zelebrieren im Schillerjahr zwar Leben und Werk des genialen schwäbischen
Stürmers und Drängers, doch angesichts des viel zu frühen Todes des „Räuber“-und
„Wallenstein“-Schöpfers fragt sich manch Schiller-Freund auch: Wie schaffte es
Altmeister Goethe, in die Methusalem-Riege vorzustoßen und noch im hohen Alter
halbwegs frisch und munter zu bleiben? Endlich ist das Geheimnis gelüftet: „Ich
habe keinen Tabak geraucht und nicht Schach gespielet- so wurde mir keine
kostbare Zeit geraubt“, lautete Goethes banale Erklärung.
In ihrem ebenso amüsanten wie äußerst informativen Streifzug durch „Schach in
der Literatur“ präsentierte das glänzend eingespielte Duo Sabine Rheinhold
(TV-Moderatorin von „Markt im Dritten“) und Professor Christian Farenholtz
(Städteplaner und Vorsitzender der Justus Brinckmann-Gesellschaft) in der
Bibliothek des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, wo gerade eine
großartige Ausstellung über „Schach durch Zeiten und Welten“ stattfindet, noch
weitere Preziosen.
Neben den bekannten „Schach-Literaten“ Stefan Zweig
(„Schachnovelle“), ...
Nabokov („Lushins Verteidigung“), Lewis
Carroll („Alice hinter den Spiegeln“), Lessing („Nathan der Weise“) und modernen
Autoren wie Paolo Maurensig („Die Lüneburg- Variante“)
kamen auch Meister zu Wort, denen man ihre Schach-Faszination nicht zugetraut
hätte.
Jean Paul („Flegeljahre“), der verträumte Spezialist für skurrile
Figuren und fabulierende Phantastik, beschäftigte sich im 1793 veröffentlichten
Roman „Die unsichtbare Loge“ nicht nur mit den klandestinen Machenschaften einer
Freimaurer-Gruppe, sondern setzte sich auch mit dem
Schachspiel auseinander. Da soll dann ein Match darüber entscheiden, wer
Ernestine, die attraktive Tochter des Obristforstmeisters von Knör, ehelichen
darf. Offenbar gehörte der forsche Obristforstmeister zu einer Art radikaler
Anarcho-Patzer-Gruppierung, denn er forderte sogar die Steuerfreiheit für
Schachspieler- wer wollte da widersprechen?!
Da Sabine Rheinhold und Christian Farenholtz ihre Fundstellen und Zitate mit
verteilten Rollen vortrugen, wurde daraus ein lebendiger Vortrag mit flottem
Hörspielcharakter.
Verblüffend, welche Raritäten da ans Licht
kamen. Wer assoziiert schon Christian Morgensterns „Tapetenblume“ mit dem
Schachspiel? Der grandiose „Galgenlieder“-Dichter fabuliert über monotone
Tapetenmuster, schlägt dann aber die herrliche Volte:
„Du siehst mich nimmerdar genung,
so weit du blickst im Stübchen,
und folgst du mir per Rösselsprung-
wirst du verrückt mein Liebchen“.
Neben Hinweisen auf Friedrich Rückert („Liebesfrühling“), Hofstätters „Gödel,
Escher, Bach“, Heines „Romanzero“ und Grillparzers „König Ottokars Glück und
Ende“ lieferte das Streifzug-Duo auch Anmerkungen zum „Göttinger Hain“. Wer
hätte vermutet, dass sich diese aufmüpfige studentische Dichtergruppe um Voß,
Hölty, Schubart, G.A. Bürger und Matthias Claudius regelmäßig beim Schachspiel
traf?
Da es sogar in Schillers Macht-und Intrigen-Drama „Die Verschwörung des Fiesko
zu Genua“ etliche Passagen über Schach gibt, kommt der Schach-Fan schon ins
Grübeln: Haben sich die jungdynamischen Dichter vielleicht zu früh aufgerieben,
weil sie allzu fanatische Schachspieler waren? Und wie kommt es, dass Schach in
der Literatur meist als Zeitvertreib für dämonische, zerrissene Naturen
dargestellt wurde? War Stefan Zweigs „Schachovelle“ tatsächlich nur, wie
puristische Hardliner meinen, die Rache eines enttäuschten Patzers, der nie in
die Tiefen einer Grünfeldindisch-Eröffnung vordrang? Ein gelungener, sehr
anregender Streifzug!
Links:
Stefan Zweig: Biographie...
Jean Paul: Die Unsichtbare Loge (bei Gutenberg.de)...