Lösung des Endspielrätsels: War Fischers 22.Sxd7+ ein Fehler?

von Karsten Müller
27.11.2020 – 1971 musste Bobby Fischer im Finale der Kandidatenwettkämpfe gegen Tigran Petrosian antreten. In der siebten Partie dieses Wettkampfs spielte Fischer einen der berühmtesten und überraschendsten Züge seiner Karriere: mit 22.Sxd7+ tauschte er seinen "guten" Springer gegen den "schlechten" Läufer des Schwarzen und kam so zu einem scheinbar mühelosen Sieg. Seitdem ist der Zug 22.Sxd7 in zahllosen Büchern und Artikeln als Geniestreich gepriesen worden. Aber neue Analysen von Karsten Müller, Charles Sullivan, Zoran Petronijevic und zahlreichen ChessBase-Lesern legen nahe, dass Fischers legendärer Zug in Wirklichkeit ein Fehler war!

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Endspielrätsel gelöst: Fischers 22.Sxd7(?) war ein Fehler

Die siebte Partie des Kandidatenfinales 1971 zwischen Bobby Fischer und Tigran Petrosian ist immer wieder als strategische Meisterleistung gewürdigt worden. Denn Fischer überspielte Petrosian, der von 1963 bis 1969 Weltmeister war und als einer der besten Defensivspieler aller Zeiten gilt, mit scheinbarer Leichtigkeit.

 

Tigran Petrosian

Tigran Petrosian wartet auf Fischer.

Fischers überraschender Zug 22.Sxd7(?), mit dem Weiß seinen "guten" Springer auf c5 gegen den theoretisch "schlechten" Läufer auf d7 tauscht, hat Generationen von Spielern und Analytikern begeistert.

Aus praktischer Sicht hat dieser Zug Vorteile, denn danach liegt die weiße Strategie auf der Hand: Er wird mit seinem weißfeldrigen Läufer Druck auf den weißen Feldern ausüben – ganz nach dem Geschmack von Fischer, der Endspiele mit Läufer gegen Springer sehr gerne und sehr gut spielte. Tatsächlich ist die schwarze Stellung nach 22.Sxd7 in einer praktischen Partie sehr schwer zu halten.

Die meisten Engines halten 22.a4! allerdings für den besseren Zug. Mit 22.a4 vermeidet Weiß Abtausch, verstärkt den Druck und schränkt den Läufer auf d7 weiter ein. Zoran Petronijevic (Serbien), Charles Sullivan (USA) und viele ChessBase-Leser haben diese Stellung ausführlich und gründlich analysiert und ihren Analysen zufolge steht Weiß nach 22.a4! tatsächlich auf Gewinn, wohingegen der Partiezug 22.Sxd7+ objektiv gesehen ein Fehler ist, nach dem sich Schwarz verteidigen kann.

Zoran Petronijevic hat die Stellung besonders gründlich analysiert und ist zu folgenden Ergebnissen gekommen:

Ergebnisse der Analyse

  • Die Stellung vor 22.Sxd7+ ist gewonnen für Weiß.
  • Obwohl der Partiezug 22.Sxd7 von zahlreichen Kommentatoren gelobt wurde, deuten unsere Analysen darauf hin, dass 22.a4 sehr viel besser war. Objektiv betrachtet ist 22.Sxd7 ein Fehler und führt nur zum Ris a mistake and only leads to a draw.
  • Nach 22.a4 steht Weiß auf Gewinn.
  • Der Zug 23...Td6 von Schwarz ist ein Fehler und führt zu einer Verluststellung. Die beste Verteidigung des Schwarzen ist 23...d4, und danach ist die Stellung ausgegelichen, wie Charles Sullivan nachgewiesen hat.
  • Nachdem er eine Gewinnstellung erreicht hatte, hat Fischer nicht immer die beste Fortsetzung gefunden. 27.f4 ist ein Fehler, der den Gewinn aus der Hand gibt. Besser ist 27.a4, wonach Weiß auf Gewinn steht.
  • Mit 27...h4? revanchierte sich Petrosian für den Fehler des Weißen. Mit dem besseren 27...Sb6! kann Schwarz Remis halten (fast alle Kommentatoren haben diese Möglichkeit erwähnt, aber keiner hat erkannt, dass sich Schwarz mit diesem Zug retten kann). Eine andere Möglichkeit des Schwarzen war 27...Tb8, was zum Remis führen sollte. Nach 28.a3 hat Schwarz jetzt die Antwort 23...Sb6!
  • 28.Kf3, der darauf folgende Zug von Fischer, ist ein Fehler, der den Gewinn erneut aus der Hand gibt. Besser ist 28.Tec2 mit Gewinnstellung für Weiß.
  • Der entscheidende Fehler von Schwarz war 28...f5. Mit 28...d4 hätte Petrosian die Partie retten können.
  • Manche Quellen geben 33...Sxb4 als 33. Zug des Schwarzen an, aber das ist ein Irrtum. In der Partie geschah 33...Sxf4, wie Charles Sullivan nachgewiesen hat. Die in der ChessBase Mega-Datenbank angegebene Zugfolge ist korrekt.
  • Zahlreiche Leser von ChessBase haben geholfen, die Wahrheit über diese interessante und historisch wichtige Stellung herauszufinden. Jetzt sind wir der Wahrheit zumindest ein Stück näher gekommen. 
  • Fischer hielt diese Partie für die beste des gesamten Wettkampfs. Aber wenn unsere Analysen stimmen, dann war sein Spiel weit davon entfernt, fehlerfrei zu sein. Dennoch ist die Partie äußerst lehrreich.

Analyse des Zuges 22.Sxd7+

 

Endspielrätsel: War Fischers 22.Sxd7+ ein Fehler?


Karsten Müller gilt als einer der größten Endspielexperten weltweit. Dazu hat sein zusammen mit Frank Lamprecht verfasstes Buch „Grundlagen der Schachendspiele“ ebenso beigetragen wie seine Kolumnen auf der Webseite ChessCafe sowie im ChessBase Magazin. M.s ChessBase-DVDs im Fritztrainer-Format über Endspiele sind Bestseller. Der promovierte Mathematiker lebt in Hamburg, wo er auch für den HSK viele Jahre in der Bundesliga auf Punktejagd ging.

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