Anatolij Karpov : Die Vereitelung des
Matches Ponomariov gegen Kasparov ist eine Tragödie
Interview auf der offiziellen Webseite der russischen
Meisterschaft, 14.09.2003
Übersetzung aus dem Russischen von Natalia Kiseleva
Die Schlusszeremonie der russischen Meisterschaft (Krasnojarsk, 3-12.09) wurde
von der Schachlegende der Gegenwart, Anatolij Karpov, besucht. Einer der besten
Großmeister der Welt hat nicht nur an der Preisverleihung teilgenommen sondern
auch eine Pressekonferenz gegeben. Viele Fragen der Journalisten bezogen sich
dabei auf die Absage des WM Matches Ponomariov – Kasparov.
Anatolij Evgenjevich, wie würden sie den
Zusammenbruch des WM Matches kommentieren?
Man kann sagen, es ist eine Schachtragödie.
Jeder hat sein Scherflein dazu beigetragen. Übrigens, Kasparov auch. Obwohl ihm
dadurch am meisten geschadet wurde. Wenn er rechtzeitig zu Ilumzinov gesagt
hätte: „Es sind genug Dummheiten passiert, aber lass es Dir bloß nicht
einfallen, das Match abzusagen!“ Dann hätte Kirsan sich nie dazu entschlossen.
Und zu Ponomariov, man kann nicht einfach so mit dem Weltmeister umgehen. Ich
habe an dem Turnier in Wijk an Zee teilgenommen, wo man Ponomariov keine
Möglichkeit gegeben hat, Schach zu spielen. Ilumzinov hatte seine Vertreter
dahin geschickt und sie haben versucht, mit Ponomariovs Nerven zu spielen. In
diesem Moment wusste er nicht, ob er Schach spielen oder an den Verhandlungen
teilnehmen soll …
Zur eigentlichen Absage des Matches möchte
ich sagen, dass ich glaube, dass es keine besonderen Gründe dafür gab. Der extra
Ruhetag, der so intensiv besprochen wurde und Stein des Anstoßes war, ist kein
seriöser Grund. Der Fehler der Fide war auch der, zwei Schiedsrichter zu
benennen, die kein Russisch sprechen. Allgemein sind die Probleme der Fide daran
begründet, dass Ilyumshinov alle Regeln des Matches, nach denen jahrelang
gespielt wurde, aufgehoben hat. Ich möchte mich der Meinung anschließen, dass
die Absage des Matches dem Schach einen harten Schlag zugefügt hat. Jetzt müssen
wir noch sehr lange warten, bis die Präsidenten Russlands und der Ukraine den
ersten Zug eines WM-Matches machen. Für das Schach hätte das kolossale Bedeutung
und wäre ein passendes Thema für die Titelseiten der großen Zeitungen und ein
Highlight im Fernsehprogramm!
Gibt es nach der Absage des Matches
überhaupt noch einen Ausweg aus dieser Situation?
Ich sehe keine Lösung. Wenn man auch
weiterhin solche Methoden anwendet, dann wird sich das Schach demnächst wieder
spalten und die Fide wird „uns ein langes Leben wünschen“. Obwohl das
wahrscheinlich noch besser wäre. Es scheint vernünftiger, eine neue gesunde
Organisation aufzubauen als zu versuchen, die alte und kranke zu sanieren. Von
außen betrachtet sieht die Fide sehr demokratisch aus. In Wirklichkeit aber ist
sie sehr antidemokratisch. Zum Beispiel hat Russland mit tausenden Titelträgern
und professionellen Schachspielern genauso nur eine Stimme wie die Jungfrauen
Inseln, wo es insgesamt kaum mehr als zehn Spieler gibt. Wenn es bereits früher
bei der Fide etwas Ähnliches wie ein „Sicherheits-Komitee“ gegeben hätte, dann
wären die Entscheidungen von Ilumzinov nie akzeptiert worden.
Ist es wahr, dass Ponomariov Ihnen ein
Schnellschach-Match statt seines Matches gegen Kasparov vorgeschlagen hat?
Nein. Ich habe kein offizielles Angebot
bekommen. Man kann beliebige Sachen erzählen. Deshalb stimmen die Informationen,
die durch die Medien geistern, überhaupt nicht.
Ruslan Ponomariov: „Ich bin weiterhin der
Weltmeister, deshalb man muss mit mir rechnen!“
Interview mit Anatolij Javorskij in ,,Chess Ukraine,,
11.10.2003
Übersetzung aus dem Russischen von Natalia Kiseleva
Heute hat der Weltmeister Ruslan Ponomariov Geburtstag! Nach Tradition der
letzten Jahre hat er seinen Geburtstag weit von zu Hause entfernt bei einem
Turnier gefeiert. Na, was kann man tun, so ist der „Preis“ des Sportlebens …
Dieses Mal nimmt der junge König die Glückwünsche im bulgarischen Plovdiv an, wo
heute auch die Mannschafts-Europameisterschaft startet. Aber einen Tag vor dem
Abflug nach Bulgarien hat Ponomarev dem Autor ein Interview gegeben, das erste
nach der Absage des WM Matches gegen Garry Kasparov.
Ruslan, deine Laune ist wahrscheinlich nicht besonders gut?!
Warum denn? Die Laune ist ausgezeichnet! Ich bin gesund, voller Kraft und
Energie. Zum letzten Mal habe ich Anfang Juni an einem Turnier teilgenommen,
deshalb das Brett mich im eigentlichen Sinne des Wortes zieht an! Umso mehr,
weil ich für die ukrainische Nationalmannschaft spielen werde, was für mich
schon immer eine besondere Motivation war.
Während der skandalösen Handlungen um das WM Match gegen Kasparov haben wir
die Meinungen von deinen Trainern, deinem Manager und Rechtsberater gehört.
Jetzt würden wir gerne deine Meinung über das Geschehene hören.
Meine Meinung unterscheidet sich nicht von der Meinung meiner Mannschaft. Das
wäre auch sehr komisch, wenn wir andere Einstellungen hätten. Deshalb werde ich
nichts Neues sagen. Wir haben alles dafür getan, dass das Match um die Welt
Krone stattfinden und unter fairen Bedingungen verlaufen kann. Aber die Fide,
insbesondere der President Kirsan Ilumzinov, haben eine andere Meinung gehabt
und haben einfach das Match abgesagt. Das finde ich sehr schade.
Während der Verhandlungen hörte man ständig, dass Ponomarev angeblich die
Sachlage nicht kenne und alle Entscheidungen seine Mannschaft getroffen habe …
Das ist nicht wahr. Ich habe über alle Einzelheiten der Verhandlungen Bescheid
gewusst aber keine Notwendigkeit gesehen, mich in diesen Prozess einzumischen.
Wir haben eine sehr professionelle Mannschaft und jeder muss sich mit seiner
Sache beschäftigen. Ich habe mich für das Match in Jalta vorbereitet, habe mit
den Trainern gearbeitet. Der Manager und Rechtsberater haben mit der Fide und
dem Organisationskomitee in Verbindung gestanden. Zum Beispiel wurde ich ein Mal
dringend nach Kiev eingeladen um an einer Presskonferenz teilzunehmen. Das war
im Sommer im Kurort Hochseson. In Simferopol sind die Flugtickets in dieser Zeit
ein großes Defizit. Vollkommen logisch, dass sie mich mit dieser Reise nicht
fertig machen wollten, und deshalb mein Manager Silvio Danailov nach Kiev
gefahren ist, der mit allen Mitteln doch noch einen Flug bekommen hat und in der
Hauptstadt angekommen ist. Wo sich zu dem mein Trainer Dmitrij Komarov und
Rechtsberater Grigirij Ginzburg angeschlossen haben. Sehr qualifiziert haben sie
den Journalisten alle Einzelheiten der Verhandlungen erklärt und ich habe mich
zur selben Zeit ohne unnötige Nervosität unmittelbar mit Schach beschäftigen
können.
Ruslan, wie siehst du die weitere Entwicklung des Prozesses?
Das Ausspielen der Weltmeisterschaft sollte in absehbarer Zeit stattfinden!
Anders wird dem Schach ein nicht wieder gutzumachender Schaden zugefügt. Ja,
schon jetzt hat unser Spiel längst nicht so ein ideales Image. Die Fide hat sehr
viel versprochen, aber konnte das WM Match zuerst in Buenos Aires und danach in
Jalta nicht durchführen. Ilumzinov hat erklärt, dass die Fide zum alten System,
der Knockout-Meisterschaft zurückkehren wird, und auch das Startdatum Ende
November wurde vorgegeben. Aber weiter bewegt sich nichts, und es ist auch ganz
unklar, an welchem Ort das stattfinden soll …
Jetzt sagt man, dass die Fide dir wieder vorschlagen wird, dich an den
Verhandlungstisch zu setzen. Bist du bereit „in den selben Fluss ein zweites Mal
zu steigen“?
Ja, wenn die Initiative von Seiten der Fide kommt. Ich bin immer noch
Weltmeister, deshalb müssen sie mit mir rechnen. Umso mehr, weil ich in meinem
offenen Brief genau so eine Lösung Ilumzinov vorgeschlagen habe.
Dein Match gegen Kasparov hat hatte einen ernsthaften und versteckten
politischen Hintergrund gehabt, der Premierminister persönlich hat das
Organisationskomitee geleitet. Hast Du Dich nach der Vereitelung des Matches mit
einem Verantwortlichen aus der Politik getroffen?
Es gab bis jetzt keine Notwendigkeit dazu. Aber während der ganzen
Verhandlungszeit habe ich mich auch mit dem Organisationskomitee beraten. Was
auch sehr angenehm war, es wurde mir sehr gute Unterstützung geleistet.
Übrigens, anderes wäre es auch nicht möglich. Die Ukraine war Veranstalter des
Matches, es hat auch ein Ukrainer teilgenommen, und trotzdem hat unsere Meinung
keinen besonderen Stellenwert gehabt.
Zum Schluss eine traditionelle Frage: Was hast Du so für die Zukunft geplant?
Ich habe mich sehr lange auf das Match vorbereitet und zahlreiche Einladungen
abgelehnt. Nach der Vereitelung des Matches war mein ganzer Kalender
zerknittert. Das einzige, was ich genau weiß: sofort nach der europäischen
Mannschaftsmeisterschaft werde ich am prestigeträchtigen Turnier im
französischen Cap d’ Agde teilnehmen. Weitere Pläne werden dann davon abhängen,
wann, wo und mit welchem Regelwerk die Weltmeisterschaft stattfinden wird. Oder
ob sie überhaupt stattfinden wird …
Von der Fide veröffentlichte Materialien
(Verträge, etc.):
http://www.fide.com/news.asp?id=233
http://www.fide.com/news.asp?id=236
http://www.fide.com/news.asp?id=237