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Das Schachspiel kommt aus Ägypten!?
Zur Entstehung des Schachspiels
April, April... kann ein gebildeter Mensch hierzu nur
sagen. Gegen das tonnen-schwere Argument zahlreicher Lexika, wonach das
Schachspiel aus Indien stamme, ist nichts auszurichten, oder?
Das vermeintlich so sichere Wissen über die Entstehung des Schachspiels muss
immer wieder neu überprüft werden.
Nicht erst seit Jahrzehnten, sondern schon im 13. Jahrhundert stritt man sich in
Europa über die Herkunft des Schachspiels. Einer frühen mittelalterlichen Sage
zufolge hat der mythische Held Palamedes das Spiel während der Belagerung von
Troja erfunden. Dieser Deutung widersprach schon Jacobus von Cessolis
ausdrücklich; er meinte, als König Evilmerodach König von Babylon war, habe ein
Meister namens Xerxes in Chaldäa das Spiel erfunden:
"Etlich die sprechent daz doch nit war ist, daz ez wurde funden vor Troy, wan daz spil kom uz Chaldea under die Kriechen do wart ez erst gemein. Darnach zuo Alexanders ziten des grozen do kam ez in Egiptenlant und darnach in daz lant gen suden. Also saget uns ein kriechischer meister, der heizet Diomedeus."
Die im Alten Testament erwähnte Gestalt des Evilmerodach
wird ebenfalls genannt in Schedels Chronik von 1492 sowie 1561 in dem spanischen
Schachbuch von Rui Lopez de Segura.
Der spanische Arzt und Schachhistoriker Ricardo Calvo (1943-2002) betonte in der
kaum bekannten Publikation "Wo das Schachspiel nicht herkommt" (ohne Ort,
Paginierung und Jahr - ca. 1998), dass erst der englische Orientalist Thomas
Hyde 1694 die damals neue und heutzutage geläufige Auffassung entwickelte,
dass das Schachspiel erstmalig in Indien entstanden sei. Diese Hypothese wurde
dann erneut von dem französischen Mathematiker Fréret in der Sitzung der
Académie Française vom 14. Juli 1714 vorgetragen. Chevalier de Jancourt benützte
den Bericht Frérets in seinem Artikel über Schach in der Enzyklopädie von
Diderot (1775) und gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der behauptete (aber
nicht bewiesene) Ursprung des Schachspiels in Indien fast überall akzeptiert.
1790 leitete der englische Indologe William Jones die Herkunft des Schachspiels
aus einem indischen Kriegsspiel namens Tschaturanga ab.
Ende April 2002 berichtete das Nachrichtenmagazin
DER SPIEGEL über das
"Sandkastenspiel der Könige". Die Münchner Indologin und Kulturhistorikerin
Renate Syed sei "absolut sicher, dass Schach in Indien entstanden ist und nicht
in Persien oder China". Sie verfolgte den Weg des Spiels von Indien (wo es
erstmals 630 nach Christus in einer Königschronik erwähnte wurde) anhand
historischer Quellen nach Persien.
Der weitere Gang der Ereignisse ist (scheinbar) bekannt. Persien wurde von den
Arabern überrannt. "In den Satteltaschen der neuen Herrscher", so DER SPIEGEL,
habe Schach dann seinen Siegeszug um die Welt angetreten. Nach der geläufigen
Chronologie wurde das Schachspiel erstmals Mitte des 11. Jahrhunderts in
europäischen Quellen erwähnt und im frühen 12. Jahrhundert endgültig populär.
Auf welche Weise aber ist das Schachspiel nach Russland gelangt? Russische
Schachhistoriker glauben, dass das Spiel nicht aus dem Westen vermittelt wurde.
Der Schachhistoriker Helmut Faust (Coburg) beschrieb im Schach-Journal
(1/2-92, S. 101; Edition Marco, Berlin, 1992) drei Wanderungswege des
Schachspiels:
Im Juli des vergangenen Jahres wurde über einen Bericht
von
BBC bekannt, dass
britische Archäologen in einer
byzantinischen Siedlung im Süden des heutigen
Albanien eine
Figur entdeckten, die
sie für einen Schachstein aus dem 6., vielleicht sogar 5. nachchristlichen
Jahrhundert hielten. Damit war die Chronologie der Verbreitung des Schachspiels
erneut in Frage gestellt. Wie konnte Schach seinen Weg so früh nach Europa
finden?
Wenn die Ausbreitungswege derart unklar sind, wie lässt sich dann behaupten, es
bestünde Gewissheit über den Ursprung des Spieles - vorausgesetzt, es gab
überhaupt einen gemeinsamen, geographisch lokalisierbaren Ursprung? Zu denken
ist in diesem Zusammenhang daran, dass nach der Spielreform Ende des 15.
Jahrhunderts sogar noch im 19. Jahrhundert in Europa nach unterschiedlichen
Regeln (etwa bei der Rochade) gespielt wurde.
Älter als die Hypothese von dem indischen Ursprung des Schachspiels ist die
Annahme, dass die Ägypter das Schachspiel erfunden haben. H. F. Masssmann
spottete in seiner Geschichte des mittelalterlichen, vorzugsweise des
Deutschen Schachspieles (Quedlinburg u. Leipzig 1839; Reprint Schachverlag
Horst Helten, Rodgau 1980):
Noch Andere wollen gern den Aegyptern, die bekanntlich auch alles erfunden haben müssen, die Ehre zuerkennen, daß sie des Schachspieles Erfinder gewesen.
Als Beleg hierfür nannte Massmann 1839 dieselben Stellen,
die schon Gustavus Selenus über 200 Jahre zuvor in seinem Schachbuch (1616)
angegeben hatte (S. 24).
Zunächst Jodocus Damhouderius: "Inter omnes ludos ingenii, haud vulgaris
habetur Scachius, ab Aegyptiis, rerum abstrusarum indagatoribus, et ingenii
cultoribus, inventus, quamvis alii eum Palamedi asscribant", das heisst nach der
Übersetzung von Selenus: "Unter denselben Spielen, darinnen der Verstand muß
gebrauchet werden, ist das Schachspiel nicht das geringste zu achten: welches
von den Aegyptern alß die scharfsinnige Erfindere schwerer und fast
unerförschlicher Sachen gewesen, auch ihren Verstand zu scherffen keine
Gelegenheit unterlassen, auff die bahn gebracht worden: doch wollen etliche dem
Palamedi die Ehre der Erfindung geben."
Das Zitat stammt aus dem Werk Paraeneses Christianae sive loci communes ad
religionem et pietatem christianam pertinentes (1571). Jodocus Damhouderius
ist die latinisierte Form des Namens Joos (oder Joost) de Damhouder. Dies war
ein europaweit bekannter Jurist (1507-1581), der seit 1551 Rat in der
habsburgisch-niederländischen Finanzverwaltung war. Sein lateinisch verfasstes
Strafrechtswerk Praxis rerum criminalium (1554) wurde noch im gleichen
Jahr ins Französische und Niederländische übersetzt, später erschien auch eine
deutsche Übersetzung. Diese Arbeit beeinflusste das europäische Strafrecht bis
in das späte 18. Jahrhundert hinein. Da Damhouder ohne Hemmungen fremde Werke
"schamlos kopierte"
und dabei nicht davor zurückschreckte, Quellenangaben wegzulassen oder zu
verfälschen, ist es eine reizvolle, allerdings jedoch wohl schwierige Aufgabe
herauszufinden, wie er auf die Ägypter als Erfinder des Schachspiels gebracht
wurde.
Der spanische Arzt Juan Huarte (1529-1588), ein Zeitgenosse von Damhouder,
erwähnte in seinem 1752 von
Lessing übersetzten Examen de ingenios
(1575) mehrmals den Erfinder des Schachspiels, ohne in diesem Zusammenhang über
dessen Herkunft zu spekulieren. Er betonte jedoch an anderer Stelle, dass eine
gute "Einbildungskraft" (Lessing; Huarte: "imaginativa") erforderlich sei, um
gut Schach spielen zu können, und schreibt im 12. Hauptstück über die in der
Medizin erforderliche Einbildungskraft, "daß alle Wissenschaften welche von der
Einbildungskraft abhangen in Egypten sind erfunden worden; als die Mathematik,
die Astrologie, die Rechenkunst, die Perspektiv, die Wissenschaft vorher zu
verkündigen und viele andre". Klingt das nicht ähnlich wie das Zitat von
Damhouder? Klingen darin nicht auch die Themen Magie und Alchemie an -
Hexerei... Für Hexenprozesse wiederum galt Damhouder als
Spezialist!
Ein weiterer Verfechter der Hypothese, dass das Schachspiel von den Ägyptern
stamme, war gemäß Selenus vor Damhouder der italienische Philosoph Ludovicus
Caelius Rhodiginus (eigentlich Recherius oder Ricchieri de Rovigo; 1450-1520),
der sich auch mit den Chaldäischen Mysterien und Zoroaster (Zarathustra)
beschäftigt hat. Laut Selenus soll Rhodiginus der Ansicht gewesen sein, dass die
Ägypter das Schach nicht zum Spielen erfunden haben, sondern als ein Mittel, um
darunter, wie unter einem Deckmantel, geheime und wichtige Sachen zu verstecken
und verdeckt "an den Tag zu geben". Eine sehr wichtige Aussage - vor allem, wenn
man berücksichtigt, dass die Kryptographie damals eine Geheimwissenschaft für
die fürstlichen Herrscher und ihre Diplomaten war und dass Gustavus Selenus im
Jahr 1624 das kryptologische Standardwerk seiner Zeit, Cryptomenytices et
Cryptographiae libri IX, veröffentlichte.
Gustavus Selenus (also Herzog August d. J. von Braunschweig-Lüneburg -
1579-1666) hatte als Quelle für seinen Hinweis auf Rhodiginus angegeben: "lib.
20, c.14. Antiq: Lection:". Damit kann nicht die Erstausgabe von "Lodovici Caeli
Rhodigini lectionum antiquarum" gemeint sein, die 1517 im Universitätsverlag
Basel erschien, denn diese Ausgabe bestand nur aus 16 Büchern. 30 Bücher dagegen
enthielt z.B. die 1599 in Frankfurt am Main nach dem Tode des Autors erschienene
Ausgabe "Lvdovici Caelii Rhodigini Lectionvm Antiqvarvm Libri Triginta :
Recogniti ab Auctore (...)" von Lodovico Ricchieri "Postrema Editio, cui
accesserunt Capitum & Rerum Indices omnium locupletißimi".
Woher Rhodiginus wiederum die Idee von einer Verbindung zwischen Ägypten und
Schach erhalten hat, müsste, könnte (vielleicht) ein intensives Quellenstudium
aufzeigen.
Abwegig war die Idee keineswegs. In der Renaissance beschäftigte man sich mit
der griechischen Antike. Rhodiginus galt als Plato-Spezialist. Der griechische
Philosoph Plato (427-347 v.Chr.) unternahm nach dem Tode seines Lehrers Sokrates
weite Reisen, u.a. nach Ägypten. In Platons Werk Phaidros (274 d) sagt
Sokrates:
"Ich habe also gehört, zu Naukratis in Ägypten sei einer von den dortigen alten Göttern gewesen, dem auch der Vogel, welcher Ibis heißt, geheiligt war, der Gott selbst aber habe Theuth geheißen. Dieser habe zuerst Zahl und Rechnung erfunden, dann die Meßkunst und die Sternkunde, ferner das Brett- und Würfelspiel, und so auch die Buchstaben." (Schleiermacher-Übersetzung mit den Randziffern der Stephanus-Ausgabe, Paris 1578).
In deutschen Plato-Übersetzungen hat man das griechische
Brettspiel "Petteia" mit Schach übersetzt, was einerseits irreführend,
anachronistisch und im
Grunde falsch war, was anderseits jedoch durch die Betonung des
strategisch-wissenschaftlichen Charakters des Brettspiels in der Abgrenzung zum
griechischen Würfelspiel "Kubeia" aus der Sicht der Leser nachvollziehbar und
insofern hilfreich war.
Um es klar zu sagen: Petteia war ein Brettspiel, das auf einem rechteckigen
Brett (8x8 oder 12x8) von zwei Personen gespielt wurde. Spielziel war die
Vernichtung oder die Bewegungsunfähigkeit der Spielsteine des Gegners - kein
Schach.
Es ist durchaus möglich, dass es früher bezüglich des Wissens über Brettspiele
Verbindungen zwischen
Ägypten und Griechenland gab, was Plato im Phaidros zu bezeugen scheint,
möglich ist auch, dass es eine Verbindung zwischen Brettspielen und der
Astronomie gab. Wir
können mit Ricardo Calvo davon ausgehen, dass der spanische König Alfons der
Weise noch ein astronomisches Schachspiel kannte („Los Escaques" - „die
Schachfelder"), das in seinem berühmten Codex von 1283 erläutert wird. Juri
Awerbach hat auf die Möglichkeit hingewiesen, dass das griechische Kriegsspiel
Petteia dem indischen Kriegsspiel Tschaturanga begegnete, was zur Entstehung des
Schachspiels geführt haben könnte (Wie das Schachspiel entstand,
Schach-Journal 1-91). Absolute Sicherheit über den geographischen Ursprung des
Schachspiels besteht jedenfalls noch nicht.
F. Villot, Paris 1825
Wenn allerdings ein
"Prof. Dr. On. Ekoj-dab" von der Universität Jericho am 1. April zu wissen vorgibt, dass
das Schachspiel in Qumran-Rollen nachweisbar sei, dann verdient diese Aussage so
viel Skepsis wie diejenige des indischen
"Songschreibers Ekoj Dab", der unter Hinweis auf die frühere Zugehörigkeit Indiens zum
britischen Empire am 1. April die Möglichkeit zur Teilnahme am Grandprix
Eurovision verlangt.