Beginn der Rückrunde in Dortmund
Von André Schulz
Nach der tagelangen Affenhitze kam es heute auch in Dortmund zu einem kleinen
Temperatursturz. Um die Mittagszeit ging ein ordentlicher Regenguss nieder und
hinterließ mit zahlreichen größeren Pfützen seine Spuren in der Ruhrmetropole.
Im Laufe des Tages gingen weitere Schauer nieder, von denen man im
Schauspielhaus aber nicht viel mitbekam.
Im Pressezentrum herrscht gelassene Betriebsamkeit. Um das
Dortmunder Turnier hat sich eine große Schachfamilie gebildet, in der jeder
weiß, was er zu tun hat. Neu ist Michael Meinders, der nun als Pressesprecher
fungiert.
"Pass auf! Heute zwei Remis und eine gewonnene Partie," gibt Dagobert Kohlmeyer
seinen Tipp ab. "Jakovenko schlägt Carlsen," glaubt der Berliner.
Eine Viertelstunde vor dem offiziellen Rundenbeginn erschienen
die ersten Spieler. Magnus Carlsen macht den Anfang, legt seine Sachen nieder
und verschwindet dann hinter der Leinwand im Hintergrund der Bühne, wo man für
die Spieler Erfrischungen und Snacks bereit gestellt hat. Bald folgen Vladimir
Kramnik, Peter Leko, Etienne Bacrot, Arkadij Naiditsch und schließlich auch
Dmitry Jakovenko - etwas verspätet, was aber nicht den Partieverlust zur Folge
hatte, wie ihn die FIDE gemäß der Nulltoleranzregel neuerdings vorschlägt.
Turnierdirektor Gerd Kolbe schwört das Publikum im Plauderton
auf die kommende Runde ein. Hinter der Bühne sitzt Guido Kohlen, der für die
reibungslose Technik sorgt, vor seinem Notebook und passt auf, dass alle
Übertragungen einwandfrei laufen. Ein vom ihm geschriebenes Programm sorgt
dafür, dass die Züge erst mit einer Viertelstunde Verzögerung ins Internet
gehen, als Prävention gegen zumindest technisch mögliche Betrugsversuche. Es
könnte ja jemand im Publikum sitzen und per Zeichen einem der Spieler die von
einer Schachengine errechneten optimalen Züge durchgeben. Nicht, dass man hier
den Spielern nicht trauen würde, aber nach der großen Cheating-Diskussion vor
zwei Jahren wollte man ein Zeichen setzten und zeigen, dass so eine einfache wie
nützliche Maßnahme leicht zu realisieren ist. Schon im letzten Jahr gab es die
Züge nur mit Verzögerung im Internet zu sehen. Leider wurde diese Methode der
Cheating-Prävention anderswo nicht aufgenommen.
Hinter dem Inspizientenpult hängt irgendwo an der Wand zwischen Rohren und
Kabeln noch ein Kontrollmonitor mit dem Bild, das die Zuschauer im Saal von den
Übertragungsbrettern zu sehen bekommen.
Neben Kohlen sitzen Sebastian Siebrecht und Klaus Bischoff im Dunkel des
Bühnenhinterraums und kommentieren. Helmut Pfleger hat in diesem Jahr seine
Ankündigung endgültig wahr gemacht und sich als Kommentator in Dortmund zurück
gezogen. Sebastian Siebrecht sitzt nun auf dem Pfleger'schen Stuhl. "Natürlich
kann ich die großen Schuhe von Helmut Pfleger nicht ausfüllen," lächelt der mit
über 2 Metern längste Großmeister der Welt bescheiden. Doch Helmut Pfleger hat
ihn in Bonn bei der WM als Gastkommentator erlebt und weiß: ""Der Sebastian
macht das ganz großartig. Sehr schwungvoll und kompetent. Ich werde mich in den
Zuschauerraum setzen und die Kommentare genießen."
Eine Livepartie ist ein ganz anderes Erlebnis als eine nackte Partienotation,
die man sich vielleicht hinterher nur kurz ansieht. Auch eine vermeintlich kurze
Remispartie kann live ein durchaus packendes Erlebnis sein, wenn man mit den
Kommentaren von Bischoff und Siebrecht im Ohr die Züge mitverfolgt und versucht,
hinter die Gedankengänge der Spieler zu kommen.
Neben den drei Großmeistertischen sorgen die zwei
Spitzenpartien aus dem IM-Turnier für zusätzliche Unterhaltung. Hier beendet
Thomas Trella als Erster seine Partie gegen Marcel Racherbäumer, der eigentlich
Konzertpianist ist. Racherbäumer hatte eine Kombination gespielt, die allerdings
ein großes Loch hatte. Da die Kombination ein Damenopfer beinhaltete, war diese
nun weg. Schon im 20sten Zug gab er auf.
Die Trainingspartner Etienne Bacrot und Arkadij Naiditsch reizten sich
erwartungsgemäß nicht bis aufs Blut und schlossen relativ schnell Frieden. Bei
Kramnik gegen Leko hatte es allerdings den Anschein, als wollte der
Exweltmeister seinem Sekundanten im letzten Match gegen Anand doch an die
Gurgel. Jedenfalls stocherte der Russe mit seinem Springer lange an Lekos
Stellungsrand herum. Der Ungar beantworteten die weißen Springermanöver mit
kleinen aber effektvollen Läuferzügen und bestätigte einmal mehr seine
Fähigkeiten als "Equalizer". Auch diese Partie endete remis.
Am längsten dauerte der Kampf zwischen Dmitry Jakovenko und Magnus Carlsen im
Sveshnikov-Sizilianer. Um Zug 30 wich der Russe tapfer dem Angebot einer
Zugwiederholung aus. Doch viel erreichen konnte er nicht. Bei ungleichen Läufern
entstand schließlich eine Situation, in der keine der beiden Seiten zuviel
riskieren konnten. Auch hier: Remis.
In der zweiten IM-Partie spielte Dähne-Pokalsieger Thomas Fiebig gegen den neuen
Bundesliga e.V-Chef Markus Schäfer und durchlebte alle Höhen und Tiefen. Nachdem
er einen Mattangriff überstanden hatte, stand Fiebig auf Gewinn. Doch irgendwie
fand Schäfer in aussichtslos wirkender Position mit Dame gegen zwei Türme und
Springer noch Gegenspiel und trickste sich schließlich in ein Endspiel mit
Bauern gegen Springer und Bauern. "Das sieht aber nicht mehr leicht aus," wusste
der Praktiker Klaus Bischoff sofort. Tatsächlich endete es schließlich remis.
Bilder der 6. Runde:
Tabellenführer Magnus Carlsen
Carlsen in Weiß und mit Schwarz
Jakovenko ist noch dabei, das Formular auszufüllen, die anderen haben schon
angefangen.
Medienattraktion Carlsen
Seit Jahren in Dortmund zu Gast: Peter Leko
Vladimir Kramnik macht den ersten Zug
Und überlegt sich, was Leko sich überlegt haben könnte.
Etienne Bacrot
Dieses Jahr in Dortmund noch recht glücklos: Arkadi Naiditsch
Schachjournalist Dagobert Kohlmeyer bei der Arbeit. Am Laptop...
... und hinter der Kamera.
Manager Carsten Hensel
Schachjournalisten-Duo: GM Sebastian Siebrecht und GM Helmut Pfleger
Schachjournalisten-Trio: Siebrecht, Pfleger und GM Klaus Bischoff
Michael Negele: Der leidenschaftliche Schachfan arbeitet zur Zeit als
Herausgeber an einem großen Buch über Lasker.
Die Bühne zu Beginn der Runde
Die Bühne während der Runde
Im modernen Schach wird Technik immer wichtiger.
Die Tabelle vor der sechsten Runde. Da alle drei Partien Remis endeten, führt
Magnus Carlsen jetzt mit 4 aus 6. Danach folgen Vladimir Kramnik und Peter Leko
mit je 3,5 Punkten.