Materialien eines abgesagten Wettkampf

von ChessBase
06.11.2003 – Im September hätte auf dem Weg zur Wiedervereinigung der Weltmeisterschaften eigentlich in Jalta ein Wettkampf zwischen dem Fide-Weltmeister Ruslan Ponomariov und Garry Kasparov stattfinden sollen, ursprünglich sogar schon im Juni in Buenos Aires. Nach offenbar zähen Verhandlungen über Details im Vertrag zwischen der Fide und Ponomariov wurde dieser vom Fide-Präsidenten abgesagt. Auf dem letzen Fide-Kongress Chalkidiki wurde seine Entscheidung von den Delegierten ausdrücklich gebilligt. Zum abgesagten Wettkampf reichen wir noch zweiursprünglich in russischer Sprache erschienene Stellungsnahmen von Karpov und Ponomariov nach (Materialien 2). Kommunique des Fide-Kongresses... Materialien 1...Materialien 2

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Anatolij Karpov : Die Vereitelung des Matches Ponomariov gegen Kasparov ist eine Tragödie
Interview auf der offiziellen Webseite der russischen Meisterschaft, 14.09.2003
Übersetzung aus dem Russischen von Natalia Kiseleva

Die Schlusszeremonie der russischen Meisterschaft (Krasnojarsk, 3-12.09) wurde von der Schachlegende der Gegenwart, Anatolij Karpov, besucht. Einer der besten Großmeister der Welt hat nicht nur an der Preisverleihung teilgenommen sondern auch eine Pressekonferenz gegeben. Viele Fragen der Journalisten bezogen sich dabei auf die Absage des WM Matches Ponomariov – Kasparov.

Anatolij Evgenjevich, wie würden sie den Zusammenbruch des WM Matches kommentieren? 

Man kann sagen, es ist eine Schachtragödie. Jeder hat sein Scherflein dazu beigetragen. Übrigens, Kasparov auch. Obwohl ihm dadurch am meisten geschadet wurde. Wenn er rechtzeitig zu Ilumzinov gesagt hätte: „Es sind genug Dummheiten passiert, aber lass es Dir bloß nicht einfallen, das Match abzusagen!“ Dann hätte Kirsan sich nie dazu entschlossen. Und zu Ponomariov, man kann nicht einfach so mit dem Weltmeister umgehen. Ich habe an dem Turnier in Wijk an Zee teilgenommen, wo man Ponomariov keine Möglichkeit gegeben hat, Schach zu spielen. Ilumzinov hatte seine Vertreter dahin geschickt und sie haben versucht, mit Ponomariovs Nerven zu spielen. In diesem Moment wusste er nicht, ob er Schach spielen oder an den Verhandlungen teilnehmen soll …

Zur eigentlichen Absage des Matches möchte ich sagen, dass ich glaube, dass es keine besonderen Gründe dafür gab. Der extra Ruhetag, der so intensiv besprochen wurde und Stein des Anstoßes war, ist kein seriöser Grund. Der Fehler der Fide war auch der, zwei Schiedsrichter zu benennen, die kein Russisch sprechen. Allgemein sind die Probleme der Fide daran begründet, dass Ilyumshinov alle Regeln des Matches, nach denen jahrelang gespielt wurde, aufgehoben hat. Ich möchte mich der Meinung anschließen, dass die Absage des Matches dem Schach einen harten Schlag zugefügt hat. Jetzt müssen wir noch sehr lange warten, bis die Präsidenten Russlands und der Ukraine den ersten Zug eines WM-Matches machen. Für das Schach hätte das kolossale Bedeutung und wäre ein passendes Thema für die Titelseiten der großen Zeitungen und ein Highlight im Fernsehprogramm!

Gibt es nach der Absage des Matches überhaupt noch einen Ausweg aus dieser Situation?

Ich sehe keine Lösung. Wenn man auch weiterhin solche Methoden anwendet, dann wird sich das Schach demnächst wieder spalten und die Fide wird „uns ein langes Leben wünschen“. Obwohl das wahrscheinlich noch besser wäre. Es scheint vernünftiger, eine neue gesunde Organisation aufzubauen als zu versuchen, die alte und kranke zu sanieren. Von außen betrachtet sieht die Fide sehr demokratisch aus. In Wirklichkeit aber ist sie sehr antidemokratisch. Zum Beispiel hat Russland mit tausenden Titelträgern und professionellen Schachspielern genauso nur eine Stimme wie die Jungfrauen Inseln, wo es insgesamt kaum mehr als zehn Spieler gibt. Wenn es bereits früher bei der Fide etwas Ähnliches wie ein „Sicherheits-Komitee“ gegeben hätte, dann wären die Entscheidungen von Ilumzinov nie akzeptiert worden.

Ist es wahr, dass  Ponomariov Ihnen ein Schnellschach-Match statt seines Matches gegen Kasparov vorgeschlagen hat?

Nein. Ich habe kein offizielles Angebot bekommen. Man kann beliebige Sachen erzählen. Deshalb stimmen die Informationen, die durch die Medien geistern, überhaupt nicht.

 

Ruslan Ponomariov: „Ich bin weiterhin der Weltmeister, deshalb man muss mit mir rechnen!“
Interview mit Anatolij Javorskij in ,,Chess Ukraine,, 11.10.2003
Übersetzung aus dem Russischen von Natalia Kiseleva

Heute hat der Weltmeister Ruslan Ponomariov Geburtstag! Nach Tradition der letzten Jahre hat er seinen Geburtstag weit von zu Hause entfernt bei einem Turnier gefeiert. Na, was kann man tun, so ist der „Preis“ des Sportlebens … Dieses Mal nimmt der junge König die Glückwünsche im bulgarischen Plovdiv an, wo heute auch die Mannschafts-Europameisterschaft startet. Aber einen Tag vor dem Abflug nach Bulgarien hat Ponomarev dem Autor ein Interview gegeben, das erste nach der Absage des WM Matches gegen Garry Kasparov.

Ruslan, deine Laune ist wahrscheinlich nicht besonders gut?!

Warum denn? Die Laune ist ausgezeichnet! Ich bin gesund, voller Kraft und Energie. Zum letzten Mal habe ich Anfang Juni an einem Turnier teilgenommen, deshalb das Brett mich im eigentlichen Sinne des Wortes zieht an! Umso mehr, weil ich für die ukrainische Nationalmannschaft spielen werde, was für mich schon immer eine besondere Motivation war.

Während der skandalösen Handlungen um das WM Match gegen Kasparov haben wir die Meinungen von deinen Trainern, deinem Manager und Rechtsberater gehört. Jetzt würden wir gerne deine Meinung über das Geschehene hören.

Meine Meinung unterscheidet sich nicht von der Meinung meiner Mannschaft. Das wäre auch sehr komisch, wenn wir andere Einstellungen hätten. Deshalb werde ich nichts Neues sagen. Wir haben alles dafür getan, dass das Match um die Welt Krone stattfinden und unter fairen Bedingungen verlaufen kann. Aber die Fide, insbesondere der President Kirsan Ilumzinov, haben eine andere Meinung gehabt und haben einfach das Match abgesagt. Das finde ich sehr schade.

Während der Verhandlungen hörte man ständig, dass Ponomarev angeblich die Sachlage nicht kenne und alle Entscheidungen seine Mannschaft getroffen habe …

Das ist nicht wahr. Ich habe über alle Einzelheiten der Verhandlungen Bescheid gewusst aber keine Notwendigkeit gesehen, mich in diesen Prozess einzumischen. Wir haben eine sehr professionelle Mannschaft und jeder muss sich mit seiner Sache beschäftigen. Ich habe mich für das Match in Jalta vorbereitet, habe mit den Trainern gearbeitet. Der Manager und Rechtsberater haben mit der Fide und dem Organisationskomitee in Verbindung gestanden. Zum Beispiel wurde ich ein Mal dringend nach Kiev eingeladen um an einer Presskonferenz teilzunehmen. Das war im Sommer im Kurort Hochseson. In Simferopol sind die Flugtickets in dieser Zeit ein großes Defizit. Vollkommen logisch, dass sie mich mit dieser Reise nicht fertig machen wollten, und deshalb mein Manager Silvio Danailov nach Kiev gefahren ist, der mit allen Mitteln doch noch einen Flug bekommen hat und in der Hauptstadt angekommen ist. Wo sich zu dem mein Trainer Dmitrij Komarov und Rechtsberater Grigirij Ginzburg angeschlossen haben. Sehr qualifiziert haben sie den Journalisten alle Einzelheiten der Verhandlungen erklärt und ich habe mich zur selben Zeit ohne unnötige Nervosität unmittelbar mit Schach beschäftigen können.

Ruslan, wie siehst du die weitere Entwicklung des Prozesses?

Das Ausspielen der Weltmeisterschaft sollte in absehbarer Zeit stattfinden! Anders wird dem Schach ein nicht wieder gutzumachender Schaden zugefügt. Ja, schon jetzt hat unser Spiel längst nicht so ein ideales Image. Die Fide hat sehr viel versprochen, aber konnte das WM Match zuerst in Buenos Aires und danach in Jalta nicht durchführen. Ilumzinov hat erklärt, dass die Fide zum alten System, der Knockout-Meisterschaft zurückkehren wird, und auch das Startdatum Ende November wurde vorgegeben. Aber weiter bewegt sich nichts, und es ist auch ganz unklar, an welchem Ort das stattfinden soll …

Jetzt sagt man, dass die Fide dir wieder vorschlagen wird, dich an den Verhandlungstisch zu setzen. Bist du bereit „in den selben Fluss ein zweites Mal zu steigen“?

Ja, wenn die Initiative von Seiten der Fide kommt. Ich bin immer noch Weltmeister, deshalb müssen sie mit mir rechnen. Umso mehr, weil ich in meinem offenen Brief genau so eine Lösung Ilumzinov vorgeschlagen habe.

Dein Match gegen Kasparov hat hatte einen ernsthaften und versteckten politischen Hintergrund gehabt, der Premierminister persönlich hat das Organisationskomitee geleitet. Hast Du Dich nach der Vereitelung des Matches mit einem Verantwortlichen aus der Politik getroffen?

Es gab bis jetzt keine Notwendigkeit dazu. Aber während der ganzen Verhandlungszeit habe ich mich auch mit dem Organisationskomitee beraten. Was auch sehr angenehm war, es wurde mir sehr gute Unterstützung geleistet. Übrigens, anderes wäre es auch nicht möglich. Die Ukraine war Veranstalter des Matches, es hat auch ein Ukrainer teilgenommen, und trotzdem hat unsere Meinung keinen besonderen Stellenwert gehabt.

Zum Schluss eine traditionelle Frage: Was hast Du so für die Zukunft geplant?

Ich habe mich sehr lange auf das Match vorbereitet und zahlreiche Einladungen abgelehnt. Nach der Vereitelung des Matches war mein ganzer Kalender zerknittert. Das einzige, was ich genau weiß: sofort nach der europäischen Mannschaftsmeisterschaft werde ich am prestigeträchtigen Turnier im französischen Cap d’ Agde teilnehmen. Weitere Pläne werden dann davon abhängen, wann, wo und mit welchem Regelwerk die Weltmeisterschaft stattfinden wird. Oder ob sie überhaupt stattfinden wird …
 

 

Von der Fide veröffentlichte Materialien (Verträge, etc.):

http://www.fide.com/news.asp?id=233

http://www.fide.com/news.asp?id=236

http://www.fide.com/news.asp?id=237

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren