Hikaru Nakamura entzaubert Levon Aronian
Von Harry Schaack
Das amerikanische Schnellschach-As Hikaru Nakamura entthronte Levon Aronian
im Chess960 World Championship in beeindruckender Manier. Mit 3,5:0,5 fegte
der neue Weltmeister seinen Kontrahenten förmlich vom Brett. Chess960 is coming
home, könnte man sagen, denn die Idee zu dieser Schachvariante geht auf Ex-Weltmeister
Bobby Fischer zurück.
Nach einem einseitigen Verlauf entschied Hikaru Nakamura das Finale ganz überlegen
für sich. Er gewann die ersten drei Partien. Erst in der bedeutungslos gewordenen
vierten Begegnung erreichte Aronian eine Gewinnstellung. Doch im Angesicht einer
der größten Enttäuschungen seiner Karriere ließ er seinen Kontrahenten noch
zum Remis entwichen. In der Pressekonferenz meinte er, er habe einfach sehr
langsam gespielt und dazu schlechte Züge gemacht.
In der Tat war sein schlechtes Zeitmanagement einer der Ursachen für seine deutliche
Niederlage. Zudem fehlte seinem Spiel die Frische, die ihn noch am ersten Tag
des Turniers auszeichnete, als er alle seine Partien für sich entscheiden konnte.
Er agierte insgesamt zu passiv und konnte sich letztlich auch über die klare
Niederlage nicht beschweren.
Das Match um Platz drei schien schon nach den ersten beiden Partien entschieden,
die Movsesian für sich verbuchen konnte. Doch dann schlug Bologan zurück. In
der letzten Partie hatte Movsesian schon einen Bauern mehr, konnte ihn aber
nicht zum Sieg verwerten. Sei's drum: dem Slovaken reichte die Punkteteilung
zum dritten Platz und einem 2,5:1,5 Sieg.
Die beiden Matches waren auf vier Partien angesetzt, bei Gleichstand hätte eine
Blitzpartie entscheiden müssen. Doch kaum einer rechnete mit einer Verlängerung.
In der vorhergehenden kämpferischen Gruppenphase gab es kein einziges Remis!
Die beiden Finalisten zählen zu den kreativsten Köpfen im professionellen Schach.
Und im Chess960 scheint ihre Begabung noch deutlicher zum Ausdruck zu kommen.
Doch das Match hielt nicht die Erwartungen, die sich viele erhofft hatten.
Statt eines spannenden Zweikampfes sahen die Zuschauer in der Rheingoldhalle
eine einseitige Angelegenheit. Nakamura setzte von Beginn an die Akzente. Zum
Auftakt gelang es ihm deutlich besser als seinem Gegner, sein Figurenspiel zu
harmonisieren. Aronian sah sich zunehmend in eine defensive Stellung gedrängt.
Stellung nach 26.d4
Um Gegenspiel zu erlangen, verschärfte er die Ereignisse mit e5 drastisch. Ein
Turmopfer riss die gegnerische Königsstellung auf. Mit etlichen Schachgeboten
trieb er den weißen Monarchen vom Damen- zum Königsflügel. Doch der Amerikaner
verteidigte sich umsichtig, entkam der Mattangriff und behielt seinen entscheidenden
Materialvorteil. Es folgte
26...e5 27.Lxd7 Sxd4 28.Txd4 cxd4 29.Txe5 Da2+
30.Kc1 Da1+ 31.Kc2 d3+ 32.Kxd3 Dd1+ 33.Dd2 Lc4+ 34.Ke3 Dg1+ 35.Kf3 h5 36.Te1
Dc5 37.Le7 Ld5+ 38.Kg3 h4+ 39.Kh3 1-0
Die 1. Partie zwischen Bologan und Movsesian entwickelte sich offener. Im Endspiel
fanden die Figuren des Slovaken die stabileren Stützpunkte im Zentrum. Schwarz
attackierte die weiße Bauernstruktur am Königsflügel, bis sie schließlich nicht
mehr zu halten war. Danach reichte Bologans Initiative nicht mehr aus, den entstandenen
Bauernnachteil zu kompensieren.
Weltmeister Aronian überzeugte auch in der zweiten Partie nicht. Sein Spiel
wirkte irgendwie verhalten und ihm fehlte die Frische des ersten Tages. Er opferte
einen Bauern für eine kleine Initiative. Wie schon in der ersten Partie geriet
er jedoch in Zeitnot, die sich schließlich als entscheidend erwies. Er stellte
im Endspiel einen Springer ein, was den sofortigen Verlust zur Folge hatte.
Nach seinem Schwarzsieg konnte Movsesian in der zweiten Partie sogar noch zulegen.
Unter Qualitätsopfer drängte er seinen Kontrahenten in die vollkommene Passivität
und leitete durch eine Umgruppierung seiner Dame einen unparierbaren Mattangriff
ein. Eine brillante Partie des Mannes, der am selben Tag schon im FiNet Open
alles gewinnen konnte.
Stellung nach 20...Sxa8
21.Sf6 g4 22.Df1 c6 23.De1 1-0
Die Zuschauer trauten ihren Augen nicht, als sich Aronians Leidensweg auch in
der dritten Partie fortsetzte. Das Strickmuster ähnelte den anderen Partien.
Wieder kam er in Zeitnot und musste eine schwierige Stellung verteidigen. Als
der Amerikaner mit seinen beiden Läufern zum Schlag gegen den schwarzen König
ausholte, konnte Aronian nichts mehr entgegensetzen.
Stellung nach 18...Sf6
Weiß spielte:
19.La6 e4 20.Dg1 Txd2 21.Lxb7+ Kxb7 22.Db6+ 1-0
Damit war Hikaru Nakamura gleichzeitig neuer Chess960 Weltmeister. Nach schlechtem
Turnierstart mit zwei Niederlagen ließ der Schnellschachspezialist 7 Siege folgen.
In Anbetracht seiner Gegner muss man sich vor der Leistung des Amerikaners verneigen.
Der neue Chess960 Weltmeister: Hikaru Nakamura
Für Aronian war es dagegen vielleicht die größte Enttäuschung seiner Karriere.
Wer hätte zuvor gedacht, dass er im Finale keine einzige Partie gewinnen würde?
Gegen Nakamura verlor er - die Rundenpartie mitgezählt - viermal hintereinander.
Ein Desaster für den Vierten der Weltrangliste.
Levon Aronian fand an Tag Zwei und Drei nicht zu seiner Form
Am Nebenbrett konnte Bologan zurückschlagen. Aus der Eröffnung heraus übernahm
er die Initiative, verpasste dann aber einen klaren Gewinn. Erst im Turmendspiel
konnte er den kleinen verbleibenden Vorteil realisieren. Selbst in der bedeutungslos
gewordenen Schlusspartie gelang es Aronian nicht, sich zu rehabilitieren. Er
erreichte zwar eine Gewinnstellung, ließ aber seinen Kontrahenten ins Remis
entkommen. "Es war einfach nicht mein Tag", meinte der sichtlich erschöpfte
Verlierer später.
Er muss sich schnell erholen, denn schon Morgen muss er sich bei der GRENKELEASING
Rapid World Championship gegen Weltmeister Vishy Anand, Arkadi Naiditsch und
Ian Nepomniachtchi behaupten.
Das Match um Platz 3 gewann Movsesian. Eine etwas längere Abwicklung in der
letzten Partie brachte ihm einen Bauern ein, ohne dass Kompensation für Bologan
in Sicht gewesen wäre. Es reichte am Ende zwar nur zum Unentschieden, doch das
bedeutete gleichzeitig den Matchgewinn. Der Endstand lautete 2,5:1,5 für den
Slowaken. Wenn er so weiter spielt, wird er auch am morgigen Freitag im FiNet
Open, wo er im Moment in Führung liegt, zu den aller engsten Favoriten zählen.
Die diesjährige Weltmeisterschaft sollte der Popularität des Chess960 zu weiterem
Aufschwung verhelfen. In insgesamt 14 Partien sahen die Zuschauer nur zwei Unentschieden.
Viele taktische Kabinettstückchen und brillante Siege, kämpferisches Schach
und kreativste Ideen - eben all die Dinge, für die Chess960 steht.